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Freihandbibliothek im Strafvollzug

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg

Entscheidungsdatum: 13.10.1992

Aktenzeichen: Ws 1074/92

Entscheidungsart: Beschluss

eigenes Abstract: Ein Strafgefangener hat Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss eingelegt, dass es im Ermessen der Justizvollzugsanstalt liegt, wie die Strafgefangenen ihren Lesestoff  aus der Anstaltsbibliothek beziehen können. Die Beschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen, da Strafgefangene keinen gesetzlichen Anspruch haben, die Anstaltsbibliothek als Freihandbibliothek zu nutzen.

Instanzenzug:
– LG Regensburg vom 12.08.1992, Az. 3 StVK 9/92 (120)
– OLG Nürnberg vom 13.10.1992, Az. Ws 1074/92

Tenor:

I. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen J. gegen den Beschluß der 3. auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 12.08.1992 wird als unbegründet zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten der Rechtsbeschwerde.

III. Der Beschwerdewert wird auf DM 2.000,00 festgesetzt.

Gründe

1) Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 118, 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, da es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Die in diesem Verfahren gegenständliche Frage, ob die Justizvollzugsanstalt verpflichtet ist, eine von ihr für die Strafgefangenen unterhaltene Bibliothek in Form einer „Freihandbibliothek“ zu organisieren, d.h., es den Strafgefangenen zu ermöglichen, die Bücher bei einem Besuch der Bücherei und nicht per Bestelliste auszuleihen, ist, soweit ersichtlich, noch nicht gerichtlich entschieden.

2) Die Rechtsbeschwerde ist aber unbegründet, da die Strafvollstreckungskammer die Anträge des Strafgefangenen zu Recht zurückgewiesen hat.

a) Dem Gefangenen steht kein Anspruch auf Benutzung der Anstaltsbibliothek als „Freihandbibliothek“ zu.

Nach § 67 S. 2 StVollzG soll der Gefangene unter anderem Gelegenheit erhalten, eine Bücherei zu benutzen. Die Art und Weise der Ausleihe von Büchern aus einer vorhandenen Anstaltsbibliothek ist gesetzlich nicht geregelt. Sie steht daher grundsätzlich im Ermessen der Anstalt, das gerichtlich nur darauf überprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder die Anstalt von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, § 115 Abs. 5 StVollzG. Ein allgemeiner Anspruch des Gefangenen auf Benutzung der Bücherei in Form einer Freihandbibliothek wäre daher nur gegeben, wenn das der Anstalt eingeräumte Ermessen, etwa durch Einwirkung der in §§ 2-4 StVollzG niedergelegten allgemeinen Grundsätze des Strafvollzuges, derart auf Null reduziert wäre, daß einzig die Ermöglichung des Zugangs zur Bücherei als „Freihandbibliothek“ ermessensfehlerfrei wäre (vgl. Schwind-Schuler, StVollzG, 2. Aufl., § 115 Rn. 19). Diese ist jedoch -entgegen den Ausführungen des Strafgefangenen, insbesondere auch in der Begründung seiner Rechtsbeschwerde- nicht der Fall.

Eine entsprechende Beschränkung des Ermessens der Anstalt ergibt sich nach Auffassung des Senats nicht aus dem in § 3 Abs. 1 normierten Angleichungsgrundsatz. Zwar dient die Ermöglichung der Auswahl des Lesestoffes in einer Freihandbibliothek anstelle der in der JVA S. grundsätzlich praktizierten Belieferung der Gefangenen mit Lesestoff nach Bestellisten sicher der nach § 3 Abs. 1 StVollzG anzustrebenden Angleichung der Lebensverhältnisse im Vollzug an die allgemeinen Lebensverhältnisse (vgl. auch Calliess-Müller-Dietz, StVollzG, 5. Aufl., § 3 Rn. 1). Auch ist anerkannt, daß die Grundsätze des § 3 Abs. 1 StVollzG als Konkretisierung des Vollzugsziels des § 2 StVollzG für den Ermessensgebrauch von wesentlicher Bedeutung sind (Calliess-Müller-Dietz, § 3 Rn. 2). Allerdings kann dieser Einfluß des Angleichungsgrundsatzes nach Auffassung des Senats nicht so weit führen, daß hinsichtlich der Regelung des Zugangs zu einer Anstaltsbibliothek nur die Einrichtung einer Freihandbibliothek zulässig und jede andere Ausgestaltung ermessensfehlerhaft wäre. Vielmehr ist der Senat der Auffassung, daß sich auch das in der JVA praktizierte Verfahren -grundsätzliche Bestellung der Bücher über eine Liste, mit der Möglichkeit bei speziellen Wünschen einen Besuch in der Anstaltsbücherei zu beantragen-, auch unter Berücksichtigung des Angleichungsgrundsatzes im Rahmen des der Anstalt eingeräumten Ermessens hält. Soweit sich aus der Kommentierung bei Calliess-Müller-Dietz zu § 3 Rn. 2 eine andere Ansicht ergeben sollte, folgt ihr der Senat nicht.

Andere allgemeine Grundsätze, die die Anstalt zur Organisation ihrer Bücherei in Form einer „Freihandbibliothek“ zwingen würden, sind nicht erkennbar.

Da damit ein Anspruch des Gefangenen gegen die Anstalt, ihm die Auswahl des Lesestoffes in einer Freihandbibliothek zu ermöglichen, nicht besteht, hat die Strafvollstreckungskammer den entsprechenden Antrag des Strafgefangenen zu Recht zurückgewiesen.

Soweit der Strafgefangene in seiner Beschwerde darüberhinaus das Recht geltend macht, über die Stadtbibliothek durch Organisation der Anstalt Bücher beziehen zu dürfen, war darüber nicht zu entscheiden, da insoweit weder eine Entscheidung der Anstalt noch der Strafvollstreckungskammer vorliegt.

b) Unter Berücksichtigung der Ausführungen zu a) ist auch der Bescheid der JVA S. vom 22.05.1992, in dem die vom Strafgefangenen geforderte Benutzung der Bücherei in Form einer „Freihandbibliothek“ abgelehnt wurde, nicht zu beanstanden. Er hält sich im Rahmen des eingeräumten Ermessens, setzt sich mit der sich aus § 67 StVollzG ergebenden rechtlichen Ausgangssituation auseinander und weist auf die Möglichkeit hin, bei Vorliegen spezieller Wünsche einen Besuch in der Bibliothek zu beantragen. Damit hat die Strafvollstreckungskammer auch den gegen diese Anordnung gerichteten Antrag des Strafgefangenen zu Recht zurückgewiesen.

Kosten: § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

Festsetzung des Beschwerdewerts: §§ 48 a, 13 GKG.

Streitwertbeschluss: Der Beschwerdewert wird auf DM 2.000,00 festgesetzt.

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