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Gericht: Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.07.2004

Entscheidungsart: Urteil

Aktenzeichen: 2 Ni 36/03 (EU)

Eigenes Abstract: Im Rahmen eines Patentnichtigkeitsverfahrens geht es um die Frage der Patentfähigkeit einer technischen Vorrichtung. Als Nichtigkeitsgrund wird geltend gemacht, dass der patentierte Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe,  da in einer Dissertation bereits zuvor über einen entsprechenden Stand der Technik berichtet wurde. Obgleich die Beklagte die öffentliche Zugänglichkeit dieser Hochschulschrift bestreitet, bestehen für das Gericht keine Zweifel an der objektiven Möglichkeit einer Kenntnisnahme der Publikation, die durch tatsächlich erfolgte Ausleihvorgänge an der Deutschen Bücherei Leipzig belegt ist.

Orientierungssatz

1. Eine Bestätigung über die Abgabe der erforderlichen Pflichtexemplare einer Dissertation mit der Formulierung „Abgabe an die Universitätsbibliothek (ohne Geheimhaltungsgrad) bzw an die Zweigbibliothek der Sektion (bei NfD) oder an die VS-Hauptstelle (bei VS)“ besagt nichts darüber, wo die Pflichtexemplare tatsächlich abgegeben wurden und welcher (ggf eng begrenzte und möglicherweise nur kraft besonderer Autorisierung befugte) Personenkreis Einblick nehmen konnte.

2. Belegt eine vom Senat gemäß PatG § 87 über die Gerichtsbibliothek eingeholte Auskunft des Informationsdienstes der Deutschen Bücherei Leipzig, dass die Dissertation bereits fünf Jahre vor dem Prioritätstag in dieser Bibliothek als Zugang registriert worden war, erscheint es wenig plausibel, dass die bibliografische Erfassung und Ausleihe dieser Dissertation fünf Jahre lang unterblieben sein könnte.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache betreffend das europäische Patent 0 614 265 (= DE 693 16 188) hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2004 unter Mitwirkung … für Recht erkannt:

1. Das europäische Patent 0 614 265 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Nichtigkeitsbeklagte ist eingetragene Inhaberin des am 14. Oktober 1993 unter Inanspruchnahme einer US-Priorität vom 1. März 1993 (US 24503) angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 614 265 (Streitpatent). Das Schutzrecht, dessen Erteilung in der Verfahrenssprache Englisch am 7. Januar 1998 veröffentlicht wurde und dessen deutscher Teil beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 693 16 188 geführt wird, betrifft einen Betätiger mit drehender und translatorischer Bewegung („actuator with translational and rotational control“). Es umfasst 14 Ansprüche, wobei Ansprüche 1, 2 und 14 in der deutschen Übersetzung gemäß der Streitpatentschrift folgenden Wortlaut haben:

„1. Vorrichtung (10, 100) für die Bewegung und Positionierung einer Montagekomponente (14) bei einem automatisierten Montagevorgang, die umfasst:

eine Einrichtung (108) zur Erzeugung eines Magnetfeldes, die in einem Gehäuse (22) angeordnet ist;

eine elektrische Spule (102) für das Führen eines Stromes, wobei sich die Spule innerhalb des Magnetfeldes in Reaktion auf den durch die Spule fließenden Strom bewegt, die Spule (102) verschieblich in dem Gehäuse (22) angebracht ist und eine translatorische Bewegung ausführen kann;

eine Einrichtung, die elektrisch mit der Spule verbunden ist und den elektrischen Strom liefert, um die Spule translatorisch zu bewegen; und einen Greifer bzw ein Griffstück (grip) (24), der/das drehbar an der Spule (102) angebracht ist, um sich mit dieser translatorisch mitzubewegen, wobei der Greifer bzw das Griffstück (24) die Komponente (14) erfassen bzw mit ihr in Eingriff stehen kann;

dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung weiter umfasst:

einen Antriebsmotor (202, 250), der an der Vorrichtung angebracht ist;

eine Verbindung, um den Antriebsmotor (202, 250) mit dem Greifer (24) zu verbinden; und

eine Einrichtung, die elektrisch mit dem Antriebsmotor (202, 250) verbunden ist, um den Antriebsmotor (202, 250) zu aktivieren, um den Greifer (24) zu drehen.“

„2. Vorrichtung für den Transport und die Positionierung eines Werkstücks, die umfasst:

ein Gehäuse;

einen Seltenerdmagneten (38), der an dem Gehäuse angebracht ist, um ein Magnetfeld zu erzeugen, und der einen Fortsatz (40) hat;

eine Hülse (32), die gleitend in dem Gehäuse angeordnet ist, wobei sich die Hülse um den Fortsatz erstreckt;

einen Greifer bzw ein Griffstück (24) zum Halten des Werkstücks, wobei der Greifer mit der Hülse verbunden ist, um sich mit dieser mitzubewegen, und drehbar an der Hülse angebracht ist, um sich translatorisch mit dieser mitzubewegen;

eine Spule (42) zur Erzeugung eines elektrischen Stromflusses in dem Magnetfeld, wobei die Spule um die Hülse gelegt und mit dieser verbunden ist, um die Hülse in Reaktion auf einen erzeugten elektrischen Stromfluss translatorisch zu bewegen; und

eine erste elektrische Stromquelle (46), wobei die erste Stromquelle elektrisch mit der Spule verbunden ist;

dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung weiter umfasst:

einen Antriebsmotor (202, 250), der an der Vorrichtung angebracht ist, wobei der Antriebsmotor (202, 250) mit dem Greifer in Eingriff gebracht werden kann, um den Greifer zu drehen; und

eine zweite elektrische Stromquelle, wobei die zweite Stromquelle elektrisch mit dem Antriebsmotor verbunden ist.“

„14. Verfahren zur Prüfung und Positionierung einer Montagekomponente (14) bei einem automatisierten Montagevorgang, das die folgende Schritte umfasst:

Bereitstellen einer Vorrichtung (10, 100) mit einem Dauermagneten (108), der ein magnetisches Feld erzeugt, einer elektrischen Spule (102) zur Führung eines Stromes, wobei die Spule angeordnet ist, um sich in Reaktion auf den durch die Spule fließenden Strom innerhalb des Magnetfeldes zu bewegen, die Spule (102) für eine translatorische Bewegung innerhalb des Magnetfeldes angeordnet ist, und einem Greifer bzw Griffstück (24), der mit der Spule (102) verbunden ist und mit der Komponente in Eingriff gebracht werden kann; und

Bereitstellen einer Einrichtung (70) zur Bestimmung der translatorischen Differenz zwischen einer aktuellen Position des Greifers und einer gewünschten Position, um ein erstes Fehlersignal zu erzeugen und einen elektrischen Strom durch die Spule zu schicken, um eine translatorische Bewegung der Spule zu bewirken, wenn das erste Fehlersignal einen Absolutwert größer Null hat;

dadurch gekennzeichnet, dass das Verfahren weiter die Bereitstellung eines Antriebsmotors umfasst, der an der Vorrichtung angebracht ist, wobei der Antriebsmotor mit dem Greifer in Eingriff gebracht werden kann, um diesen zu drehen; und

Bereitstellen einer Einrichtung (70) zur Bestimmung der rotatorischen Differenz zwischen einer aktuellen Position des Greifers und einer gewünschten Position, um ein zweites Fehlersignal zu erzeugen und den Antriebsmotor zu aktivieren, um den Greifer zu drehen, wenn das zweite Fehlersignal einen Absolutwert größer Null hat.“

Wegen des Wortlauts der Ansprüche 3 bis 13 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

Die Klägerin macht den Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit geltend. Zur Begründung verweist sie – neben sämtlichen im Prüfungsverfahren genannten Druckschriften – auf folgenden Stand der Technik

D 1 US 5,175,456 (im Prüfungsverfahren genannt)

E 2 DD 253 331 A 1

D 3 EP 0 235 047 A2 (im Prüfungsverfahren genannt)

N 4 Dissertation von Do Quoc Chinh : „Elektromechanische Antriebselemente zur Erzeugung kombinierter Dreh-Schub-Bewegungen für die Gerätetechnik“, TU Dresden, eingereicht am 26. Juni 1987, S 5, 31-33, 189-191, 196-203

N 4a ibid., S 2 und 159

N 5 L.A. Swadowski : „Grundlagen der elektrischen Robotertechnik“, 1984, S 52, 53 in russischer Sprache mit unbeglaubigter deutscher Übersetzung

N 6 Dissertation von Wolfgang Schinköthe : „Dimensionierung permanenterregter Tauchspullinearantriebe für gerätetechnische Positioniersysteme“, TU Dresden, eingereicht am 10. Januar 1985, S 16, 122-125, 132-140

N 7 SU 16 62 032 A 1 mit Auszug in unbeglaubigter englischer Übersetzung

und führt dazu im Wesentlichen aus, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch diese Entgegenhaltungen, insbesondere die nach ihrer Auffassung vorveröffentlichte N 4, neuheitsschädlich getroffen, oder er beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da der Fachmann, ausgehend von der Druckschrift D 1 und in Kenntnis des in N 4 oder N 5 dokumentierten Standes der Technik, ohne weiteres zum Gegenstand der vermeintlichen Erfindung gelange. Auch die Merkmalskombination des Anspruchs 2 – der lediglich eine besondere Ausführungsform der in Anspruch 1 definierten Vorrichtung vorschlage – sei im Lichte der N 6 nicht neu; zumindest ergebe sie sich in naheliegender Weise aus der Zusammenschau von D 1, E 2 und N 4. Anspruch 14 sei im Stand der Technik sowohl durch die D 1 und E 2 naheliegend gewesen als auch durch die N 4 bekannt. Auch in der Fassung der Hilfsanträge könne das Streitpatent keinen Bestand haben. Denn unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der neuen Ansprüche beruhe auch ihr Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Zur Stützung ihres Vorbringens legt sie außerdem vor:

N 1-3 Schriftwechsel mit der Beklagten, vom 2. April, 2. Mai, 7. Mai 2003

N 8 Schreiben der Beklagten vom 13. Februar 2004,

N 9 Deckblatt und § 13 der Promotionsordnung TU Dresden (geänderte Fassung vom 18. Dezember 2001)

N 10, 11 Erklärungen über die am 14. September 1987 und 23. September 1985 erfolgte Vorlage der Bestätigungen über die Abgabe der Pflichtexemplare

sowie in der mündlichen Verhandlung die Originale der Dissertationen N 4 und N 6 und

1 Blatt Tafel 3.3 von Seite 32 der N 4, farbig.

Die Klägerin beantragt,

das europäische Patent EP 0 614 265 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung gemäß Hilfsantrag I (Anlage zum Protokoll vom 14. Juli 2004) mit folgendem Wortlaut des Anspruchs 1 (neu):

„1. Vorrichtung (10, 100) für die Bewegung und Positionierung einer Montagekomponente (14) bei einem automatisierten Montagevorgang, die umfasst:

eine Einrichtung (108) zur Erzeugung eines Magnetfeldes, die an einem Gehäuse (22) angeordnet ist;

eine elektrische Spule (102) für das Führen eines Stromes, wobei sich die Spule innerhalb des Magnetfeldes in Reaktion auf den durch die Spule fließenden Strom bewegt, die Spule (102) verschieblich an dem Gehäuse (22) angebracht ist und eine translatorische Bewegung ausführen kann;

eine Einrichtung, die elektrisch mit der Spule verbunden ist und den elektrischen Strom liefert, um die Spule translatorisch zu bewegen; und

einen Greifer (24) bzw ein Griffstück (grip) (24), der/das drehbar an der Spule (102) angebracht ist, um sich mit dieser translatorisch mitzubewegen, wobei der Greifer bzw das Griffstück (grip) (24) die Komponente (14) erfassen bzw mit ihr in Eingriff stehen kann;

wobei die Vorrichtung weiter umfasst:

einen Antriebsmotor (202, 250), der an der Vorrichtung angebracht ist;

eine Verbindung, um den Antriebsmotor (202, 250) mit dem Greifer (24) zu verbinden;

eine Einrichtung, die elektrisch mit dem Antriebsmotor (202, 250) verbunden ist, um den Antriebsmotor (202, 250) zu aktivieren, um den Greifer (24) zu drehen;

wobei die Spule (102) an einem Spulenkolben (106) angebracht ist, an dem ein weiteres Gehäuse (200) angebracht ist, wobei das weitere Gehäuse (200) mittels einer Führung (112’, 114’) verschieblich im Gehäuse (22) angebracht ist;

und wobei der Greifer (24) im weiteren Gehäuse (200) drehbar und translatorisch mitbewegbar angebracht ist.“

Wegen des Wortlauts der auf Anspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Ansprüche 2 bis 12 (neu) wird auf den zu den Akten gereichten Hilfsantrag I verwiesen.

Wiederum hilfsweise verteidigt die Beklagte das angegriffene Schutzrecht in der Fassung gemäß Hilfsantrag II, wonach die Ansprüche 1 und 2 (wiederum neu) folgenden Wortlaut haben:

„1. Vorrichtung (10, 100) für die Bewegung und Positionierung einer Montagekomponente (14) bei einem automatisierten Montagevorgang, die umfasst:

eine Einrichtung (108) zur Erzeugung eines Magnetfeldes, die an einem Gehäuse (22) angeordnet ist;

eine elektrische Spule (102) für das Führen eines Stromes, wobei sich die Spule innerhalb des Magnetfeldes in Reaktion auf den durch die Spule fließenden Strom bewegt, die Spule (102) verschieblich an dem Gehäuse (22) angebracht ist und eine translatorische Bewegung ausführen kann;

eine Einrichtung, die elektrisch mit der Spule verbunden ist und den elektrischen Strom liefert, um die Spule translatorisch zu bewegen, und

einen Greifer (24) bzw ein Griffstück (grip) (24) der/das drehbar an der Spule (102) angebracht ist, um sich mit dieser translatorisch mitzubewegen, wobei der Greifer bzw das Griffstück (grip) (24) die Komponente (14) erfassen bzw mit ihr in Eingriff stehen kann;

wobei die Vorrichtung weiter umfasst:

einen Antriebsmotor (202, 250), der an der Vorrichtung angebracht ist;

eine Verbindung, um den Antriebsmotor (202, 250) mit dem Greifer (24) zu verbinden;

eine Einrichtung, die elektrisch mit dem Antriebsmotor (202, 250) verbunden ist, um den Antriebsmotor (202, 250) zu aktivieren, um den Greifer (24) zu drehen; und

einen Spulenkolben (106);

wobei die Spule (102) an dem Spulenkolben (106) angebracht ist, an dem ein weiteres Gehäuse (200) angebracht ist,

wobei das weiteres Gehäuse (200) mittels einer Führung (112‚, 114‚) verschieblich im Gehäuse (22) angebracht ist;

und wobei der Greifer (24) im weiteren Gehäuse (200) drehbar und translatorisch mitbewegbar angebracht ist; und

wobei der Antriebsmotor am weiteren Gehäuse (200) angebracht ist, um sich mit der Spule translatorisch mitzubewegen.“

„2. Vorrichtung (10, 100) für die Bewegung und Positionierung einer Montagekomponente (14) bei einem automatisierten Montagevorgang, die umfasst:

eine Einrichtung (108) zur Erzeugung eines Magnetfeldes, die an einem Gehäuse (22) angeordnet ist;

eine elektrische Spule (102) für das Führen eines Stromes, wobei sich die Spule innerhalb des Magnetfeldes in Reaktion auf den durch die Spule fließenden Strom bewegt, die Spule (102) verschieblich an dem Gehäuse (22) angebracht ist und eine translatorische Bewegung ausführen kann;

eine Einrichtung, die elektrisch mit der Spule verbunden ist und den elektrischen Strom liefert, um die Spule translatorisch zu bewegen; und

einen Greifer (24) bzw ein Griffstück (grip) (24), der/das drehbar an der Spule (102) angebracht ist um sich mit dieser translatorisch mitzubewegen, wobei der Greifer bzw das Griffstück (grip) (24) die Komponente (14) erfassen bzw mit ihr in Eingriff stehen kann;

wobei die Vorrichtung weiter umfasst:

einen Antriebsmotor (202, 250), der an der Vorrichtung angebracht ist;

eine Verbindung, um den Antriebsmotor (202, 250) mit dem Greifer (24) zu verbinden;

eine Einrichtung, die elektrisch mit dem Antriebsmotor (202, 250) verbunden ist, um den Antriebsmotor (202, 250) zu aktivieren, um den Greifer (24) zu drehen; und

einen Spulenkolben (106);

wobei die Spule (102) an dem Spulenkolben (106) angebracht ist, an dem ein weiteres Gehäuse (200) angebracht ist,

wobei das weitere Gehäuse (200) mittels einer Führung (112‚, 114‚) verschieblich im Gehäuse (22) angebracht ist;

und wobei der Greifer (24) im weiteren Gehäuse (200) drehbar und translatorisch mitbewegbar angebracht ist;

wobei der Antriebsmotor an dem Gehäuse angebracht ist;

wobei der Antriebsmotor (250) eine Antriebswelle (252) aufweist, auf der eine erste Riemenscheibe (256) befestigt ist,

wobei eine zweite Riemenscheibe (258) drehbar am Gehäuse (22) angebracht ist, durch die der Greifer (24) derart durchgeführt ist, dass ein Gleiten des Greifers (24) durch die zweite Riemenscheibe (258) ermöglicht ist, während ein Mitdrehen des Greifers (24) mit der zweiten Riemenscheibe (258) erzwungen ist,

und wobei ein Riemen (254) die erste Riemenscheibe (256) mit der zweiten Riemenscheibe (258) verbindet.“

Wegen des Wortlauts der auf die Ansprüche 1 oder 2 unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Ansprüche 3 bis 11 (wiederum neu) wird auf Hilfsantrag II (Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung) Bezug genommen.

Die Beklagte bestreitet zunächst die Vorveröffentlichung der Dissertationen gemäß N 4 und N 6 und tritt im Übrigen den Ausführungen der Klägerin zur Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit entgegen. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, der – richtig verstandene – Gegenstand der Erfindung, nämlich ein Betätiger mit einem Greifer, welcher relativ zur Spule drehbar an dieser angebracht sei, werde durch die genannten Entgegenhaltungen nicht neuheitsschädlich getroffen. Der Stand der Technik gebe auch keine Anregungen für eine Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, zumal die D 1 hinsichtlich ihres Offenbarungsgehalts nicht überinterpretiert werden dürfe. Zumindest in der Fassung der Hilfsanträge könne eine erfinderische Qualität nicht verneint werden. Zur Stützung dieses Vorbringens legt sie außerdem vor:

NB 1 Seite 3 eines EP-Prüfbescheids

NB 2 und NB4 zwei Gutachten

NB 3 Auszug aus einem Wörterbuch

NB 5 Fig 3 der US 5 175 456, farbig

NB 6 Anlagenkonvolut Photographien

NB 7 Schnittdarstellung

Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit gemäß Art 138 Abs 1 lit a; Art 52 bis 56 EPÜ in Verbindung mit Art II § 6 Abs 1 Ziff 1 IntPatÜG geltend gemacht wird, ist in vollem Umfang begründet: Der deutsche Teil des Streitpatents war antragsgemäß für nichtig zu erklären, da sein Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

1. Patentgegenstand

Das Streitpatent betrifft gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 und 2 jeweils eine Vorrichtung für die Bewegung (dh den Transport) und die Positionierung einer Montagekomponente (dh eines Werkstücks).

Derartige Vorrichtungen werden vornehmlich in Bestückungsautomaten, Robotern und sonstigen Handhabungsautomaten eingesetzt. Ihre Hauptaufgabe ist die präzise Positionierung der Montagekomponente bzw des Werkstücks am Zielort (vgl Patentschrift Sp 1 Z 30 bis 50). Zur schnellen und präzisen Positionierung ist es nötig, die bewegten Massen der Vorrichtung möglichst gering zu halten, insbesondere dann, wenn zerbrechliche und leichte Komponenten aufgenommen, transportiert und abgesetzt werden sollen, wie in der Beschreibung der Aufgabe in der Patentschrift (Sp 3, Z 13 bis 39) ausführlich dargelegt ist. Der sogenannte Tauchspulenantrieb (eine bestromte Spule bewegt sich in einem Magnetfeld) bietet hierfür besonders gute Voraussetzungen. Denn nur die leichte Spule und eventuell ihr Träger werden bewegt. Der Magnetkreis mit seinen üblicherweise schweren Eisenteilen bleibt in Ruhe.

Von einem solchen Tauchspulenantrieb als Linearantrieb geht das Streitpatent gemäß den im Oberbegriff der erteilten Ansprüche 1, 2 und 14 angegebenen Merkmalen aus.

Um auch Drehbewegungen zu realisieren, soll ein zusätzlicher Drehantrieb mit Motor, Stromquelle und Winkelregelung vorgesehen werden (Sp 5, Z 2 bis 22 und Sp 8, Z 12 bis 19 der Patentschrift).

Die Vorrichtung nach erteiltem Anspruch 1 umfasst dazu in gegliederter Fassung und mit erläuternden Hinweisen folgende Merkmale:

-1.1 eine Einrichtung zur Erzeugung eines Magnetfelds, die an einem Gehäuse angeordnet ist; (dh den stationären Magnetkreis des Tauchspulenantriebs )

-1.2 eine elektrische Spule für das Führen eines Stromes, wobei sich die Spule innerhalb des Magnetfelds in Reaktion auf den durch die Spule fließenden Strom bewegt, die Spule verschieblich in dem Gehäuse angebracht ist und eine translatorische Bewegung ausführen kann (dh eine am Gehäuse verschieblich angebrachte Spule des Tauchspulenantriebs )

-1.3 eine mit der Spule elektrisch verbundene Einrichtung, die den elektrischen Strom liefert, um die Spule translatorisch zu bewegen

-1.4 einen Greifer bzw ein Griffstück (grip), der/das drehbar an der Spule angebracht ist, um sich mit dieser translatorisch mitzubewegen, wobei der Greifer bzw das Griffstück die Komponente erfassen bzw mit ihr im Eingriff stehen kann

-1.5 einen Antriebsmotor, der an der Vorrichtung angebracht ist

-1.6 eine Verbindung, um den Antriebsmotor mit dem Greifer zu verbinden

-1.7 eine Einrichtung, die elektrisch mit dem Antriebsmotor verbunden ist, um den Antriebsmotor zu aktivieren, um den Greifer zu drehen.

Unter „Greifer“ ist dabei die gesamte Stange (rod) 24 zu verstehen, an deren unterem Ende 74 die Montagekomponente bzw das Werkstück aufgenommen wird (zB durch Unterdruck, siehe PS Sp 14 Z 51 bis 58, Übersetzung S 27, Abs 2). Unter „drehbar an der Spule angebracht“ ist nach Auffassung des Senats im Lichte der Beschreibung „drehbar gegenüber der Spule“ und „mittelbar angebracht“ zu verstehen (eine unmittelbare Anbringung an den Leitern der Spule ist technisch nicht möglich).

Unter einer „Verbindung“ von Antriebsmotor und Greifer versteht der Fachmann ein Getriebe, eine Kupplung oder ähnliches, unter der „Einrichtung“ gemäß Merkmal 1.7 eine Stromquelle.

Der nebengeordnete Anspruch 2 weist über den Anspruch 1 hinausgehend noch die folgenden Merkmale auf: „Seltenerdenmagnet“ mit „Fortsatz“ 40, und „Hülse“ 32, um die die Spule gelegt und mit ihr verbunden ist, und an der der Greifer 24 drehbar angebracht ist, sowie zwei Stromquellen.

Die Angabe, dass der Antriebsmotor mit dem Greifer in Eingriff gebracht werden „kann“, kommt nach Auffassung des Senats keine andere Bedeutung zu als dem entsprechenden Merkmal nach Anspruch 1.

Im Übrigen entspricht der Anspruch 2 dem Gegenstand nach Anspruch 1.

Die Verfahrensschritte des erteilten Anspruchs 14 beinhalten im wesentlichen nur die „Bereitstellung“ von Vorrichtungskomponenten aus Anspruch 1 bzw 2 ergänzt um die Komponenten einer Lageregung für den Linearantrieb und den Drehantrieb nämlich einen:

– Sollwert-Istwertvergleich („Einrichtung zur Bestimmung der translatorischen bzw rotatorischen Differenz zwischen einer aktuellen Position des Greifers und einer gewünschten Position, um ein erstes/zweites Fehlersignal zu erzeugen“)

– Stellglied („Einrichtung… um einen elektrischen Strom durch die Spule zu schicken“)

– und Regler („Einrichtung… um eine translatorische/rotatorische Bewegung der Spule zu bewirken, wenn das erste/zweite Fehlersignal einen Absolutwert größer Null hat“).

Seinem Inhalt nach betrifft er also kein Verfahren, sondern eine Vorrichtung, die gegenüber Anspruch 1 bzw 2 durch die vorgenannten Regelungs-Komponenten ergänzt ist.

2. Fachmann

In Übereinstimmung mit den Klageparteien geht der Senat von einem Diplom-Ingenieur (Univ) der Fachrichtung Mechatronik als zuständigem Fachmann aus.

3. Stand der Technik

a) Die US 5 175 456 zeigt in Übereinstimmung mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 eine Vorrichtung für die Bewegung und Positionierung einer Montagekomponente bei einem automatisierten Montagevorgang (Sp 1, Z 5 bis 15). Die Figuren 1 bis 8 dieser Schrift zeigen einen Tauchspulenantrieb mit rechteckiger Spule zur Betätigung einer als Greifer („grip“) dienenden Stange („rod“ Sp 3, Z 2, 3); sie sind identisch mit den Figuren 1 bis 8 der Streitpatentschrift.

Die Vorrichtung umfasst in Übereinstimmung mit Merkmal:

– 1.1 eine Einrichtung 108, 110 (Fig 3) zur Erzeugung eines Magnetfelds, die an einem Gehäuse 22 angeordnet ist (Sp 5, Z 15 bis 26),

– 1.2 eine elektrische Spule 102 für das Führen eines Stromes, wobei sich die Spule innerhalb des Magnetfelds in Reaktion auf den durch die Spule fließenden Strom bewegt, die Spule 102 verschieblich in dem Gehäuse angebracht ist, und eine translatorische Bewegung ausführen kann (Sp 5 Z 3 bis 12, 27 bis 38)

– 1.3 eine mit der Spule elektrisch verbundene Einrichtung 46, die den elektrischen Strom liefert (Sp 8, Z 11 bis 19, Fig 7)

– 1.4 einen Greifer bzw ein Griffstück (grip) 24, der/das an der Spule 102 angebracht ist, um sich mit dieser translatorisch mitzubewegen, wobei der Greifer bzw das Griffstück (grip) die Komponente erfassen bzw mit ihr im Eingriff stehen kann (Sp 2, Z 66 bis Sp 3, Z 5).

In Spalte 3, Zeilen 2 bis 5 (allgemein) sowie Spalte 4, Zeilen 57 bis 59 (bezogen auf das Ausführungsbeispiel) ist angegeben, dass der als Stange ausgebildete Greifer 24 an dem Spulenkolben 102 drehbeweglich ist – zur linearen Bewegung mit dem Spulenkolben und zur Drehbewegung an dem Spulenkolben. Der Schrift ist nicht zu entnehmen, wie diese Drehbeweglichkeit erreicht wird, und wozu sie dient, da kein Drehantrieb erwähnt ist. Die drehbewegliche Montage könnte somit der Justierung vor dem Betrieb dienen, wie die Beklagte meint und die beiden vorgelegten Gutachten NB2 und NB4 ausführen; sie könnte aber auch allgemein einer Drehung während des Betriebs dienen, wie die Klägerin meint – als Variante zu dem zweifellos nicht während des Betriebs drehbaren Ausführungsbeispiel nach Figur 1 bis 8. Beide Varianten entnimmt der Fachmann nach Überzeugung des Gerichts der US 5 175 456.

Im Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1 dort ist kein Drehantrieb mit Motor, Verbindung und Stromversorgung gemäß Merkmal 1.5 bis 1.7 vom Fachmann entnehmbar.

In Übereinstimmung mit dem Anspruch 2 zeigt die US 5 175 456 darüber hinaus Seltenerdmagneten (Sp 5, Z 20), und eine Hülse 104, 106 (Fig 3), die sich gleitend um den Fortsatz des Magneten 108 erstreckt (Sp 5, Z 3 bis 14, 27 bis 38), wobei die Spule 102 auch um die Hülse gelegt und mit dieser verbunden ist (Sp 5, Z 3 und 4). Dabei ist eine erste elektrische Stromquelle 46 (Fig 7) elektrisch mit dieser Spule verbunden. Im Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 2 fehlt der Antriebsmotor und die zugehörige zweite Stromquelle.

In Übereinstimmung mit dem Anspruch 14 entnimmt der Fachmann der US 5 175 456 eine Lageregelung für den Linearantrieb mit Sollwert-Istwertvergleich, Stellglied und Regler (Sp 9, Z 61 bis Sp 10, Z 2). Nicht angegeben ist eine Regelung für die Drehung des Greifers.

b) Die Dissertation von Do Quoc Chinh „Elektromechanische Antriebselemente zur Erzeugung kombinierter Dreh-Schub-Bewegungen für die Gerätetechnik“, TU Dresden, (N 4) ist nach Auffassung des Senats als vorveröffentlichter Stand der Technik zu berücksichtigen. Soweit die Beklagte dies unter Verweis auf eine stattgefundene Einstufung in „Vertraulichkeitsgrad: NfD“ in Abrede stellt, dringt sie damit nicht durch. Denn der Senat ist in der Zusammenschau der ihm vorliegenden Unterlagen zu der Überzeugung gekommen, dass diese Dissertation, die am 26. Juli 1987 bei der Fakultät für Elektrotechnik/Elektronik des Wissenschaftlichen Rates der Technischen Universität Dresden eingereicht und am 26. August 1987 vor der Prüfungskommission verteidigt worden war, am Prioritätstag des Streitpatents (1. März 1993) der interessierten Fachöffentlichkeit zugänglich gewesen ist. Dabei ist mit der Beklagten zunächst davon auszugehen, dass die Erklärung gemäß N 10, wonach die Bestätigung über die Abgabe der erforderlichen Pflichtexemplare am 14. September 1987 vorgelegt worden ist, insoweit nicht aussagekräftig ist; denn angesichts der Formulierung „Abgabe … an die Univ.-Bibliothek (ohne Geheimhaltungsgrad) bzw an die Zweigbibliothek (bei NfD, VD) der Sektion oder an die VS-Hauptstelle (bei VS)“ besagt dieses Dokument nichts darüber, wo die Pflichtexemplare tatsächlich abgegeben wurden und welcher (ggfls eng begrenzte und möglicherweise nur kraft besonderer Autorisierung befugte) Personenkreis Einblick nehmen konnte.

Allerdings belegt eine vom Senat (gemäß § 87 PatG) über die hiesige Gerichtsbibliothek per E-Mail eingeholte Auskunft des Referats „Informationsdienste der Deutschen Bücherei Leipzig“ vom 13. Juli 2004, dass die Schrift am 5. April 1988 in dieser Bibliothek als Zugang registriert worden war. Soweit die Beklagte eine fehlende Unterschrift der E-Mail moniert, ist dieser technisch bedingte Umstand hier ohne Belang und beeinträchtigt die (auch seitens der Beklagten im Übrigen unbeanstandet gebliebene) inhaltliche Zuverlässigkeit der Angaben nicht. Auch wenn das in der Auskunft genannte Zugangsdatum 5. April 1988 keinen sicheren Schluss dahingehend zulässt, dass die Dissertation bereits damals in der Deutschen Nationalbibliographie angezeigt und ins Magazin der Deutschen Bücherei Leipzig zur Einsichtnahme für beliebige Interessierte eingestellt worden ist, erscheint es doch – trotz der anfänglichen Einstufung als geheimhaltungsbedürftig – als wenig plausibel, dass die bibliographische Erfassung und Ausleihe dieser Entgegenhaltung nahezu fünf Jahre lang bis zum Prioritätstag des Streitpatents 1. März 1993 unterblieben sein könnte. Vor dem Hintergrund, dass die Schrift (ausweislich des im Internet unter www.opac.dbl.ddb.de zugänglichen Katalogs der Leipziger Bücherei) die Signatur „Di 1988 B 2385“ trägt, – ein Umstand, der ebenfalls für eine zeitnahe Bibliographierung spricht -, lässt der Zeitablauf zwischen Abgabe der Pflichtexemplare (ausweislich Anlage N 10 spätestens am 14. September 1987) und Eingang eines Exemplars in Leipzig (5. April 1988) vielmehr auch die Lesart zu, dass bereits zum letztgenannten Zeitpunkt die ursprüngliche Kategorisierung als vertraulich aufgehoben, der Vermerk „NfD“ gelöscht gewesen war – eine Interpretation, durch die überdies der (hier nicht entscheidungserhebliche) Umstand, dass die bereits im Jahr 1985 ebenfalls an der TU Dresden eingereichte Dissertation Schinköthe (N 6) erst im Juni 1990 an die Leipziger Bücherei geleitet (und dort mit der Signatur „Di 1990 B 5390“ versehen) wurde, eine plausible Erklärung erfährt. Die Frage bedurfte indes keiner weiteren Aufklärung. Denn der Senat stützt seine Überzeugung, wonach die N 4 spätestens im Juli 1989 jedermann zugänglich war, maßgeblich auf die Anhaltspunkte, die sich dem ihm in der Verhandlung vorgelegten, seitens der Klagepartei aus der Bibliothek der TU Dresden ausgeliehenen Exemplar der Dissertation entnehmen lassen. Zum einen findet sich dort auf der Rückseite des Deckblatts ein Eingangsstempel (soweit leserlich)

„Technische Universität Dresden

… bliothek

Tech…iothek d. DDR

010289“

dh vom 1. Februar 1989. Unterhalb hiervon war zudem die (nunmehr mit einem weißen Etikett überklebte, in der für die Akten gefertigten Ablichtung nicht leserliche) ursprüngliche Signatur „DS 87.40“ sowie handschriftlich der Vermerk „5 Ex.“ angebracht – ein Eintrag, der belegt, dass das Werk seinerzeit auch bibliografisch erfasst worden war.

Schließlich dokumentiert der auf dem Vorblatt eingeklebte Ausleihzettel mit dem Aufdruck: „Dieses Buch ist zurückzugeben bis zum“ sowie den in den Spalten darunter eingestempelten Daten „3. Juli 1989“, „19. Dezember 1990“, „24. November 1992“ und „23. Juli 1993“, dass das dem Senat vorliegende Exemplar der Dissertation noch vor dem Prioritätstag des Streitpatents dreimal an Interessierte abgegeben worden ist. In der Gesamtschau dieser Umstände, insbesondere angesichts der durch Datumsstempel belegten tatsächlichen Ausleihvorgänge, steht damit zur Überzeugung des Senats fest, dass die Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag die – für eine Vorveröffentlichung erforderliche – objektive Möglichkeit einer Kenntnisnahme der Entgegenhaltung N 4 hatte.

Soweit die Beklagte die öffentliche Zugänglichkeit vor dem 1. März 1993 nach wie vor mit der Erwägung in Zweifel zieht, es könne sich bei den – namentlich nicht genannten – Entleihern um zur Geheimhaltung verpflichtete Angehörige eines besonders befugten Personenkreises und nicht um beliebige Dritte gehandelt haben, entbehrt eine solche – auch von der Beklagten nicht als Faktum behauptete – rein theoretische Möglichkeit jeder Plausibilität. Denn für die – in der Erwägung der Beklagten implizit enthaltene – Mutmaßung, auch unter der Geltung des Grundgesetzes seit der Wiedervereinigung Deutschlands habe man an der TU Dresden die früher für Forschungsergebnisse gepflogene Geheimhaltung nahtlos fortgesetzt, wurden tatsächliche Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sind diese sonst ersichtlich. Bei dieser Sachlage bestehen für den Senat keine vernünftigen Zweifel daran, dass die N 4 vorveröffentlicht und mithin als Stand der Technik zugrunde zulegen ist.

Die Dissertation gemäß N 4 befasst sich in Kap 3.4 allgemein mit der Kombinationsmöglichkeit von Dreh- und Schub-Antriebseinheiten. In der Tafel 3.3 (S 32) sind verschiedene Kombinationsmöglichkeiten dargestellt. Die Variante d ist auf Seite 33, Absatz 2 näher beschrieben. Hierbei handelt es sich um einen Tauchspul-Linearmotor . Die Tauchspule des Linearmotors SA ist direkt mit der Antriebswelle verbunden und dreht sich demzufolge mit. Eine längsverschiebliche Kupplung entkoppelt ihre Linearbewegung von dem Läufer des Rotationsmotors DA. Die Variante e verfügt demgegenüber über eine Kupplung, die den Linear/Schubantrieb SA von der Drehbewegung entkoppelt. Bei der Variante c ist der Drehantrieb insgesamt auf den Schubantrieb aufgesetzt und macht dessen Linearbewegung mit. Auf den Seiten 196 bis 202 ist die Regelkreisstruktur eines Dreh-Schubantriebs beschrieben. Bild 8.7 zeigt den Signalflussplan eines Lageregelkreises, der offensichtlich sowohl für den Lageregler des Schubantriebs, als auch für den Winkelregler des Drehantriebs gilt („Weg- bzw Winkelaufnehmer, Motor-/Störkraft bzw -drehmoment“), was auch die Tabelle 8.2 belegt.

4. Erfinderische Tätigkeit

Die Anbringung eines drehbaren Greifers mit entsprechendem Drehantrieb an einem Bewegungsmechanismus ist ein nicht nur dem Fachmann geläufiges allgemeines Prinzip, das sich bei drehbaren Baggerschaufeln üblichen Mehrachs-Industrierobotern und Bestückungsautomaten beobachten lässt. Auch die menschliche Hand als Vorbild aller Handhabungsautomaten folgt diesem – für alle Antriebsarten (elektrisch, hydraulisch, Muskelkraft) gebräuchlichen – Prinzip. Die häufigste und einfachste Möglichkeit ist dabei, den Drehantrieb direkt beim Greifer anzubringen und ihn linear mitzubewegen (entsprechend Variante c in der Tafel 3.3 der Dissertation N 4, aaO).

Ausgehend von der Vorrichtung nach der US 5 175 456 hat der Fachmann Veranlassung zu überprüfen, ob diese Montagevorrichtung auch dahingehend erweitert werden kann, die Montagekomponenten beim Montagevorgang zu drehen, um sie zB im Winkel auszurichten. Das ist nämlich eine bei Montagevorgängen sehr häufige Forderung. Der Fachmann, der einerseits das Prinzip kennt, einen Greifer samt zugehörigem Drehantrieb an einem Bewegungsmechanismus für anderweitige – insbesondere lineare – Bewegungen zu montieren, außerdem aus der Dissertation N 4 aaO weiß, dass auch Tauchspulantriebe derart ausgebildet sein können, und der US 5 175 456 auch den Hinweis entnimmt, den schon als runde Stange gestalteten Greifer 74 an der/dem selbst nicht drehbaren, da rechteckförmigen Spule bzw Spulenkolben drehbar anzubringen (Sp 3, Z 3 bis 5), wird diese bekannte Montagevorrichtung ohne weiteres auf Drehbewegungen erweitern, indem er zur Drehung der Greiferstange 24 gegenüber der Spule einen entsprechenden Drehantrieb mit Motor, (Getriebe-) Verbindung zum Greifer und Stromversorgung vorsieht, wie es im einzelnen im erteilten Patentanspruch 1 angegeben ist.

Es bedurfte somit keiner erfinderischen Tätigkeit, um zur Vorrichtung nach Anspruch 1 zu kommen.

Das gleiche gilt für den Anspruch 2, da die über den Anspruch 1 hinausgehenden Merkmale – wie dargelegt – aus der US 5 175 456 bekannt und hinsichtlich der zweiten Stromquelle nahegelegt sind.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich auch, dass der Anspruch 14 nichts Erfinderisches enthält. Denn eine Lage- und Winkelregelung ist eine selbstverständliche Maßnahme, wenn es um eine Positionieraufgabe geht.

Aus dem Hilfsantrag II ist zu erschließen, dass die Klagegegnerin in der Anbringung der Motoren an der Spule nach Anspruch 7 bzw am Gehäuse nach Anspruch 11 etwas Erfinderisches sieht. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Fachmann wird zunächst die übliche direkte Anbringung des Drehantriebs zwischen Greifer und Spule ins Auge fassen (entsprechend Anspruch 7), die er dann wählen wird, wenn die linear zu bewegenden Massen nicht zu groß werden, dh wenn er einen sehr leichten Motor zur Verfügung hat, den er, verbunden mit der Spule, translatorisch mitbewegen lassen kann. Andernfalls weiß er, dass er den Motor stationär – also am Gehäuse (Anspruch 11) – anbringen muss, was einen Übertragungsmechanismus für die Drehbewegung vom stationären Motor zum linear bewegten Greifer erfordert. Solche Übertragungsmechanismen (zB die in der Tafel 3.3 bei Beispiel d als Standard-Symbol dargestellte längsverschiebliche Kupplung) sind dem Fachmann geläufig.

Auch in den Ansprüchen 3 bis 6, 8 bis 10, 12 und 13 vermag der Senat nichts selbständig Erfinderisches zu erkennen. Dazu wurde von der Klagegegnerin auch nichts vorgetragen.

Wenn die Beklagte der Ansicht ist, dass bei Tauchspulenantrieben nach dem Stand der Technik die Spule immer mit dem Greifer direkt zu verbinden ist, so kann dem nicht gefolgt werden. Dem Stand der Technik ist zu entnehmen, dass es sich dabei lediglich um eine vorteilhafte Variante handelt, die Koppelelemente vermeidet. Sie funktioniert aber nur bei zylindrischen Tauchspulen, die sich in dem Luftspalt drehen können. Die US 5 175 456 zeigt dagegen eine rechteckige Spule. Auch die auf Seite 33, letzter Absatz der N 4 beschriebenen Nachteile der Koppelelemente wird der Fachmann nicht als Hinderungsgrund sehen, denn Antriebe mit solchen Koppelelementen sind weit verbreitet und ihm damit als praktikable Lösung mit hinnehmbaren Nachteilen bekannt. Auch die patentgemäße Lösung hat diese Nachteile hinzunehmen, und Merkmale zu ihrer Vermeidung sind weder in den Patentansprüchen noch in der Beschreibung angegeben.

Ob die von der Inhaberin des US-Patents 5 175 456 tatsächlich ausgeführte Montageeinrichtung einen drehbaren Greifer hat oder nicht, ist unbeachtlich. Entscheidend ist allein, was der Fachmann der US 5 175 456 entnimmt.

Der Auffassung der Beklagten, dass bei einer Teilung der in der US 5 175 456 gezeigten Greiferstange 24 eine von der patentgemäßen Montagevorrichtung abweichende Vorrichtung entstehen würde, wenn nur der untere Teil drehbar wäre, kann nicht gefolgt werden. Dann wäre der untere Teil nämlich allein als der drehbare Greifer gemäß Anspruch 1, 2 oder 14 anzusehen.

6. Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag I und die Ansprüche 1 und 2 nach Hilfsantrag II sind unzulässig erweitert.

In dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag I und den Ansprüchen 1 und 2 nach Hilfsantrag II ist jeweils beansprucht, dass der Greifer 24 im weiteren Gehäuse 200 drehbar und translatorisch mitbewegbar angebracht ist. In Spalte 11, Zeile 4 bis 14 der Patentschrift, die von der Beklagten hierzu als Offenbarungsstelle angegeben wurde, findet sich stattdessen die Angabe: „..grip 24 is rotatably mounted on the casing 200 for translational motion…“, was bei der gegenseitigen Lage zweier Gegenstände nicht mit „im“ übersetzbar ist. Die Figuren 9 und 11 zeigen zwar, dass der Greifer 24 in das Gehäuse 200 hineinreicht. Dass er aber im Gehäuse angebracht ist, lässt sich diesen Figuren nicht entnehmen, denn dort ist allenfalls eine Lagerung beim Durchtritt durch die untere Gehäusewandung, dh am Gehäuse entnehmbar. Auf Grund ihrer Rückbeziehungen enthalten damit auch die auf die Hauptansprüche rückbezogenen Ansprüche 2 bis 12 nach Hilfsantrag I bzw 3 bis 11 nach Hilfsantrag II diese unzulässige Erweiterung.

Die nach Hilfsantrag I bzw II geänderten Ansprüche sind somit insgesamt nicht zulässig und können dem Verfahren nicht zugrundegelegt werden.

7. Als unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 84 Abs 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 99 Abs 1 PatG in Verbindung mit § 709 ZPO.

 

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