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Gericht: Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 14.07.1981

Aktenzeichen: 1 BvL 24/78

Entscheidungsart: Beschluss

eigenes Abstract: Im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die Verpflichtung eines Offenbacher Verlegers, wertvolle Bücher mit Originalgraphiken, die nur in geringer Auflage erscheinen, ohne Kostenerstattung an die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek abzuliefern, gegen die in Art. 14 Grundgesetz verfassungsrechtlich verankerte Eigentumsgarantie verstößt.

Instanzenzug:
– VG Darmstadt vom 30.03.1978, Az. I E 153/77
– BVerfG vom 14.07.1981, Az. 1 BvL 24/78

Leitsatz
Es widerspricht dem Eigentumsgrundrecht, daß der Verleger eines Druckwerks ein Belegstück auch dann unentgeltlich abliefern muß, wenn es sich um ein mit großem Aufwand und in kleiner Auflage hergestelltes Werk handelt (LPrG Hessen § 9).

Tenor
§ 9 des Hessischen Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1958 (GVBl. S. 183) ist mit Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes insoweit nicht vereinbar, als der Hessische Kultusminister ermächtigt ist, die Pflicht zur Ablieferung eines Belegstücks von jedem im Geltungsbereich des Gesetzes erscheinenden Druckwerk ausnahmslos ohne Kostenerstattung anzuordnen.

Gründe
A.
Die Richtervorlage betrifft die Frage, inwieweit eine Pflicht der Verleger zur Ablieferung von Belegstücken (Pflichtexemplaren) an staatliche Bibliotheken mit der Verfassung vereinbar ist.
I.
1. Die Pflicht, Belegstücke von Druckwerken an staatliche Bibliotheken abzugeben, entwickelte sich historisch aus der Zensur und dem Privilegienwesen. Ihre Berechtigung wurde später zunehmend mit Belangen der Kultur- und Wissenschaftspflege begründet, von anderer Seite hingegen unter Hinweis auf den zwischenzeitlichen Abbau der Zensur und die gesetzliche Regelung des Urheberschutzes verneint (zur geschichtlichen Entwicklung vgl. etwa Flemming, Das Recht der Pflichtexemplare, 1940, S. 7 ff. und Haas-Traeger, DÖV 1980, S. 16 f., jeweils m. N.). Die Entwicklung nach 1945 spiegelte diese unterschiedliche Bewertung wider. Das Bedürfnis nach möglichst vollständiger Sammlung des gedruckten Geistesschaffens hat inzwischen in allen Bundesländern und zusätzlich auch in dem Gesetz des Bundes über die Deutsche Bibliothek eine grundsätzliche Anerkennung erfahren. Die daran anknüpfenden Regelungen reichen jedoch von einer bloßen Anbietungspflicht der Verleger mit ganzer oder teilweiser Kostenerstattung bis hin zum ausnahmslos unentgeltlichen Ablieferungsgebot:

vgl. §§ 18 ff. des Gesetzes über die Deutsche Bibliothek vom 31. März 1969 (BGBl. I S. 265); § 1 des baden-württembergischen Gesetzes über die Ablieferung von Pflichtexemplaren an die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe und die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart vom 3. März 1976 (GBl. S. 216); Art. 68 des bayerischen Gesetzes zum Schutze der Urheberrechte an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst vom 28. Juni 1865 (GBl. Sp. 65); § 11 des Berliner Pressegesetzes vom 15. Juni 1965 (GVBl. S. 744); § 12 des bremischen Gesetzes über die Presse vom 16. März 1965 (GBl. S. 63); § 1 des hamburgischen Gesetzes über die Abgabe von Freistücken der Druckwerke an die Staats- und Universitätsbibliothek in Hamburg vom 8. August 1934 (GVBl S. 299); § 12 des niedersächsischen Pressegesetzes vom 22. März 1965 (GVBl. S. 9); § 12 des nordrhein-westfälischen
Landespressegesetzes vom 24. Mai 1966 (GVBl. S. 340); § 12 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über die Presse vom 14. Juni 1965 (GVBl. S. 107); § 12 des saarländischen Pressegesetzes vom 12. Mai 1965 (ABl. S. 409); § 12 des schleswig-holsteinischen Gesetzes über die Presse vom 19. Juni 1964 (GVBl. S. 71).

2. Das Land Hessen hat das Pflichtexemplarrecht in § 9 des Hessischen Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse – LPrG – i. d. F. der Bekanntmachung vom 20. November 1958 (GVBl. S. 183) sowie in der vom Hessischen Kultusminister erlassenen Verordnung über die Abgabe von Druckwerken – PflEVO – vom 21. März 1977 (GVBl. S. 146) geregelt.
§ 9 LPrG, der wortgleich bereits im hessischen Pressegesetz vom 23. Juni 1949 (GVBl. S. 75) enthalten war, lautet:

Der Minister für Kultus und Unterricht kann durch Ausführungsverordnung bestimmen, daß von jedem im Geltungsbereich dieses Gesetzes erscheinenden Druckwerk ein Belegstück kostenlos an die von ihm bestimmte zuständige Bibliothek abgeliefert wird.

Die aufgrund vorstehender Ermächtigung erlassene Pflichtexemplarverordnung bestimmt in § 1 Abs. 1:
Von jedem Druckwerk, das innerhalb des Landes Hessen erscheint, hat der Verleger, soweit § 3 nicht befreit, ein Stück (Pflichtexemplar) unentgeltlich und auf eigene Kosten je nach dem Verlagsort an nachstehende Bibliotheken abzugeben:
1.-5. …

Als Verleger im Sinne der Bestimmung sieht § 2 PflEVO auch den als Selbstverleger tätigen Verfasser und Herausgeber eines Druckwerks sowie den Kommissionsverleger an. Die Belegstücke sind mit Beginn der Verbreitung ohne besondere Aufforderung unverzüglich abzugeben (§ 5 PflEVO).

II.
1. Dem Rechtsstreit, der zur Vorlage geführt hat, liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger ist Verleger in Offenbach. Er verlegt bibliophile Bücher in geringen Auflagen sowie Original-Graphiken. Im Jahre 1976 sandte er der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt die nachfolgend genannten und hinsichtlich Auflage und Verkaufspreis näher bezeichneten Bücher zu:

Stephane Mallarme, Nachmittag eines Faun. Mit 12 handsignierten Farbradierungen von Wolff Buchholz,
Buchgestaltung Otto Rhose
Auflage: 70 650 DM
Paul Wunderlich: Ein Skizzenbuch. Mit einer Original-Lithographie als Frontispiz, einem Text von Max Bense und Tafeln im Lichtdruck. Im Druckvermerk vom Künstler handsigniert
Auflage: 625 180 DM
Anton Tschechow, Rothschild’s Geige. Mit 3 Farbholzschnitten von Esteban Fekete
Auflage: 150 280 DM
Pär Lagerkvist, Der Fahrstuhl, der zur Hölle fuhr.
Mit 5 handsignierten Farbholzschnitten von Esteban Fekete
Auflage: 100 280 DM
Unter Hinweis auf § 9 LPrG und die Pflichtexemplar-Verordnung behielt die Bibliothek die vom Kläger übersandten vier Werke ein und erteilte ihm hierüber einen Bescheid. Sein Widerspruch hatte keinen Erfolg. Der Kläger vertrat die Auffassung, die einbehaltenen Werke seien keine Druckwerke im Sinne des Pressegesetzes. Jedenfalls verstoße eine Ablieferungspflicht ohne jede Entschädigung gegen Art. 14 GG.

2. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und § 9 LPrG zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt. Nach seiner Ansicht steht die Vorschrift mit Art. 14 GG nicht in Einklang, soweit der Hessische Kultusminister ermächtigt ist, zu bestimmen, daß von jedem im Geltungsbereich des Gesetzes erscheinenden Druckwerk ein Belegstück kostenlos an eine näher bezeichnete Bibliothek abzuliefern ist.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers seien die einbehaltenen Bände „Druckwerke“ im Sinne des Gesetzes. Hierzu zählten grundsätzlich alle Druckerzeugnisse sowie alle anderen zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und von bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift. Damit komme es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Verfassungsmäßigkeit von § 9 LPrG an. Im Falle seiner Gültigkeit sei die Klage unbegründet; im Falle seiner Verfassungswidrigkeit müßten die angefochtenen Bescheide aufgehoben werden.

b) Die sich aus § 9 LPrG i. V. m. der Pflichtexemplarverordnung ergebende Abgabepflicht berühre das von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Eigentum des Verlegers. Im Falle des Klägers würden wegen der hohen Herstellungskosten und der geringen Auflagenhöhe die zulässigen Grenzen einer Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG überschritten. Eine Eigentumsbindung liege insoweit nicht mehr vor, weil die Pflicht zur kostenlosen Abgabe je eines Exemplars der vom Kläger verlegten Werke diesen im Hinblick auf die auflagenbedingte Kalkulation wirtschaftlich unzumutbar treffe. Auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Enteignung und Eigentumsbindung liege hier eine Enteignung vor. Dem Kläger werde im Vergleich zu Verlegern mit Massenauflagen ein Sonderopfer auferlegt.

§ 9 LPrG, auf den in Verbindung mit § 1 der dazu ergangenen Verordnung sich die Enteignung stütze, habe daher jedenfalls für Verleger, die von der unentgeltlichen Abgabe unzumutbar belastet würden, gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG eine Regelung über Art und Ausmaß der Entschädigung enthalten müssen. Das Fehlen einer solchen Regelung mache § 9 LPrG verfassungswidrig.

III.

1. Der Hessische Landtag hat sich nicht geäußert. Dagegen hat das im Ausgangsverfahren beklagte Land Hessen durch den Ministerpräsidenten Stellung genommen:
Die beanstandete Vorschrift des Landespressegesetzes stehe mit der Verfassung in Einklang; sie verdeutliche eine dem Verlegereigentum aus kulturpolitischen Gründen nach Art. 14 Abs. 2 GG anhaftende Sozialpflichtigkeit. Durch die Pflicht zur Ablieferung eines Belegstücks sei der Verleger zunächst rechnerisch in Höhe der ihm entstehenden Herstellungskosten für dieses Exemplar belastet. Diese Kosten gebe er jedoch durch Einbeziehung in die Gesamtkalkulation an die Käufer weiter. Sie belasteten ihn lediglich im Rahmen seines allgemeinen Geschäftsrisikos. Durch die geringfügige Verteuerung des Ladenpreises würden die Verkaufschancen des Buches aber nicht geschmälert. Unter diesem Blickwinkel habe auch die Ablieferungspflicht bei bibliophilen Werken keine unzumutbar vermögensmindernde Beeinträchtigung der Verleger zur Folge.
2. Für die Bundesregierung hat der Bundesminister des Innern auf das Gesetz über die Deutsche Bibliothek vom 31. März 1969 (BGBl. I S. 265) verwiesen. Im Unterschied zu der angegriffenen Regelung bestehe auf Bundesebene die Möglichkeit, dem Ablieferungspflichtigen auf Verlangen eine Vergütung zu gewähren, wenn die unentgeltliche Abgabe eine unzumutbare Belastung darstelle.
3. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, er habe noch keine Gelegenheit gehabt, zu Fragen Stellung zu nehmen, die das Pflichtexemplarrecht beträfen. Die im Vorlagebeschluß erwähnte Rechtsprechung des Senats bestimme die „enteignungsrechtliche Opfergrenze“ danach, ob der Eingriff nach Dauer, Art, Intensität und Auswirkung so erheblich sei, daß dem Betroffenen eine entschädigungslose Hinnahme nicht mehr zugemutet werden könne.
4. Der VII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, er teile die Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht. Die Pflicht zur Ablieferung von Belegstücken habe keine enteignende Wirkung. Sie diene vielmehr einem anerkennenswerten kulturpolitischen Bedürfnis und stelle eine zulässige Inhaltsbestimmung des Verlegereigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.

B.
Die Vorlage ist zulässig; für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts kommt es auf die Gültigkeit von § 9 LPrG an.
1. Die im Ausgangsverfahren strittige Abgabepflicht besteht nach der zur Prüfung gestellten Norm und der Pflichtexemplarverordnung nur für Druckwerke. Das sind nach § 4 LPrG – von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen – alle Druckerzeugnisse sowie alle anderen zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und von bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift. Die Auffassung des vorlegenden Gerichts, bei den vom Kläger hergestellten Büchern handle es sich trotz deren offenbar stark künstlerischen Gehalts um Druckwerke im Sinne der wiedergegebenen Definition, ist nicht offensichtlich unhaltbar. Daher ist davon auszugehen, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Pflichtexemplarbestimmungen im Ausgangsverfahren gegeben sind.
2. die Entscheidungserheblichkeit von § 9 LPrG ist auch im übrigen zu bejahen.
Zwar handelt es sich bei der zur Prüfung vorgelegten Norm lediglich um eine Verordnungsermächtigung. Sie enthält keine die Verleger unmittelbar bindenden Rechtssätze, sondern stellt deren Erlaß in eine Entschließungs- und Gestaltungsbefugnis des Verordnungsgebers. Daraus folgt aber nicht, daß es für die Entscheidung im Ausgangsverfahren nur auf die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtexemplarverordnung ankäme, die das Verwaltungsgericht selbst zu beurteilen hätte (BVerfGE 48, 40 (44 f.) m. N.). Denn die Verordnung gebietet mit der ausnahmslos unentgeltlichen Ablieferungspflicht für ein Belegstück jedes in Hessen erscheinenden Druckwerks nur etwas, was nach dem objektiven Willen des formellen Gesetzgebers zugelassen sein soll. Der nach Ansicht des Verwaltungsgerichts mit Art. 14 GG nicht zu vereinbarende Ausschluß jeglicher Kostenerstattung betrifft daher eine verfassungsrechtliche Frage, deren Problematik primär in der Gesetzesnorm liegt. In diesem Falle ist nach Sinn und Zweck der konkreten Normenkontrolle die Ermächtigungsnorm selbst entscheidungserheblich und der verfassungsgerichtlichen Prüfung zugrunde zu legen.

C.
§ 9 LPrG steht nicht in vollem Umfang mit dem Grundgesetz in Einklang.
I.
Prüfungsmaßstab für die vorgelegte Bestimmung ist das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die nach § 9 LPrG zugelassene Anordnung der vergütungsfreien Ablieferung eines Belegstücks belastet das Eigentum an dem vom Verleger hergestellten Druckwerk. Die Vorschrift ist daher dem Schutzbereich des Art. 14 GG zuzuordnen; ihrem Inhalt nach ermächtigt sie zu einer Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.
Die Ablieferungspflicht ist zwar auf ein einzelnes Belegstück gerichtet, gleichwohl handelt es sich nicht um eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG. Die Vorschrift enthält keine Ermächtigung für die Exekutive, durch Einzelakt auf ein bestimmtes von ihr benötigtes Vermögensobjekt zuzugreifen, sondern begründet in genereller und abstrakter Weise eine Naturalleistungspflicht in der Form einer Abgabe. Sie trifft diejenigen, die – in aller Regel in Ausübung eines Berufs – als Verleger Eigentum in den Verkehr bringen und ruht auf der Gesamtheit der zu einer Auflage gehörenden und im Eigentum des Verlegers stehenden Druckstücke, die das Gesetz als Druckwerk bezeichnet. Dieses Eigentum am Druckwerk ist schon bei seiner Entstehung mit der Verpflichtung zur Ablieferung eines Exemplars belastet. Die vom Verleger vorzunehmende Auswahl und Ablieferung eines beliebigen Druckstücks der Auflage aktualisiert die allgemein und im vorhinein diesem obliegende Verpflichtung. Die Pflichtexemplarregelung ist somit eine objektivrechtliche Vorschrift, die in allgemeiner Form den Inhalt des Eigentums am Druckwerk als der Gesamtheit aller Druckstücke bestimmt.
Entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts behält diese Einordnung auch dann ihre Gültigkeit, wenn die Inhaltsbestimmung – wie noch darzulegen sein wird – wegen der Intensität der den Eigentümer treffenden Belastung für gewisse Sachverhalte nicht mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Werden bei der Festlegung von Eigentümerpflichten die sich aus der Verfassung ergebenden Grenzen überschritten, so ist die gesetzliche Regelung verfassungswidrig; sie wird dadurch nicht zu einer Enteignung (vgl. BVerfGE 52, 1 (27 f.)). Inhaltsbestimmung und Enteignung unterscheiden sich entsprechend der verschiedenartigen Funktion in den Voraussetzungen und in den Anforderungen an ihre materielle Ausgestaltung grundlegend voneinander. Ihre Einordnung und ihre Gültigkeit beurteilt sich deshalb nach den für sie jeweils maßgebenden Normen der Verfassung. Die sich aus der Pflichtexemplarregelung ergebende Verpflichtung fällt daher unabhängig vom Grad der den Verleger jeweils treffenden Belastung in den Bereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

II.

In formeller Hinsicht entspricht § 9 LPrG den Anforderungen, die sich für eine Ermächtigungsnorm aus dem Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben.
1. Der hessische Gesetzgeber hat die im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu beachtende Gesetzgebungsbefugnis (vgl. BVerfGE 34, 139 (144 ff.)) nicht überschritten. Die Regelung des Pflichtexemplarwesens unterfällt nicht dem in ausschließlicher Bundeskompetenz stehenden Urheber- und Verlagsrecht (Art. 73 Nr. 9 GG). Zwar knüpfen § 4 Abs. 1 und § 9 LPrG an den urheber- und verlagsrechtlich einschlägigen Begriff des Druckwerks an. Die Frage der Zuständigkeit des Gesetzgebers beantwortet sich jedoch nicht nach dem gewählten Anknüpfungspunkt, sondern nach dem Gegenstand des Gesetzes. Hiernach berührt die zur Prüfung vorgelegte Norm nicht den Kompetenzbereich des Urheber- und Verlagsrechts. Nach § 9 LPrG kann die Pflichtabgabe nur für ein „erscheinendes“ Druckwerk angeordnet werden; das Recht des Urhebers, zu bestimmen, ob und wie sein Werk veröffentlicht wird (§ 12 UrhG), bleibt demnach unangetastet. Die Pflichtabgabe greift auch nicht in die vom Verlagsrecht (§ 1 VerlG) geordneten Rechtsbeziehungen zwischen Verleger und Verfasser ein, denn sie begründet eine davon unabhängige öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Verlegers. Im übrigen läßt auch das unter Berufung auf Art. 74 Nr. 13 GG ergangene Gesetz über die Deutsche Bibliothek die landesrechtlichen Regelungen über die Ablieferung von Pflichtstücken ausdrücklich unberührt (§ 25). Das Pflichtexemplarrecht unterliegt daher der Länderkompetenz nach Art. 70 GG.
2. Der Gesetzgeber hat sich mit § 9 LPrG in nicht zu beanstandender Weise auf den Erlaß einer Verordnungsermächtigung beschränkt.
a) Zwar werden nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des Eigentums „durch die Gesetze“ bestimmt. Daraus leitet sich indes keine generelle Pflicht des Gesetzgebers ab, den Inhalt der Rechtsstellung des Eigentümers bis ins letzte selbst zu regeln. Im Blick auf die elementare freiheitssichernde Bedeutung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 24, 367 (389); 50, 290 (339)) ist er allerdings gehalten, die Voraussetzungen, unter denen der Gebrauch des Eigentums beschränkt werden darf, durch eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Ermächtigung selbst festzulegen.
b) § 9 LPrG genügt den hiernach an eine gesetzliche Ermächtigung zu stellenden Anforderungen:
Der Inhalt der erteilten Ermächtigung ergibt sich unmittelbar aus der Ermächtigungsnorm selbst. Zu regeln ist die Ablieferung von Belegstücken in Hessen erscheinender Druckwerke an bestimmte Bibliotheken. Die Regelung kann vom Kultusminister im Rahmen der ihm eingeräumten Befugnis getroffen werden.
Der Zweck der Ermächtigung besteht darin, das gesamte innerhalb des Landes erscheinende Schrifttum vollständig zu sammeln, der Öffentlichkeit bereitzuhalten und der Nachwelt zu überliefern. Dies folgt aus dem Ermächtigungsinhalt in Verbindung mit der historischen Entwicklung des Pflichtexemplarrechts. Maßgebendes Regelungsmotiv darf hiernach allein das kulturpolitische Interesse sein, einen möglichst geschlossenen Überblick über das geistige Schaffen im Lande Hessen zu bieten und dieses allen Interessierten zugänglich zu machen.
An ausreichenden Richtlinien hinsichtlich des Ausmaßes und der Grenzen der vom Verordnungsgeber zu treffenden Regelung fehlt es ebenfalls nicht. Aus der Ermächtigungsnorm geht hervor, daß eine Ablieferungspflicht nur für in Hessen erscheinendes Schrifttum und hier wiederum nur für ein Belegstück eines jeden Druckwerks zugunsten einer vom Verordnungsgeber zu bestimmenden Bibliothek angeordnet werden darf.
Hinreichend bestimmt ist die Ermächtigung auch in bezug auf die Frage der Vergütung. § 9 LPrG besagt, daß der Minister die Ablieferung des Pflichtexemplars unter völligem Ausschluß einer Kostenerstattung anordnen kann.

III

In materiell-rechtlicher Hinsicht steht § 9 LPrG mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG insoweit nicht in Einklang, als der Kultusminister ermächtigt ist, die Pflicht zur Ablieferung eines Belegstücks ausnahmslos ohne Kostenerstattung anzuordnen.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen, daß der Gesetzgeber bei Regelungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sowohl der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als auch dem Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG in gleicher Weise Rechnung tragen muß. Er hat dabei die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Das Maß und der Umfang der dem Eigentümer von der Verfassung zugemuteten und vom Gesetzgeber zu realisierenden Bindung hängt hiernach wesentlich davon ab, ob und in welchem Ausmaß das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht (z.B. BVerfGE 37, 132 (140 f.); 42, 263 (294); 50, 290 (340 f.); 52, 1 (32)).
Dem entspricht es, wenn Eigentumsbindungen stets verhältnismäßig sein müssen. Sie dürfen, gemessen am sozialen Bezug und an der sozialen Bedeutung des Eigentumsobjekts sowie im Blick auf den Regelungszweck insbesondere nicht zu einer übermäßigen Belastung führen und den Eigentümer im vermögensrechtlichen Bereich unzumutbar treffen (vgl. BVerfGE 21, 150 (155); 50, 290 (340 f., 351); 52, 1 (29 f., 32); 53, 257 (292)). Darüber hinaus ist der Gleichheitssatz als allgemeines rechtsstaatliches Prinzip zu beachten (z. B. BVerfGE 52, 1 (29 f.) m. N.).
Diese vom Gesetzgeber bei der Bestimmung des Eigentumsinhalts zu wahrenden Grenzen gelten auch, wenn das formelle Gesetz zum Erlaß inhaltsbestimmender Normen ermächtigt. Der Gesetzgeber kann durch Verordnungsermächtigung keine Regelungsbefugnis einräumen, an deren Wahrnehmung er selbst im Blick auf die Eigentumsgewährleistung gehindert wäre.
2. Nach den dargelegten Maßstäben ist die Pflicht zur unentgeltlichen Ablieferung eines Belegstücks eine zulässige Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit die daraus im Einzelfall resultierende Vermögensbelastung des Verlegers nicht wesentlich ins Gewicht fällt. In diesem Rahmen begegnet auch die Ermächtigung zum Erlaß einer solchen Regelung keinen Bedenken.
Vom Zeitpunkt seiner Publikation an entwickelt jedes Druckwerk ein Eigenleben. Es bleibt nicht nur vermögenswertes Ergebnis verlegerischer Bemühungen, sondern wirkt in das Gesellschaftsleben hinein. Damit wird es zu einem eigenständigen, das kulturelle und geistige Geschehen seiner Zeit mitbestimmenden Faktor (zur Parallele im Urheberrecht vgl. BVerfGE 31, 229 (242) – Schulbuchentscheidung). Es ist, losgelöst von privatrechtlicher Verfügbarkeit, geistiges und kulturelles Allgemeingut.
Im Blick auf diese soziale Bedeutung stellt es ein legitimes Anliegen dar, die literarischen Erzeugnisse dem wissenschaftlich und kulturell Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen und künftigen Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen früherer Epochen zu vermitteln. Diesem kulturpolitischen Bedürfnis kann durch eine Ablieferungspflicht zugunsten öffentlicher Bibliotheken sinnvoll Rechnung getragen werden. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung kann nicht außer acht bleiben, daß die Allgemeinheit mit der Errichtung und Unterhaltung der Staatsbibliotheken einen bedeutenden Beitrag zur Erreichung des mit dem Pflichtexemplarrecht verfolgten kulturpolitischen Zieles leistet. Sie trägt damit ihrerseits der sozialen Bedeutung und Funktion von Druckwerken angemessen Rechnung. Unter diesen Umständen stellt die unentgeltliche Abgabe eines Belegexemplars je Druckwerk eine zumutbare, den Verleger nicht übermäßig und einseitig treffende Belastung dar, wenn der damit verbundene wirtschaftliche Nachteil nicht wesentlich ins Gewicht fällt. Davon kann bei der Mehrzahl der periodischen und nicht periodischen Literatur ausgegangen werden, wenn sie in größerer Auflage hergestellt wird.
3. Der Mangel der getroffenen Regelung liegt jedoch darin, daß die allgemeine Ablieferungspflicht bei unterschiedslosem Ausschluß einer Kostenerstattung auch diejenigen Druckwerke erfaßt, die mit großem Aufwand und zugleich nur in kleiner Auflage hergestellt werden.
Es liegt auf der Hand, daß die Pflicht zur unentgeltlichen Abgabe von Belegstücken solcher Druckwerke im Gegensatz zu den Billig- und Massenproduktionen eine ins Gewicht fallende Belastung darstellt. Art. 14 Abs. 2 GG vermag nicht zu rechtfertigen, daß der Verleger eine solche Belastung im Interesse der Allgemeinheit tragen muß.
Die besondere soziale Bedeutung, die künstlerisch, wissenschaftlich oder literarisch herausragend wertvollen und daher in der Herstellung regelmäßig sehr teuren Druckwerken im Blick auf Art. 14 Abs. 2 GG zukommt, kann nicht losgelöst von deren Entstehung gesehen werden. Druckwerke dieser Art haben, was bereits in der niedrigen Auflage seinen Ausdruck findet, häufig nur einen kleinen Abnehmerkreis. Die Zahl potentieller Käufer ist gering und der Absatz in aller Regel durchaus nicht gesichert. Der Verleger geht mit der Herstellung eines solchen Werkes im Vergleich zu den normalen verlegerischen Aktivitäten ein wesentlich erhöhtes wirtschaftliches Risiko ein. Erst durch seine private Initiative und Risikobereitschaft wird es möglich, künstlerisch, wissenschaftlich und literarisch exklusives Schaffen – wenn auch zu hohem Preis – der Öffentlichkeit zu erschließen. Dem Verleger zusätzlich noch die erheblich überdurchschnittlichen Herstellungskosten für ein Pflichtexemplar aufzubürden, widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot, die Belange des betroffenen Eigentümers mit denen der Allgemeinheit in einen gerechten Ausgleich zu bringen und einseitige Belastungen zu vermeiden.
Die Abwägung zwischen der Intensität der Belastung und dem Gewicht der zu ihrer Rechtfertigung anzuführenden Gründe ergibt daher, daß bei wertvollen Druckwerken mit niedriger Auflage eine kostenlose Pflichtablieferung die Grenzen verhältnismäßiger und noch zumutbarer inhaltlicher Festlegung des Verlegereigentums überschreitet.
Darüber hinaus widerspricht die beanstandete Regelung dem im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu beachtenden Gleichheitssatz (BVerfGE 52, 1 (29 f.) m. N.). Eine allgemeine Ablieferungspflicht mit generellem Vergütungsausschluß führt, wie dargelegt, in ihrer praktischen Auswirkung innerhalb des Kreises der Verleger zu Belastungen von erheblich unterschiedlicher Intensität. Auch im Bereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sind solche ungleichen Auswirkungen einer an sich gleichmäßigen Regelung zu berücksichtigen. Der Gleichheitssatz gebietet in diesem Fall, die Elemente der inhaltsbestimmenden Regelung so zu ordnen, daß einer unterschiedlichen Inanspruchnahme der Eigentümer und damit dem unterschiedlichen Gewicht ihrer Belange gegenüber den Belangen der Allgemeinheit hinreichend differenziert Rechnung getragen wird und einseitige Belastungen vermieden werden.
§ 9 LPrG ermächtigt demgegenüber zum Erlaß einer Pflichtexemplarregelung, der es im Blick auf die von ihr erfaßten, in eigentumsrechtlicher Hinsicht sehr verschiedenartigen Sachverhalte an der gebotenen differenzierten Ausgestaltung mangelt.
4. Im Blick auf die grundrechtliche Sicherung des Eigentums greift der Einwand nicht durch, die Verleger könnten auch in den hier in Rede stehenden Fällen die aus der Pflichtablieferung entstehenden Unkosten auf die Käufer abwälzen oder sie mit Einkünften des sonstigen Verlagsprogramms ausgleichen. Bei teuren Druckwerken mit geringer Auflage kann das schon in tatsächlicher Richtung zweifelhaft sein.
Davon abgesehen kann es bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Regelungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht allein darauf ankommen, ob der Eigentümer sich für ihm auferlegte Bindungen an anderer Stelle oder auf andere Weise schadlos halten kann. Die Eigentumsgewährleistung soll dem Rechtsträger eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Wirkungsbereichs ermöglichen (z. B. BVerfGE 24, 367 (389, 396); 50, 290 (339)). Diese verfassungsrechtliche Funktion würde in der Regel verfehlt, wenn der Staat Eigentümerpflichten begründen und das Ausmaß der Beschränkung mit einer mehr oder weniger spekulativen wirtschaftlichen Betrachtung legitimieren könnte. Eigentumsbeschränkungen und Eigentumsbelastungen finden ihre verfassungsrechtliche Legitimation in Art. 14 Abs. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang mehrfach darauf hingewiesen, daß die soziale Funktion und soziale Bedeutung des Eigentums Begrenzungen der Rechtsstellung des Eigentümers rechtfertigen. Hieraus ergeben sich aber zugleich die Schranken der zumutbaren und vom Gesetzgeber zu realisierenden Bindungen (z. B. BVerfGE 52, 1 (32)). Der Hinweis auf eine mögliche Schadloshaltung des Eigentümers würde in den Fällen der vorliegenden Art diese sich aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsordnung ergebenden Grenzen überschreiten und wäre mit der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar.

IV.
Die dargelegten verfassungsrechtlichen Erwägungen können nicht dazu führen, die vom vorlegenden Gericht beanstandete Vorschrift ganz oder teilweise für nichtig zu erklären. § 9 LPrG umfaßt den weiten Bereich der Fälle, in denen eine Ablieferungspflicht mit Vergütungsausschluß nur geringfügige Belastungen für die Verleger mit sich bringt und daher keinen Bedenken unterliegt. Soweit mit der Ermächtigung die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen überschritten sind, hat der Landesgesetzgeber – wie sich aus den eingangs dargelegten Regelungen ergibt – eine Reihe von Möglichkeiten, das Pflichtexemplarrecht entweder insgesamt neu zu ordnen oder es in bezug auf die Härtefälle der dort bestehenden Interessenlage unter Beachtung der Eigentumsgarantie anzupassen. Das Bundesverfassungsgericht muß sich daher auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von § 9 LPrG in dem im Tenor bezeichneten Umfang beschränken.

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