Gericht: Landgericht München
Entscheidungsdatum: 18.05.1995
Aktenzeichen: 7 O 18987/94
Entscheidungsart: Urteil
Abstract: Der Börsenvereins des Deutschen Buchhandels klagt gegen das Land Niedersachsen, da er meint, dass die Technische Informationsbibliothek Hannover (TIB) das Urheberrecht verletze, indem sie auf Einzelbestellung Kopien von Zeitungs- und Zeitschriftenartikel an ihre Nutzer per Post oder Fax versendet. Die Klage wurde abgewiesen, da die beklagte Partei nach § 53 Abs. 2 Ziffer 4 a UrhG zum Kopienversand berechtigt ist.
Instanzenzug:
– LG München vom 18.05.1995, AZ. 7 O 18987/94
– OLG München vom 23.05.1996, AZ. 6 U 4192/95
– BGH vom 25.02.1999, Az. I ZR 118/96
Tenor:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.500,– DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger ist der Börsenverein des deutschen Buchhandels, der seit 1825 die Interessen der Verleger und Buchhändler vertritt. Er klagt aus abgetretenen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechten einer Reihe von Zeitschriften-Verlagen an in deren Zeitschriften veröffentlichten Aufsätzen und Beiträgen.
Diese Verlage haben ihre ausschließlichen Nutzungsrechte hinsichtlich des Versands von Kopien (Vervielfältigung und Verbreitung) an den Aufsätzen und Beiträgen, die der Kläger in seinem Klageantrag nennt, zum Zwecke des vorliegenden Prozesses und für die Dauer desselben an den Kläger abgetreten.
Das beklagte Land Niedersachsen (in der Folge die Beklagte genannt) ist Träger der Technischen Informationsbibliothek Hannover (TIB), die 1959 als erste von vier zentralen Fachbibliotheken in Deutschland gegründet wurde. Diese sind Teil des von der deutschen Forschungsgemeinschaft seit 1949 entwickelte Sondersammelgebietsplans. Dessen Ziel ist es, durch eine überregionale Kooperation sowie durch die Verteilung fachlicher Sammelschwerpunkte die von der Wissenschaft und Forschung benötigte Literatur möglichst rasch und umfassend für jeden Interessenten verfügbar zu machen. Die TIB arbeitet in engem räumlichen und organisatorischen Verbund mit der Universitätsbibliothek Hannover.
Beide Bibliotheken sammeln Literatur zu den Schwerpunktgebieten Technik/Ingenieurwissenschaften, Chemie, Informatik, Mathematik und Physik weltweit. Die Schwerpunkte der TIB liegen in der Sammlung, Erschließung und Bereitstellung hochspezialisierter Fachliteratur, wie speziellen Fachzeitschriften von Verbänden und Industriebetrieben, Tagungsberichten, Forschungsberichten und Reports. Die TIB wirbt weltweit für ihr Angebot an Fachliteratur und mit den Konditionen, mit denen sie Interessenten versorgt.
Die TIB erstellt auf Anforderung Kopien von Zeitschriften, Aufsätzen, die sie den Bestellern per Post zusendet oder per Fernkopie (Telefax) übermittelt. Für die Bestellung stellt die TIB einen computerisierten Katalog (Online-Katalog) ihrer Bestände zur Verfügung, wobei die Texte der Zeitschriften, Artikel und Beiträge aber nicht gespeichert sind.
Während die Ortsbenutzung und die Benutzung über den Leihverkehr der Bibliotheken gebührenfrei sind, verlangt die Beklagte für sogenannte Direktbestellungen, also Übersendung von Kopien von Zeitschriften, Aufsätzen und Beiträgen aus Tagungsbänden und ähnlichem Entgelt.
Soweit die TIB zur Versendung per Fax Zwischenkopien von den Originalzeitschriften (die aus technischen Gründen nicht direkt gefaxt werden können) erstellt, werden diese entweder zur Bestätigung per Post an den Besteller nachgesandt oder vernichtet.
Im Jahr 1984 schlossen auf Empfehlung des Klägers ca. 20 Technikverlage Lizenzvereinbarungen mit dem Fachinformationszentrum Technik eV in Main, einer weiteren technischen Dokumentationszentrale, über die Mikroverfilmung von Beiträgen aus Fachzeitschriften und die Lieferung von Papierkopien an Besteller ab.
Der Kläger ist der Auffassung, das Verhalten der Beklagten stelle ein – unerlaubtes – Vervielfältigen und Verbreiten der nach seiner Auffassung urheberrechtlich geschützten Beiträge an den genannten Zeitschriften und sonstigen Sammelveröffentlichungen gemäß §§ 16, 17 Abs. 1 UrhG dar und er habe deshalb gemäß § 97 UrhG Schadensersatz-, Auskunfts- und Unterlassungsansprüche.
Der Kläger ist zunächst der Auffassung, er sei aufgrund der entsprechenden Vereinbarungen mit den Autoren und den Abtretungserklärungen der Verlage aktivlegitimiert. Die Beklagte betreibe einen systematischen Kopienversand, der nicht mehr unter die eng auszulegende gesetzliche Schranke des § 53 UrhG falle, sondern der eine eigene Verwertungsart sei, die als Vervielfältigungs- und Verbreitungshandlung nach §§ 16, 17 UrhG zu bemessen sei. Die Beklagte maße sich gegenüber ihren Runden die Stellung und Funktion eines Verlegers an. Die Beklagte biete nämlich die Herstellung und den Erwerb von Vervielfältigungsstücken an, wobei dieses Angebot bereits eine Verbreitungshandlung im Sinne von § 17 UrhG sei. Auch wenn die Beklagte nicht schon jetzt eine Volltextspeicherung der Aufsätze durchführe, unterscheide sich die von ihr schon jetzt geübte Praxis nicht wesentlich von dieser elektronischen Volltextübermittlung. Der Unterschied hierzu bestehe lediglich darin daß die Beklagte eine Fotokopie des gewünschten Aufsatzes übersenden oder per Telefax vermitteln müsse. Letzteres stelle ebenfalls eine elektronische Vermittlung dar. Die Interessenten erhielten sämtliche Informationen auf ihrem Bildschirm und bräuchten weder eine Bibliothek mehr aufzusuchen, noch eine Zeitschrift zu erwerben.
Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen BGH NJW 91, Seite 1234/35 Tauschangebot für Computerspiele“ und OLG Köln GRUR 1992 dort 112, 313 „AMIGA-Club“. Es komme nicht darauf an, ob die Vervielfältigungsstücke bereits vorrätig seien oder erst bei der einzelnen Bestellung hergestellt würden.
Durch die Kopierpraxis der Beklagten würden die Auflagen der Spezialzeitschriften ständig sinken.
Außerdem sei die Grenze von 7 Vervielfältigungsstücken von einer Vorlage überschritten, da die Beklagte für jeden Besteller auf Wunsch eine Kopie anfertige. Der Kläger verweist insofern auf die Entscheidung im BGH GRUR 1978, Seite 474 ff „Vervielfältigungsstücke“.
Die Herstellung der Kopien seien beim Kopieversand nicht dem Interessenten, sondern dem Versender zuzuordnen. Die Sachlage liege gleich wie im Falle eines Fotokopienversands durch einen gewerblichen Recherchendienst. Der Kläger bezieht sich insoweit auf das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 1993, ZUM 1994 Seite 438 ff.
Es werde hier nicht nur in Einzelfällen kopiert, sondern das gesamte bisherige und auch das aktuelle Programm des jeweiligen Verlages werde den Kunden in Form von Fotokopien angeboten und zugesandt und zwar planmäßig und systematisch.
Die Beklagte ziehe auch einen Gewinn aus dieser Tätigkeit, der wiederum den Gewinn der Verlage schmälere. Es gebe auch bereits weitere gewerbliche Nutznießer, die den Kopienversand der Bibliotheken, wie ihn auch die Beklagte betriebe, in bare Münze umsetzten.
Aus der Entstehungsgeschichte des § 53 UrhG ergebe sich, daß der Gesetzgeber den vorliegenden Fall nicht habe privilegieren wollen. Insoweit wird auf die Ausführungen auf Seite 16 bis 20 der Klage = Bl. 17 bis 21 d. A. Bezug genommen.
Aus dem Gesamttext des § 53 UrhG ergebe sich außerdem eine eingeschränkte Reichweite dieser Vorschrift, die als Ausnahmevorschrift zudem eng auszulegen sei. Es seien nur absolut notwendige Kopien dort gestattet. Der Kläger nimmt weiter Bezug auf die Erörterung der Fotokopievergütung im Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der Urheberrechtsnovelle 198S – BT-Drucksache 11/4929 und dort geschilderte Mißstände durch den Kopienversand der Zentralbibliotheken.
Dazu stelle das Verhalten der Beklagten ein Wettbewerbsverstoß dar, da die Beklagte als Konkurrentin der hinter dem Kläger stehenden Verlage tätig sei und Vervielfältigungsstücke der Werke vertreibe, die die Verlage ebenfalls vertrieben. Es liege eine unmittelbare Leistungsübernahme im Sinne von § 1 UWG vor, da eine Behinderung der hinter dem Kläger stehenden Verlage erfolge und deshalb die Wettbewerbswidrigkeit gegeben sei.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt; es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu DM 500.000,–, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken an dem Präsidenten der Universität Hannover, für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, Fotokopien von Aufsätzen und/oder Beiträgen aus den Zeitschriften
a) ZWF des Carl Hanser Verlags (München);
b) WERKSTATT UND BETRIEB des Carl Hanser Verlags (München);
c) wt – Werkstattechnik des Springer-Verlags (Heidelberg);
d) Naturwissenschaften des Springer-Verlags (Heidelberg);
e) VDI-Z des VDI-Verlags (Düsseldorf);
f) Nachrichtentechnische Zeitschrift (ntz) des vde-verlags (Berlin, Offenbach);
g) mikroelektronik (me) des vde-verlags (Berlin, Offenbach);
h) Chemie-Ingenieur-Technik (Chem.-Ing.-Tech.) der VCH Verlagsgesellschaft (Weinheim);
i) CHROMATOGRAPHIA der Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft (Wiesbaden);
k) DuD Datenschutz und Datensicherung der Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft (Wiesbaden);
l) WIRTSCHAFTSINFORMATIK der Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft (Wiesbaden);
m) Zeitschrift für Energiewirtschaft der Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft (Wiesbaden);
n) Gießerei-Praxis des Fachverlags Schiele & Schön (Berlin);
o) Biomedizinische Technik des Fachverlags Schiele & Schön (Berlin);
p) Frequenz des Fachverlags Schiele & Schön (Berlin)
r) atp – Automatisierungstechnische Praxis des R. Oldenbourg Verlags (München);
s) at – Automatisierungstechnik des R. Oldenbourg Verlags (München);
insbesondere die Aufsätze
– „Faserverbandkunststoff erweitert die Systemgrenzen für Werkzeugmaschinenkomponenten“ von Carsten Stelzer, in der Zeitschrift ZWF, Nr. 10, Jahrgang 1993;
– „Zustände von Hauptspindellagern erkennen von Andreas Feil, in der Zeitschrift ZWF, Nr. 10, Jahrgang 1993;
– „Planschleifen auf Läppmaschinen“ von A. Funck, in der Zeitschrift ZWF, Nr. 10, Jahrgang 1993;
– Systematik zur Auswahl von Einsatzfeldern für Expertensysteme“ von Herbert Schulz, in der Zeitschrift WERKSTATT UND BETRIEB, Nr. 5, Jahrgang 1993;
– „Hochgeschwindigkeitsfräsen im Werkzeuge- und Formenbau“ von Stefan Hock, in der Zeitschrift WERKSTATT UND BETRIEB, Nr. 7, Jahrgang 1993;
– „Drehmaschinen mit Hohlrollenmotoren“ von Uwe Ronde, in der Zeitschrift WERKSTATT UND BETRIEB, nr. 9, Jahrgang 1993;
– „Produkthaftung: Forderungen an die Meß-, Prüf- und Überwachungsverfahren“ von C.-O. Bauer, in der Zeitschrift wt – Werkstattechnik, Nr. 81, Jahrgang 1991;
– „Die fraktale Fabrik“ von H.-J. Warnecke, in der Zeitschrift wt – Werkstattechnik, Nr. 82, Jahrgang 1992;
– Conservation Problems on Galapagos: the Showcase of Evo-Lution in Danger“ von Fritz Trillmich, in der Zeitschrift Naturwissenschaften, Nr. 1, Jahrgang 79 (1992);
– „natur als Kulturaufgabe“ von Herman Remmert, in der Zeitschrift Naturwissenschaften, Nr. 11, Jahrgang 79 (1992);
– CIM: Rechnerintegrierte Produktion, Anwender berichten über ihre Erfahrungen“ von Raymond Shah; in der Zeitschrift VDI-Z 134 (1992), nr. 10, S. 22-30;
– Flexible Fertigungssysteme in Europa: Erfahrungen der Anwender“ von Raymond Shah; in der Zeitschrift VDI-Z 133 (1991)), Nr. 6, S. 16- 30;
– „Fachgebiete in Jahresübersichten: Kaltmassivumformung“ von Heinz- D. Feldmann, in der Zeitschrift VDI-Z 134 (1992), Nr. 2, S. 63-70;
– „Fachgebiete in Jahresübersichten: Kaltmassivformung“ von Heinz-D. Feldmann, in der Zeitschrift VDI-Z 133 (1991), Nr. 1, S. 67-76;
– Datenschutz und Datensicherung in neuen Kommunikationsmedien“ von Klaus-Dieter Wolfenstetter, in der Zeitschrift Nachrichtentechnische Zeitschrift (ntz), Jahrgang 46 (1993), Heft 10, S. 736-744;
– „Elektronik-Voraussetzung zur Erhaltung der Mobilität“ von Karsten Ehlers, in der Zeitschrift mikroelektronik (me), Jahrgang 7 (1993), Heft-3, S. 142-145;
– „Methoden zur Verminderung der Ablagerungsbildung in Wärmeüberträgern“ von H. Müller-Steinhagen, in der Zeitschrift Chemie-Ingenieur-Technik, Heft 5/1993;
– „Optimation of Post- Column Reaction Detector for HPLC of Explosives“ von H. Engelhardt, J. Meister und P. Kolla, in der Zeitschrift CHROMATOGRAPHIA, Vol. 35, No 1/2, January 1993;
– „Kryptoalgorithmen in offenen Kommunikationssysteme“ von Karl Rihaczek, in der Zeitschrift DuD Datenschutz und Datensicherung, Heft 4/1993, 17. Jahrgang;
– „Ein Vorgehensmodell zum Software Reengineering und seine praktische Umsetzung“ von Guido Falkenberg und Achim Kaufmann, in der Zeitschrift „WIRTSCHAFTSINFORMATIK, Heft 1/1993, Jahrgang 35;
– „Entwicklung und Perspektiven für Angebot und Nachfrage auf dem Steinkohlenweltmarkt (1992)“ von Hans Gruß, in der Zeitschrift für Energiewirtschaft, heft 1/1993, 17. Jahrgang;
– Korrosionsbeständiger Stahlguß“ von W. Pfisterer und Röhrig, in der Zeitschrift Gießerei-Praxis Nr. 23-24, Jahrgang 1991;
– „Ein Programm für die Steuerung einer kompetitiven Reizdarbietung zur Auslösung ereigniskorrelierter Potentiale“ von Günter Heinz, in der Zeitschrift Biomedizinische Technik, Nr. 3, Jahrgang 1993;
– „Struktur eines Nulldurchgangs-Phasenregelkreises (ZC-PLL) erster Ordnung“ von H. Repp, in der Zeitschrift Frequenz, Nr. 5-6, Jahrgang 1993;
– „Einbindung unterlagerter Ebenen in der Steuerlogik des Prozeßleitsystems“ von Ulrich Epple; in der Zeitschrift atp – Automatisierungstechnische Praxis 35 (1993) 10, S. 563-573;
– „Verfahren zum Entwurf und Stabilitätsnachweis von Regelungssystemen mit Fuzzy-Reglern“ von Harro Kiendl und Johannes Jörg Rüger, in der Zeitschrift at – Automatisierungstechnik, 5/1993, S. 138;
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, da die Abtretungen inhaltlich auf die Geltendmachung der Ansprüche gegen die Beklagte und zeitlich auf den Zeitraum bis zum Eintritt der Rechtskraft des Rechtsstreits beschränkt seien, und eine derartig beschränkte Abtretung nicht ausreiche, die urheberrechtliche Aktivlegitimation zu begründen. Die Klägerin sei nämlich nicht berechtigt, die ihr übertragenen Rechte für andere Zwecke als zur Führung des Rechtsstreits zu nutzen, sie habe daher kein über die Führung des Rechtsstreits hinausgehendes eigenes Interesse.
Die Beklagte stellt klar, daß sie nur jeweils Kopien von einem Aufsatz oder einem Beitrag aus einer Zeitschrift anfertige und versende. Soweit sie die Versendung per Fax vornehme, sei die Zwischenkopie ebenfalls dem bestellenden Leser zuzuordnen.
Die Beklagte führt weiter aus, die Hauptbenutzungsform sei die „Ortsbenutzung“, die kostenpflichtige Direktbenutzung, also die Versendung von Kopien, stelle nur etwa 1/5 der Benutzungsfälle etwa im Jahr 1993 dar.
Eine Online-Archivierung sei solange nicht beabsichtigt, solange das Urheberrechtsgesetz dieses nicht zulasse.
Gewinn falle bei der Beklagten aus der Versendung nicht an. Die Herstellung von Fotokopien auf Bestellung sei auch für die Tätigkeit der Zentralbibliotheken notwendig. Jedenfalls falle die angegriffene Tätigkeit unter die Privilegierung von § 53 Abs. 2 Ziffer 4 a UrhG, wobei die Vergütung gemäß § 54 UrhG abgeführt werde.
Wie die Begründung für die Urheberrechtsnovelle im Jahr 1985 (Anlage B 6) zeige, habe der Gesetzgeber seinerzeit die Kopierpraxis der öffentlichen Bibliotheken für unter die Ausnahme des § 53 Abs. 2 Ziffer IV a fallend angesehen und deshalb eine Änderung dieser Vorschrift nicht unternommen. Insoweit sei die amtliche Begründung zur Urheberrechtsreform von 1965 überholt.
Seit 1985 sei beim Beklagten weder eine sachliche noch eine wesentliche zahlenmäßige Änderung der Kopierpraxis eingetreten.
Von einer neuen Nutzungsart könne daher nicht die Rede sein.
Soweit in dem vom Kläger zitierten Bericht von Mißständen die Rede gewesen sei, habe sich dieser Ausdruck nur auf die Höhe der Vergütungssätze bezogen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der vom Kläger zitierten Entscheidung des Landgerichts Frankfurt sei nicht zu folgen und beruft sich auf die Entscheidung „Leitsätze“ des BGH, GRUR 1992, Seite 383 f, 386 und auf die Entscheidungen des Landgerichts Köln WM 1993, Seite 807 und das hierzu ergangene, gegenwärtig noch nicht veröffentlichte Berufungsurteil des OLG Köln 6 U 215/92 (Anlage B 9).
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche seien schon deshalb nicht gegeben, da über das bloße Kopieren hinaus kein zusätzlicher Unrechtsgehalt gegeben sei.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet, da sich das Gericht im wesentlichen den rechtlichen Ausführungen der Beklagten anschließt und der Kläger keine Vervielfältigungshandlungen der Beklagten dargelegt und unter Beweis gestellt hat, die über die in § 53 Abs. 2 Ziffer 4 a privilegierten Fälle hinausgehen.
Auszugehen ist von der im Tatbestand genannten Praxis, nämlich einem Anfertigen von Kopien von einzelnen Aufsätzen aus Zeitschriften und Beiträgen von Festschriften und ähnlichem auf entsprechende Anforderung, wobei diese Anforderung durch elektronische Aufbereitung des Katalogs der TIB, der online verfügbar ist und entsprechende ebenfalls online erfolgende Bestellmöglichkeiten erleichtert wird. Weiter fertigt die Beklagte Zwischenkopien für die ebenfalls angebotene Fax-Versendung an.
Dies ist nach der geltenden Rechtslage jedenfalls seit 1985 gemäß § 53 Abs. 2 Ziffer 4 a UrhG erlaubt, die Frage der Höhe der Vergütung spielt im vorliegenden Rechtsstreit keine Rolle:
Dem Kläger ist zuzugeben, daß § 53 UrhG als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist und daß nach den allgemeinen Grundsätzen des Urheberrechts dem Urheber grundsätzlich die Früchte seines Werks zukommen sollen.
Seit der Urheberrechtsreform von 1965 gilt die heutige Vorschrift, wobei § 53 Abs. II Nr. 4 a zunächst in § 54 Abs. 1 Ziffer 4 a geregelt war.
Der Gesetzgeber hat hierzu in der amtlichen Begründung zur Urheberrechtsnovelle 1985 festgestellt, und zwar zu dem jetzigen § 54, der seinerzeit neu eingefügt wurde, daß die – privilegierte – Vervielfältigung in einem Umfang zugenommen habe, der es erforderlich scheinen lasse, den Urheber an dieser Nutzung seiner Werke zu beteiligen. Der Vorschlag des Klägers über eine Errichtung von Kopierzentralen, wenn dem zur Vervielfältigung Befugten kein eigenes oder von ihm persönlich entliehenes Exemplar zur Verfügung stehe, wurde ausdrücklich abgelehnt und zwar mit der Begründung, daß den großen Zentralbibliotheken die Versendung von Fotokopien nicht untersagt werden könne, da sich sonst die Anschaffung eines umfassenden Bestandes wissenschaftliche Literatur unter allgemeinwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr lohnen würde (Anlage B 6 Seite 20 linke Spalte unten, rechte Spalte oben.
Auch gegenüber den weiteren Feststellungen, nämlich daß in privaten Haushalten kaum Kopiergeräte vorhanden seien, ist inzwischen keine Änderung eingetreten:
Sowohl dem Wortlaut nach, der ausdrücklich die Privilegierung nicht auf nichtwirtschaftlichen Betrieb oder Betrieb grundsätzlich geringen Umfangs beschränkt, wie auch nach der Wertung des Gesetzgebers bei der Novelle, wobei die Frage, ob eine wörtliche Übernahme der früher unter § 54 Abs. 1 aufgeführten Privilegierungsfälle erfolgen sollte, ausdrücklich diskutiert wurde, ist angesichts der zitierten Ausführungen jedenfalls ab 1985 ein mit dem Wortlaut ohne weiteres zu vereinbarender Wille des Gesetzgebers zur Privilegierung auch gerade der vom Kläger angegriffenen Praxis zu sehen; die Bestimmung des § 53 Abs. 2 Ziff. 4 a UrHG ist nicht nur nach den Kriterien der Urheberrechtsnovelle 1965 auszulegen.
Es ist gemäß § 53 Abs. 2 Ziffer 4 a UrhG auch ohne Genehmigung des Berechtigten zulässig, einzelne Vervielfältigungsstücke eines Werkes herzustellen oder herstellen zu lassen, sofern dies zum sonstigen eigenen Gebrauch geschieht und es sich bei dem zu vervielfältigenden Werken um einzelne Beiträge handelt, die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen sind. Es ist auch nicht erforderlich, daß derjenige, der eine Kopie durch Dritte fertigen läßt, ein eigenes Werkstück besitzen muß, vielmehr ist aufgrund der Tatsache, daß der Gesetzgeber nur im Fall des § 53 Abs. 2 Ziffer 2 UrhG fordert, daß ein eigenes Werkstück als Vorlage für die Vervielfältigung dienen muß, der Umkehrschluß gerechtfertigt, daß dies im Rahmen des § 53 Abs. 2 Ziffer 4 a UrhG nicht erforderlich ist. Die Anforderung von Vervielfältigungsstücken von Bibliotheken und Dokumentationsstellen wird allgemein als zulässig erachtet (vgl. Schricker/Löwenheim, Urheberrecht, § 53 Rnr. 10; Fromm/Nordemann, UrHG, 7. Aufl., § 53 Rnr. 7; auch Raczinski/Rademacher, GRUR 1989, Seiten 324, 328).
In der Kopiertätigkeit der Beklagten liegt auch nicht im Zusammenhang mit den Informationsmöglichkeiten über den Bestand der Bibliotheken und den erleichterten Anforderungsmöglichkeiten und dem Angebot, auch Kopien zu fertigen, ein urheberrechtlich relevantes Verbreiten von Vervielfältigungsstücken im Sinne von § 17 UrhG. Nach herrschender Meinung, der die Kammer folgt, müssen die kopierten Werkstücke nämlich zum Zeitpunkt des Angebots bereits vorhanden sein ( GZ 107, 277, 281 „Gottfried/Keller“; KG GRUR 1983, Seite 174 „Videoraum- Kassetten“, von Gamm, UrhG, 1968, § 17 Rnr. 6). Dies ist unstreitig vorliegend nicht der Fall. Die Herstellung durch andere ist auch zulässig, wenn es sich um die entgeltliche Erstellung derartiger Kopien durch gewerbliche Unternehmen handelt (Schricker/Löwenheim a.a.O., § 53 Rnr. 12; Fromm/Nordemann, UrhG a.a.O. § 53 Rnr. 7 (gesamter Gliederungspunkt zitiert nach OLG Köln, 6 U 215/92 = Anlage B 9; die Kammer schließt sich den Gründen dieser Entscheidung, soweit sie den vorliegenden Fall treffen, auch im übrigen an),
Daß die Privilegierung im übrigen nur für den innerbibliothekarischen Leihverkehr gilt, ergibt sich aus keiner der zitierten Fundstellen, insbesondere nicht aus der BT/DRS 10/83.
Das Verhalten der Beklagten fällt also unter die Privilegierung des § 53 Abs. 2 Ziffer 4 a UrhG.
Hinsichtlich der vom Kläger zitierten Entscheidungen BGH NJW 1991, 1234 f Tauschangebot für Computerspiele“ und OLG Köln, GRUR 1992, Seite 312 f Amiga-Club“ ist darauf hinzuweisen, daß die dort bereits durch das Anbieten ohne vorheriges Anfertigen von Kopien bejahten Verletzungshandlungen nicht privilegierte Tatbestände betreffen.
Auch wenn in Einzelfällen die Beklagte aufgrund einer entsprechenden Zahl von nacheinander eintreffenden Einzelanforderungen im Laufe der Zeit mehr als 7 Kopien von einem Artikel fertigen sollte, entfällt die Privilegierung auch unter Berücksichtigung der Entscheidung BGH GRUR 1978, Seite 404 und 70 ff Vervielfältigungsstücke“ nicht: Wie aus der Begründung der Entscheidung ebenso wie den dort zitierten weiteren Fundstellen hervorgeht, bezieht sich die Beschränkung auf diese Zahl nicht auf die Zahl der privilegierten Personen, die durch Dritte jeweils ein Vervielfältigungsstück herstellen lassen, wie es vorliegend geschieht, sondern darauf, daß jede privilegierte Person nicht mehr als eine geringe Zahl von Vervielfältigungsstücken selbst herstellen oder herstellen lassen darf.
Soweit der Kläger auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 21.04.95 auf Vermutungen beschränkte Überlegungen über eine mögliche Vervielfältigung von versandten Kopien durch weitere Kopienversandunternehmen anstellt, ist angesichts des Vermutungscharakters hierauf nicht weiter einzugehen; der Kläger behauptet nicht einmal sicher, daß möglicherweise als Vorlage dienende Kopien vom Beklagten stammten.
Auch hinsichtlich des Fax-Versandes schließt sich die Kammer der Auffassung der Beklagten an: Die für die Erstellung der Fernkopien notwendige Zwischenkopie ist ebenso privilegiert wie die erst beim Besteller entstehende Fern- (Fax-) Kopie: zum einem wird mit der Zahl von zwei Kopien die geringe Zahlen der genannten Entscheidung „Vervielfältigungsstücke“ nicht überschritten und zum anderen hat die Beklagte auch durch ihre bisherige Praxis nicht etwa Kopien zum weiteren eigenen Gebrauch, die nicht privilegiert wären, angefertigt, da sie die Kopien entweder nachgesandt oder vernichtet hat; sie dienten also nur zur schnelleren Übermittlung an den Empfänger, die vom Gesetzgeber nicht von der Privilegierung ausgenommen ist, wofür auch kein sachlicher Differenzierungsgrund bestünde.
Die Kammer versteht die letzten Ausführungen des Klägers zum von ihm behaupteten Wettbewerbsverstoß dahingehend, daß sie nur hilfsweise für den Fall der Verneinung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit gemacht werden.
Auch insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen des OLG Köln in dem zitierten Urteil Anlage B 9 an, wonach besondere Umstände, die die Ausnutzung einer fremden Leistung wettbewerbsrechtlich als unzulässig erscheinen lassen hinzutreten müssen (vgl. noch BGH GRUR 1992, Seite 382, Seite 383 „Leitsätze“, BGH GRUR 1988, Seite 308, 309 „Informationsdienst“). Derartige besondere Umstände liegen nicht vor, da zum einen die Beklagte einem auch vom Gesetzgeber anerkannten Informationsbedürfnis nachkommt und nicht davon auszugehen ist, daß möglicherweise dadurch verursachte Umsatzrückgänge bei einzelnen Verlagen bewußt verursacht werden.
Ein gezielter Behinderungswettbewerb ist allein durch die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen (Rückgang der Auflagenzahl der in Zeitschriften bei den Verlagen, die dem Kläger ihre Rechte abgetreten haben und Gewinne der Beklagten durch die Kopiertätigkeit), die im übrigen bestritten sind, selbst bei Unterstellung als zutreffend nicht gegeben.
Angesichts der Tatsache, daß die Beklagte nach § 53 Abs. 2 Ziffer 4 a UrhG privilegiert ist, kommt es auf die zwischen den Parteien streitige Frage der Aktivlegitimation des Klägers – wobei die Frage einer möglichen Unwirksamkeit der Abtretungen aufgrund eines Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz dahinstehen kann – ebensowenig an, wie auf die von Amts wegen zu prüfende Frage der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit der im Klageantrag genannten Aufsätze.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Dienten also nur zur schnelleren Übermittlung an den Empfänger, die vom Gesetzgeber nicht von der Privilegierung ausgenommen ist, wofür auch kein sachlicher Differenzierungsgrund bestünde.
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