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Gericht: Verwaltungsgericht München

Entscheidungsdatum: 22.09.2011

Aktenzeichen: M 15 K 10.4699

Entscheidungsart: Urteil

Eigenes Abstract: Im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes für Schwerbehinderte hatte der Kläger, eine Rechtsanwaltskanzlei, beim Integrationsamt einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung seines schwerbehinderten Empfangschef und Bibliotheksleiter eingereicht. Der beigeladene Angestellte, der sich aufgrund seiner Behinderung gemobbt fühlt, käme seinen Verpflichtungen nicht nach und das Vertrauensverhältnis sei dauerhaft zerstört.


Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 20. September 2010 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 16. Juli 2010 auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des schwerbehinderten Beigeladenen zu Recht abgelehnt hat.

Der am … 1948 geborene Beigeladene arbeitet seit 1. März 2004 als Empfangschef und Bibliotheksleiter bei der Klägerin, einer Rechtsanwaltskanzlei mit Sitz in München. Der Beigeladene ist laut Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Versorgungsamt – vom 2. Juni 2008 aufgrund einer Harnblasenerkrankung (in Heilungsbewährung) schwerbehindert mit einem GdB von 50.

Mit Schreiben vom 16. Juli 2010 hat die Klägerin beim Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitverhältnisses des Beigeladenen aus personenbedingten Gründen beantragt und hierzu im Wesentlichen vorgetragen:

Der Beigeladene könne seine Tätigkeit als Empfangschef und Bibliotheksleiter krankheitsbedingt seit ca. eineinhalb Jahren nicht mehr erfüllen. Im Jahr 2009 sei bei ihm eine Krebserkrankung diagnostiziert worden; daraufhin sei er über 5 Monate (93 Arbeitstage) krank gewesen. Insbesondere dadurch, dass er die umfangreiche Bibliothek über einen längeren Zeitraum nicht gepflegt habe, sei es zu Störungen im Betriebsablauf der Klägerin gekommen. Der Versuch einer Wiedereingliederung im Jahr 2009 sei missglückt, der Beigeladene sei auch nach vermeintlicher Rekonvaleszenz nicht mehr im erforderlichen Umfang leistungsfähig gewesen. Eine Behandlung mit Tuberkuloseviren habe nicht nur zu einem bedauerlichen körperlichen Verfall des Beigeladenen geführt, sondern auch zu einer TBC-Erkrankung, die ihn abermals stark geschwächt habe. Im Jahr 2010 sei ein erneuter Krebsbefall der Blase diagnostiziert worden, so dass er beim Umzug der Kanzlei im Juni und Juli 2010 nicht eingesetzt habe werden können, obwohl er die „Schlüsselfigur“ für den Umzug der Bibliothek gewesen sei. Da die Krankheit noch andauere, sei mit weiteren erheblichen Ausfällen des Beigeladenen zu rechnen. Der Beigeladene könne auch nicht anderweitig beschäftigt werden, da er gebürtiger Amerikaner sei und schriftliche Übersetzungen von Englisch in Deutsch oder umgekehrt nicht fehlerfrei erbringen könne.

Der Beigeladene ließ hierauf durch seine Bevollmächtigten erwidern: Der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung sei abzulehnen. Seine krankheitsbedingte Ausfallzeit liege in dem für Karzinomerkrankungen üblichen Rahmen. Sie habe im Jahr 2009 nicht 93, sondern nur 82 Tage betragen, wovon die meisten auf die missglückte Therapie mit den Tuberkuloseviren zurückzuführen seien. Die therapiebedingte TBC-Erkrankung sei gänzlich abgeheilt. Er könne seiner Tätigkeit als Empfangskraft und Bibliotheksleiter vollumfänglich nachkommen. Es sei auch unrichtig, dass er beim Umzug eine „Schlüsselfunktion“ gehabt habe, welcher er nicht gerecht geworden sei. Der Umzug habe nur vier Tage gedauert und sei durch das Office-Management organisiert worden, die auf ihn entfallenen Aufgaben habe er ordnungsgemäß erledigt. Die medizinische Zukunftsprognose sei positiv. Die Wiedereingliederung in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis 31. Juli 2009 sei erfolgreich verlaufen. Im Rahmen einer Teilzeittätigkeit habe sein Leistungsvermögen aufgebaut und gesteigert werden können, so dass er ab dem 1. August 2009 wieder voll arbeitsfähig gewesen sei. Im Jahr 2010 sei es aufgrund der erneuten Krebserkrankung lediglich zu einem Arbeitsausfall von wenigen Tagen gekommen. Er als gebürtiger Amerikaner sei von der Klägerin trotz seines Alters eingestellt worden, um Übersetzungen vom Deutschen ins Englische zu fertigen. Die Klägerin sei mit seinen Übersetzungen stets zufrieden gewesen. Deshalb dränge sich die Vermutung auf, dass ihm nur wegen seiner Behinderung gekündigt werden solle, zumal sich auch die vorgebrachten Kündigungsgründe sämtlich auf die Schwerbehinderung bzw. deren Ursachen beziehen würden.

Das Integrationsamt holte zur Frage der Arbeitsfähigkeit des Beigeladenen in der Folge Stellungnahmen der behandelnden Ärzte ein (Dr. med. T. Sch. (Urologe) vom 11. August 2010 Bl. 63 ff. d.A.; Dr. med. F. Sch. (Pneumologe) vom 13. sowie 31. August 2010 Bl. 70 ff./157 ff. d.A.; Dr. med. S. (Hausarzt) vom 2. September 2010 Bl. 50 ff. d.A.), auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Mit Schreiben vom 17. August 2010 hat die Klägerin ihren Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitverhältnisses des Beigeladenen zusätzlich auf verhaltensbedingte Gründe gestützt und im Lauf des Verwaltungsverfahrens hierzu im Wesentlichen vorgetragen:

Der Beigeladene habe die Klägerin insbesondere nicht rechtzeitig über seine meldepflichtige TBC-Erkrankung informiert und damit die übrigen Mitarbeiter der Kanzlei in Gefahr gebracht. Darin liege eine schwerwiegende Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten. Darüber hinaus habe der Beigeladene die ihm übertragenen Aufgaben seit Beginn des Arbeitsverhältnisses nicht ordnungsgemäß ausgeführt. So habe er im Jahr 2004 eine Tischlampe beschädigt, unbefugt ein Empfangbekenntnis unterzeichnet und sei wiederholt zu spät gekommen bzw. habe die Kanzlei ohne Abmeldung verlassen. In der Folgezeit habe es mehrfach Beanstandungen wegen der Führung der Bibliothek, der Inkaufnahme einer Beschädigung der antiken Möbel, des Offenstehenlassens von Toilettentüren, der Reinigung des Kanzleigrundstücks und der Terrasse sowie der Pflege der Dienstwagen gegeben, die der Beigeladene nicht ordentlich gewartet habe. Wegen all dieser Vorfälle sei der Beigeladene mehrfach abgemahnt worden. 2006 sei er von der damaligen Office-Managerin zur Rede gestellt worden. Am 6. Juni 2010 sei er zuletzt abgemahnt worden, weil er es seit Mai/Juni 2009 versäumt habe, Ergänzungslieferungen für Loseblattsammlungen einzuordnen. Während des Umzugs der Kanzlei, der entgegen den Angaben des Beigeladenen vom 29. Juni bis 15. Juli 2010 gedauert habe, habe der Beigeladene lediglich vom 30. Juni bis 2. Juli 2010 zur Verfügung gestanden und sich am Umzug nicht beteiligt. Deshalb hätten andere Mitarbeiter die Bibliothek bis spät in die Nacht selbst einräumen müssen. Da er die Zeitschriften nicht umbestellt habe, hätten diese 14 Tage lang den Mitarbeitern der Kanzlei nicht zur Verfügung gestanden. Das Verhalten des Beigeladenen habe zu einer massiven Störung des Betriebsfriedens geführt.

Als besonders provokativ sei empfunden worden, dass der Beigeladene während des Umzugs zwei Urlaubsanträge gestellt habe. Nachdem diese abgelehnt worden seien, habe er sich vom 9. bis 31. August 2010 krankschreiben lassen, das Attest entgegen seinen arbeitsvertraglichen Pflichten aber nicht am ersten, sondern erst am vierten Krankheitstag vorgelegt. Nach dem Umzug der Kanzlei habe der Beigeladene auch die Firmenwagen nicht umgemeldet und keinen Ersatz für einen fehlenden KFZ-Schein beschafft. Nach alledem sei das Vertrauensverhältnis zum Beigeladenen endgültig zerstört und liege ein Kündigungsgrund vor. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB stehe einer Kündigung nicht entgegen, weil diese auf einen Dauertatbestand gestützt werde. Es handle sich auch nicht um bloße Bagatellen, schon die Anzahl der Vorfälle rechtfertige vielmehr die Kündigung. Es treffe auch nicht zu, dass dem Beigeladenen nur wegen seiner Schwerbehinderung gekündigt werden solle. Die Pflichtverstöße des Beigeladenen seien nicht allein auf die Behinderung zurückzuführen, da diese 2008 wegen einer Blasenschwäche festgestellt worden sei, die Krebserkrankung dagegen erst 2009. Aufgrund seiner TBC-Erkrankung seien die Beeinträchtigungen des Beigeladenen nachweislich nicht ausschließlich auf seine Schwerbehinderung zurückzuführen. Der Beigeladene schiebe seine Behinderung vielmehr nur vor, um seine mangelhaften Leistungen zu verschleiern. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die TBC-Erkrankung ausgeheilt sei und es zu keinem weiteren krankheitsbedingtem Ausfall in gleichem Maß mehr kommen werde. Zu der Frage, ob die Mitarbeiter der Kanzlei einer Gesundheitsgefahr ausgesetzt gewesen seien, werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt; die Auskunft von Dr. Sch. genüge insoweit nicht. Im Übrigen trete aufgrund des völlig unangemessenen und beleidigenden Tons der Bevollmächtigten des Beigeladenen im Schreiben vom 30. August 2010 ein weiterer Grund hinzu, der das Vertrauensverhältnis mit dem Beigeladenen belaste und eine Kündigung rechtfertige.

Der Beigeladene ließ hierauf durch seine Bevollmächtigten erwidern: Es werde bestritten, dass aufgrund der TBC-Erkrankung des Beigeladenen eine Gefährdung der übrigen Mitarbeiter der Kanzlei bestanden habe. Das Gesundheitsamt sei davon informiert gewesen und habe keine Ansteckungsgefahr gesehen. Eine verhaltensbedingte Kündigung müsse nach § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen ab Kenntniserlangung vom kündigungsrelevanten Sachverhalt erfolgen, so dass etwaige Verstöße des Beigeladenen gegen arbeitsvertragliche Pflichten in der Vergangenheit verbraucht seien, zumal sie auch abgemahnt worden seien. Die dem Beigeladenen vorgeworfenen Pflichtverstöße seien von geringem Gewicht. Von den insgesamt 82 Krankheitstagen 2009 seien die meisten auf die missglückte Therapie mit Tuberkuloseviren zurückzuführen. Mit einem erneuten krankheitsbedingten Ausfall sei daher nicht zu rechnen. Der Beigeladene habe beim Umzug auch mitgeholfen und nicht während des Umzugs Urlaub beantragt. Die Vorwürfe hinsichtlich der Firmenwagen seien unzutreffend. Seine Schwerbehinderung sei nicht nur aufgrund einer Blasenschwäche, sondern aufgrund einer Krebserkrankung festgestellt worden. Der Beigeladene missbrauche seine Schwerbehinderung nicht, sondern werde „gemobbt“.

Mit Bescheid vom 20. September 2010 hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen abgelehnt. Die Abwägung falle zugunsten des Beigeladenen aus. Es liege ein Zusammenhang zwischen der anerkannten Behinderung des Beigeladenen und dem von der Klägerin vorgetragenen personenbedingten Kündigungsgrund vor, weil die Kündigung aus gesundheitlichen Gründen erfolgen solle. Auch trotz der erheblichen Fehlzeiten des Beigeladenen in der Vergangenheit sei es der Klägerin zuzumuten, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, da nicht von einer negativen Zukunftsprognose ausgegangen werden könne, nachdem die eingeholten medizinischen Gutachten von einer Besserung des Gesundheitszustandes des Beigeladenen ausgehen würden.

Für eine verhaltensbedingte Kündigung bestehe kein Anlass. Hinsichtlich der TBC-Erkrankung des Beigeladenen habe nach der ärztlichen Stellungnahme Dr. F. Sch. vom 31. August 2010 zu keiner Zeit eine Gefährdung für Personen in seinem Umfeld bestanden. Nach Auskunft des Gesundheitsamtes München habe es sich um eine nichtmeldepflichtige Form der Krankheit gehandelt. Auch bezüglich der krankheitsbedingten Abwesenheit ab 9. August 2010 habe der Beigeladene nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, denn er sei seiner Pflicht, die Krankmeldung unverzüglich anzuzeigen, durch den Anruf seiner Ehefrau am selben Tag nachgekommen. Auch die jeweils abgemahnten Pflichtverstöße seit Beginn des Arbeitsverhältnisses rechtfertigten keine Kündigung, denn mit der Abmahnung verzichte der Arbeitgeber insoweit auf sein Kündigungsrecht, so dass er bei einer Kündigung nur dann unterstützend auf die abgemahnten Sachverhalte zurückgreifen könne, wenn weitere kündigungsrelevante Umstände einträten oder bekannt würden. Weiter sei die Klägerin ihrer Pflicht zur Prävention nach § 84 I SGB IX nicht nachgekommen.

Am 27. September 2010 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben und ergänzend vorgetragen: Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil er unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergangen sei. Vor Erlass des Bescheids seien der Klägerin weder das Schreiben der Bevollmächtigten des Beigeladenen vom 17. September 2010 noch die eingeholten ärztlichen Stellungnahmen übersandt worden. Weiter sei der angefochtene Bescheid ermessensfehlerhaft. Wegen der zahlreichen Pflichtverletzungen des Beigeladenen, die einen zur Kündigung berechtigenden Dauertatbestand darstellten, sei das Ermessen des Beklagten vorliegend auf Null reduziert gewesen, so dass die Zustimmung zur Kündigung hätte erteilt werden müssen, zumal der Beigeladene in jüngster Zeit weitere Pflichtverletzungen begangen und u. a. den rechtzeitigen Eingang diverser Zeitschriften nicht überprüft und mit seinem Kanzleistuhl eine Wand im Empfangsbereich der Kanzlei verunreinigt habe.

Das Integrationsamt verkenne, dass die mangelnde Leistungsfähigkeit des Beigeladenen nicht auf seiner Schwerbehinderung beruhe, denn die hierfür ursächliche Krebserkrankung stehe nicht in Zusammenhang mit seiner Behinderung. Es habe auch nicht berücksichtigt, dass der Beigeladene aufgrund verschiedener notwendiger medizinischer Maßnahmen auch in Zukunft in erheblichem Umfang krankheitsbedingt ausfallen werde. So weise er bis zum 6. September 2010 bereits 57 Krankheitstage auf und habe am 14. bzw. 17. September 2010 mitgeteilt, dass er sich wegen seiner Krebserkrankung am 11. Oktober 2010 für voraussichtlich drei Tage zu einer operativen Behandlung ins Krankenhaus begeben müsse und ab dem 13. Oktober 2010 wöchentlich am Mittwoch für die Dauer von sechs Wochen nicht zur Arbeit erscheinen könne. In der Zeit vom 11. bis zum 29. Oktober 2010 sei er erneut krank gewesen, vom 18. bis 23. November 2010 und vom 20. Dezember 2010 bis 07. Januar 2011 habe er zudem Urlaub. Demnach sei die vom Integrationsamt getroffene positive Gesundheitsprognose unzutreffend. Zu der Frage, ob der Beigeladene gesundheitlich in der Lage sei, seiner Tätigkeit als Empfangschef und Bibliothekar nachzukommen, sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlasst.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen entsprechend dem Antrag der Klägerin vom 16. Juli 2010 zu erteilen,

hilfsweise den Bescheid des Beklagten vom 20. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 16. Juli 2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein Zusammenhang zwischen den Fehlzeiten und der anerkannten Behinderung des Beigeladenen sei rechtsfehlerfrei angenommen worden. Trotz der hohen Fehlzeiten sei das Integrationsamt aufgrund der eingeholten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte zu Recht von einer positiven Gesundheitsprognose ausgegangen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei ermessensfehlerfrei unterblieben, weil die eingeholten ärztlichen Stellungnahmen im Ergebnis einheitlich und in sich stimmig und schlüssig gewesen seien. Auch ein Anhörungsmangel liege insoweit nicht vor. Ärztliche Atteste würden aus Datenschutzgründen grundsätzlich nicht an den Arbeitgeber herausgegeben. Zudem habe die Einholung der Stellungnahmen nur der Ermittlung des Gesundheitszustandes des Beigeladenen gedient, zu dem sich die Klägerin im Antrag geäußert habe. Die Klägerin habe vor Erlass des Bescheids auch eingehend zur Gesundheitsprognose Stellung genommen und eine positive Gesundheitsprognose lediglich pauschal mit Nichtwissen bestritten. Ein Gehörsverstoß sei jedenfalls im Gerichtsverfahren geheilt worden. Insoweit habe die Klägerin auch hier die ärztlichen Stellungnahmen nicht substantiiert angegriffen, sondern lediglich anders bewertet. Laut der Stellungnahme des behandelnden Arztes habe aufgrund der TBC-Erkrankung des Beigeladenen zu keiner Zeit eine Gefahr für Dritte bestanden. Die von der Klägerin geltend gemachten Pflichtverletzungen stellten schon keinen Dauertatbestand dar und seien offensichtlich nicht geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen, weil sie ausnahmslos bereits abgemahnt worden seien. Auch die Erschütterung des Vertrauensverhältnisses stelle keinen eigenen Kündigungsgrund dar.

Der Beigeladene hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur im Hilfsantrag begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 20. September 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO), weil der Beklagte seine Entscheidung maßgeblich auf die von ihm eingeholten ärztlichen Stellungnahmen gestützt hat, ohne der Klägerin vorher Gelegenheit zur Äußerung hierzu zu geben. Weil die Sache aber nicht spruchreif ist, ist der Beklagte gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids zu verpflichten, erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag der Klägerin auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen zu entscheiden.

Rechtsgrundlage für die begehrte Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Beigeladenen sind §§ 85 ff. SGB XI. Die Zustimmungsentscheidung gem. § 85 SGB IX ist eine Ermessensentscheidung (dazu ausführlich Kuhlmann, Behindertenrecht 2006, 93 ff. m.w.N.), mit der das Integrationsamt die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe mit den Schutzinteressen des behinderten Arbeitnehmers abwägt und die gem. § 114 Satz 1 VwGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung dahingehend unterliegt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Ermessensentscheidung ist an Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes für Schwerbehinderte auszurichten. Danach ist das Interesse der schwerbehinderten Arbeitnehmer, ihren Arbeitsplatz zu behalten, mit dem Interesse des Arbeitgebers, Personalkosten zu sparen, abzuwägen (BVerwGE 99, 336).

Es ist dem Fürsorgegedanken des Gesetzes Rechnung zu tragen, das die Nachteile schwerbehinderter Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen will und dafür in Kauf nimmt, dass die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers eingeengt wird. Besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit beim Arbeitgeber sind im Rahmen der Abwägung der gegensätzlichen Interessen dann zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründen beruht, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. Entsprechend ist der Schutz umso geringer, je weniger ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung feststellbar ist. Andererseits ist auch die unternehmerische Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers mit dem ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage kommt es auch bei einer Verpflichtungsklage – wie hier – maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (BVerwG v. 10.11.2008 – 5 B 78.08).

Sinn und Zweck des Zustimmungsverfahrens ist es nicht, eine zusätzliche, zweite Kontrolle der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der Kündigung zu schaffen. Die §§ 85 ff. SGB IX sollen nach ihrer Regelungskonzeption erkennbar keinen umfassenden Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer vor einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bieten (BVerwG vom 11.5.2006 Behindertenrecht 2007, 107 und vom 11.9.1990 Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 4). Das Integrationsamt hat im Zustimmungsverfahren deshalb grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Schwerbehinderten etwa sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ist (vgl. BVerwGE 90, 287/294) oder ob andere arbeitsrechtliche Schranken, wie sie etwa außerhalb der Anwendbarkeit des KSchG gelten, eingehalten sind. Denn diese Prüfung ist allein von den Arbeitsgerichten vorzunehmen. Ebenso obliegt es den Arbeitsgerichten, zu entscheiden, ob der geltend gemachte Kündigungsgrund eine Kündigung rechtfertigt.

Andererseits soll aber das Integrationsamt an einer offensichtlich unwirksamen Kündigung in dem Sinne, dass „die Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt und sich dem Kundigen geradezu aufdrängt“, nicht mitwirken. Der Sonderkündigungsschutz soll vor allem die Nachteile der Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen (BVerwGE 29, 140). Dessen Zweck geht dahin, den Schwerbehinderten vor den Gefahren, denen er wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, zu bewahren und sicherzustellen, dass er gegenüber den gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät (BVerwGE 23, 123).

Gemessen an diesen Grundsätzen ergibt sich hier folgendes:

1. Der Beklagte hat zu Recht über den Antrag der Klägerin auf Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen sowohl im Hinblick auf personenbedingte (krankheitsbedingte) als auch auf verhaltensbedingte Gründe entschieden. Die Klägerin hat nämlich zulässigerweise ihre im Antrag vom 16. Juli 2010 geltend gemachten personenbedingten (krankheitsbedingten) Kündigungsgründe mit Schreiben vom 17. August 2010 auf verhaltensbedingte Gründe erweitert (vgl. BayVGH v. 28.9.2010 12 B 10.1088). Für die Entscheidung des Beklagten kommt es maßgeblich auf den der Kündigung zugrundeliegenden historischen Sachverhalt im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (BVerwG v. 10.11.2008 – 5 B 78.08 – m.w.N.). Zu diesem Zeitpunkt musste der Beklagte für seine Entscheidungsfindung all diejenigen Umstände berücksichtigen, die von den Beteiligten an ihn herangetragen worden sind oder sich ihm hätten aufdrängen müssen. Tatsachen und Umstände, die erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, gehören dagegen nicht zu dem vom Beklagen zugrunde zu legenden Sachverhalt und sind daher auch vom Gericht nicht zu prüfen.

2. Soweit der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen wegen personenbedingter (krankheitsbedingter) Gründe abgelehnt hat, war dies rechtswidrig. Der Beklagte hat nämlich seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass nach den von ihm eingeholten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte des Beigeladenen von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen sei, ohne der Klägerin vorher Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu zu geben, und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör i.S.d. § 24 SGB X verletzt, ohne dass die unterbliebene Anhörung gem. § 41 Abs. Nr. 3 SGB X nachgeholt werden konnte bzw. ohne dass dies gem. § 42 SGB X unbeachtlich wäre.

Gemäß § 24 Abs. 1 SGB X ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu äußern. Diese Bestimmung findet auch auf Fälle Anwendung, in denen es um die Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten geht (vgl. BayVGH v. 20.3.2003 Az. 12 B 99.1880). Insbesondere bei Ermessensentscheidungen, bei denen es – wie hier – für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheids auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt, können die Beteiligten ihre Rechte nämlich nur dann wirksam wahrnehmen, wenn sie die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen kennen und sich dazu äußern können.

Der Beklagte konnte vorliegend gem. § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X nicht schon deshalb von einer Anhörung absehen, weil die Einholung der ärztlichen Stellungnahmen nur der Ermittlung des Gesundheitszustandes des Beigeladenen diente, zu dem sich die Klägerin bereits im Antrag geäußert hat, bzw. weil die Klägerin vor Erlass des Bescheids zur Gesundheitsprognose Stellung genommen und eine Heilung und Arbeitsfähigkeit des Beigeladenen pauschal mit Nichtwissen bestritten hat.

Denn die vom Integrationsamt aufgrund der Schweigepflichtentbindung durch den Beigeladenen eingeholten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte vom 11. August 2010, 13./31. August 2010 und 2. September 2010 beinhalteten neben der Mitteilung des aktuellen Gesundheitszustandes des Beigeladenen auch eine medizinische Einschätzung zur Gesundheitsprognose und zur Arbeitsfähigkeit des Beigeladenen, auf die der Beklagte maßgeblich seine Ermessensentscheidung gestützt hat, ohne dass sich die Klägerin vor Erlass des Bescheids dazu äußern und ggf. die Einholung eines Gutachtens zum – von ihr im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten als nicht positiv eingeschätzten – Gesundheitszustand des Beigeladenen anregen hätte können.

An der Mitteilung (des wesentlichen Inhalts) der vom Beklagten eingeholten ärztlichen Stellungnahmen vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids an die Klägerin war der Beklagte hier auch nicht aufgrund des Sozialdatengeheimnisses (§§ 67 ff. SGB X) gehindert. Zwar ist nach § 76 Abs. 1 SGB X die Übermittlung von Sozialdaten, die einer in § 35 SGB I genannten Stelle von einem Arzt oder einer anderen in § 203 Abs. 1 und 3 StGB genannten Person zugänglich gemacht worden sind, nur unter den Voraussetzungen zulässig, unter denen diese Person selbst übermittlungsberechtigt wäre. Ungeachtet dessen, ob nicht in der Zustimmung des Beigeladenen zur Verwertung der eingeholten Stellungnahmen (vgl. Bl. 48 f. d.A.) auch die konkludente Zustimmung liegt, diese den Beteiligten zur Kenntnis zu geben, hätte der Beklagte jedenfalls die Klägerin darüber informieren können und müssen, dass er bei den behandelnden Ärzten des Beigeladenen Stellungnahmen zu dessen Gesundheitszustand eingeholt hat und mit welchem Ergebnis er diese Stellungnahmen bei seiner Entscheidung verwerten werde. Insoweit bestand kein Grund, der Klägerin aus Gründen des Sozialdatenschutzes auch das wesentliche Ergebnis der ärztlichen Stellungnahmen vorzuenthalten, da sie hiervon ohnehin durch den streitgegenständlichen Bescheid erfahren hat.

Der Anhörungsmangel konnte auch nicht durch Nachholung im Gerichtsverfahren geheilt werden. Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, ist nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; dies ist gemäß § 41 Abs. 2 SGB X grundsätzlich bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich.

Dabei kann dahinstehen, ob eine Heilung der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch dann möglich ist, wenn es – wie hier – für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt (vgl. dazu VG Stuttgart v. 20.9.2010 11 K 1733/10). Denn jedenfalls ist für die Heilung einer unterlassenen Anhörung gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 SGB X im Rahmen eines anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu verlangen, dass die Behörde das nachträgliche Vorbringen des Beteiligten zumindest zur Kenntnis nehmen und in Hinblick auf eine Abänderung des Bescheides in Erwägung ziehen muss (vgl. BayVGH v. 31.3.2011 Az. 3 CS 11.165 m.w.N.). Der Beklagte hat hier jedoch zum Vorbringen in der Klagebegründung, der Beigeladene habe am 14. September 2010 und am 17. September 2010, also wenige Tage vor Erlass des angefochtenen Bescheids, mitgeteilt, dass er auch künftig Ausfallzeiten wegen der Behandlung seiner Krebserkrankung haben werde, weder in seiner schriftlichen Klageerwiderung vom 10. Januar 2011 Stellung genommen noch sich – trotz Hinweis’ des Gerichts – in der mündlichen Verhandlung hierzu geäußert. Insbesondere hat er sich auch nicht dazu geäußert, ob vor dem Hintergrund, dass der Beigeladene längere Ausfallzeiten hatte als nach den eingeholten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte des Beigeladenen prognostiziert, die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Gesundheitsprognose entbehrlich war.

Der Anhörungsmangel ist schon deshalb nicht nach § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich, weil die erforderliche Anhörung unterblieben und nicht wirksam nachgeholt ist (§ 42 Satz 2 SGB X). Darüber hinaus kann nicht davon ausgegangen werden, dass auch bei einer nachgeholten Anhörung der Klägerin und einer entsprechenden Würdigung des Vorbringens keine andere Entscheidung getroffen worden wäre. Der Hinweis des Beklagten im Klageverfahren darauf, dass die Klägerin die von ihm getroffene Prognose lediglich pauschal in Zweifel gezogen habe, kann nicht die erforderliche Abwägung ersetzen. Der Beklagte hätte vielmehr darlegen müssen, warum die seiner Ansicht nach durch die eingeholten ärztlichen Stellungnahmen belegte, von der Klägerin mit dem Vortrag erneuter Ausfallzeiten jedoch substantiiert bestrittene positive Gesundheitsprognose des Beigeladenen dennoch geeignet ist, der Klägerin trotz erheblicher Ausfallzeiten eine Weiterbeschäftigung des Beigeladenen zuzumuten.

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der Bescheid nicht zudem gem. § 114 Satz 1 VwGO ermessensfehlerhaft ist, weil der Beklagte auf der Grundlage der von ihm eingeholten ärztlichen Stellungnahmen nicht ohne weiteres von einer positiven Gesundheitsprognose ausgehen durfte, zumal da der Beigeladene nach eigenem Vorbringen auch 2010 aufgrund seiner Krebserkrankung Ausfallzeiten hatte. Ebenfalls dahin gestellt bleiben kann, ob für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen wäre. Dies ist jedoch ggf. nach erfolgter Aufhebung und Zurückverweisung nachzuholen.

3. Die Klägerin besitzt jedoch keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen. Das Ermessen des Beklagten ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dahingehend auf Null reduziert, dass die Zustimmung zur Kündigung erteilt werden müsste.

3.1 Es ist nicht ersichtlich, dass das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert wäre, soweit die Klägerin den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen auf personenbedingte (krankheitsbedingte) Gründe gestützt hat. Insoweit ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass sein Ermessen nicht deshalb eingeschränkt ist, weil – wie die Klägerin behauptet – kein Zusammenhang zwischen der Schwerbehinderung des Beigeladenen und dem Kündigungsgrund bestehe. Das Integrationsamt hat hier einen solchen Zusammenhang vielmehr rechtsfehlerfrei bejaht.

Die Schwerbehinderung des Beigeladenen beruht nach dem Feststellungsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Versorgungsamt – vom 2. Juni 2008 auf einer Harnblasenerkrankung des Beigeladenen „in Heilungsbewährung“. Schon der Zusatz „in Heilungsbewährung“ deutet auf eine Krebserkrankung hin. Außerdem hat der Hausarzt des Beigeladenen Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 2. September 2010 ausgeführt, beim Beigeladenen sei im Jahr 2008 ein Urothelkarzinom der Harnblase festgestellt worden. Nachdem somit die Behinderung des Beigeladenen offenkundig in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Krebserkrankung steht, geht das Vorbringen der Klägerin, die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Beigeladenen stünden schon deshalb nicht in Zusammenhang mit der Schwerbehinderung, weil er seit 2008 schwerbehindert sei, die Krebserkrankung aber erst im Jahr 2009 festgestellt worden sei, ins Leere. Vielmehr stehen die von der Klägerin vorgebrachten personenbedingten (krankheitsbedingten) Kündigungsgründe, nämlich die Fehlzeiten des Beigeladenen in der Vergangenheit und seine künftig zu erwartenden Fehlzeiten, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Beigeladenen. Dies gilt auch für die Fehlzeiten des Beigeladenen, die auf dessen TBC-Erkrankung zurückzuführen sind, weil diese die Folge der Behandlung der Krebserkrankung mit Tuberkuloseviren (anstelle einer Chemotherapie) waren.

Aufgrund des Zusammenhangs zwischen den personenbedingten Kündigungsgründen und der Schwerbehinderung stand die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Dabei sind im Rahmen der Abwägung der gegensätzlichen Interessen besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung beim Arbeitgeber zu stellen, wenn – wie hier – die Kündigung auf Gründen beruht, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. Selbst wenn es – was hier (s.o.) aber nicht zu entscheiden ist – ermessensfehlerhaft gewesen wäre, dass der Beklagte zum Gesundheitszustand des Beigeladenen kein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt hat, so ergäbe sich daraus allenfalls die Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids, nicht aber ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung der Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen.

3.2 Das Ermessen des Beklagten ist auch nicht insoweit auf Null reduziert, als die Klägerin die Zustimmung zur Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe gestützt hat.

Die dem Beigeladenen von der Klägerin vorgeworfenen Pflichtverletzungen in den Jahren 2004 bis 2007 stehen zwar unstreitig nicht in Zusammenhang mit der im Jahr 2008 festgestellten Schwerbehinderung, sie vermögen die angestrebte Kündigung jedoch offensichtlich nicht zu rechtfertigen, so dass der Beklagte die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen zu Recht nicht erteilt hat (vgl. BVerwGE 23, 123). Abgesehen davon, dass die Vorwürfe über Jahre hinaus von der Klägerin nicht als Kündigungsgrund herangezogen wurden und ersichtlich auch nicht so schwerwiegend sind, dass eine Kündigung hierauf gestützt werden könnte, wäre das Kündigungsrecht der Klägerin jedenfalls durch die Abmahnungen verbraucht. Hierzu wird auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Entsprechendes gilt für die dem Beigeladenen von der Klägerin vorgeworfenen und abgemahnten Pflichtverletzungen in der Zeit ab 2008 bis zur Entscheidung über den Zustimmungsantrag. Darüber hinaus ist insoweit auch ein Zusammenhang mit der Schwerbehinderung nicht auszuschließen. Dies gilt insbesondere für die im Rahmen des Umzugs der Kanzlei 2010 erhobenen Vorwürfe, denn der Beigeladene war im Jahr 2010 erneut an Krebs erkrankt. Diesbezüglich kann schon wegen des nicht auszuschließenden Zusammenhangs mit der Schwerbehinderung nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen werden.

Soweit die Klägerin dem Beigeladenen vorwirft, dass er sie nicht von seiner TBC-Erkrankung informiert habe, liegt auch darin ersichtlich kein Kündigungsgrund, weil nach Aktenlage hierdurch zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung der Mitarbeiter der Klägerin bestand und es sich nicht um eine meldepflichtige Erkrankung handelte. Im Übrigen stand die TBC-Erkrankung des Beigeladenen – wie oben ausgeführt – ebenfalls unmittelbar im Zusammenhang mit seiner Krebserkrankung.

Eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht daraus, dass der Beigeladene eine Vielzahl von Pflichtverletzungen unterschiedlicher Schwere begangen habe, die einen die Kündigung rechtfertigenden Dauertatbestand darstellten. Bei den unterschiedlichen, jeweils abgeschlossenen und nicht in die Zukunft fortwirkenden, dem Beigeladenen von der Klägerin zur Last gelegten Pflichtverletzungen handelte es sich nicht um ein andauerndes Verhalten i.S.e. Dauertatbestands. Aber selbst wenn man einen solchen bejahen würde, wären die Vorwürfe ersichtlich nicht so schwerwiegend, dass die Kündigung darauf gestützt werden könnte. Die angeblichen Pflichtverletzungen wurden nämlich sämtlich von der Klägerin abgemahnt, ohne dass der Beigeladene das abgemahnte Verhalten fortgesetzt oder wiederholt hätte.

Bezüglich der krankheitsbedingten Abwesenheit des Beigeladenen ab 9. August 2010 hat dieser ebenfalls nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, denn er ist seiner Pflicht, die Krankmeldung unverzüglich anzuzeigen, durch den Anruf seiner Ehefrau in der Kanzlei am selben Tag nachgekommen.

Dem Gericht erschließt sich auch nicht, worin „der völlig unangemessene Ton“ der Bevollmächtigten des Beigeladenen im Schriftsatz vom 30. August 2010 liegen sollte, der das Vertrauensverhältnis völlig zerrüttet habe. Außerdem liegt im Verhalten der Bevollmächtigten des Beigeladenen auch kein eigenständiger Kündigungsgrund.

Die von der Klägerin erstmals im Gerichtsverfahren vorgetragenen Pflichtverletzungen des Beigeladenen sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens, weil es allein auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt.

Nach alledem war der Bescheid des Beklagten vom 20. September 2010 aufzuheben und der Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom auf erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Satz 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2, Halbsatz 1 VwGO, die Entscheidung zu den außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen auf § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ ZPO.

 

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