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Benutzungsverbot wegen antisemtischer Äußerungen

Gericht: Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 31.01.1964

Aktenzeichen: VII C 24.62

Dokumenttyp: Urteil

Eigenes Abstract: Der Kläger, der vor seiner Pensionierung als Archiv- und Bibliotheksleiter beim Presse und Informationsamt der Bundesregierung tätig war, nutzte  für eine Studie über die „Geschichte der amtlichen deutschen Pressepolitik in den Jahren 1890/1941“ das politischen Archiv des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland. Nachdem er dort mehrmals wegen antisemitsicher Äußerungen, die sich gegen einen anderen Archivnutzer, einen Historiker aus Polen, richteten, negativ aufgefallen ist, verbietet der Leiter des Politischen Archivs ihm die weitere Nutzung. Gegen dieses Verbot ist der Kläger zunächst erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht vorgegangen, unterlag dann aber in der Berufungs- und Revisionsinstanz.

Tatbestand

Der am 5. Dezember 1891 geborene Kläger war von 1921 bis 1945 als Archivrat und Oberarchivrat in P tätig und von Mai 1952 bis Ende 1956 als Oberregierungsrat Archiv- und Bibliotheksleiter beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Ende 1956 trat der Kläger wegen Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand.

Im Mai 1959 begann der Kläger mit Studien für eine „Geschichte der amtlichen deutschen Pressepolitik in den Jahren 1890/1941“. Bei seinen Forschungsarbeiten benutzte er mit Genehmigung des Auswärtigen Amtes die imPolitischen Archiv aus der fraglichen Zeit aufbewahrten Akten, die ihm im Benutzerraum des Archivs zur Verfügung gestellt wurden. In diesem Benutzerraum arbeiteten zeitweise auch mehrere politische Wissenschaftler, unter denen sich ein jüdischer Professor befand. Am 7. Januar 1960 wurde dem Kläger durch den Leiter des Politischen Archivs eröffnet, daß ihm mit sofortiger Wirkung die Benutzung des Archivs und das Betreten des Benutzerraums verboten sei, weil er durch polenfeindliche und antisemitische Äußerungen den Arbeitsfrieden im Politischen Archiv gestört und Kritik an den Maßnahmen der Beklagten geübt habe. Nach schriftlichen und mündlichen Vorstellungen erhielt der Kläger vom Auswärtigen Amt am 10. März 1960 den Bescheid, daß der Bundesminister die Vorgänge, die zum Ausschluß des Klägers geführt hatten, überprüft, das Verbot aber nicht aufgehoben habe. Den Einspruch des Klägers wies das Auswärtige Amt durch Entscheidung vom 12. Mai 1960 zurück.

Mit der von ihm erhobenen Klage hat der Kläger begehrt,

das ihm unter dem 7. Januar 1960 mündlich erteilte Verbot, das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn zu benutzen und den Benutzerraum zu betreten, aufzuheben.

Kläger hat geltend gemacht: Das Politische Archiv diene der historischen Wissenschaft als Forschungsstätte. Als anerkannter Forscher und Publizist habe er einen Anspruch auf Benutzung des Archivs. Äußerungen des Klägers Von einer Störung des Arbeitsfriedens durch ihn könne keine Rede sein. Das Auswärtige Amt habe die Der entweder unzutreffend oder zumindest entstellt wiedergegeben. Aber selbst wenn der Kläger die ihm zur Last gelegten polenfeindlichen und antisemitischen Äußerungen gemacht haben sollte, verletze das Benutzungsverbot den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das angefochtene Verbot des Auswärtigen Amtes sei daher rechtswidrig.

Die Beklagte hat vorgetragen: Der Kläger habe durch die Zulassung zur Benutzung des Archivs kein subjektives öffentliches Recht auf die weitere Benutzung erworben. Das Benutzungsverbot sei wegen der polenfeindlichen undantisemitischen Äußerungen des Klägers gerechtfertigt. Die politische Einstellung des Klägers ergebe sich aus den überreichten Unterlagen der Dokumenten-Zentrale.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, nachdem es über die Äußerungen des Klägers durch Vernehmung des Leiters des Politischen Archivs und zweier Angestellten des Archivs Beweis erhoben hatte.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

In den Gründen hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger habe selbst eingeräumt, daß er gegenüber dem mit der Aufsicht im Politischen Archiv betrauten Angestellten „unter vier Augen“ Bedenken dagegen zum Ausdruck gebracht habe, daß polnischen Historikern, wie beispielsweise Professor G., der Mitarbeiter an dem bekannten „West-Büro“ in Warschau, einer Institution mit antideutscher Tendenz, sei, unbeschränkt sämtliches Archivmaterial zur Verfügung gestellt werde, um es gegebenenfalls in Deutschland auswerten zu können. Der Kläger habe weiter eingeräumt, daß ihm Prof. G nicht sympathisch gewesen sei, ohne daß er sich diese Abneigung nach außen habe anmerken lassen. Gegenüber dem aufsichtsführenden Angestellten habe er wiederum „unter vier Augen“ in bezug auf Prof. G geäußert „Er ist ja wohl ein Jude, das sieht man ja“, und eines Tages, als er Prof. G im Benutzerraum gegenübergesetzt wurde, denselben Angestellten wiederum unter vier Augen gebeten, ihm ein anderes Gegenüber zu geben, weil ihm nun einmal das Gehabe dieses Herrn nicht zusage. Auch gegenüber dem Leiter des Politischen Archivs habe der Kläger in vertraulich-kollegialem Gespräch Bedenken gegen die Offenlegung des Archivmaterials gegenüber den polnischen Historikern zum Ausdruck gebracht, und zwar freimütiger als in dem Gespräch mit dem aufsichtsführenden Angestellten. Durch diese Äußerungen habe der Kläger zumindest diesen Zeugen in einen schweren inneren Konflikt gebracht, wie dieser bei seiner Vernehmung vor dem erstinstanzlichen Gericht bekundet habe.

Durch diese Äußerungen habe der Kläger die ihm als Benutzer des Politischen Archivs obliegenden Pflichten gröblich verletzt, denn sie seien geeignet, der Bundesrepublik außenpolitische Nachteile zu bereiten. Die Bundesrepublik habe sich bei der Rückgabe des Archivs ausdrücklich verpflichtet, das Archivmaterial ohne Einschränkung in- und ausländischen Benutzern zur Verfügung zu stellen. Wenn das Auswärtige Amt ferner die Ansicht vertrete, daß die Äußerungen des Klägers im Hinblick auf seine politische Einstellung in den Jahren 1933 bis 1945 als schwerwiegend angesehen werden müßten, so hielte sich diese Beurteilung im Rahmen des dem Auswärtigen Amt zustehenden Ermessens. Der Kläger habe als Benutzer des Archivs seine Pflichten in so schwerwiegender Weise verletzt, daß das Benutzungsverbot zu Recht ergangen sei.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beantragt der Kläger,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach den Klageanträgen des Klägers zu erkennen,

hilfsweise,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Zur Begründung trägt der Kläger vor:

Verfahrensrechtlich werde gerügt, daß das Berufungsgericht den Beweisanträgen des Klägers nicht entsprochen und dadurch gegen § 86 VwGO verstoßen habe.

Materiellrechtlich werde die Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und des Rechts auf Freiheit der Forschung (Art. 5 Abs. 3 GG) gerügt. Auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde nicht genügt.

Die Beklagte ist den Ausführungen des Klägers entgegengetreten und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Klage richtet sich gegen das dem Kläger gegenüber ausgesprochene Verbot, das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes zu benutzen.

Die Zulässigkeit dieser Klage hat das Oberverwaltungsgericht mit Recht bejaht.

Die „Benutzungsordnung für das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland“ nennt das Politische Archiv „die für die Sammlung und Aufbewahrung des gesamten im früheren und gegenwärtigen deutschen auswärtigen Dienst erwachsenen Schrifttums (Akten und Dokumente außenpolitischen Inhalts) zuständige Stelle des Auswärtigen Amts“. Wie es in der Benutzungsordnung weiter heißt, erfüllt das Politische Archiv eine doppelte Aufgabe: „1. ist es ein Arbeitsarchiv im Rahmen des Dienstbetriebes der obersten Bundesbehörde, 2. ist es ein historisches Archiv als Aufbewahrungsstelle der Aktenbestände für den Zeitraum von 1867 bis 1945. Als Arbeitsarchiv hat es die von ihm verwalteten Bestände für den laufenden Dienstbetrieb verwendungsfähig zu erhalten, gleichzeitig fällt ihm aber auch die Aufgabe zu, die für die Außenpolitik der Bundesregierung benötigten historischen und politischen Auskünfte zu erteilen. Die private wissenschaftliche Benutzung seiner Bestände aus dem Zeitraum 1867 bis 1945 ist durch eine besondere private wissenschaftliche Benutzungsordnung geregelt.“

In dieser privaten wissenschaftlichen Benutzungsordnung wird das Politische Archiv nochmals ausdrücklich als eine Dienststelle dos Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet, deren Archivalien aus dem Zeitraum 1867 bis 1945 auch der privaten wissenschaftlichen Forschung zugänglich gemacht werden, sofern nicht besondere gesetzliche Regelungen, betreffend Personalakten, eine private Benutzung ausschließen. Aus den weiteren Bestimmungen der Benutzungsordnung ergibt sich, daß es zur Benutzung einer auf Antrag zu erteilenden schriftlichen Genehmigung durch das Auswärtige Amt bedarf und daß die Benutzer verpflichtet sind, die in der Benutzungsordnung enthaltenen Vorschriften zu beachten.

Daß das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes, soweit es sich um die aus der Zeit von 1867 bis 1945 stammenden Archivalien handelt, auch der internationalen privaten wissenschaftlichen Benutzung zugänglich gemacht wurde, entsprach der von der Bundesregierung bei Rückgabe dieser von den Alliierten zunächst ins Ausland verbrachten Dokumente gegebenen Zusicherung, „diese Akten nach ihrer Rückkehr in das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes der internationalen Forschung ohne Einschränkung zur Verfügung zu stellen“. Diese von der Bundesregierung gegebene Zusicherung wurde vom Bundesminister des Auswärtigen in seinen an die Regierungen von USA, England und Frankreich gerichteten Schreiben vom 14. März 1956 nochmals bestätigt.

Die entsprechend diesen Erklärungen gewährte Benutzung des zeitlich abgegrenzten Teils des eine Dienststelle des Auswärtigen Amts bildenden Politischen Archivs ist somit aufs engste mit den hoheitlichen Verwaltungsaufgaben des Auswärtigen Amts verknüpft. Die in Ausübung dieser hoheitlichen Verwaltungsaufgaben vom Auswärtigen Amt ausgesprochenen Benutzungsgenehmigungen und Benutzungsverbote können daher nur als Maßnahmen angesehen werden, die dem öffentlich- rechtlichen Bereich angehören. Da jedem, der die für die Benutzung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, die Benutzung des Politischen Archivs grundsätzlich nicht versagt werden kann, ist die Rechtmäßigkeit des dem Kläger gegenüber ausgesprochenen Benutzungsverbots im verwaltungsgerichtlichen Verfahren überprüfbar.

Daß dem Kläger zunächst eine Benutzungserlaubnis erteilt worden war und daß es sich dabei um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelte, schließt ein späteres Benutzungsverbot nicht aus, wenn der Kläger durch sein Verhalten die ihm gewährte Begünstigung verwirkte. Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn bei einer Aufrechterhaltung der Erlaubnis die dem Auswärtigen Amt obliegende Wahrnehmung höherwertiger Interessen gefährdet wurde. Dies wird von der Beklagten behauptet, und hierzu hat das Oberverwaltungsgericht ohne Verfahrensverstoß und Rechtsirrtum festgestellt, daß sich das Auswärtige Amt im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens hielt, wenn es das Verhalten des Klägers zum Anlaß nahm, ihm die weitere Benutzung des Politischen Archivs zu verbieten.

Einen Verfahrensverstoß glaubt der Kläger darin erblicken zu können, daß das Berufungsgericht seinen Beweisanträgen nicht entsprochen und dadurch gegen § 86 VwGO verstoßen habe. Dabei verkennt der Kläger, daß die rechtlichen Schlußfolgerungen, die das Berufungsgericht zieht, auf dem von dem Kläger zugestandenen Sachverhalt beruhen und daß die vom Kläger als richtig eingeräumten Feststellungen auch ausreichen, um die vom Berufungsgericht gewonnene rechtliche Erkenntnis zu begründen. Es liegt deshalb kein Verstoß gegen § 86 VwGO vor, wenn es das Berufungsgericht nicht für erforderlich hielt, den vom Kläger vorsorglich gestellten Beweisanträgen stattzugeben, die darauf gerichtet waren, festzustellen, daß der aufsichtsführende Angestellte des Politischen Archivs die Äußerungen des Klägers offensichtlich dramatisiert habe, daß die Bekundungen des Leiters des Politischen Archivs in wesentlichen Punkten falsch seien, da er ein persönliches Interesse an der Beeinträchtigung des Klägers habe, und daß die Glaubwürdigkeit des dienstaufsichtsführenden Angestellten anders als bisher geschehen zu beurteilen sei. Abgesehen davon, daß diese Beweisanträge sehr allgemein gehalten sind, berühren sie die vom Berufungsgericht auf Grund der von dem Kläger gemachten Zugeständnisse getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht. Das Berufungsgericht legt seiner Entscheidung folgende aus den Schriftsätzen des Klägers wörtlich übernommenen Zitate zugrunde. Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 8. August 1960:

„So spricht man unter vier Augen auch einige Male über die Belastung der Angestellten, die besonders in dem Augenblick eintrat, als für die polnischen Benutzer des Archivs massenweise von den Angestellten Fotokopien angefertigt werden mußten. Bei diesen Gelegenheiten hat der Kläger dem Zeugen W gegenüber – unter vier Augen – Bedenken dagegen zum Ausdruck gebracht, daß polnischen Historikern, wie beispielsweise dem Herrn Prof. G, der Mitarbeiter an dem bekannten „West-Büro“ in Warschau, einer Institution mit antideutscher Tendenz ist, unbeschränkt sämtliches Archivmaterial zur Verfügung gestellt werde, um es gegebenenfalls gegen Deutschland auswerten zu können. …

Herr Dr. G … war dem Kläger, wie er offen einräumt, allerdings nicht sympathisch. Das hat sich der Kläger jedoch nach außen nicht anmerken lassen. In einem der Gespräche mit dem Zeugen W unter vier Augen ist allerdings einmal die Rede darauf gekommen, daß Herr Prof. G offensichtlich Jude sei. Als Herr Prof. G eines Tages dem Kläger im Benutzerraum gegenübergesetzt wurde, … hat der Kläger den Zeugen W wiederum unter vier Augen gebeten, ihm ein anderes Gegenüber zu geben, weil ihm nun einmal das Gehabe dieses Herrn nicht zusage.

Richtig ist, daß der Kläger gegenüber dem Zeugen Dr. U in einem vertraulich-kollegialen Gespräch unter vier Augen politische Bedenken gegen die Offenlegung des Archivmaterials gegenüber den polnischen Historikern geäußert hat, und zwar etwas freimütiger als in den Gesprächen mit dem Zeugen W.“

Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 17. November 1961, in dem er zugibt, daß er sich gegenüber dem Zeugen W unter vier Augen über Prof. G wie folgt geäußert hat:

„Er ist ja wohl ein Jude, das sieht man ja.“

Ergänzt werden diese Zitate durch die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht abgegebenen bestätigenden Erklärungen, zu denen auch die gehört, daß er den Zeugen W in bezug auf Prof. G bat, „ihm ein anderes Gegenüber zu geben“.

Anschließend stellt das Berufungsgericht fest, daß der Kläger schon durch diese Äußerungen die ihm als Benutzer des Politischen Archivs obliegenden Pflichten gröblichst verletzt habe, da sie, wie dies auch dem Kläger habe bekannt sein müssen, geeignet gewesen seien, der Bundesrepublik außenpolitische Nachteile zu bereiten.

Wenn das Berufungsgericht darüber hinaus aus der Aussage des Zeugen W gefolgert hat, daß der Kläger durch seine vertraulichen Äußerungen zumindest diesen Zeugen in einen Gewissenskonflikt gebracht habe, so bedurfte es angesichts des festgestellten Inhalts der Äußerungen dieser zusätzlichen Erwägung nicht. Unabhängig davon, welche Reaktion die Äußerungen des Klägers bei den einzelnen Zeugen auslösten,waren sie jedenfalls objektiv geeignet, die mit Betreuung des Politischen Archivs betrauten Bediensteten in eine Konfliktlage zu bringen. Gerade weil der Kläger eine langjährige Beamtenlaufbahn in verantwortlicher Stellung – zuletzt als Archiv- und Bibliotheksleiter beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung – verbracht hatte, und weil er als Verfasser historischer Schriften hervorgetreten war, erhielten seine „unter vier Augen“ gemachten Bemerkungen besonderes Gewicht und schlossen die Annahme aus, daß sich der Kläger der Tragweite seiner Bemerkungen nicht bewußt gewesen wäre.

Ihre besondere Bedeutung erhielten diese Bemerkungen aber auch durch die politische Belastung des Klägers, wie sie sich aus den vorgelegten Unterlagen der Dokumenten-Zentrale ergibt:

In dem von ihm eigenhändig geschriebenen Lebenslauf vom 27. Februar 1939 berühmt sich der Kläger, bereits bei der Reichspräsidentenwahl 1932 seinen gesinnungsmäßigen Übertritt zur nationalsozialistischen Bewegung vollzogen und in einem Rechtsstreit der katholischen Kirche gegen den preußischen Staat Gutachten erstattet zu haben, die dazu dienten, die Ansprüche der katholischen Kirche zurückzuweisen, sowie an einem entsprechenden Gutachten über das Domstift G im Auftrage des Reichskirchenministers zu arbeiten. Der Kläger, dem in einem Personalbericht eine vor bildliche nationalsozialistische Grundeinstellung bescheinigt wird, war seit Oktober 1933 Angehöriger der SS und wurde mit Wirkung vom 20. April 1940 zum SS- Hauptsturmführer befördert. Seit Juli 1935 gehörte der Kläger dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS an und war seit Februar 1936 als Schulungsleiter in der 7. SS-Reiter-Standarte tätig.

Es mag unerörtert bleiben, ob es eine loyale Erfüllung der von der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt gegebenen Zusicherung, das Politische Archiv, soweit es von den Alliierten zurückgegeben wurde, der internationalen Forschung und damit in- und ausländischen Gelehrten zur Verfügung zu stellen, gerechtfertigt hätte, dem Kläger die Benutzung des Politischen Archivs schon mit Rücksicht auf seine politische Vergangenheit zu versagen, weil ausländische und vor allem jüdische Benutzer des Politischen Archivs, die möglicherweise Angehörige in KZ-Lagern der SS verloren hatten, die Anwesenheit des Klägers als unzumutbar empfinden konnten. In jedem Falle konnte aber von dem Kläger eine auch durch Anstand und Sitte gebotene Zurückhaltung in bezug auf Äußerungen erwartet werden, die eine dem Nationalsozialismus eigentümliche nationale und rassische Überheblichkeit erkennen ließen. Wenn der Kläger statt dessen Kritik an der Anwesenheit polnischer und jüdischer Gelehrter übte und die Zuweisung eines anderen Platzes beanspruchte, weil ihm „das Gehabe“ eines ihm gegenübersitzenden jüdischen Professors nicht gefiel, dann lag darin nicht nur eine Provokation, sondern auch die Offenbarung einer Einsichtslosigkeit, die es dem Auswärtigen Amt mit Recht geboten erscheinen ließ, den Kläger von der weiteren Benutzung des Politischen Archivs auszuschließen. Es war nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des Auswärtigen Amtes, alles zu vermeiden, was geeignet war, die Loyalität der Bundesregierung bei der Einlösung der von ihr gegebenen Zusicherung in Frage zu stellen und Zweifeln an ihrer politischen Glaubwürdigkeit Nahrung zu geben.

Auch das von dem Kläger für sich in Anspruch genommene Recht der freien Meinungsäußerung vermag sein Verhalten nicht zu legalisieren. Selbst wenn man davon absieht, daß sich der Kläger als Benutzer des Politischen Archivsin ein Gewaltverhältnis begab und damit denjenigen Bindungen unterwarf, ohne die eine störungsfreie Benutzung des Archivs durch internationale Wissenschaftler nicht durchführbar war, findet gemäß Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes das Recht auf freie Meinungsäußerung seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und vor allem auch in dem Recht der persönlichen Ehre, das einen Bestandteil der menschlichen Würde bildet. Nach Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ist aber die Würde des Menschen unantastbar und sie zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Die Bemerkungen des Klägers stellten aber, jedenfalls soweit sie den jüdischen Professor G. betrafen, unmittelbar einen Angriff auf die menschliche Würde dar. Auch deshalb hielt sich das Benutzungsverbot im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens und verletzte nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Aus den gleichen Erwägungen geht auch die Berufung des Klägers auf Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes, wonach Forschung und Lehre frei sind, fehl, ganz abgesehen davon, daß das Verhalten des Klägers, das zum Benutzungsverbot führte, mit der Freiheit von Forschung und Lehre nichts zu tun hat.

Es war daher zu erkennen wie geschehen.

 

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