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Gericht: Verwaltungsgericht Münster

Entscheidungsdatum: 19.10.2007

Aktenzeichen: 1 K 367/06

Entscheidungsart: Urteil

eigenes Abstract: Drei Studenten forderten in ihrer Klage die Abschaltung der Videoüberwachung an drei Stellen der Hochschule. Während des Verfahrens wurden die Kameras, bis auf eine in der kommunalwissenschaftlichen Bibliothek abgeschaltet. Die Klage auf generelle Abschaffung der Videoüberwachung wurde abgewiesen. Das Gericht erlaubte dem Beklagten auch weiterhin die Überwachung der Bibliothek, da dies der Wahrnehmung des Hausrechts diene. Die Speicherung der Überwachungsdaten wurde hingegen verboten, dies sei bloß bei „konkreter Gefahr“ erlaubt.

weitere Informationen:
„Uni Münster baut Videokameras wieder ab“, taz-Artikel von Dirk Eckert vom 11.04.2006

Instanzenzug:
– VG Münster vom 19.10.2007, Az. 1 K 367/06
OVG NW vom 08.05.09, Az. 16 A 3375/07

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten es in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Die Beklagte wird verurteilt, die nicht anlassbezogene Speicherung der durch die Überwachung der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts mit einer Videoanlage erhobenen Daten zu unterlassen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch ein Sechstel, die Beklagte trägt fünf Sechstel der Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand
Die Kläger sind Studierende der Rechtswissenschaften an der beklagten Universität. Mit Schreiben vom 17. Januar 2006 forderten sie den Rektor der Beklagten auf, die an diversen Orten der Universität angebrachten Videokameras zu demontieren, da deren Aufstellung einen nicht durch § 29 b des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen (DSG NRW) gedeckten Eingriff in ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht darstelle. Im Antwortschreiben des Rektors der Beklagten vom 1. Februar 2006 heißt es, die im Bereich der Universität betriebenen Videoüberwachungsanlagen seien Gegenstand eines Prüfungsauftrages der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes Nordrhein-Westfalen.

Am 21. Februar 2006 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben mit dem Ziel, die Abschaltung folgender Videoanlagen zu erreichen:

1. Videoanlage Schlossplatz 2 (Schloss, Erdgeschoss)

2. Videoanlage Universitäts- und Landesbibliothek (Computerraum, 2. Obergeschoss)

3. Videoanlage Kommunalwissenschaftliche Bibliothek.

Da die Beklagte die unter den Nrn. 1 und 2 aufgeführten Videoanlagen während des Rechtsstreits abgebaut hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt.

Die Kläger bringen zur Begründung ihrer im Übrigen aufrecht erhaltenen Klage im Wesentlichen vor:

Sie besuchten regelmäßig die kommunalwissenschaftliche Bibliothek. Die Videoüberwachung dort und die Bildaufzeichnung stellten sich als nicht durch § 29 b Abs. 1 und 2 DSG NRW gedeckte rechtswidrige Eingriffe in ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht als Ausprägung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Allein der Umstand, dass in einer Bibliothek mit Diebstählen gerechnet werden müsse, begründe nur eine abstrakte Gefahr, die für die Anfertigung von Bildaufzeichnungen indes nicht ausreichend sei. Diese Beschränkung im Anwendungsbereich der Datenaufzeichnung ergebe sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Hieraus folge, dass die Speicherung „anlassbezogen“ sein müsse. Dies lasse eine laufende Speicherung der erhobenen Daten nicht zu. Eine Dauergefahr habe der Gesetzgeber gerade nicht ausreichen lassen wollen. Ein Anlassbezug sei etwa gegeben, wenn ein Mitarbeiter, der die Videoaufnahmen überwache, einen Bücherdiebstahl oder die Beschädigung eines Buches beobachte.

Im Übrigen werde auf die Stellungnahme der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 5. Oktober 2005 verwiesen. Hiernach sei der Einsatz von Videoüberwachungsanlagen in Bibliotheken bereits dann nicht zulässig, soweit und solange in den Räumlichkeiten Mitarbeiter der Hochschule vor Ort anwesend seien. Es sei allgemein bekannt, dass sich in den Räumen des Kommunalwissenschaftlichen Instituts regelmäßig studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte aufhielten. Darüber hinaus sei es überhaupt nicht möglich, den Bibliotheksbestand durch eine Videokamera zu überwachen. Allenfalls sei eine Erfassung der Benutzer der Bibliothek möglich.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, die Videoanlage Kommunalwissenschaftliche Bibliothek, Universitätsstraße 14- 16, 48143 Münster abzuschalten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bringt im Wesentlichen vor:

Die Videoanlage in der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts sei im Jahre 2000 nach der Renovierung der Räume des Instituts noch unter der Geltung des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen in der alten Fassung in Betrieb genommen worden. Sie diene der Beobachtung und Speicherung. Bibliotheken im Allgemeinen, juristische Bibliotheken an Universitäten insbesondere, seien nach immer wieder bestätigter Erfahrung erheblichen Gefahren ausgesetzt. Es kämen nicht nur häufig Diebstähle ganzer Bücher vor, sondern es würden auch Seiten aus ihnen herausgerissen oder aus Loseblattsammlungen entfernt und mitgenommen. Von solchen Straftaten sei die Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts häufig betroffen gewesen, bevor die Überwachungsanlage installiert worden sei. Insbesondere während der Zeiten, in denen juristische Hausarbeiten geschrieben worden seien, seien solche Vorfälle wöchentlich mehrfach vorgekommen.

Die Videoüberwachung der Bibliotheksräume sei zulässig. Die Voraussetzungen des § 29 b DSG NRW seien erfüllt. Die Videoüberwachung diene der Wahrnehmung des Hausrechts. Durch sie sollten insbesondere Diebstähle und Beschädigungen von Büchern und Loseblattwerken durch Besucher verhindert werden. Die Intensität des Eingriffs in die Rechte der Betroffenen sei gering. Die Personen seien nicht immer im Bild, im Wechsel seien nur Ausschnitte der Räumlichkeiten zu sehen. Der Monitor stehe bei der Sekretariatsmitarbeiterin, die ihn nur neben ihrer sonstigen Arbeit und damit nicht ständig überwache. Darüber hinaus könnten die Nutzer, insbesondere Studierende und damit auch die Kläger, den Besuch der Bibliothek vermeiden und zum Beispiel in die Universitäts- und Landesbibliothek sowie das Juristische Seminar der Universität ausweichen. Die Tatsache der Beobachtung sei gemäß § 29 b Abs. 1 Satz 2 DSG NRW erkennbar gemacht worden durch entsprechende Schilder an der Tür zur Bibliothek und in beiden Bibliotheksräumen.

Auch die Speicherung der Bilder sei zulässig. Dafür, dass der Rechtsbegriff „konkrete Gefahr“ das Erfordernis einer „anlassbezogenen“ Speicherung in Bezug auf einen konkreten Vorfall statuiere, fehle jeder Anhaltspunkt. Angesichts der Vorfälle vor Installierung der Videoanlage könne durchaus von einer konkreten Gefahr im Sinne des § 29 b Abs. 2 Satz 1 DSG NRW gesprochen werden. Durch die Speicherung sollten die Übergriffe einzelnen Benutzern beweiskräftig zuordbar gemacht werden. Falle ein Schaden auf, könne mit Hilfe der Aufzeichnung im Einzelfall der Täter festgestellt werden. Die Speicherung sei zum Erreichen des verfolgten Zwecks unverzichtbar i. S. d. § 29 b Abs. 2 Satz 1 DSG NRW. Die Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts sei durch eine Reihe von Maßnahmen gegen Schadenshandlungen gesichert. Eine Überwachung der Bibliotheksräume durch Aufsichtspersonal scheide aus Kostengründen aus. Sollte – etwa durch eine Hilfskraft – eine Aufsicht in beiden Räumen gewährleistet werden, müssten im Hinblick auf die beschränkten Haushaltsmittel die Öffnungszeiten extrem reduziert werden. Die Überwachung und Aufzeichnung habe sich in den vergangenen Jahren ausgezeichnet bewährt; es sei nicht zu den sonst üblichen Beschädigungen gekommen. Die nach § 29 b Abs. 2 Satz 2 DSG NRW gebotene unverzügliche Löschung sei dadurch gewährleistet, dass die vorhandene Aufzeichnungsanlage die Festplatte nach Erreichen ihrer Kapazitätsgrenze mit neuen Bildern überschreibe. Da die Aufzeichnungsdauer bewegungsabhängig sei, erfolge die Löschung der Daten an Tagen mit starker Nutzung viel früher als die vom Gesetz gesetzte Grenze der Erforderlichkeit es gebiete.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs verwiesen.

Entscheidungsgründe
Die teilweise Einstellung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO beruht darauf, dass die Beteiligten im entsprechenden Umfang den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Die Klage im Übrigen, d.h. soweit sie sich auf die Verurteilung zur Abschaltung der Videoanlage in der Kommunalwissenschaftlichen Bibliothek der Beklagten richtet, ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Sie ist hinsichtlich des darin enthaltenen Begehrens begründet, die nicht anlassbezogene Speicherung der durch die Videoüberwachung erhobenen Daten zu unterlassen. Im Übrigen ist sie unbegründet. Nach den in § 29 b DSG NRW getroffenen Regelungen für die Beobachtung öffentlich zugänglicher Bereiche mit optisch-elektronischen Einrichtungen und für die Speicherung der dadurch erhobenen Daten ist die Beklagte zur Videobeobachtung der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts, nicht aber zur generellen, sondern nur zur anlassbezogenen Speicherung der aufgenommenen Bilder ermächtigt.

Der Anwendungsbereich des Datenschutzgesetzes NRW und damit auch dieser Bestimmung erstreckt sich auf die Beklagte als einer sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Person des öffentlichen Rechts (§ 2 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW).

Die Kläger gehören im konkreten Zusammenhang zu dem von § 29 b DSG NRW geschützten Personenkreis. Die Bezugnahme auf schutzwürdige Interessen betroffener Personen in § 29 b Abs. 1 Satz 1 DSG NRW weist ausschließlich den Personen ein subjektives Recht zu, die von der Beobachtung und Speicherung betroffen sind. Die Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts ist allgemein auch für die Benutzung durch die Studierenden der Rechtswissenschaftllichen Fakultät der Beklagten geöffnet. Von dieser Benutzungsmöglichkeit machen die Kläger nach unwidersprochen gebliebener Darstellung Gebrauch.

Sie können hierbei nicht verlangen, dass die Beklagte die bloße Videobeobachtung unterlässt. Die in § 29 b Abs. 1 DSG NRW geregelten Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Beobachtung mit optischelektronischen Einrichtungen, die nicht mit einer Speicherung verbunden ist, sind erfüllt. Die Videobeobachtung der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts dient der Wahrnehmung des Hausrechts. Sie soll Diebstähle und Beschädigungen von Büchern und Loseblattwerken durch Besucher verhindern helfen und ist hierzu auch geeignet. Schon nach der Lebenserfahrung ist in Bibliotheken mit derartigen Eigentumsverletzungen zu rechnen.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass schutzwürdige Interessen der Kläger, soweit sie durch die bloße Videobeobachtung betroffen sind, überwiegen. Angesichts der konkreten Umstände wird durch die nicht mit einer Speicherung verbundene Videobeobachtung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) nur in geringem Maß beeinträchtigt. Bei der Videobeobachtung der in Rede stehenden Bibliothek handelt es sich nicht um eine intensive oder dauerhafte Überwachung. Sie geht in ihrer Intensität nicht nennenswert hinaus über die Beeinträchtigung auf Grund der Beobachtung durch eine natürliche Person. Auf dem Monitor im Sekretariat des Instituts sind im Wechsel nur Ausschnitte der beiden Bibliotheksräume zu sehen. Die Kläger wie andere betroffene Studierende sind schon wegen des übrigen Bibliotheksangebots der Beklagten auch nicht faktisch darauf verwiesen, die Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts ständig als ihren Arbeitsplatz zu nutzen. Gegenüber dieser geringen rechtlichen Betroffenheit der Kläger ist das Interesse, Diebstählen und Beschädigungen an Büchern und Loseblattausgaben in der Bibliothek durch die Videobeobachtung effektiv zu begegnen, höher zu veranschlagen.

Die Kläger haben gegen die Beklagte indes gemäß § 29 b Abs. 2 DSG NRW einen Anspruch darauf, dass diese die generelle Speicherung der auf Grund der Videobeobachtung der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts erhobenen Daten unterlässt.

Die in § 29 b Abs. 2 Satz 1 DSG NRW abweichend von § 6 b des Bundesdatenschutzgesetzes und § 15 a Abs. 1 des Polizeigesetzes NRW geregelten Voraussetzungen für die generelle Speicherung der durch eine Beobachtung mit einer optisch-elektronischen Einrichtung erhobenen Daten sind nicht erfüllt. Eine derartige Speicherung darf nur bei einer konkreten Gefahr zu Beweiszwecken erfolgen, wenn dies zum Erreichen der verfolgten Zwecke unverzichtbar ist. Diese Erfordernisse sind im Hinblick darauf geregelt, dass die Speicherung der optisch- elektronisch erhobenen Daten wegen der beliebig häufigen Reproduzierbarkeit und der nahezu unbegrenzten Weiterverarbeitungsmöglichkeit das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung stark beeinträchtigt. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen.

BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 -, DVBl 2007, 497 (500).

Vor diesem Hintergrund war dem Gesetzgeber daran gelegen, mit der schließlich Gesetz gewordenen Formulierung des § 29 b Abs. 2 Satz 1 DSG NRW „die Zulässigkeit der anlassbezogenen und zweckbestimmten Aufzeichnung und Speicherung auf die unbedingt erforderlichen Fälle“ einzuschränken.

So die in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Innere Verwaltung vom 10. April 2000, LT-Drucksache 12/4780, S. 62f.,gegebene Begründung zur Änderung der Ursprungsfassung des § 29 b Abs. 2 Satz 1, vgl. LT- Drucksache 12/4476 vom 2. Dezember 1999, S. 49 (Gesetzentwurf der Landesregierung).

Ob es hieran orientiert bereits an einer konkreten Gefahr für das Eigentum an den Büchern und Loseblattsammlungen in der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts fehlt, kann dahinstehen.

Das Erfordernis einer konkreten Gefahr setzt eine Sachlage voraus, bei der im konkreten Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die geschützten Rechtsgüter eintreten wird.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. April 2006 – 1 BvR 518/02 – NJW 2006, 1939 (1947)

Die an die Tatsachenbasis zu stellenden Anforderungen sind umso geringer, je höherwertiger das bedrohte Rechtsgut und je höher der drohende Schaden ist. Das Kriterium der Abgrenzung zur abstrakten Gefahr ist dabei nicht der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern der Bezugspunkt der Gefahrenprognose. Kommt es für die abstrakte Gefahr auf die generellabstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen an, bezieht sich die konkrete Gefahr auf den zu beurteilenden konkreten Einzelfall.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2004 – 6 C 21.03 – Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr 76

Eine konkrete Gefahr in diesem Sinne kann auch eine Dauergefahr sein. Bei einer solchen besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts über einen längeren Zeitraum hinweg zu jedem Zeitpunkt. Für die Feststellung einer solchen Dauergefahr gelten jedoch ebenfalls die mit dem Erfordernis einer konkreten Gefahr verbundenen Anforderungen an die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sowie an die konkrete Tatsachenbasis der Wahrscheinlichkeitsprognose.

Vgl. BVerfG, a.a.O.

Hiernach ist zweifelhaft, ob die auf Grund der vor dem Jahr 2000 bei der Benutzung der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts gewonnene – nicht mit konkreten Aufzeichnungen über Ausmaß und Häufigkeit von Schäden belegte – Erfahrung, dass es ohne Gegenmaßnahmen immer wieder zu Diebstählen oder Beschädigungen (Herausreißen einzelner Seiten aus Loseblattsammlungen) am Bibliotheksbestand kommen wird, eine hinreichend konkrete Tatsachenbasis für die Prognose liefert, über einen nicht begrenzten Zeitraum bestehe die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens dieser Art zu jedem Zeitpunkt.

Selbst wenn man unterstellt, diese Frage sei zu bejahen, ist die generelle Speicherung der durch die Videobeobachtung gewonnenen Bilder nicht unverzichtbar im Sinne des § 29 b Abs. 2 Satz 1 DSG NRW zum Erreichen der verfolgten Zwecke.

Dieses Erfordernis ist eine besondere Ausprägung des durch das Rechtsstaatsgebot von Verfassungs wegen gewährleisteten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Wenn der Gesetzgeber hierbei anstelle des eingeführten Begriffs „erforderlich“ den Begriff „unverzichtbar“ verwendet, will er – wie auch die zitierten Gesetzesmaterialien zeigen – das Merkmal der Erforderlichkeit in bestimmter Weise qualifizieren. Dies kann nur im Sinne einer besonderen Anforderung an den Nachweis der Erforderlichkeit verstanden werden. Solange andere noch nicht erprobte zumutbare Maßnahmen in Betracht kommen, die eingriffsärmer sind und deren mindestens gleiche Eignung ohne eine Erprobung nicht ausgeschlossen werden kann, ist eine generelle Speicherung nicht unverzichtbar im Sinne des § 29 b Abs. 2 Satz 1 DSG NRW.

Nach diesem Maßstab ist die Unverzichtbarkeit der generellen Speicherung der Bilder aus der Videobeobachtung der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts nicht nachgewiesen. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass eine Kombination aus einer – für die Benutzer nicht vorhersehbaren – zeitweisen Beobachtung des an die laufende Videokamera angeschlossenen Monitors durch vorhandene Dienstkräfte und aus einer anlassbezogenen Speicherung weniger geeignet ist, von Diebstählen und/oder Sachbeschädigungen in der Bibliothek abzuschrecken, und in verbleibenden Schadensfällen durch sofortiges Einschreiten den erforderlichen Beweis zu sichern.

Die Kostenentscheidung folgt, soweit sie den nach übereinstimmender Erklärung erledigten Teil des Rechtsstreits betrifft, aus § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die auf diesen Teil entfallenden Kosten (zwei Drittel der Gesamtkosten) der Beklagten aufzuerlegen, da sie insoweit dem Klagebegehren entsprochen und die Erledigung herbeigeführt hat. Hinsichtlich der übrigen Kosten folgt die Kostenentscheidung aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall, 159 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Zulassung der Berufung beruht auf § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur rechtsgrundsätzlichen Klärung folgender Fragen:

– In welchem Sinne ist die in § 29 b Abs. 1 Satz 1 DSG NRW für die Zulässigkeit der Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen aufgestellte Voraussetzung auszulegen „soweit… keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen betroffener Personen überwiegen“?

– In welchem Sinne ist die neben dem Erfordernis einer konkreten Gefahr zu Beweiszwecken in § 29 b Abs. 2 Satz 1 DSG NRW für die Zulässigkeit der Speicherung optisch-elektronisch erhobener Daten aufgestellte Voraussetzung auszulegen „wenn dies zum Erreichen der verfolgten Zwecke unverzichtbar ist“?

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