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Bibliotheksnutzung durch Strafgefangene

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum: 23.03.1983

Aktenzeichen: 4 B 81 A. 2272

Entscheidungsart: Urteil

eigenes Abstract: Der Insasse einer Justizvollzugsanstalt möchte die beklagte Stadtbibliothek für sein Studium der Rechtswissenschaft nutzen. Seine Klage wurde abgewiesen, da der Strafgefangene gemäß Meldegesetz keine Wohnung in der Gemeinde unterhält und deswegen kein Gemeindemitglied ist. Die Literatur für sein Studium kann auch über die Bibliothek der Fernuniversität beschafft werden. Außerdem sind die benötigten Medien für die Stadtbibliothek zu speziell und wären ohnehin nicht vorrätig.

Amtliche Leitsätze:
1. Insassen einer Justizvollzugsanstalt sind nicht Gemeindeangehörige i. S. Von Art. 21 Abs. 1, Art. 15 GO; ein Anspruch auf Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung (hier: Stadtbücherei) besteht daher nicht auf Grund Art. 21 Abs. 1 GO.

2. Ein Zulassungsanspruch kann auch nicht aus Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG hergeleitet werden.

Tatbestand
Der Kläger ist Insasse einer Justizvollzugsanstalt und betreibt von dort aus das Studium der Rechtswissenschaften an einer Fernuniversität. Mit einem beim Verwaltungsgericht am 14.5.1980 eingegangenen Schreiben erhob er Klage mit dem zuletzt gestellten Antrag, die Beklagte zu verpflichten, ihn zur Benutzung der Stadtbibliothek und zur Teilnahme am sog. gelben Leihverkehr zuzulassen.
Klage und Berufung blieben erfolglos.

Aus den Gründen:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zulassung zur Benutzung der Stadtbücherei der Beklagten zu.
Für das Klagebegehren ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben, da es sich bei der Stadtbücherei – wie unten ausgeführt – um eine öffentliche Einrichtung der Beklagten im Sinne von Art. 21 Abs. 1 GO handelt. Der Streit um die Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung, also um das „Ob“ der Benutzung, ist stets öffentlich-rechtlicher Natur, und zwar unabhängig davon, ob das Benutzungsverhältnis im übrigen, also das „Wie“ der Benutzung, öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich geregelt ist (vgl. VGH n.F. 22, 20/22 = BayVBl. 1969, 102; von Mutius, JuS 1978, 400; Ossenbühl, DVBl. 1973, 290).
Die Stadtbücherei ist eine öffentliche Einrichtung. Wenn auch aus den vorliegenden Akten keine ausdrückliche Widmung der Bücherei zur öffentlichen Einrichtung durch den Stadtrat der Beklagten zu ersehen ist, so ergibt sich doch aus der Leseordnung, wonach die Benutzung jedem Ortsansässigen frei steht, und der damit nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten übereinstimmenden bisherigen Praxis eine konkludente Widmung: die Einrichtung wird unter Verpflichtung der Gleichbehandlung aller Ortsansässigen im öffentlichen Interesse zur Verfügung gestellt. Eine solche aus den gesamten Umständen sich ergebende Widmung reicht für das Vorliegen einer öffentlichen Einrichtung aus (vgl. Hölzl/Hien, Gemeineordnung, Anm. 3b zu Art. 21).
Der Kläger kann aus Art. 21 Abs. 1 GO keinen Anspruch auf Zulassung zur Bücherei herleiten, da er nicht zum Kreis der Gemeindeangehörigen im Sinne dieser Vorschrift zählt. Nach Art. 15 Satz 1 GO sind Gemeindeangehörige alle Gemeindeeinwohner. Eine nähere Erläuterung dieses Begriffs enthält das Gesetz nicht, doch wird allgemein davon ausgegangen, daß Gemeindeeinwohner ist, wer dort eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (vgl. VGH n. F. 15,51; Widtmann, Gemeindeangehörigkeit, 4. Auflage, Anm. 2 zu Art. 15). Den Insassen einer Strafvollzugsanstalt wird in der Anstalt keine die Gemeindeangehörigkeit begründende „Wohnung“ gewährt (vgl. Widtmann, a.a.O.; Hölzl/Hien a.a.O., Anm. 1 zu Art. 15). Das zeigt sich auch darin, daß die Unterbringung kein meldepflichtiger Vorgang ist (vgl. Art. 7 Abs. 1 Nr. 3 MeldeG) und daß sie keinen wahlrechtlich maßgeblichen Aufenthalt am Sitz der Justizvollzugsanstalt begründet (IMBek. Vom 13.10.1977, MAB1. S. 765, Teil I Nr. 3). Grund hierfür ist letzlich, daß die Gemeindeangehörigkeit die Möglichkeit voraussetzt, an der örtlichen Gemeinschaft teilzuhaben. Diese Möglichkeit ist für Strafgefangene grundsätzlich nicht gegeben, da sie nur in ganz beschränkten Umfang und nur vermittels der Anstaltsleitung (vgl. § 35 StVollzG) den Anstaltsbereich verlassen können.

Der Kreis der nach Art. 21 Abs. 1 GO Benutzungsberechtigten wurde auch nicht – was grundsätzlich möglich wäre – durch die Widmung oder die bisherige Zahlungspraxis erweitert. Schon vom Sprachgebrauch her wird der Begriff des „Ortsansässigen“ eher enger, jedenfalls aber nicht weiter aufzufassen sein als der das Gemeindeeinwohners. Als „ansässig“ werden üblicherweise diejenigen bezeichnet, die sich – seit längerer Zeit – an dem Ort seßhaft, diesen alson grundsätzlich freiwillig zu ihrer Heimat gemacht haben. Davon kann bei Strafgefangenen – auch bei längerer Strafhaft – nicht gesprochen werden.

Auch aus § 67 Satz 2 StVollzG, wonach der Gefangene Gelegenheit erhalten soll, eine Bücherei zu benutzen, kann der Kläger keinen Anspruch auf Benutzung der Stadtbücherei gegenüber der Beklagten herleiten. Diese Bestimmung hat nur Auswirkungen im Verhältnis des Klägers zur Strafvollzugsbehörde, gewährt ihm aber keine Ansprüche gegenüber Dritten (vgl. Callies/Müller-Dietz, RdNr. 2, 3 zu § 67 StVollzG).

Ein Zulassungsanspruch ergibt sich schließlich nicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 oder Art. 12 Abs. 1 GG.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG gibt dem einzelnen nur das Recht, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Allgemeine Zugänglichkeit liegt nur dann vor, wenn die Informationsquelle technisch geeignet und dazu bestimmt ist, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen (vgl. BverfGE 27, 71/83). Die Stadtbücherei gehört wegen des auf die Gemeindeangehörigen beschränkten Benutzerkreises nicht zu den allgemein zugänglichen Informationsquellen. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG handelt es sich zudem um ein reines Abwehrrecht, das den Staat oder eine öffentliche Körperschaft nicht zwingt, allgemein zugängliche Informationsquellen einzurichten oder einem Bürger bestimmte Informationen zu übermitteln (vgl. BverwG vom 26.4.1978, DÖV 1979, 102). Aus Art. 12 Abs. 1 GG können sich Ansprüche auf behördliche Leistungen ausnahmsweise dann ergeben, wenn die begehrte und der Behörde mögliche Leistung zum Schutz des grundrechtlich gesicherten Freiheitsraumes unerläßlich ist (vgl. VGH N. F. 34, 119; BverfGE 35, 79/116; BverwGE 61, 15/19). Die Benutzung der Stadtbücherei in der Form der Teilnahme am sog. gelben Leihverkehr ist für das Studium des Klägers nicht unerläßlich. Wie aus den vom Kläger vorgelegten zahlreichen Bestellkarten für die Bibliothek der Fernuniversität hervorgeht, erhält der Kläger von dort alles einschlägige Schrifttum, das zum Studium der Rechtswissenschaften erforderlich erscheint. Lediglich in einigen wenigen Fällen wurde dem Kläger mitgeteilt, daß der gewünschte Titel bei der Fernuniversität nicht vorhanden sei. Hierbei handelte es sich um Spezialliteratur, z. B. Ein Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1961, eine nicht veröffentlichte Dissertation, ein Wörterbuch des Völkerrechts und eine Monographie von Mommsen über moderen Wirtschaftsdelikte unter besonderer Berücksichtigung der Insolvenzdelikte. Für ein erfolgreiches Studium der Rechtswissenschaften ist eine solche Spezialliteratur nicht unerläßlich. Davon abgesehen könnte sich ein etwaiger Anspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht gegen die Beklagte richten, sondern – wenn überhaupt – gegen die Strafvollzugsbehörde oder den Träger der Ausbildungsstätte. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der Strafgefangene die mit der Haft verbundenen Einschränkungen nach Maßgabe des Strafvollzugsgesetzes hinnehmen muß.

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