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Rückgabe eines Handapparats

Gericht: Verwaltungsgericht Freiburg

Entscheidungsdatum: 24.04.1992

Aktenzeichen: 7 K 1789/90

Entscheidungsart: Urteil

eigenes Abstract: Ein ehemals wissenschaftlicher Universitätsmitarbeiter legt Klage gegen einen Rückgabebescheid der Hochschulbibliothek mit der Begründung ein, dass er die Bücher, die an seinem Arbeitsplatz in einem Handapparat aufgestellt waren, zu dienstlichen Zwecken benötigte und nicht wirksam gegen Zugriffe durch Dritte schützen konnte. Das Verwaltungsgericht entschied, dass der Kläger für die Kosten der Bearbeitung und Ersatzbeschaffung aufkommen müsse, da ihn das Arbeitsverhältnis nicht von seinen Pflichten gegenüber der Bibliothek entbindet.

Tatbestand
Der Kläger war bis 31. Januar 1990 aufgrund eines Arbeitsvertrages mit dem Land Baden-Württemberg bei der beklagten Universität als Zeitangestellter beschäftigt. Am 6. Februar 1987 meldete er bei der Universitätsbibliothek einen sogenannten Handapparat an, der ihm ermöglichte, ständig benötigte Bücher am Arbeitsplatz innerhalb der Universität aufzustellen. Mit Schreiben vom 5. April 1990, 20. April 1990 und 18. Juni 1990 bat die Universitätsbibliothek den Kläger um Rückgabe von 14 in einem beigefügten Computerausdruck aufgeführten Büchern.
Mit 14 „Rechnungen“ vom 9. Juli 1990 zog die Beklagte den Kläger zu Buchkosten In Höhe von insgesamt DM 1.413,- sowie zu Bearbeitungsgebühren in Höhe von DM 5,- pro Buch heran. Sie führte aus, die Gebühren würden nach der Gebührenordnung für die wissenschaftlichen Bibliotheken des Landes Baden-Württemberg berechnet.
Zur Begründung seines am 30. Juli 1990 erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, er habe alle Bücher ausschließlich im Rahmen eines an der Universität bestehenden Arbeitsverhältnisses und zur Erfüllung wissenschaftlicher Verpflichtungen aus diesem entliehen. Etwaige Organisationsfehler gingen zu Lasten der Beklagten. Die Arbeitsorganisation habe nicht dem Kläger oblegen. Alle Räume des Lehrstuhls Prof. Dr. E. sowie des Zentrums III und des SFB seien mit demselben Schlüssel zu öffnen gewesen. Mindestens 30 bis 40 Personen hätten diesen Schlüssel besessen und damit jederzeit Zugang auch zu seinem Benutzerausweis gehabt, der im Hilfskräftezimmer für alle Mitarbeiter aufbewahrt worden sei. Die Überwachung der Bücher sei ihm unmöglich gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 1990, zugestellt am 10. September 1990, wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Ersatzbeschaffungsrechnungen fänden ihre Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 4 a der Benutzungsordnung für die Bibliothek der Universität K. Die Geltendmachung durch Leistungsbescheid sei zulässig. Neben dem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis mit dem Land Baden-Württemberg habe ein öffentlich-rechtliches Mitgliedschaftsverhältnis zur Universität K. als Körperschaft des öffentlichen Rechts bestanden. Das Rechtsverhältnis zwischen der Bibliothek und dem Benutzer sei öffentlich-rechtlicher Natur. Auch ohne Ausleihe oder Einrichtung eines Handapparats hätte der Kläger jederzeit die Möglichkeit gehabt, die benötigte Literatur während der großzügig bemessenen Öffnungszeiten der Bibliothek in deren Räumen zu benutzen. Die Verantwortlichkeit des Klägers werde nicht durch Organisationsfehler beseitigt. Es habe kein Zwang bestanden, den Ausweis zugänglich aufzubewahren. Bei der Rechnungstellung seien die gegenwärtigen Marktpreise der wiederzubeschaffenden Bücher zugrunde gelegt worden. Die Festsetzung der Bearbeitungsgebühr beruhe auf § 7 Abs. 1 der Bibliotheksgebührenverordnung.
Zur Begründung seiner am 10. Oktober 1990 erhobenen Klage trägt der Kläger u.a. vor, er habe selbst keine Bücher entliehen. Der Verlust der Bücher werde bestritten. Sie befänden sich vermutlich bei anderen der ca. 50 Institutsmitarbeiter oder in der Bibliothek der Beklagten. Fehlbuchungen seien häufig. Diese seien nicht durch Bedienungsfehler der Mitarbeiter bedingt. Unter den zurückgeforderten Büchern befänden sich sachfremde Publikationen, die mit Sicherheit nie durch den Kläger bzw. dessen Kollegen ausgeliehen worden seien. Der Rechtsstreit gehöre in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte. Die Beklagte versuche angebliche Ansprüche aus einem früheren Beschäftigungsverhältnis mit unzulässigem Verwaltungszwang durchzusetzen. Die gesamte Handhabung der Ausweise habe beim Institutsdirektor und dessen Sekretärin gelegen. Dem Kläger sei es nicht zumutbar gewesen, den Anweisungen und Vorgaben aus dem Beschäftigungsverhältnis zuwiderzuhandeln. Es sei alltäglich gewesen, dass Mitarbeiter aus anderen Zimmern Bücher entnommen hätten. Beim Ausscheiden jedes Mitarbeiters seien Verluste auf Aufrechnung. Ihm stehe gegen die Beklagte eine Forderung in überschießender Höhe zu. Bevor er seine Beschäftigung an der Universität K. aufgenommen habe, habe ihm die Beklagte mit Bescheid vom 1. Juli 1986 die Erstattung von Umzugskosten zugesagt. Später habe sie sich geweigert, die geltend gemachten Kosten zu erstatten. Er habe damals um des lieben Friedens willen davon abgesehen, die Forderung gerichtlich durchzusetzen. Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Ersatzbeschaffungsbescheide der Beklagten vom 9. Juli 1990 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 4. September 1990 aufzuheben, soweit die Beklagte diese Bescheide nicht aufgehoben hat. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, für Streitigkeiten aus dem öffentlichrechtlichen Benutzungsverhältnis seien die Verwaltungsgerichte zuständig. Ausleihen seien nur bei Vorliegen des Benutzerausweises in automatisierter Form vorgenommen worden. Aus dem Kontoauszug vom 20. April 1990 ergebe sich, dass die Bücher auf den Ausweis des Klägers ausgeliehen worden seien. Das EDV-System besitze eine sehr hohe Zuverlässigkeit. Programmfehler gebe es nicht. Da die Ausleihen für die in Rechnung gestellten Bücher über einen längeren Zeitraum und aufgrund mehrerer Einzelbuchungen vorgenommen worden seien, sei die statistische Wahrscheinlichkeit einer derartigen Häufung von Fehlbuchungen, selbst wenn diese möglich sein sollten, gleich null. Der Kläger habe zu keiner Zeit geltend gemacht, durch die bestehende Organisation Pflichten aus dem Benutzerverhältnis nicht erfüllen zu können. Eine Organisationsentscheidung im Arbeitsbereich Prof. Dr. E., die den Kläger an der Erfüllung seiner Pflichten aus der Benutzungsordnung gehindert hätte, habe es nicht gegeben. Der Band „Blick auf 1992″, eines der 14 in Rechnung gestellten Bücher, sei im Lehrstuhlbereich von Prof. Dr. E. aufgefunden worden. Bibliotheken erhielten vom Buchhandel 5% Rabatt.
Im Laufe des Rechtsstreits wurden 11 der 14 Bücher an die Beklagte zurückgegeben. Insoweit hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide – mit Ausnahme der Bearbeitungsgebühren von DM 5,- pro Buch – aufgehoben. Des Weiteren reduzierte sie die geltendgemachten Buchkosten um 5% und hob auch insoweit die angefochtenen Bescheide auf. Soweit die angefochtenen Bescheide aufgehoben wurden, haben die Beteiligten Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Dem Gericht liegen die einschlägigen Verwaltungsakten der Beklagten (1 Heft) vor.

Entscheidungsgründe
Mit Einverständnis der Beteiligten kann die Berichterstatterin anstelle der Kammer entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO). Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, weil die Beklagte die angefochtenen Bescheide teilweise aufgehoben hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen.
Im übrigen ist die Klage zulässig, aber nicht begründet.
Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Beklagte leitet den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Buchkosten aus dem Bibliotheksbenutzungsverhältnis her, das öffentlich-rechtlicher Natur ist. Die Bibliothek ist eine unselbständige Anstalt der Universität (§ 28 Abs. 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 UG). Die Regelung der Benutzung durch Satzung (Benutzungsordnung) ist ein Indiz für ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis. Für die öffentlich-rechtliche Gestaltung des Benutzungsverhältnisses spricht auch, dass kein Entgelt, sondern Gebühren erhoben werden (vgl. S. 3 der Benutzungsordnung für die Bibliothek der Universität K. vom 21. Oktober 1981 (Benutzungsordnung; BVerwG, Urt. v. 21. Juni 1979, NJW 1980, 660). Der Umstand, dass der Kläger aufgrund des Arbeitsvertrags mit dem Land Baden-Württemberg Angestellter der Universität K. war, ändert nichts daran, dass er die Bibliothek aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses benutzte. Das Arbeitsverhältnis des Klägers bezog sich nicht auf eine Beschäftigung in der Bibliothek, sondern er war an einem Lehrstuhl tätig und benutzte lediglich anlässlich dieser Tätigkeit die Universitätsbibliothek.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Ersatzbeschaffung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 BibIGebVO i.V.m. §§ 24 Abs. 2. LGebG, 120 UG. Damit besteht eine Ermächtigungsgrundlage für eine einseitig hoheitliche Regelung. Nach § 7 Abs. 1 BibIGebVO hat, sofern Bibliotheksgut neu beschafft oder repariert werden muss, weil der Benutzer es verloren, nach der dritten Mahnung nicht zurückgegeben oder beschädigt hat, der Benutzer die Kosten für die Ersatzbeschaffung oder die Reparatur als besondere Auslagen zu erstatten. Daran, dass die in den angefochtenen Bescheiden aufgeführten Bücher auf den Handapparateausweis des Klägers ausgeliehen wurden, bestehen keine vernünftigen Zweifel. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass die Tatsache, dass die Ausleihen für die in Rechnung gestellten Bücher über einen langen Zeitraum und aufgrund mehrerer Einzelbuchungen vorgenommen wurden, gegen den klägerischen Einwand der Unzuverlässigkeit des Ausleihsystems spricht. Eine derartige Häufung von Fehlbuchungen ist völlig unwahrscheinlich. Der Umstand, dass das Buch „Blick auf 1992″ im Lehrstuhlbereich Prof. Dr. E. aufgefunden wurde, spricht ebenfalls dagegen, dass es sich hier um Fehlbuchungen handelte. Dass zumindest einige Bücher vom Kläger oder mit dessen Zustimmung auf dessen Ausweis ausgeliehen wurden, ergibt sich daraus, dass die sechs Bücher über Datenschutz nach Angaben des Klägers von einem ehemaligen Doktoranden des Prof. Dr. E. zurückgegeben wurden, mit dem der Kläger an einer Veröffentlichung über Datenschutz gearbeitet hat. Es ist unerheblich, ob der Kläger die Bücher selbst ausgeliehen hat, oder ob Dritte den Apparateausweis des Klägers benutzten. Es war Sache des Klägers, dafür Sorge zu tragen, dass auf seinen Ausweis entliehene Bücher fristgerecht zurückgegeben werden. Das bestehende Arbeitsverhältnis entband den Kläger nicht von seinen Pflichten gegenüber der Bibliothek. Sollte der Kläger der Auffassung gewesen sein, dass aufgrund der Organisation im Lehrstuhl keine Gewähr dafür bestand, dass entliehene Bücher zurückgegeben werden, so wäre es seine Sache gewesen, eine entsprechende Klärung mit Prof. Dr. E. herbeizuführen.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BibIGebVO hat der Kläger die Kosten für die Ersatzbeschaffung zu erstatten. Diese Kosten liegen 5% unter den zunächst geforderten Marktpreisen, denn die Bibliotheken erhalten im Buchhandel 5% Rabatt. Nach Rückgabe von 11 Büchern betragen die Marktpreise für die ausstehenden Bücher nur noch DM 315,-. … Nach Abzug von 5% Rabatt kann die Beklagte den Kläger noch zu Kosten für die Ersatzbeschaffung In Höhe von DM 299,25 heranziehen.
Rechtsgrundlage für die darüber hinaus erhobenen Bearbeitungsgebühren von DM 5,- pro Buch, insgesamt also DM 70,-, Ist § 7 Abs. 1 Satz 2 BibIGebVO. Nach dieser Vorschrift kann eine Bearbeitungsgebühr von bis zu DM 20,-je Einheit erhoben werden. Die Erhebung der Gebühr ist auch für die inzwischen zurückgegebenen Bücher rechtmäßig, denn auch diese wurden nicht rechtzeitig zurückgegeben, Mahnungen und Nachforschungen wurden erforderlich (§ 7 Abs. 3 BibIGebVO).
Die angefochtenen Bescheide sind auch nicht durch Aufrechnung rechtswidrig geworden. Zwar ist eine Aufrechnung gegen eine öffentlich-rechtliche Forderung grundsätzlich zulässig und, wenn sie erklärt wird, vom Verwaltungsgericht zu berücksichtigen (vgl. Kopp, VwGO, 8. Aufl., § 40 RdNr. 45). Eine Aufrechnung ist aber nur bei sogenannten gegenseitigen Forderungen möglich (§ 387 BGB). D.h., die Gegenforderung muss sich gegen den Gläubiger der Hauptforderung richten (vgl. Palandt, BGB, 51. Aufl., S. 387 RdNr. 6). Die begehrten Umzugskosten kann der Kläger aber allenfalls vom Land Baden-Württemberg erstattet verlangen. Sein Arbeitsvertrag wurde mit dem Land Baden-Württemberg, vertreten durch die Beklagte, abgeschlossen. In diesem Zusammenhang wurde die Beklagte bei einer möglichen Umzugskostenvereinbarung ebenso als Vertreterin des Landes Baden-Württemberg tätig. Hinzu kommt, dass § 395 BGB die Aufrechnung gegen Forderungen des Fiskus durch eine Verschärfung des Merkmals der Gegenseitigkeit einschränkt. Danach ist die Aufrechnung nur zulässig, wenn die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat, aus der die Forderung des Aufrechnenden zu berichtigen ist. An dieser Kassenidentität fehlt es In vorliegenden Fall, denn selbst wenn dem Kläger eine Forderung gegen die Beklagte zustünde, wäre diese nicht aus der Kasse der Bibliothek zu begleichen.

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