HAW Hamburg HAW Hamburg

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt

Datum: 06.09.2007

Aktenzeichen: 9 Sa 55/07

Entscheidungsart: Urteil

eigenes Abstract: Eine Auszubildende zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (Fachrichtung Bibliothek) klagt gegen die Stadt Halberstadt, da diese die Kosten für die Fahrt zur auswärtigen Berufsschule und für die Unterkunft nicht weiter übernehmen möchte. Die Klägerin bekam in erster Instanz Recht und die Beklagte ging gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt in Berufung. In zweiter Instanz weist das Gericht die Berufung der Beklagten zurück. Die Beklagte selbst hat die Klägerin dazu verpflichtet eine auswärtige Berufsschule zu besuchen. Nach § 10 Abs. 3 TVAöG-BT-BBiG muss die Beklagte die Kosten erstatten.

Instanzenzug:

-ArbG Halberstadt vom 21.11.2006, AZ: 2 Ca 673/06
-LAG Sachsen-Anhalt vom 06.09.2007, AZ: 9 Sa 55/07

Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 21. November 2006 – 2 Ca 673/06 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erstattung von Fahrtkosten und Auslagen für die Unterkunft, die durch die Teilnahme der Klägerin am Unterricht an einer auswärtigen staatlichen Berufsschule angefallen sind.
Zwischen der am 0.0. 0000 geborenen Klägerin und der Beklagten bestand vom 0.0. 2004 bis zum 0.0. 2007 ein Berufsausbildungsverhältnis über die Ausbildung der Klägerin zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste – Fachbereich Bibliothek.
Die §§ 3 und 4 des Berufsausbildungsvertrages der Parteien vom 5./17.05.2004 haben folgenden Wortlaut:
„§ 3 Das Berufsausbildungsverhältnis bestimmt sich nach dem Berufsausbildungsgesetz vom 14. August 1969 in seiner jeweiligen Fassung sowie nach den Vorschriften des Manteltarifvertrages für Auszubildende (Mantel-TV Azubi-O) vom 05. März 1991 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung.
§ 4 Die/der Auszubildende ist verpflichtet, die vorgeschriebene Berufsschule regelmäßig und pünktlich zu besuchen und auch an anderen Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte teilzunehmen, für die sie/er vom Ausbildenden freigestellt ist, z. B. an T. Bibliotheksschule S. .“
Bis zum 27. November 2005 erstattete die Beklagte der Klägerin die im Zusammenhang mit dem Besuch der Berufsschule in S. angefallenen Fahrtkosten und Auslagen für die Unterkunft. Für die Zeit vom 31. Oktober 2005 bis 27. November 2005 waren das 77,64 EUR an Auslagen für Unterkunft und 100,56 EUR an Fahrtkosten.
Am 27. März 2006 führte die Angestellte W. der Beklagten mit der Klägerin sowie drei weiteren Auszubildenden ein Gespräch. Sie informierte die Auszubildenden darüber, dass der Arbeitgeber nach § 10 Abs. 3 des TVAöD – Besonderer Teil BBiG – nicht mehr verpflichtet sei, ihnen die Fahrkosten zur Berufsschule und die Unterbringung zu finanzieren, die Beklagte ihnen für die Zeit ab 1. Oktober 2005 Unterkunfts- und Fahrtkosten versehentlich nach dem alten Mantel-TV Azubi-O erstattet habe und die eingetretenen Überzahlungen in Raten von den künftigen Ausbildungsvergütungen in Abzug gebracht werden sollten. Die Klägerin erklärte sich damit einverstanden, dass die Beklagte zur Rückzahlung der 178,20 EUR ab April 2006 monatlich 30,00 EUR, zuletzt 28,20 EUR von der Ausbildungsvergütung einbehält.

In der Folgezeit wandte sich die Klägerin wegen Rechtsrat an den für sie zuständigen Gewerkschaftsvorstand. Mit Schreiben vom 20.06.2006 forderte das Büro H. der DGB Rechtsschutz GmbH die Beklagte auf, die bisher in Abzug gebrachten 30,00 EUR bis zum 15. Juli 2007 an die Klägerin zurückzuzahlen. Die Beklagte lehnte die Forderung mit Schreiben vom 04.07.2006 ab.

Die Klägerin hat daraufhin am 20. Juli 2006 beim Arbeitsgericht Halberstadt Klage erhoben und diese in der Folgezeit mehrfach erweitert.
Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Darstellung des Tatbestandes im Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 21. November 2006 – 2 Ca 673/06 – (S. 2 bis 4 des Urteils = Bl. 52 bis 54 d. A.) verwiesen.

Mit dem vorbezeichneten Urteil hat das Arbeitsgericht Halberstadt die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 90,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2006, 30,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.08.2006, 30,00 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2006 und 28,20 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.2006 zu zahlen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klägerin habe gemäß dem Berufsausbildungsvertrag i.V.m. § 8 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – Anspruch auf die Auszahlung der Restausbildungsvergütung für die Monate April, Mai, Juni, Juli und August 2006 in Höhe von je 30,00 EUR netto und für den Monat September 2006 in Höhe von 28,20 EUR netto. Der Anspruch der Klägerin auf die monatliche Ausbildungsvergütung in voller Höhe sei nicht durch Aufrechnung mit einem fälligen Gegenanspruch der Beklagten erloschen. Der Beklagten stehe kein eigener fälliger Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Unterkunfts- und Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 178,20 EUR zu, weil sie diesen Betrag an die Klägerin nicht ohne Rechtsgrund geleistet habe. Die Klägerin habe für die von ihr durchgeführten Fahrten zur Berufsschule in S. und die ihr dort in der Zeit vom 31. Oktober bis 25. November 2005 entstandenen Unterkunftskosten nach § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – Anspruch auf Kostenerstattung. Diese tarifliche Bestimmung sei so auszulegen, dass der Besuch der Berufsschule immer dann durch den Ausbildungsbetrieb veranlasst sei, wenn er nicht auf einem „Sonderwunsch“ des Auszubildenden beruhe. Der Besuch der Berufsschule in S. beruhe nicht auf einem speziellen Wunsch der Klägerin, sondern sei mit Rücksicht auf die Festlegungen im Ausbildungsvertrag durch die Beklagte (Ausbildungsbetrieb) veranlasst worden. Es sei unschädlich, dass die Klägerin einige Beträge als Bruttobeträge eingeklagt habe. Es sei davon auszugehen, dass brutto gleich netto sei.
Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 8 des Urteils (Bl. 55 bis 58 d. A.) verwiesen.
Gegen das ihr am 29. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. Januar 2007 beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und diese am 16. Februar 2007 begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – nicht sachgerecht ausgelegt. Die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 3 des bis zum 30. September 2005 geltenden Mantel-TV Azubi-O sei in den seit 1. Oktober 2005 gültigen Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) – Besonderer Teil BBiG – nicht übernommen worden. Damit solle ein kleiner Beitrag für das seit Jahren verfolgte Ziel erreicht werden, die Kosten der Berufsausbildung im öffentlichen Dienst zu senken, um bei gleichem Kostenvolumen mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen zu können. Die tarifliche Neuregelung des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – gewähre dem Auszubildenden Fahrtkostenerstattung nur noch dann, wenn der Besuch der auswärtigen staatlichen Berufsschule vom Ausbildenden veranlasst sei. Damit werde der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 25.07.2002 – 6 AZR 381/00) gefolgt. Der Wortlaut der Tarifnorm sei eindeutig. Der Besuch einer auswärtigen staatlichen Berufsschule sei dann vom Ausbildenden veranlasst, wenn er nicht allein Folge der Berufsschulpflicht und der auf dem Schulrecht bestehenden örtlichen Zuständigkeit der betreffenden staatlichen Berufsschule sei. Die alleinige Anmeldung des Auszubildenden bei der örtlich zuständigen staatlichen Berufsschule, auch wenn sie wie die T. Bibliotheksschule S. auswärtig angesiedelt sei, sei keine Veranlassung durch den Ausbildenden. Er komme damit nur seiner gesetzlichen Anmeldepflicht nach. Die Benennung der Berufsschule in § 4 des Berufsausbildungsvertrages der Parteien habe nur deklaratorischen Charakter. Die Tarifvertragsparteien hätten sich bisher nicht auf eine Änderung der Regelung des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – verständigt, obwohl eine solche von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der dbb tarifunion in den Tarifverhandlungen im 2. Halbjahr 2006 auf Bundesebene gefordert worden sei. Die bisherige tarifliche Regelung sei deswegen weiter anzuwenden.

Die Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichtes Halberstadt vom 21. November 2006 – Az.: 2 Ca 673/06 – abzuändern und die Klage abzuweisen,
2. die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Sie meint, die von der Beklagten gegen die durch das Arbeitsgericht erfolgte Auslegung des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – vorgebrachten Einwendungen seien nicht zutreffend. Folge man der Auslegung der Beklagten, wäre die Regelung des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – entbehrlich, da den Auszubildenden, wie das Bundesarbeitsgericht in der von der Beklagten genannten Entscheidung festgestellt habe, auf der Grundlage der Regelungen des Berufsbildungsgesetzes ohnehin die Pflicht zur Kostenübernahme für Fahrten zu einer auswärtigen Berufsschule treffe, wenn deren Besuch durch den Ausbildenden nicht veranlasst worden sei. Sinn und Zweck habe die Regelung des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – daher nur dann, wenn sie eine über die gesetzliche Regelung hinausgehende Regelung sei. Die Tarifvertragsparteien hätten eine generelle Kostentragungspflicht des Ausbildenden vereinbart, die lediglich beim Besuch einer auswärtigen Berufsschule durch den Auszubildenden, ohne dass der Ausbildende diesen Besuch veranlasst habe, nicht greifen solle. Primäres Ziel bei den Tarifverhandlungen sei die Erzielung einer Kostenneutralität gewesen. Sofern bei einzelnen Regelungen des neuen Tarifvertrages Schlechterstellungen der Auszubilden den erfolgt seien, seien diese an anderer Stelle kompensiert worden. Die erhöhte Zahlung der Fahrtkosten zur Berufsschule, also ohne Eigenanteil des Auszubildenden, werde durch die nicht mehr gewährten zusätzlichen freien Tage für Familienheimfahrten, wie sie zuvor in § 15 Abs. 2 Mantel-TV Azubi-O geregelt gewesen seien, kompensiert. Die Argumentation der Beklagten, Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen, werde durch die Tatsache widerlegt, dass sich die Arbeitgeberseite in den Tarifverhandlungen konsequent jeglicher Regelung zur Zahl der Auszubildenden verweigert habe.
Im Falle der Klägerin sei der Besuch der Berufsschule in S. ausdrücklich im Berufsausbildungsvertrag festgelegt und beruhe nicht auf einem Sonderwunsch der Klägerin.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 15.02.2007 nebst Anlagen, auf die Berufungsbeantwortung vom 19.04.2007 nebst Anlagen und auf das Protokoll vom 06.09.2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die statthafte Berufung der Beklagten ist frist- und formgerecht beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und begründet worden (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 lit. a) u. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520, ZPO). Die im Urteil des Arbeitsgerichts zugelassene Berufung ist zulässig.

II. Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin die in den Monaten April 2006 bis September 2006 von den monatlichen Ausbildungsvergütungen insgesamt einbehaltenen 178,20 EUR zurückzuzahlen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten steht § 10 Abs. 3 des Tarifvertrages für Auszubildende des öffentlichen Dienstes TVAöD – Besonderer BBiG – vom 13. September 2005 (in der Fassung des 1. ÄnderungsTV vom 1. August 2006) einem Anspruch der Klägerin auf Erstattung notwendiger Fahrtkosten und Auslagen für die Unterkunft nicht entgegen. Hierzu im Einzelnen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung der normativen Bestimmungen eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist unter Beachtung des Sprachgebrauchs und der Grammatik zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Führt dies zu keinem zweifelsfreien Auslegungsergebnis, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, die praktische Tarifübung ergänzend heran ziehen (u. a. BAG vom 12.09.1984 – 4 AZR 336/82 – AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, Zweck orientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 09.02.2006 – 6 AZR 281/05 – zitiert nach […]).

2. § 10 Abs. 2 und 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – lautet auszugsweise:
„(2)
Bei Reisen zur Teilnahme an überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BBiG außerhalb der politischen Gemeindegrenze der Ausbildungsstätte werden die entstandenen notwendigen Fahrtkosten bis zur Höhe der Kosten der Fahrkarte der jeweils niedrigsten Klasse des billigsten regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittels (im Bahnverkehr ohne Zuschläge) erstattet; Möglichkeiten zur Erlangung von Fahrpreisermäßigungen (z. B. Schülerfahrkarten, Monatskarten, BahnCard) sind auszunutzen. Beträgt die Entfernung zwischen den Ausbildungsstätten hierbei mehr als 300 km, können im Bahnverkehr Zuschläge bzw. besondere Fahrpreise (z. B. für ICE) erstattet werden. Die nachgewiesenen notwendigen Kosten einer Unterkunft am auswärtigen Ort sind, soweit nicht eine unentgeltliche Unterkunft zur Verfügung steht, bis zu 20 Euro pro Übernachtung erstattungsfähig. ….
(3)
Ist der Besuch einer auswärtigen Berufsschule vom Ausbildenden veranlasst, werden die notwendigen Fahrtkosten sowie die Auslagen für Unterkunft und Verpflegungsmehraufwand nach Maßgabe des Absatzes 2 erstattet.“

3. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 des TVAöD – Besonderer Teil BBiG – werden dem Auszubildenden, wenn der Besuch einer auswärtigen Berufsschule vom Ausbildenden veranlasst ist, die Fahrtkosten bis zur Höhe der Kosten der Fahrkarte der jeweils niedrigsten Klasse des billigsten regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittels und die Auslagen für die Unterkunft am auswärtigen Ort bis zu einer Höhe von 20 Euro pro Übernachtung erstattet.
Nach dem Wortlaut dieser Tarifnorm setzt demzufolge die Erstattung der notwendigen Fahrtkosten sowie der Auslagen für die Unterkunft und des Verpflegungsmehraufwands voraus, dass der Besuch einer auswärtigen Berufsschule vom Ausbildenden veranlasst ist.
Zwischen den Parteien steht die Auslegung des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG -, der Inhalt der Begriffe „auswärtige Berufsschule“ und „vom Ausbilder veranlasst“ im Streit. Die erkennende Kammer ist aus folgenden Gründen zu nachfolgendem Auslegungsergebnis gelangt:

a) auswärtige Berufsschule
Die Überschrift des § 10 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – lautet „Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte“. Aus dieser Überschrift und aus § 10 Abs. 2 Satz 1 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – folgt, dass eine Berufsschule im Tarifsinne „auswärtig“ ist, wenn sie örtlich außerhalb der politischen Gemeindegrenze der Ausbildungsstätte gelegen ist.
Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – ist es allerdings nicht erforderlich, dass es sich bei der „auswärtigen Berufsschule“ um eine Berufsschule handelt, die zum einen örtlich außerhalb der politischen Gemeindegrenze der Ausbildungsstätte gelegen ist und zum zweiten nicht die zuständige staatliche Berufsschule ist. Es genügt, dass die vom Auszubildenden zu besuchende Berufsschule „auswärtig“ ist, also örtlich außerhalb der politischen Gemeindegrenze der Ausbildungsstätte liegt. Für die Auslegung des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG -, wie sie die Beklagte vornimmt, bietet der Wortlaut der Tarifnorm keinen Anhaltspunkt. Es ist zwar richtig, dass bei einer dualen Ausbildung zu den Kosten der Berufsausbildung im Sinne der §§ 3 ff BBiG, die der Ausbildende zu tragen hat, nicht die Kosten zählen, die im Zusammenhang mit der schulischen Berufsausbildung des Auszubildenden entstehen, der Ausbildende nicht für Kosten einzustehen hat, die im Zusammenhang mit der schulischen Berufsausbildung anfallen, der Ausbildende selbst dann, wenn der Auszubildende eine auswärtige zuständige staatliche Berufsschule besuchen muss, diesem nicht dadurch verursachte Fahrt-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten zu erstatten hat (für alle: BAG vom 25.07.2002 – 6 AZR 381/00 – AP Nr. 9 zu § 5 BBiG; BAG vom 26.09.2002 – 6 AZR 486/00 – AP Nr. 12 zu § 5 BBiG). Die den Ausbildenden begünstigenden gesetzliche Regelungen des BBiG verbieten es den Tarifvertragsparteien allerdings nicht, in einem Tarifvertrag eine weitergehende Erstattungspflicht des Ausbildenden zu regeln. Eben das ist nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – mittels dieser Tarifnorm geschehen.

b) Ausbildender
Gemäß § 3 Abs. 1 BBiG ist der Ausbildende derjenige, der einen anderen zur Berufsausbildung einstellt und mit ihm zu diesem Zweck einen Berufsausbildungsvertrag abschließt. Er bleibt auch der Ausbildende, wenn er nicht selbst ausbildet, sondern sich eines Ausbilders bedient. Die Tarifvertragsparteien (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Bund als Arbeitgeber, Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA)), die den Tarifvertrage für Auszubildende des öffentlichen Dienstes TVAöD – Besonderer Teil BBiG – vom 13. September 2005 abgeschlossen haben, verwenden den Begriff „Ausbildender“ im Sinne des § 3 Abs. 1 BBiG, was bereits aus der Bezeichnung „Besonderer Teil BBiG“ folgt.

c) veranlassen
Wie das Arbeitsgericht ausgeführt hat, wird das Wort „veranlassen“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als Synonym für „dafür sorgen, das etwas geschieht“, „etwas bewirken“, „etwas hervorrufen“, „etwas anordnen“ benutzt. Es bedeutet auch „jemanden dazu bringen, etwas zu tun“, „jemand zu etwas zu bewegen“ (Der große Brockhaus, 20. Bd., Wahrig, Deutsches Wörterbuch STE – ZZ, S. 467).
Um festzustellen, ob der Besuch einer auswärtigen Berufsschule durch den Ausbildenden veranlasst ist, ist auf das Rechtsverhältnis der Parteien, auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Ausbildenden und dem Auszubildendem und nicht auf die Beweggründe des Ausbildenden für sein Handeln abzustellen. Der Besuch einer auswärtigen Berufsschule gilt dann als vom Ausbildenden veranlasst, wenn der Ausbildende den Auszubildenden auf irgend eine Art und Weise dazu bringt, eine ganz bestimmte, außerhalb der politischen Gemeindegrenze der Ausbildungsstätte gelegene Berufsschule zu besuchen, nicht erst dann, wenn der Ausbildende eine andere als die zuständige staatliche Berufsschule wählt. Auf die Gründe des Ausbildenden für sein Handeln kommt es nicht an.

4. Die tariflichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 3 TVAöD – Besonderer Teil BBiG – sind für den Anspruch der Klägerin auf Erstattung der ihr im Zusammenhang mit dem Besuch der T. Bibliotheksschule in S. entstandenen Fahrtkosten und Auslagen für die Unterkunft erfüllt:
Die Ausbildungsstätte der Klägerin befindet sich in H. . Die T. Bibliotheksschule befindet sich in S. , damit ohne jede Zweifel außerhalb der politischen Gemeindegrenze der Ausbildungsstätte. Damit besucht die Klägerin im Tarifsinn eine auswärtige Berufsschule.
Ausbildende der Klägerin ist die Beklagte. Denn sie hat mit der Klägerin im Mai 2004 einen Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen und so die Klägerin (= Auszubildende) zur Ausbildung in dem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf „Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste – Fachbereich Bibliothek“ angestellt.
Die Beklagte hat den Besuch der auswärtigen Berufsschule mittels Aufnahme der Verpflichtung der Klägerin zum Besuch der T. Bibliotheksschule in S. in den Berufsausbildungsvertrag (§ 4) veranlasst. Sie hat auf diese Art dafür gesorgt bzw. es bewirkt bzw. angeordnet, dass die Klägerin als „ihre“ Auszubildende eben gerade diese auswärtige Berufsschule besucht. Die Klägerin selbst hatte keine eigene Wahl.
In § 4 des Berufsbildungsvertrages der Parteien vom Mai 2004 wird im Übrigen nicht wie in § 7 BBiG zwischen der Teilnahme am Berufsschulunterricht und der Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte unterschieden. Aber das mag auf die Regelung des § 10 Abs. 1 des im Zeitpunkt des Abschlusses des Berufsausbildungsvertrages geltenden Mantel-TV Azubi-O zurückzuführen sein, der diese Unterscheidung auch nicht machte, nicht darauf, dass die Beklagte der Klägerin übertarifliche Leistungen zukommen lassen wollte. Letzteres hat sie nicht getan und es wird von ihr auch nicht verlangt.
Die Höhe der der Klägerin durch die Beklagte für die Zeit vom 31. Oktober 2005 bis 25. November 2005 zu erstattenden Fahrtkosten und Auslagen für die Unterkunft ist unstreitig.
Nach alldem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Dieses Urteil bookmarken Diese Icons verlinken auf Bookmark Dienste bei denen Nutzer neue Inhalte finden und mit anderen teilen können.
  • MisterWong
  • Digg
  • del.icio.us
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • MySpace
  • Technorati
  • Slashdot
  • YahooMyWeb
zur Druckversion zur Druckversion