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Vergabe einer Fahrbücherei

Gericht: Vergabekammer Schleswig-Holstein

Entscheidungsdatum: 12.07.2016

Aktenzeichen: VK-SH 09/16

Entscheidungsart: Beschluss

eigenes Abstract: Die Büchereizentrale Schleswig-Holstein hatte ein Fahrbücherreifahrzeug ausgeschrieben. Eine der sich an der Vergabe beteiligenden Firmen rügt in mehreren Schritten einige Fehler der Ausschreibung, darunter Anforderungen, die gegen die Straßensverkehrsordnung verstoßen (das Einbauen eines Notsitzes im Ladebereich). Die Vergabekammer Schleswig-Holstein weist den Nachprüfungsantrag der Firma zurück.

Leitsatz

Eine sachgerechte Erfassung des Begriffs des Streitgegenstands im Nachprüfungsverfahren (§ 160 Abs. 2 GWB / § 107 Abs. 2 GWB a.F.) muss zunächst von § 97 Abs. 6 GWB (§ 97 Abs. 7 GWB a.F.) ausgehen, wonach die Unternehmen Anspruch darauf haben, dass der Auftraggeber die „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“ einhält. Dies sind die Regeln des GWB, der VgV oder der einschlägigen Verdingungsordnung einschließlich der sich aus diesen Regeln ergebenden Bindung an die in der Bekanntmachung oder Ausschreibung festgelegten Bedingungen des betreffenden Vergabeverfahrens. Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers können jedoch auch dann überschritten sein, wenn gegen Vorschriften verstoßen wird, die nicht unmittelbar selbst zu den Bestimmungen über das Vergabeverfahren gehören. Diese können im Vergabenachprüfungsverfahren im Rahmen „vergaberechtlicher Anknüpfungs- oder Brückennormen“ inzident, nämlich im Sinn vorgelagerter Rechtsfragen, zu prüfen sein. § 21 Abs. 2 StVO und die Regelungen zur ISO-9001-Zertifizierung sind keine solchen „vergaberechtlichen Anknüpfungs- oder Brückennormen“ (hier zudem für die ECE Regelungen R 21 und R 29 sowie § 1 ProdHaftG verneint).(Rn.47)

2. Für einen Schaden i.S.v. § 160 Abs. 2 GWB (§ 107 Abs. 2 GWB a.F.) müssen die Aussichten des Antragstellers auf eine Berücksichtigung seiner Bewerbung oder die Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt sein. Der Schaden muss daher grundsätzlich auf die Zuschlagschance im zur Überprüfung gestellten Vergabeverfahren bezogen sein. Die Antragsbefugnis kann also grundsätzlich nicht aus jenseits der Zuschlagschance im streitgegenständlichen Vergabeverfahren liegenden (vermeintlichen) Beeinträchtigungen rechtlicher oder wirtschaftlicher Art hergeleitet werden.

Tenor

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin notwendigen Auslagen. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.

3. Für diese Entscheidung wird eine Gebühr in Höhe von […] EUR festgesetzt.

Der von der Ast eingezahlte Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 EUR wird mit der Gebühr verrechnet. Der fehlende Betrag in Höhe von […] EUR wird nach Bestandskraft dieser Entscheidung durch die Geschäftsstelle angefordert.

Gründe

Die Agg schrieb den streitbefangenen Auftrag für ein Fahrbüchereifahrzeug zunächst beim Ausschreibungsdienst bi-online.de im Wege einer Öffentlichen Ausschreibung nach § 12 Abs. 2 VOL/A (nationale Bekanntmachung) aus. Auftragsgegenstand ist ein 6×2 Fahrgestell (Low Entry) mit Nahverkehrsfahrerhaus (klein) zum Aufbau eines Koffers (Los 1) sowie ein Kofferaufbau mit Innenausstattung für eine Fahrbücherei auf einem LKW-Fahrgestell gemäß Los 1 (Los 2).

Im Rahmen dieser Ausschreibung rügte die Ast gegenüber der Agg verschiedene ihrer Ansicht vorliegende Vergaberechtsverstöße. Unter anderem wies sie auf Folgendes hin:

– Entwurf 739 – E – 20 – 01: Im Bibliotheksraum in Fahrtrichtung vorn rechts befinde sich ein „Notsitz“. § 21 StVO untersage die Mitnahme von Personen im Laderaum, außer zur vorübergehenden Begleitung und Sicherung der Ladung. Ständige Sitzgelegenheiten im Laderaum seien nicht zulässig. Es werde gebeten, den Notsitz aus dem Pflichtenheft heraus zu nehmen.

– Entwurf 739 – E – 20 – 01: Es handele sich nach dem gezeigten Grundriss offensichtlich um ein Fahrzeug mit Integralkabine. Das bedeute, die Kabine und Laderaum seien über einen Durchgang verbunden, die Rückwand der werkseitigen Fahrerkabine sei zumindest teilweise entfernt. Gleiches gelte vermutlich für das Dach, sollte in Verbindung mit einer LE–Kabine eine praktikable Durchgangshöhe erreicht werden. Bis heute hielten sich die Konstrukteure der Lastkraftfahrzeuge bzw. der Fahrerhäuser immer noch an die ECE-R29 (Economic Commission for Europe). Diese Tests seien 1998 eingeführt worden und seit dem Jahr 2000 gültig. Es werde bei der Frontalaufprallprüfung mit einer Pendelmasse 1.500 kg +/- 250 kg, die Aufschlagenergie bis zu 45.000 Nm getestet. Die Festigkeit des Daches müsse eine statische Belastung mit bis zu 10 t aushalten und die Festigkeit der Rückwand habe eine statische Belastung mit 2.000 N/qm auszuhalten.“ Fehle die Rückwand, könnten im Falle eines Aufstoßes Ausrüstungs- und Ladungsgegenstände in die Kabine eindringen, diese sogar durchdringen. Zum Schutze der Insassen werde die Agg aufgefordert, eine zertifizierte Trennwand zwischen Kabine und Laderaum in das Pflichtenheft aufzunehmen.

Auf Antrag der Ast verpflichtete die erkennende Kammer die Agg wegen verschiedener Vergaberechtsverstöße (insbesondere wegen des Unterlassens der gebotenen Vergabe nach dem 4. Teil des GWB sowie wegen massiver Mängel in der Dokumentation) mit bestandskräftigem Beschluss vom 25.01.2016 (VK-SH 17/15), die Ausschreibung aufzuheben und das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

In der Folge schrieb die Agg den Auftrag unter dem Datum der Absendung vom 17.04.2016 im Supplement zum Amtsblatt der EU unter der Nummer […] im Offenen Verfahren aus (Bl. 93 ff. der Vergabeakte – VA). Als Zuschlagskriterium wurde der niedrigste Preis angegeben (Ziffer IV.2.1). Als Schlusstermin für die Einreichung der Angebote wurde der 02.06.2016 benannt; diese Frist wurde mit Bieterinformation vom 23.05.2016 auf den 09.06.2016 verlängert. Die Verdingungsunterlagen wurden an acht Unternehmen – darunter am 27.04.2016 auch an die Ast – übersandt (Bl. 153 VA ff.). Auf Anforderung der […] (Bl. 158 VA) erfolgte die Versendung an die Ast zu Händen von Herrn […].

Unter Ziffer „1.10 Sitze“ der Leistungsbeschreibung zu Los 2, Teil A heißt es:

„1 Stück Notklappsitz, (z.B. von […]) mit Dreipunktgurt an die Aufbauvorderwand rechts vor dem Durchgang. (siehe Zeichnung 739-E-20-01, 739-D-10/1-01,)“ (Bl. 37 VA).

Mit E-Mail vom 13.05.2016 rügte die Ast gegenüber der Agg unter Hinweis auf § 21 StVO die Forderung nach einem Notklappsitz. Eine Mitfahrt im Laderaum sei wegen § 21 StVO nicht zulässig. Es werde gebeten, den Ausschreibungstext zu korrigieren und dem dritten Sitz einen Einbauplatz im geschützten Bereich des Fahrerhauses zuzuweisen. Zudem rügte die Ast die Forderung nach einem Regalsystem des Herstellers EKZ unter Ziffer „1.01 Regalmöbel“ der Leistungsbeschreibung Los 2, Teil B.

Unter dem 23.05.2016 half die Agg der Rüge zur nicht produktneutralen Ausschreibung ab. Bezüglich des Notsitzes wies die Agg die Rüge zurück. Es sei schon nicht ersichtlich, inwieweit der Ast durch diese Forderung angesichts des Leistungsbestimmungsrechts der Agg ein Schaden zu entstehen drohe. In jedem Fall sei die Behauptung unzutreffend, dass dem Einbau straßenverkehrsrechtliche Normen entgegenstünden. In den bereits vorhandenen Fahrzeugen der Agg sei ein Notsitz von den Behörden stets ohne Beanstandungen in die Zulassungspapiere eingetragen.

Am 24.05.2016 wies die Ast die Agg per E-Mail auf eine Stellungnahme des Dipl.-Ing. (FH) […] vom TÜV […] aus dem Januar 2015 hin, in der unter anderem ausgeführt wird, dass ein Bibliotheksfahrzeug mit mehr als 12 Tonnen als „Schwerer LKW N3“ einzustufen sei, so dass Fahr- und Bibliotheksbereich durch eine Trenn- und Schutzwand nach ECE R 29 abzugrenzen seien und dass die Mitfahrt von Personen im Laderaum auch dann nicht gestattet sei, wenn geeignete und mit Sicherheitsgurten versehene Sitzgelegenheiten vorhanden seien. Auch die zuständige Berufsgenossenschaft halte einen Notsitz im Laderaum für unzulässig.

Mit E-Mail und Schreiben vom gleichen Tag wandte sich die Ast mit der „Bitte um Überprüfung“ an die erkennende Kammer. Die Ast gehe davon aus, dass das ausgeschriebene Fahrzeug nicht den einschlägigen Zulassungsbestimmungen entspreche. Insbesondere genüge die Anordnung des Notsitzes nicht den Vorschriften zum Insassenschutz und auch nicht § 21 StVO. Daher dürfte kein Bieter ein gültiges Angebot abgegeben haben. Die Stellungnahme des TÜV […] wurde als Anlage beigefügt. Es werde um Prüfung und ggfs. Aufhebung der Ausschreibung gebeten. Mit Schreiben vom 27.05.2016 hat die Kammer der Agg den Nachprüfungsantrag zugestellt.

Unter dem 30.05.2016 übersandte die Ast eine weitere Stellungnahme des Herrn […] vom TÜV […] vom 28.05.2016, wonach die die projektierte durchbrochene Rückwand nicht den EU-Richtlinien ECE R 21 und R 29 entspreche. Er rate dringend, bereits vor Beginn der Umsetzung mit der abnehmenden Stelle zu kooperieren. Der Schutz der Kabineninsassen sei zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Insassen trotz Durchbruch der Kabinenrückwand in ausreichendem Maße vor eindringender Ladung geschützt sind. Der vorgesehene Notsitz sei nicht zulassungsfähig; die Mitnahme von Personen auf Ladeflächen widerspreche auch bei zertifizierter Mitnahmegelegenheit § 21 StVO. Der gemäß ECE-Richtlinien geforderte Insassenschutz könne nicht gewährleistet werden. Unter dem 13.06.2016 hat die Ast weiter vorgetragen.

Im Folgenden anwaltlich vertreten, hat die Ast ihr Vorbringen sodann vertieft. Die Vergabeunterlagen seien an Herrn […] adressiert gewesen, zuständig für die technische Bearbeitung bei der Ast sei aber Herr […]. Herr […] sei bei Eingang der Unterlagen ortsabwesend gewesen; Herr […] habe diese nach Rückkehr von einer Dienstreise am 12.05.2016 ausgewertet und dabei die am 13.05.2016 – und damit unverzüglich – gerügten Vergaberechtsverstöße festgestellt. Die Präklusionsvorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. sei ohnehin europarechtswidrig; ggfs. werde eine Vorlage der Kammer an den EuGH angeregt. Die Rüge sei überdies entbehrlich gewesen, da der Agg die Rechtsauffassung der Ast aus dem aufgehobenen Vergabeverfahren bekannt gewesen sei. Eine erneute Rüge bei einem wiederholten Vergabeverstoß sei reiner Formalismus.

Auch hinsichtlich der beanstandeten Rückwand sei die Ast nicht präkludiert, da sie die diesbezüglichen Maßgaben bereits im ersten Nachprüfungsverfahren gerügt habe. Eine nochmalige Rüge sei daher entbehrlich gewesen, da die Agg deutlich gemacht habe, die Sicherheitsbedenken der Ast zu ignorieren. Zudem sei eine Rüge vor Ablauf der Angebotsfrist wegen § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB a.F. noch fristwahrend möglich, wegen der Anhängigkeit des Nachprüfungsverfahrens jedoch nicht mehr zweckmäßig gewesen.

Der Verstoß gegen § 21 StVO und die untergesetzlichen ECE-Regelwerke R 21 (Sicherheit des Innenraums) und R 29 (Anforderungen an die Fahrerkabine) beeinträchtigten die Ast in ihrer Wettbewerbsposition und damit in den bieterschützenden Vergabegrundsätzen des § 97 Abs. 1 GWB a.F., so dass die Ast auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB a.F. antragsbefugt sei. Müsste die Ast ihre rechtskonform gefertigten Busse aufgrund der rechtswidrigen Forderungen der Agg umrüsten, entstünden ihr – anders als Mitbewerbern, die die Sicherheitsbestimmungen missachteten – zusätzliche Kosten, die Auswirkungen auf ihre Position im Wettbewerb hätten. Zudem drohe der Ast der Verlust der ISO 9001-Zertifizierung zu den Mindestanforderungen an das Qualitätsmanagementsystem, wenn sie Bibliotheksfahrzeuge unter Verstoß gegen gesetzlich Vorschriften oder den Stand der Technik fertige. Gegenstand des jährlich wiederholten Audits sei auch die Prüfung, ob sämtliche Produkte den europäischen Vorschriften (einschließlich der ECE-Regelungen) entsprächen. Darin liege zugleich der drohende Schaden i.S.v. § 107 Abs. 2 GWB a.F. Zudem drohten der Ast Sachmängelansprüche der Agg sowie Ansprüche aus § 1 ProdHaftG. Die Bestandskraft des Beschlusses der erkennenden Kammer vom 25.01.2016 sei keinesfalls präjudiziell. Etwaige Formmängel der Antragsschrift seien im Nachprüfungsverfahren geheilt.

Die Stellungnahme des TÜV […] stelle eindeutig fest, dass die Mitfahrt von Personen auf der Ladefläche gegen § 21 Abs. 2 StVO verstoße, was sich zudem aus der einschlägigen Kommentierung und Rechtsprechung ergebe. Daran ändere auch die Zulassungspraxis der Behörden in Schleswig-Holstein nichts. Der Verstoß gegen Straßenverkehrsrecht schlage auf das Vergabeverfahren durch. Es gebe keinen allgemeinen Rechtssatz, wonach außervergaberechtliche Normen im Vergabenachprüfungsverfahren nicht zu prüfen seien. Auch das Leistungsbestimmungsrecht der Vergabestelle stehe dem Nachprüfungsantrag nicht entgegen, da es nicht um Zweckmäßigkeitsüberlegungen, sondern darum gehe, dass die Agg eine rechtswidrige Leistung ausgeschrieben habe. Öffentliche Auftraggeber seien aber dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet. Aus dem Vergabevermerk gehe jedoch nicht hervor, dass die Agg sich mit den einschlägigen Sicherheitsvorschriften auseinandergesetzt habe. Soweit die Agg im Vergabevermerk die Nutzung des Notsitzes auf die straßenverkehrsrechtliche Zulässigkeit beschränkt habe, sei dies offenkundig in Reaktion auf den Nachprüfungsantrag erfolgt.

Die Ast beantragt,

1. der Agg aufzugeben, das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zurückzuversetzen,

2. die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Ast gemäß § 128 Abs. 4 GWB a.F. für notwendig zu erklären,

3. der Agg die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Agg beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

2. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Agg für notwendig zu erklären,

3. der Ast die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Agg aufzuerlegen.

Die Agg hält den Nachprüfungsantrag für offensichtlich unzulässig. Die Ast sei ihrer – auch im Lichte der Rechtsprechung des EuGH (Urt. vom 28.01.2010, Rs. C-406/08) weiter bestehenden – Rügepflicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. hinsichtlich der Forderung nach dem Notsitz angesichts des Erhalts der Vergabeunterlagen Ende April 2016 selbst bei Anlegen eines großzügigen Maßstabs nicht unverzüglich nachgekommen. Auch mit ihrem Vorbringen zur Fahrerhausrückwand sei die Ast präkludiert. Aus dem Umstand, dass die Agg von der Ast bereits im ersten Vergabeverfahren beanstandete Maßgaben übernommen habe, lasse sich kein unumstößlicher Wille der Agg ableiten, in keinem Fall davon abrücken zu wollen. Anderenfalls hätte es auch der von der Ast am 13.05.2016 erhobenen Rüge nicht bedurft. Im Übrigen habe die Agg der Rüge teilweise abgeholfen. Auch handele es sich nicht um dasselbe, sondern um ein neues Vergabeverfahren.

Zudem fehle der Ast die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB a.F., da sie ihr Vorbringen auf straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen stütze und damit keinen Verstoß gegen vergaberechtliche Bestimmungen geltend mache. Auch ein drohender Schaden für die Ast sei nicht zu erkennen, da eine etwaige Unbrauchbarkeit des Fahrzeugs zu keinen Nachteilen für den Auftragnehmer führen würde. Darauf habe die erkennende Kammer bereits im bestandskräftigen Beschluss vom 25.01.2016 (VK-SH 17/15) hingewiesen, was ebenfalls zur Unzulässigkeit des vorliegenden Nachprüfungsantrags führe, da die jetzt streitgegenständlichen Fragen bereits in gleicher Weise Gegenstand des seinerzeitigen Verfahrens gewesen seien. Die von der Ast behaupteten Kostenvorteile von Mitbewerbern, die Fahrzeuge vorhalten würden, welche nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprächen, seien abwegig. Vielmehr sei davon auszugehen, dass jeder Hersteller Umrüstungen an seinem Standardmodell vornehmen müsse. Der von der Ast behauptete drohende Verlust der ISO 9001-Zertifizierung sei abwegig, wie der Umstand zeige, dass die bisherigen entsprechenden bei der Agg in Betrieb befindlichen Fahrzeuge von der Firma […] stammen würden, ohne dass dies zum Verlust von Zertifizierungen geführt habe. Im Übrigen habe die Zertifizierung bloßen Marketingcharakter ohne Anknüpfung an das Vergaberecht. Der Hinweis der Ast auf etwaige Nacherfüllungs- oder Schadenersatzansprüche könne schon deshalb nicht verfangen, weil solche Ansprüche – wenn überhaupt – alle Bieter in gleicher Weise treffen würden, so dass eine Beeinträchtigung der Zuschlagschancen der Ast nicht vorliegen könne. Zudem sei der Nachprüfungsantrag zu unbestimmt gewesen und genüge daher nicht den Vorgaben des § 108 GWB a.F.

Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag jedenfalls offensichtlich unbegründet. Die angegriffene Vorgabe eines Notklappsitzes sei in jeder Hinsicht rechtskonform. Die Agg verweist auf die Zulassungsbescheinigungen für ihre Büchereifahrzeuge mit den Kennzeichen […], […] und […], die mit entsprechenden Notsitzen ausgestattet seien. Ein Verbot des Einbaus bzw. des Vorhaltens von Sitzen sei § 21 Abs. 2 StVO nicht zu entnehmen. Gegenstand des Vergabeverfahrens sei aber ausschließlich die Herstellung und nicht der Betrieb des Fahrzeugs. Selbst wenn es sich bei dem Kofferaufbau um einen Laderaum i.S.d. § 21 StVO handele, seien Ausnahmen vom Verbot der Mitnahme von Personen möglich. Der Notsitz sei auch nicht als regulärer „dritter“ Sitz, sondern zur Personenbeförderung nur für Ausnahmefälle vorgesehen. Eine etwaige Anordnung der Vergabekammer bezüglich der außervergaberechtlichen Rechtsnorm des § 21 StVO sei i.S.d. § 114 Abs. 1 GWB a.F. nicht erforderlich. Auch die von der Ast beanstandeten Maßgaben zur Fahrerhausrückwand hätten bisher zu keinen Problemen geführt. Der von der Ast herangezogene Unfall eines Büchereifahrzeugs der Agg im Februar 2015 gebe für ihr Vorbringen zum streitgegenständlichen Vergabeverfahren nichts her. Eine Aufhebung des Vergabeverfahrens komme nur als ultima ratio in Betracht; hier sei der vermeintliche Rechtsverstoß durch eine Änderung der Leistungsbeschreibung heilbar.

Hinsichtlich der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Agg sei eine Übertragung der restriktiven Rechtspraxis beim verwaltungsgerichtlichen Vorfahren auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren nicht angebracht. Die Agg unterhalte keine eigene Rechtsabteilung und beschäftige auch sonst keine im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren kundigen Mitarbeiter. Zudem seien die kurzen Fristen und die hohe Bedeutung der streitgegenständlichen Vergabe für die Agg zu berücksichtigen.

Mit Verfügung vom 17.06.2016 hat die Kammer den rechtlichen Hinweis gegeben, dass sie den Nachprüfungsantrag aufgrund des bis dahin erfolgten Vortrags der Beteiligten für unzulässig halte. Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 28.06.2016 ist die Entscheidungsfrist der Kammer gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB a.F. verlängert und auf den 08.07.2016 festgesetzt worden. Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 08.07.2016 ist die Entscheidungsfrist der Kammer nochmals verlängert und auf den 12.07.2016 festgesetzt worden.

Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 08.07.2016 hat die Ast den Rechtscharakter der ECE Richtlinien R 21 und R 29 näher erläutert. Diese beruhten auf einem völkerrechtlichen Übereinkommen, welches durch die Bundesrepublik mit Zustimmungsgesetz vom 12.06.1965 ratifiziert worden sei. Regelungen und deren Änderungen könnten gemäß Beschluss 97/836/EG des Rates vom 27.11.1997 sowohl von der EU als auch von der Bundesrepublik angenommen werden. Das zur nationalen Annahme durch Rechtsverordnung ermächtigte Bundesministerium für Verkehr weise darauf hin, dass es bei durch die EU angenommenen Regelungen für die Geltung in der Bundesrepublik keines weiteren Rechtsakts bedürfe. Daher seien die ECE Richtlinien R 21 und R 29 wegen Genehmigung durch die EU verbindlich. Wegen Ziffer 5.1.1 der ECE Richtlinie R 29 müsse das Fahrerhaus so gebaut und am Fahrzeug befestigt sein, dass die Gefahr der Verletzung der Insassen bei einem Unfall weitestgehend ausgeschlossen sei. Die Ast verweist auf eine weitere Stellungnahme des Herrn […] vom TÜV […] vom 08.07.2016. Die Ausschreibung sehe keine Rückwand vor, die den Sicherheitsanforderungen genüge.

Wegen des sonstigen Sachverhalts und des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Vergabeakten und die bei der Kammer eingereichten Schriftsätze verwiesen (vgl. § 117 Abs. 3 VwGO, § 313 Abs. 2 ZPO).

II.

Im vorliegenden Nachprüfungsverfahren kommen die Vorschriften des GWB in der vor dem 18.04.2016 geltenden Fassung zur Anwendung (vgl. § 186 Abs. 2 GWB). Das als Nachprüfungsantrag i.S.v. § 107 Abs. 1 GWB a.F. auslegbare Rechtsschutzbegehren der Ast ist unzulässig.

1. Die Agg ist ein eingetragener Verein, dem das Land Schleswig-Holstein die Aufgabe der Büchereiförderung übertragen hat. Zu dessen zentralem Service zählen u.a. die Marktsichtung, die zentrale Medienbestellung, Beratung zu Bestandsaufbau und -pflege, in EDV- sowie Bau- und Einrichtungsfragen, Bereitstellung von Blockbeständen und Wissensboxen, Organisation von Kinder- und Jugendbuchwochen, Öffentlichkeitsarbeit, Statistik und Fortbildungen. Dafür erhält er finanzielle Mittel aus dem Finanzausgleichsgesetz (FAG). Mitglieder des Vereins sind gemäß § 3 der Vereinssatzung Kreise, Städte, Gemeinden, der Deutsche Grenzverein und andere Einrichtungen, die eine öffentliche Standbücherei unterhalten oder dauerhaft finanziell fördern sowie Ämter, die einen Fahrbüchereivertrag abgeschlossen haben. Grundlage für die Finanzierung sind privatrechtliche, zwischen den Kommunen und der Agg abgeschlossene Verträge sowie Mitgliedsbeiträge gemäß § 4 der Vereinssatzung. Voraussetzung für die Gewährung der FAG-Zuschüsse an Bibliotheken ist, dass diese sich der zentralen Dienste der Agg bedienen. Die Agg ist somit eine juristisch Person des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, die durch Gebietskörperschaften i.S.v. § 98 Nr. 1 und 3 GWB a.F. überwiegend finanziert wird und damit öffentlicher Auftraggeber i.S.v. § 98 Nr. 2 GWB a.F. ist. Die Agg ist Trägerin der […] als Vergabestelle der streitgegenständlichen Ausschreibung.

Bei dem streitgegenständlichen Auftrag handelt es sich zudem um einen öffentlichen Lieferauftrag gemäß § 99 Abs. 2 GWB a.F., der mit einem geschätzten Volumen von ca. […] EUR brutto (vgl. Ziffer 8 des Vergabevermerks, Bl. 195 VA) den gemäß §§ 100 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F., 2 Abs. 1 VgV i.V.m. Art. 2 Nr. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 1336/2013 (Abl. EU vom 14.12.2013, L 335) maßgeblichen Schwellenwert von 207.000 EUR netto überschreitet.

2. Die Ast ist jedoch der ihr gemäß § 107 Abs. 3 GWB a.F. obliegenden Rügepflicht nur teilweise nachgekommen. Gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat.

a) Die Regelung des 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F., die darauf abzielt, dem Auftraggeber Gelegenheit zu geben, einen erkannten Vergabefehler so schnell wie möglich zu beseitigen und dadurch unnötige Nachprüfungsverfahren zu vermeiden, ist auch nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. vom 28.01.2010, C-406/08, NZBau 2010, 183) im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „Unverzüglichkeit“ mit Art. 1 Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie vereinbar und daher weiterhin anzuwenden (vgl. erkennende Kammer, Beschl. vom 18.07.2014, VK-SH 10/14; OLG Karlsruhe, Beschl. vom 05.11.2014, 15 Verg 6/14, VergabeR 2015, 210; OLG Hamburg, Beschl. vom 02.10.2012, 1 Verg 3/12, IBR 2014, 1357; OLG Rostock, Beschl. vom 20.10.2010, 17 Verg 5/10, VergabeR 2011, 485, IBR 2011, 238; OLG Dresden, Beschl. vom 07.05.2010, WVerg 6/10, NZBau 2010, 526, IBR 2010, 419; a.A. OLG Koblenz, Beschl. vom 16.09.2013, 1 Verg 5/13, VergabeR 2014, 28, IBR 2013, 762; Eydner, VPR 2014, 110; Hübner, VergabeR 2010, 414; Immenga / Mestmäcker, § 107 GWB, Rn. 76 ff.; Krohn, NZBau 2010, 186; Pünder / Schellenberg, § 107 GWB, Rn. 68; Stumpf, EuZW 2014, 337; Weyand, IBR 2010, 159). Eine – von der Ast angeregte – Vorlage zu dieser Frage an den EuGH hält die Kammer für nicht i.S.v. Art 267 Satz 2 AEUV erforderlich.

Zudem besteht der Rügetatbestand des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. neben demjenigen nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB a.F. Dies folgt neben der systematischen Stellung der Regelung auch daraus, dass § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. nach seinem Wortlaut den gesamten Zeitraum des Vergabeverfahrens umfasst. Bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbare Verstöße gegen Vergabevorschriften, die positiv erkannt wurden, sind immer auch gleichzeitig als erkannte Verstöße im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. zu betrachten und damit unverzüglich zu rügen. Insoweit bedarf es eines Rückgriffs auf die Erkennbarkeit von Vergabefehlern nicht mehr, wenn – wie hier – bereits positive Kenntnis vorliegt. Letztlich bedeutet dies, dass bei gleichzeitiger grundsätzlicher Anwendbarkeit des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 GWB a.F. die Nr. 1 vorgeht (vgl. erkennende Kammer, Beschl. vom 14.03.2012, VK-SH 03/12); Weyand, § 107 GWB, Rn. 771 f., m.w.N.).

b) Hinsichtlich der von ihr beanstandeten Forderung nach einem Notsitz ist die Ast ihrer Rügepflicht gemäß 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. hinlänglich nachgekommen, denn entscheidend ist insoweit die Kenntnis der natürlichen Personen, die befugt sind, für ein Unternehmen im konkreten Vergabeverfahren verbindliche Erklärungen abzugeben, also insbesondere diejenigen, die ein Angebot rechtsverbindlich unterschreiben können (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschl. vom 20.05.2009, 1 VK 18/09). Die Kammer hätte insoweit erst dann in die Beweiserhebung einzutreten, wenn ihr das Vorliegen entscheidungserheblicher Tatschen ernsthaft zweifelhaft erscheint. Sie hat bei der Entscheidung über das Ob und Wie der Beweiserhebung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten und einerseits das Interesse an einer vollständigen Sachverhaltsklärung und andererseits das dem Vergabenachprüfverfahren innewohnende Beschleunigungsgebot abzuwägen (vgl. erkennende Kammer, Beschl. vom 06.05.2015, VK-SH 04/15, m.w.N.). Für die Kammer hat die Ast hinreichend glaubhaft gemacht, dass der für die Angebotsbearbeitung und Angebotsabgabe zuständige Mitarbeiter, Herr […], erst am 12.05.2016 Kenntnis vom Inhalt der Vergabeunterlagen genommen hat, so dass sich positive Kenntnis vom behaupteten Vergabeverstoß i.S.v. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. frühestens an diesem Tag eingestellt haben kann. Die am 13.05.2016 ausgebrachte Rüge bezüglich des Notsitzes und der Produktneutralität ist mithin unverzüglich erfolgt.

c) Die von der Ast nicht im Nachprüfungsantrag, sondern erstmals in der Stellungnahme vom 10.06.2016 thematisierte Frage der durchbrochenen Rückwand ist indes nicht gemäß 107 Abs. 3 GWB a.F. gerügt worden, so dass die Ast damit im Nachprüfungsverfahren wegen Rügepräklusion nicht mehr gehört werden kann.

Soweit die Ast in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, mit der in der Rüge vom 13.05.2016 geäußerten Forderung, dem dritten Sitz einen Einbauplatz im geschützten Bereich des Fahrerhauses zuzuweisen sei zugleich auch die durchbrochene Rückwand gerügt worden, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Dass in der durch die Ast der Agg am 24.05.2016 per E-Mail übersandten Stellungnahme des TÜV […] – neben anderen Punkten wie Unterfahrschutz oder Bespiegelung – auch die Frage der Trenn- und Schutzwand angesprochen wird, ändert ebenfalls nichts. Gerügt i.S.v. § 107 Abs. 3 GWB a.F. hat die Ast gegenüber der Agg ausschließlich die Forderung nach dem Notsitz sowie die Produktneutralität der Regalmöbel.

Eine Rüge ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn die Vergabestelle zu erkennen gibt, dass sie von vornherein und unumstößlich an ihrer Entscheidung festhalten wird. In einer solchen Situation wäre ein Festhalten an der Rügepflicht eine von vornherein aussichtslose und mit den Geboten von Treu und Glauben unvereinbare Förmelei. Dafür reicht es aber nicht, dass eine Vergabestelle sich mit aus ihrer Sicht guten Gründen im Vergabeverfahren positioniert und die getroffene Entscheidung im anschließenden Nachprüfungsverfahren verteidigt. Nicht jede Entscheidung einer Vergabestelle ist daher allein deshalb, weil sie getroffen ist, auch unumstößlich. Folglich hängt die Beantwortung der Frage, ob die Rügepflicht eine überflüssige Förmelei darstellen würde, von einer Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls ab (vgl. Weyand, § 107 GWB, Rn. 400 ff., m.w.N.). Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem Rügeerfordernis nicht um bloße Förmelei. Zu einen ist das Vorbingen der Ast zur angeblichen Unumstößlichkeit der Entscheidung der Agg bereits deshalb widersprüchlich, weil sie die Forderung nach dem Notsitz sowie den Verstoß gegen Produktneutralität der Regalmöbel gerügt hat, obgleich auch diese Fragen bereits Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens VK-SH 17/15 waren. Zudem hat die Agg mit der Abhilfe der Rüge zur Produktneutralität der Regalmöbel gezeigt, dass ihre Vorgaben in den Verdingungsunterlagen nicht unumstößlich sind.

Eine Rügeerhebung erst nach Stellung des Nachprüfungsantrags erfüllt die Voraussetzungen des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. nicht, da dies Sinn und Zweck der Rüge widerspräche. Der Zielrichtung der Vermeidung von Nachprüfungsverfahren liefe es zuwider, wenn die Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. auch nach Einreichung des Nachprüfungsantrags erhoben werden könnte, da dann eine Abhilfe im Sinne der Vermeidung eines Nachprüfungsverfahren nicht mehr möglich wäre (vgl. Weyand, § 107 GWB, Rn. 436 ff., m.w.N.).

Dafür, dass die Ast den behaupteten Rechtsverstoß bezüglich der Rückwand – genau wie die unverzüglich gerügte Forderung nach dem Notsitz – nicht bereits am 12.05.2016 erkannt hat, ist nichts vorgetragen und – insbesondere im Hinblick auf das vorangegangene Vergabe- und Nachprüfungsverfahren – auch sonst nichts ersichtlich. Anders als die Ast meint, steht es nicht in ihrem Belieben, positiv erkannte vermeintliche Vergaberechtsverstöße aus Zweckmäßigkeitserwägungen nicht zu rügen und stattdessen zu einem späteren Zeitpunkt in ein bereits laufendes Nachprüfungsverfahren einzuführen. Dies liefe dem Sinn und Zweck der Rügepflicht evident zuwider.

3. Zwar hat die Ast als erwerbswirtschaftliches Industrieunternehmen das gemäß § 107 Abs. 2 GWB a.F. erforderliche Interesse am Auftrag, da sie vor Stellung des Nachprüfungsantrages am Vergabeverfahren teilgenommen und (zumindest) einen Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt hat (st. Rspr.). Auch der Umstand, dass die Ast innerhalb der Angebotsfrist kein Angebot abgegeben hat, hindert die Antragsbefugnis nicht. Wer wie die Ast geltend macht, durch rechtsverletzende Bestimmungen in den Vergabeunterlagen an der Einreichung eines chancenreichen Angebots gehindert oder erheblich beeinträchtigt zu sein, muss zur Begründung seines Auftragsinteresses kein Angebot abgeben, sondern kann dieses Interesse – wie hier – durch seine vorprozessuale Rüge und den anschließenden Nachprüfungsantrag dokumentieren (vgl. erkennende Kammer, Beschl. vom 25.01.2016, VK-SH 17/15, m.w.N.).

a) Soweit die Ast mit ihrem Vorbringen nicht präkludiert ist, fehlt ihr jedoch im Übrigen (also zur Forderung der Agg nach einem Notsitz) die Antragsbefugnis gemäß 107 Abs. 2 GWB a.F. Denn die Ast macht mit ihrem Vorbringen – anders als sie selbst meint – schon keine Verletzung in ihren Rechten nach 97 Abs. 7 GWB a.F. durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend.

Eine sachgerechte Erfassung des Begriffs des Streitgegenstands im Nachprüfungsverfahren (§ 107 Abs. 2 GWB a.F.) muss zunächst von der zentralen Vorschrift des § 97 Abs. 7 GWB a.F. ausgehen. Danach haben die Unternehmen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber die „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“ einhält. Um diesen Anspruch geht es im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer. Bestimmungen über das Vergabeverfahren sind die Regeln des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge oder der einschlägigen Verdingungsordnung (z.B. der VOL/A) einschließlich der sich aus diesen Regeln ergebenden Bindung an die in der Bekanntmachung oder Ausschreibung festgelegten Bedingungen des betreffenden Vergabeverfahrens (vgl. BGH, Beschl. vom 26.09.2006, X ZB 14/06, NVwZ 2007, 240; OLG Schleswig, Beschl. vom 04.11.2014, 1 Verg 1/14, NZBau 2015, 186, m.w.N.; Kulartz / Kus / Portz, § 107 GWB, Rn. 43; Weyand, § 107 GWB, Rn. 99 ff., m.w.N.).

Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers können jedoch auch dann überschritten sein, wenn gegen bestimmte Vorschriften verstoßen wird, die nicht unmittelbar selbst zu den Bestimmungen über das Vergabeverfahren gehören. Diese können im Vergabenachprüfungsverfahren im Rahmen „vergaberechtlicher Anknüpfungs- oder Brückennormen“ inzident, nämlich im Sinn vorgelagerter Rechtsfragen, zu prüfen sein (vgl. OLG Schleswig, Beschl. vom 04.11.2014, 1 Verg 1/14, NZBau 2015, 186, m.w.N., dort verneint für das Beihilferecht, das Kartell- und das Lauterkeitsrecht; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 01.08.2012, Verg 105/11, VergabeR 2013, 71, m.w.N.; BGH, Beschl. vom 18.06.2012, X ZB 9/11, NZBau 2012, 586, für die Frage, ob abfallrechtliche Bestimmungen die Vergabe einer Dienstleistungskonzession ausschließen; zum kommunalen Wirtschaftsrecht und zum Kartellrecht siehe Dreher, NZBau 2013, 665, m.w.N.).

aa) Die von der Ast für ihr Begehren ursprünglich zunächst allein herangezogene Vorschrift des 21 Abs. 2 Satz 1 StVO („Die Mitnahme von Personen auf der Ladefläche oder in Laderäumen von Kraftfahrzeugen ist verboten.“) ist evident weder eine Vergabevorschrift i.S.v. § 107 Abs. 2 GWB a.F. noch eine „vergaberechtliche Anknüpfungs- oder Brückennorm“ im vorgenannten Sinne. Zudem lässt sich der Norm ein Verbot der Installation eines Notsitzes nicht entnehmen. Gleiches gilt für sonstige Streitigkeiten über die straßenverkehrsrechtliche Zulassungsfähigkeit (vgl. §§ 19 ff. StVZO) oder die spätere Verwendung eines (Bücherei)-Fahrzeugs. Die von der Ast herangezogene Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschl. vom 01.08.2012, Verg 105/11, VergabeR 2013, 71) gibt daher für ihr Vorbringen insoweit nichts her.

bb) Auch der von der Ast besorgte mögliche Entzug der ISO 9001-Zertifizierung wäre keine vergaberechtliche Streitigkeit i.S.v. 107 Abs. 2 GWB a.F. und würde auch nicht auf einer „vergaberechtlichen Anknüpfungs- oder Brückennorm“ beruhen. Die ISO 9001-Zertifizierung dokumentiert, dass das Unternehmen den Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Sinne der ISO-Normenreihe erfolgreich abgeschlossen hat. Mit der Zertifizierung wird durch eine Zertifizierungsgesellschaft bestätigt, dass die geprüften Abläufe konform mit den Normen sind. Wie die Fertigung eines Kofferaufbaus unter Einschluss eines Notsitzes nach ausdrücklicher Weisung des Auftraggebers das System des Qualitätsmanagements als solches und die Beurteilung entsprechender Strukturen, Abläufe und Prozesse im Unternehmen berühren soll, erschließt sich der Kammer nicht.

cc) Auch der Inhalt der Regelung Nr. 21 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) – Einheitliche Vorschriften für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Innenausstattung gibt für das Vorbringen der Ast zur Unzulässigkeit der Forderung nach einem Notsitz nichts her, zumal diese Regelung nach ihrem Wortlaut (nur) für Personenkraftwagen gilt (vgl. Ziffer 1 ECE 21). Die Ast hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, die Vorgaben der ECE Richtlinie R 21 lediglich im Rahmen einer Selbstverpflichtung – mithin überobligatorisch – auch bei Fahrzeugen der streitgegenständlichen Art zu beachten. Für die Kammer gibt die von der Ast bemühte Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschl. vom 01.08.2012, Verg 105/11, VergabeR 2013, 71) daher auch insoweit nichts her. Ob gleiches angesichts des Vorbringens der Ast im Anschluss an die mündliche Verhandlung auch für die ECE Regelung 29 (Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich des Schutzes von Insassen des Fahrerhauses von Nutzfahrzeugen) gilt, kann offenbleiben. Denn hinsichtlich der durch die ECE Regelung R 29 betroffenen Frage der durchbrochenen Rückwand ist die Ast präkludiert. Aber auch in der Sache erkennt die Kammer in dem Leistungsgegenstand keine unerfüllbare oder rechtswidrige Forderung. Nach dem Verständnis der Kammer wird es – anders als im Schriftsatz vom 08.07.2016 dargestellt – gar nicht auf ein Typengenehmigungsverfahren hinauslaufen, da künftig offenkundig nicht eine beliebige Anzahl identischer Produkte gebaut werden soll. Der Beschaffungsgegenstand stellt – so der Konsens in der mündlichen Verhandlung – gerade kein Serienprodukt, sondern eine Sonderanfertigung (Zitat Ast: „einen bunten Hund“) dar. Für solche Fahrzeuge kommt eine Einzelgenehmigung nach Artikel 24 der Rahmenrichtlinie 2007/46/EG § 13 EG-FGV in Betracht. Dass in einem solchen Verfahren eine Genehmigung durch die zuständige Behörde kategorisch ausgeschlossen sein wird, wurde nicht zur Überzeugung der Kammer dargelegt.

Die Kammer sieht angesichts des Umstands, dass offenbar keiner der Mitbewerber der Ast entsprechende Sicherheitsbedenken geäußert hat und dass vergleichbare Fahrzeuge der Agg zugelassen worden sind, auch keine Veranlassung, unabhängig davon gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB a.F. auf das Vergabeverfahren einzuwirken.

dd) Schließlich ergibt sich auch aus dem Hinweis der Ast auf 1 ProdHaftG nichts dafür, dass im vorliegenden Fall über die Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften oder einer „vergaberechtlichen Anknüpfungs- oder Brückennorm“ gestritten würde. Dem Vortrag der Ast ist nichts für eine zu besorgende „Fehlerhaftigkeit des Produkts“ im Sinne dieser Vorschrift zu entnehmen. Für die Kammer ist (trotz der Forderung nach einem Sicherheitsgurt) unabhängig von der straßenverkehrsrechtlichen Zulässigkeit zudem nicht ersichtlich, dass ein durch den Auftragnehmer montierter Notsitz von den späteren Nutzern des Fahrzeugs auch zwingend während der Fahrt benutzt werden muss. Daneben könnte erforderlichenfalls das Anbringen eines entsprechenden Sicherheitshinweises im Kofferaufbau erwogen werden.

ee) Auch der Hinweis der Ast auf das Rechtsstaatsgebot des 20 Abs. 3 GG kann nicht verfangen. Folgte man dieser Auffassung, wären konsequenterweise sämtliche Normen jedenfalls des öffentlichen Rechts als „vergaberechtliche Anknüpfungs- oder Brückennormen“ anzusehen, was Sinn und Zweck des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens erkennbar widersprechen würde.

b) Da die Ast im Hinblick auf die beanstandeten Vorgaben zur durchbrochenen Rückwand präkludiert ist und hinsichtlich des beanstandeten Notsitzes keine Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, kommt es auf die Frage, ob der Ast (auch) ein Schaden i.S.v. 107 Abs. 2 GWB a.F. droht, nicht mehr an.

Gleichwohl weist die Kammer darauf hin, dass für einen solchen Schaden die Aussichten des Antragstellers auf eine Berücksichtigung seiner Bewerbung oder die Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt sein müssen. Der Schaden muss daher grundsätzlich auf die Zuschlagschance im zur Überprüfung gestellten Vergabeverfahren bezogen sein. Die Antragsbefugnis kann also grundsätzlich nicht aus jenseits der Zuschlagschance im streitgegenständlichen Vergabeverfahren liegenden (vermeintlichen) Beeinträchtigungen rechtlicher oder wirtschaftlicher Art hergeleitet werden (vgl. Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 107 GWB, Rn. 27 ff.). Daran fehlt es hinsichtlich der von der Ast geltend gemachten hypothetischen Nachteile im Hinblick auf die ISO 9001-Zertifizierung, eine etwaige Produkthaftung sowie eine von der Ast befürchtete Sachmängelhaftung gegenüber der Agg. Etwaige vergebliche Aufwendungen für die – nach dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom Auftragnehmer zu organisierende – Zulassung des Fahrzeugs fielen dem Auftraggeber zur Last, so dass der Ast – wie allen anderen Bietern – auch insoweit kein Schaden drohen kann.

Im Bauvertragsrecht bestimmt § 10 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VOB/B, dass – soweit der Schaden eines Dritten nur die Folge einer Maßnahme ist, die der Auftraggeber in dieser Form angeordnet hat – der Auftraggeber den Schaden allein trägt, wenn ihn der Auftragnehmer auf die mit der angeordneten Ausführung verbundene Gefahr hingewiesen hat. Auch wenn eine vergleichbare Vorschrift in der hier zur Anwendung kommenden VOL/B (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 TTG) fehlt, ist zu berücksichtigen, dass § 10 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VOB/B dem Grunde nach nur klarstellt, was nach Treu und Glauben ohnehin gilt: Es ist als allgemeingültiger Grundsatz der Billigkeit anzusehen, dass der Auftraggeber im Innenverhältnis allein verantwortlich ist, wenn der Schaden auf dessen Anweisung zurückgeht und der Auftragnehmer seiner Bedenkenpflicht nachgekommen ist. Wenn der Auftraggeber sich mit seinen Anordnungen durchzusetzen in der Lage ist, muss er auch für die hieraus resultierenden Schäden gerade stehen (vgl. Beck’scher VOB-Kommentar, § 10 VOB/B, Rn. 13, m.w.N.).

Im Hinblick auf die von der Ast geltend gemachten Wettbewerbsnachteile weist die Kammer nochmals darauf hin, dass die Vergabestelle nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet wäre, etwaige unabhängig von der konkreten Ausschreibung bestehende Wettbewerbsvorteile und -nachteile potentieller Bieter durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen „auszugleichen“ (vgl. Beschl. vom 25.01.2016, VK-SH 17/15, m.w.N.).

4. Auf die Frage, ob der Nachprüfungsantrag auch wegen der Bestandskraft der Entscheidung der Kammer vom 25.01.2016 (VK-SH 17/15) unzulässig ist (wie die Agg meint), kommt es danach nicht mehr an.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. Danach hat die Antragstellerin [Hervorhebung durch VK-SH; durch Berichtigungsbeschluss wegen einer offenkundigen Unrichtigkeit korrigiert] die Kosten (Gebühren und Auslagen) der Vergabekammer zu tragen, da diese im Verfahren unterliegt.

Nachprüfungsverfahren nach § 107 ff. GWB a.F. sind gebührenpflichtig. Die Gebühr beträgt mindestens 2.500 EUR und soll den Betrag von 50.000 EUR nicht überschreiten (§ 128 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB a.F.). Die konkrete Höhe der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens, dies ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz Schleswig-Holstein. Zwar bezieht sich der Verweis auf das „Verwaltungskostengesetz“ in § 128 Abs. 1 GWB a.F. aus kompetenzrechtlichen Gründen lediglich auf das Bundesverwaltungskostengesetz. Gleiches muss aber auch für die Landesverwaltungskostengesetze im Kompetenzbereich der Länder gelten. Denn das Vergabenachprüfungsverfahren ist seinem Charakter nach letztlich ein Verwaltungsverfahren (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 17.09.2002, 1 Verg 8/02).

Zur Bemessung ihrer Gebühren wendet die Kammer im Regelfall eine Gebührenstaffel an, wonach die in § 128 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. normierte Mindestgebühr von 2.500 EUR bei Auftragswerten bis zu 80.000 EUR anfällt, die reguläre gesetzliche Höchstgebühr von 50.000 EUR bei Auftragswerten von 70 Mio. EUR und mehr entsteht und bei der für die dazwischen liegenden Auftragswerte die jeweilige Gebühr durch lineare Interpolation (Gebühr = 2.500 EUR + [50.000 EUR – 2.500 EUR] / [70 Mio. EUR – 80.000 EUR] x [Auftragsvolumen – 80.000 EUR]) ermittelt wird. Daraus ergibt sich hier bei einem von der Agg geschätzten Auftragswert von […] EUR eine Gebühr in Höhe von (gerundet) […] EUR.

Gemäß § 128 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. kann die Gebühr zwar aus Gründen der Billigkeit bis auf ein Zehntel ermäßigt werden. Als Billigkeitsgründe sind dabei nur solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Bedeutung sowie dem erforderlichen Verwaltungsaufwand stehen. Im vorliegenden Fall ist der personelle und sachliche Aufwand bei der Vergabekammer als durchschnittlich anzusehen, da die Verfahrensbeteiligten im üblichen Rahmen vorgetragen haben; der Umfang der von der Vergabekammer auszuwertenden Vergabeakten war durchschnittlich. Daher erscheint der Kammer eine Ermäßigung der Gebühr nicht angemessen. Aus Gründen der Billigkeit kann gemäß § 128 Abs. 3 Satz 6 GWB a.F. von der Erhebung von Gebühren ganz oder teilweise abgesehen werden. Auch dafür gibt der vorliegende Fall nichts her.

Die Erstattungspflicht der Ast hinsichtlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Agg folgt aus § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB a.F. Die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Vergabestelle ist auf den Einzelfall bezogen zu prüfen, wobei sich die Entscheidung an folgenden Grundsätzen ausrichtet: In der Regel ist die Beauftragung eines Rechtsanwaltes durch die Vergabestelle auch deshalb als notwendig i.S.d. §§ 128 Abs. 4 Satz 3 GWB a.F., 120 Abs. 3 Satz 2 LVwG anzuerkennen, da eine Einschränkung auf in besonderem Maße schwierige und bedeutsame Nachprüfungsverfahren weder geboten scheint noch praktisch brauchbar ist, sich eine Grenze für Schwierigkeit oder Bedeutung solcher Verfahren kaum angeben lässt und im Interesse einer zeitnahen Erfüllung von verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten der Vergabestelle Kleinlichkeit bei der Beurteilung der Notwendigkeit fehl am Platze ist. Von daher ist es sachgerecht, auf Seiten der Vergabestelle die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Regelfall anzuerkennen und Ausnahmen im Einzelfall nur für einfache tatsächliche oder ohne Weiteres zu beantwortende rechtliche Fragen vorzubehalten (vgl. OLG Schleswig, Beschl. vom 15.07.2003, 6 Verg 6/03, m.w.N.). Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts auf Seiten der Agg war aufgrund der hier vorliegenden Bedingungen daher notwendig und ist damit im Rahmen des § 128 Abs. 4 GWB a.F. erstattungsfähig.

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