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Mißbrauch von Bibliotheksausweisen

Gericht: Amtsgericht Duisburg

Entscheidungsdatum: 17.04.2000

Aktenzeichen: 50C 146/00

Entscheidungsart: Urteil

eigenes Abstract: Eine Bibliotheksbenutzerin verliert ihren Bibliotheksausweis, der in ihrer Brieftasche aufbewahrt wurde und meldet es der Bibliothek, sobald ihr bewusst wurde, dass dieser sich auch darin befand. Diese klagt auf Schadensersatz der 27 Medien, die auf das Konto der Benutzerin ausgeliehen wurde. Das Amtsgericht Duisburg stellt klar, dass die Benutzerin, den Verlust sobald wie möglich gemeldet hat und ihn sorgsam verwarte und die Bibliotheksbenutzungsordung, nach der ein Bibliotheksnutzer auch für missbräuchliche Nutzung seines Ausweises haftet, unwirksam ist. Die Klage wird abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet.

Die Klage ist im Zivilrechtsweg zulässig. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit, für die der ordentliche Rechtsweg nach § 13 GVG eröffnet ist. Die Klägerin macht nämlich einen zivilrechtlichen Anspruch geltend, da der streitgegenständliche Schadensersatzanspruch jedenfalls eng und unmittelbar mit dem privatrechtlich ausgestatteten Benutzungsverhältnis der Stadtbibliothek zusammenhängt. Daß es sich um ein privatrechtlich ausgestattetes Anstaltsbenutzungsverhältnis handelt – allerdings nach Zulassung durch einen Verwaltungsakt -, ergibt sich aus § 1 Abs. 4 der Benutzungsordnung, wonach bei jeder Benutzung oder Überlassung von Medieneinheiten ein selbstständiger privatrechtlicher (Leih-) Vertrag zwischen dem Benutzer und der Stadt Duisburg zustande kommt. Dem entspricht auch, daß für bestimmte Leistungen keine “Gebühren“ sondern – sogar ausdrücklich privatrechtliche – “Entgelte“ verlangt werden (vgl. § 1 d. Entgeltordnung der Stadtbibliothek).

Die Klägerin verlangt jedoch zu Unrecht von der Beklagten Schadensersatz für die 27 ausgeliehenen Medieneinheiten. Ein solcher Anspruch ergibt sich aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

So scheitert ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen einer von der Beklagten verschuldeten Unmöglichkeit einer Rückgabe der entliehenen 27 Medieneinheiten (§§ 280, 604 Abs. 1 BGB) daran, daß weder die Beklagte noch ein für sie tätiger Erfüllungsgehilfe die Medieneinheiten selbst bei der Klägerin entliehen. Einen derartigen Sachverhalt, welcher die erste Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch aus verschuldeter Unmöglichkeit der Rückgabe gewesen wäre, hat die Klägerin selbst nicht dargelegt.

Die Klägerin kann ihren Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte auch nicht aus dem Gesichtspunkt eines Verschuldens vor Vertragsabschluß (culpa in contrahendo) oder der positiven Vertragsverletzung stützen. Nach diesen in der Rechtsprechung und Lehre seit langem anerkannten Rechtsinstituten haftet auf Schadensersatz, wer im Rahmen eines bestehender Schuldverhältnisses (positive Vertragsverletzung) oder bei dessen Anbahnung vor Vertragsabschluß (culpa in contrahendo) schuldhaft unter Verletzung seiner in dieser Situation bestehenden Schutzpflichten Eigentum oder sonstige Rechtsgüter des anderen Teils verletzt.

Im Entscheidungsfall könnte eine derartige Schutzpflichtverletzung in dem von der Klägerin ins Feld geführten Verstoß der Beklagten gegen § 2 Abs. 3 Satz 2 der Benutzungsordnung vom 02.10.1989 zu sehen sein, wonach der Benutzer der Stadtbibliothek unverzüglich einen Verlust seines Ausweises anzuzeigen hat. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergbit sich jedoch kein für den Schaden – Ausleihe der 27 Medieneinheiten durch einen Unbefugten – ursächlicher Verstoß der Beklagten gegen diese in der Benutzungsordnung normierte vertragliche Nebenpflicht.

Denn unstreitig wurden schon am 22.04.1999 die streitgegenständlichen 27 Medieneinheiten ausgeliehen. Aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin ergibt sich jedoch nicht, daß und inwiefern ihr zum Zeitpunkt der Ausleihe der Medieneinheiten am 22.04.1999 der Verlust des Ausweises der Beklagten nur deshalb nicht bekannt gewesen sei, weil diese nicht “unverzüglich“ den Verlust des Ausweises angezeigt hätte. “Unverzüglich“ kann entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB nur als “ohne schuldhaftes Zögern“ ausgelegt werden. Die Klägerin hätte also dartun müssen, daß ihr der Verlust des Ausweises durch die Beklagte zum Ausleihzeitpunkt aufgrund deren schuldhafter Verzögerung durch die Beklagte zum Ausleihzeitpunkt aufgrund deren schuldhafter Verzögerung einer Anzeige unbekannt war. Stattdessen hat sie die Schilderung der Beklagten unbestritten gelassen, wonach dem Sohn der Beklagten erst am 23.04.1999 klar wurde, daß zum Inhalt der seit dem Nachmittag des Vortrages vermißten Brieftasche auch der Bücherreibenutzerausweis der Beklagten gehört hatte. Nach diesem unbestritten gebliebenen und damit gemäß § 139 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehenden Vorbringen wurde der Verlust des Benutzerausweises auf der Beklagtenseite somit erst erkannt, als die von der Klägerin jetzt ersetzt verlangten Medieneinheiten bereits durch einen Unbekannten ausgeliehen worden waren. Der Schaden ist damit nicht auf ein schuldhaftes Zögern der Beklagten bei der Mitteilung des Ausweisverlustes zurückzuführen.

Ferner könnte eine zum Schadensersatzanspruch berechtigende Schutzpflichtverletzung der Beklagten darin zu sehen sein, daß sie bzw. ihr Sohn den ihr von der Klägerin ausgehändigten Benutzerausweis nicht so verwahrt hat, daß er vor Mißbrauch geschützt war. Nach dem ebenfalls unbestrittenen Vorbringen der Beklagten führte deren Sohn den Benutzerausweis in seiner Brieftasche mit sich. Mit ihrer Zulassung zur Benutzung der Stadtbücherei war die Beklagte dazu verpflichtet, den ihr ausgehändigten Benutzerausweis im Rahmen der Möglichen und Zumutbaren diebstahls- und mißbrauchsicher zu verwahren, um die Klägerin vor Schaden zu schützen.

Dabei kann dahinstehen, ob sich diese Schutzpflicht aus einem noch vor Abschluß konkreter privatrechtlicher Leihverträge über bestimmte Medieneinheiten zugleich mit der verwaltungsrechtlichen Zulassung zur Anstaltsbenutzung beispielsweise im Sinne eines Rahmenvertrages zustande gekommenen Schuldverhältnis ergab, oder aber – was eher anzunehmen ist – aus dem vertraglichen Vertrauensverhältnis vor Abschluß des (nächsten) Leihvertrages (culpa in contrahendo).

Die Verwahrung des Benutzerausweises der Klägerin in einer Brieftasche, die im Zweifel auch andere wichtige Papiere und Geld enthielt, stellt jedoch noch keine zum Schadensersatz verpflichtende Schutzpflichtverletzung dar. Als Bibliotheksbenutzerin war die Beklagte zwar wohl verpflichtet den Benutzerausweis sorgfältig zu verwahren und – innerhalb vernünftiger Grenzen – seine mißbräuchliche Verwendung durch unbefugte Dritte zu verhindern; Sie mußte ihn dementsprechend ausreichend verliersicher unterbringen und dafür sorgen, daß Unbefugte den Ausweis nicht ohne weiteres an sich bringen konnten. Da aber andererseits der Klägerin ein unverhältnismäßig hoher Schaden nicht drohte und sie es zudem in der Hand hat, die Berechtigung des Entleihers bei Hingabe ihrer Medieneinheiten näher zu prüfen und sich selbst durch die Gestaltung der Benutzerausweise – beispielsweise durch ein Lichtbild, worauf das Gericht schon in der von der Klägerin angeführten Sache 50 C 2S7/98 hingewiesen hat – abzusichern, dürfen die Anforderungen an die sichere Verwahrung des Ausweises in diesem Zusammenhang nicht überdehnt werden.

Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß der Benutzerausweis der Klägerin zusammen mit anderen Dingen in einer Brieftasche verwahrt wurde. Diese ist im Gegenteil ein Behältnis, das jeder schon im Eigeninteresse soweit wie möglich vor dem Zugriff unbefugter Dritter schützt. Da sich die Pflicht des Benutzers, den Medienbestand der Bücherei vor dem betrügerischen Zugriff Dritter zu bewahren, aus den genannten Gründen in einem vernünftigen und praktikablen Rahmen zu halten hat, erscheint deshalb auch eine Brieftasche zur Verwahrung des Benutzerausweises für eine öffentliche Bibliothek als durchaus genügend.

Schließlich läßt sich ein Schadensersatzanspruch der Klägerin auch nicht aus § 6 Abs. 4 Satz 2 der Benutzungsordnung herleiten. Danach haftet der Bibliotheksbenutzer “auch für Schäden die durch Mißbrauch eines Benutzerausweises entstehen“. Diese Klausel hält das Gericht, wie schon in dem Rechtsstreit 50 C 257/98 ausführlich dargelegt, wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG für unwirksam. Die durch eine Satzung erlassene Benutzungsordnung ist an § 9 AGBG in entsprechender Anwendung zu messen, da der Vertragsschluß im übrigen privatrechtlich gestaltet und die Benutzungsordnung auf diesem Wege einbezogen ist (BGH NJW 1990, 990; OLG München BB 1980, 496; Staudinger, Kommentar zum BGB, 13 Auflage, § 1 AGBG, Rand-Nr. 3). Da nach § 1 Abs. 4 Satz 1 der Benutzungsordnung bei jeder Benutzung oder Überlassung von Medieneinheiten ein selbstständiger privatrechtlicher Vertrag zwischen dem Benutzer und der Stadt Duisburg zustande kommt, ist diese Voraussetzung hier gegeben, so daß der ausdrückliche Hinweis in § 1 Abs. 4 Satz 2 der Benutzungsordnung, daß das AGBG keine Anwendung findet, daneben unbeachtlich ist. Die Geltung des AGBG ist nicht abdingbar.

§ 6 Abs. 4 Satz 2 der Benutzungsordnung ist wegen Verstoß gegen § 9 AGBG unwirksam. Nach dieser Vorschrit sind Klauseln unwirksam, die mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren sind. Ein wesentlicher Grundgedanke des Haftungsrechts nach dem BGB ist es, daß der Schuldner nur für Schäden haftet, die er zu vertreten hat. Klauseln, die dem anderen Vertragspartner eine verschuldensunabhängige Haftung auferlegen, sind daher wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam (Palandt, Kommentar zum BGB, § 9 AGBG Rand-Nr. 91 m.w.N.). Eine Haftung ohne Verschulden würde nämlich dem schuldrechtlichen Haftungsgrundsätzen durch Einführung einer systemwidrigen Gefährdungs- oder Garantiehaftung zuwiderlaufen.

§ 6 Abs. 4 Satz 2 der Benutzungsordnung verpflichtet aber die Bibliotheksbenutzer unabhängig von einem etwaigen Verschulden zum Ersatz aller Schäden, die durch Mißbrauch ihres Ausweises entstehen. Die Vorschrift bestimmt damit eine verschuldensunabhängige Haftung des Benutzers, da die Klägerin ersichtlich das Mißbrauchsrisiko bezüglich den Ausweises vollständig auf den Benutzer abwälzen wollte. Diese von dem Grundgedanken einer Haftung nur für Verschulden abweichende Klausel des § 6 Abs. 4 Satz 2 der Benutzungsordnung stellt eine unangemessene Benachteiligung des Bibliotheksbenutzeres dar. Er soll für alle Schäden durch mißbräuchliche Verwendung des Benutzerausweises haften, selbst wenn ihm diesbezüglich nicht einmal leichte Fahrlässigkeit zur Last fällt. Dagegen würde die Klägerin von jedem Mißbrauchsrisiko freigestellt. Dies ist nicht zuletzt auch deshalb nicht akzeptabel, weil die Klägerin die Absicherung ihres Medienbestandes in weitem Maße selbst in der Hand hat, indem sie beispielsweise den Benutzerausweis mit einem Lichtbild versehen läßt oder aber einen PIN-Code bzw. ein Geheimwort einführt. Dies wären zeitgemäße Maßnahmen, die an anderer Stelle längst eine Selbstverständlichkeit sind.

Dementsprechend war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 723 ZPO.

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