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Rückruf einer Dissertation wegen gewandelter Überzeugung

Gericht: Oberlandesgericht Celle

Entscheidungsdatum: 01.12.1999

Aktenzeichen: 13 U 69/99

Entscheidungsart: Urteil

eigenes Abstract: Aufgrund wissenschaftlicher und methodischer Schwächen verlangt die Klägerin die Rückgabe von 140 Exemplaren ihrer Dissertation, die sie an die Universitätsbibliothek abgeben musste. In zweiter Instanz wurde der beklagten Universitätsbibliothek Recht gegeben und der Rückruf abgelehnt, da das Verbreitungsrecht gem. § 17 Abs. 2 UrhG erschöpft ist.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt die Herausgabe von Werkstücken ihrer Dissertation.

Die Klägerin hat zur Erlangung des Doktortitels beim Fachbereich für historisch-philologische Wissenschaften der Beklagten eine Dissertation mit dem Titel „…” eingereicht. Die Dissertation wurde angenommen. Dementsprechend hatte die Klägerin nach ihrer mündlichen Prüfung Ende 1994 die Voraussetzungen zur Erlangung des Doktorgrades geschaffen. Letzte Voraussetzung zur Erlangung der Promotion war, dass die Dissertation entsprechend § 28 der Promotionsordnung des Fachbereiches veröffentlicht wurde. Dazu gehört, dass dem Fachbereich Dissertationsexemplare zu übergeben sind. Nach Verlängerung der nach der Promotionsordnung vorgesehenen Abgabefrist vom Mai 1996 hat die Klägerin entweder noch im Jahre 1996 oder Anfang 1997 140 Exemplare ihrer Dissertation zur Veröffentlichung eingereicht. Bereits im Mai 1997 kamen der Klägerin Zweifel an der Wissenschaftlichkeit ihrer Dissertation und sie verlangte später von der Beklagten die Rückgabe der dem Fachbereich überlassenen Freiexemplare. Ihren Doktorgrad führt die Klägerin nach außen nicht mehr.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei berechtigt, ihre Dissertation zurückzurufen. Ihre Arbeit sei in einem journalistischen und nicht in einem wissenschaftlichen Stil geschrieben und methodisch nicht einwandfrei. Die Literatur sei ebenfalls nicht vollständig berücksichtigt worden. Insoweit müsse sie befürchten, dass ihre Arbeit in der wissenschaftlichen Diskussion zerrissen und ihr wissenschaftlicher Ruf insgesamt dadurch geschädigt werde. Da sie mithin berechtigt sei, ihre Arbeit gem. § 42 UrhG zurückzurufen, sei die Beklagte verpflichtet, die ihr überlassenen 140 Pflichtexemplare der Dissertation zurückzugeben und eine Weiterverbreitung zu unterlassen.

Das LG hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe ein Rückrufrecht gem. § 42 UrhG zu.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

I. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Klägerin als Urheberin des Werkes „…” ein Anspruch aus § 42 UrhG auf Rückruf wegen gewandelter Überzeugung zustehen kann. Die Untersagung der Verbreitung der der Beklagten überlassenen 140 Pflichtexemplare ihrer Dissertation und deren Herausgabe kann die Klägerin nicht verlangen, weil das Verwertungsrecht der Klägerin zur Verbreitung gem. § 17 Abs. 1 UrhG an diesen Werkstücken gem. § 17 Abs. 2 UrhG erschöpft ist.

1. Zutreffend geht die Klägerin davon aus, dass sie ihr Vervielfältigungsrecht an den Werkstücken selbst ausgeübt hat. Nicht gefolgt werden kann der Klägerin jedoch dahin, dass die Überlassung der Werkstücke an die Beklagte konkludent nur die Einräumung eines Nutzungsrechtes zur Verbreitung durch Übersendung der Werkstücke an Fachbibliotheken beinhalte, welches sie nach § 42 UrhG rückrufen könne. Vielmehr liegt in der Übergabe der Werkstücke eine Veräußerung i.S.d. § 17 Abs. 2 UrhG an die Beklagte, so dass die Weiterverbreitung durch die Beklagte grundsätzlich zulässig und eine Rückholung der Exemplare nicht mehr möglich ist. …

c) Das Verbreitungsrecht der Klägerin ist durch das Inverkehrbringen erschöpft, weil die Verbreitung im Wege der Veräußerung gem. § 17 Abs. 2 UrhG erfolgt ist.

Eine Veräußerung i.S.d. Gesetzes ist nicht nur dann gegeben, wenn die Übergabe der Werkstücke auf einem zivilrechtlichen Schuldverhältnis wie Kauf, Tausch, Schenkung beruht. Veräußerung liegt in Abgrenzung zur vorübergehenden Überlassung beispielsweise durch Verleihen, Vermieten oder durch Sicherungsübereignung immer dann vor, wenn das Inverkehrbringen auf eine endgültige Aufgabe der Verfügungsbefugnis an den jeweiligen Werkstücken gerichtet ist (vgl. Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl. 1999, § 17 Rz. 39; Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 9. Aufl., 1998, § 17 Rz. 9).

Dies ist bei Übergabe der Werkstücke an den Fachbereich der Beklagten zum Zwecke der Veröffentlichung entsprechend der Promotionsordnung der Fall. Besondere Erklärungen über den Umfang der Berechtigung des Fachbereichs der Beklagten, wie mit den Werkstücken zu verfahren sei, hat die Klägerin bei der Übergabe nicht abgegeben. Maßgeblich für die Beurteilung ist daher der mit der Übergabe entsprechend § 28 Promotionsordnung verfolgte Zweck der Übergabe. Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht dieser Zweck nicht lediglich darin, gleich einer Gebrauchsüberlassung dem Fachbereich nur die Befugnis einzuräumen, die Werkstücke vorübergehend an Dritte zu wissenschaftlichen Studien herauszugeben. Die Übergabe von 140 Exemplaren sollte vielmehr der Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift oder der selbständigen Publikation im Buchhandel gleichstehen. Da sich mit Letztgenanntem der Verfasser seines Verwertungsrechtes an den jeweils veräußerten Exemplaren begibt, ist für die Übergabe der Pflichtexemplare entsprechend der Promotionsordnung daraus abzuleiten, dass diese ebenfalls eine Übertragung der Befugnis beinhaltet, damit nach Belieben zu verfahren. Denn Einschränkungen, was mit den Werkstücken geschehen darf, sind der Promotionsordnung nicht zu entnehmen. Folglich ist für die Auffassung der Klägerin kein Raum, sie habe die Kontrolle über die einzelnen Exemplare ihrer Schrift behalten wollen, dem Fachbereich sei lediglich ein rückholbares Verbreitungsrecht, eine Gebrauchsüberlassung mit dem Inhalt der Veröffentlichung durch Überlassung an andere Bibliotheken eingeräumt worden.

2. Liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 UrhG vor, ist das Recht der Klägerin an den von ihr als der Berechtigten in den Verkehr gebrachten Werkstücken erschöpft. Dies hat zur Folge, dass die Weiterverbreitung dieser Werkstücke grundsätzlich statthaft ist, weil im Interesse des Rechtsverkehrs die Verbreitung rechtmäßig in den Verkehr gelangter Werkstücke nicht unzumutbar durch etwa weiter daran bestehende Rechte beschränkt werden darf (vgl. Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl. 1999, § 17 Rz. 36; Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 9. Aufl. 1998, § 17 Rz. 8). Ein Anspruch auf Herausgabe der Werkstücke oder Unterlassung der zulässigen Weiterverbreitung besteht deshalb ungeachtet der vom LG bejahten Rückrufberechtigung der Klägerin nicht.

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