Gericht: Bundesverfassungsgericht
Entscheidungsdatum: 07.07.1971
Aktenzeichen: 1 BvR 764/66
Entscheidungsart: Beschluss
eigenes Abstract: Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den im Jahr 1965 neu erlassenen § 27 Abs. 1 UrhG, nach dem einem Urheber nur dann ein „Bibliotheksgroschen“ (angemessene Vergütung) zusteht, wenn sein Werk zu Erwerbszwecken vermietet wird. Als Begründung legen die Beschwerdeführer dar, dass in diesem Falle eine Ungleichbehandlung von öffentlichen Bibliotheken und gewerblichen Leihbüchereien stattfände. Das Bundesverfassungsgericht weist die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurück, da § 27 UrhG weder eine sachwidrige Ungleichbehandlung noch eine Enteignung beinhalte. Die Eigentumsgarantie gebiete nicht, dem Urheber jede nur denkbare wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit zuzuordnen.
Leitsatz:
1. Art. 14 GG verpflichtet den Gesetzgeber nicht, dem Urheber für jeden Fall der Ausleihe eines geschützten Werkes einen „Bibliotheksgroschen“ zu gewähren.
2. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß dem Urheber gemäß § 27 Abs. 1 UrhG die Vermietertantieme nur dann zusteht, wenn die Vermietung Erwerbszwecken des Vermieters dient.
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen den am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen § 27 Abs. 1 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273) – UrhG -. Die Vorschrift lautet:
§ 27 Vermietung von Vervielfältigungsstücken
(1) Werden Vervielfältigungsstücke eines Werkes, deren
Weiterverbreitung nach § 17 Abs. 2 zulässig ist, vermietet, so hat
der Vermieter dem Urheber hierfür eine angemessene Vergütung zu
zahlen, wenn die Vermietung Erwerbszwecken des Vermieters dient.
(2) Absatz 1 ist auf Werke, die ausschließlich zum Zweck der
Vermietung erschienen sind, nicht anzuwenden.
1. Die Beschwerdeführer halten die Regelung für verfassungswidrig, weil ihnen die Vermietertantieme nur dann zusteht, wenn die Vermietung Erwerbszwecken des Vermieters dient; sie sehen in dieser Beschränkung einen Verstoß gegen Art. 3 und Art. 14 GG. Zur Begründung tragen sie vor:
§ 27 Abs. 1 UrhG verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil gleiche Tatbestände nicht gleichmäßig behandelt würden. Der Sinn des Vergütungsanspruchs bestehe darin, die Konkurrenz der Werkvermietung gegenüber dem Verkauf von Werkexemplaren zugunsten der Urheber zu beseitigen. Es könne nicht als sachgerecht angesehen werden, dass der Gesetzgeber den Erwerbszweck des Vermieters in den Vordergrund der Beurteilung stelle. Gleichgültig, ob es sich um öffentliche oder private Leihbüchereien handle, stets werde dem Benutzer das Werk zum Gebrauch zugänglich gemacht. Die Annahme des Gesetzgebers, öffentliche Bibliotheken vermittelten anderes Bildungsgut als die sogenannten Leihbüchereien, sei unzutreffend. Die Freistellung öffentlicher und kirchlicher Büchereien von der Vergütungspflicht führe nicht nur zu einer einseitigen Begünstigung dieser Bibliotheken, sie verletze auch zum Nachteil der privaten Leihbüchereien den Grundsatz der Wettbewerbsgleichheit. Man müsse befürchten, dass infolge dieser Ungleichbehandlung die Leihbüchereien gegenüber den öffentlichen Bibliotheken ihre Lebensfähigkeit verlören und als Vermieter ausschieden. Damit wäre aber der Zweck des Gesetzes zunichte gemacht und die Schädigung der Autoren vollendet.
Durch die Freistellung der öffentlichen Ausleihe und Vermietung von der Vergütungspflicht werde dem Urheber unter Verstoß gegen Art. 14 GG eine ihm gesetzlich zuerkannte Rechtsposition entzogen, nämlich sein Anspruch auf eine angemessene Vergütung bei der Vermietung des Werkes. Dem Urheber sei durch die §§ 15, 16, 17 UrhG das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung seines Werkes als Ausfluss seines geistigen Eigentums ohne Einschränkung zuerkannt. Dieses Recht werde durch § 27 Abs. 1 UrhG entschädigungslos empfindlich beeinträchtigt, da dem Urheber durch die Freistellung der öffentlichen Bibliotheken von der Vermietertantieme eine Konkurrenz gegen die Veräußerung des Buches erwachse. Bildung und Unterhaltung der Bevölkerung durch öffentliche Bibliotheken dürften nicht zu Lasten der Urheber und Verleger gehen. Als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge müssten die Kosten von der Allgemeinheit getragen werden.
Ob nach § 27 Abs. 1 UrhG auch Werkbüchereien vergütungsfrei blieben, erscheine zweifelhaft. Bei zutreffender Auslegung der Bestimmung sei die Gebrauchsüberlassung von Büchern, Schallplatten usw. an Betriebsangehörige als eine Erwerbszwecken des Unternehmers dienende Vermietung anzusehen. Da jedoch zu befürchten sei, daß Rechtsprechung und Lehre der offenbar gegenteiligen Ansicht des Gesetzgebers folgten, sei die angegriffene Regelung auch insoweit wegen Verstoßes gegen Art. 3 und 14 GG für verfassungswidrig und nichtig zu erklären.
2. Der Bundesminister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet: § 27 Abs. 1 UrhG verbessere die Rechtsstellung des Urhebers gegenüber dem bisherigen Recht. Kein anderer Staat biete dem Urheber einen gleichartigen Schutz. Die Differenzierung zwischen den gemeinnützigen öffentlichen Bibliotheken und den auf privatnützige Gewinnerzielung ausgerichteten Mietbüchereien sei sachlich gerechtfertigt. Auch Art. 14 GG sei nicht verletzt.
II. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht begründet.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 7. Juli 1971 – 1 BvR 765/66 – dargelegt, dass das Urheberrecht hinsichtlich seiner vermögenswerten Elemente, die sich in den Verwertungsbefugnissen des Urhebers äußern, Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG darstellt. Dieses Grundrecht ist daher Prüfungsmaßstab. Da es keinen vorgegebenen und absoluten Begriff des Urheberrechts gibt, muss der Gesetzgeber – wie beim Sacheigentum – den Inhalt und die Schranken des Urheberrechts bestimmen; insbesondere muss er den Umfang der verwertungsrechtlichen Befugnisse des Urhebers festlegen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Um eine solche Vorschrift handelt es sich bei § 27 UrhG.
Ihre volle Bedeutung ergibt sich aus dem Zusammenhang mit den §§ 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 UrhG. Nach diesen Bestimmungen steht dem Urheber das ausschließliche Recht zu, sein Werk in körperlicher Form zu verbreiten. Dieses Verbreitungsrecht ist jedoch verbraucht, wenn das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden sind (§ 17 Abs. 2 UrhG). Dieser Grundsatz der Erschöpfung des Verbreitungsrechts beruht auf der Erwägung, dass der Urheber mit der Veräußerung die Herrschaft über das Werkexemplar aufgibt; er gibt es zur Benutzung frei. Seinem verwertungsrechtlichen Interesse ist in der Regel genügt, wenn er bei der ersten Verbreitungshandlung die Möglichkeit gehabt hat, seine Zustimmung von der Zahlung eines Entgelts abhängig zu machen. Eine spätere Benutzung des Werkstückes – wozu auch das Vermieten und Verleihen von Werkexemplaren zählt – soll frei sein. Gegenüber dieser Rechtslage erweitert § 27 Abs. 1 UrhG die verwertungsrechtliche Stellung des Urhebers; er hat – abweichend vom bisherigen Recht – einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung, wenn die Verbreitung des Werkes in der Form der Vermietung erfolgt und diese dem Erwerbszweck des Vermieters dient. Aus der Beschränkung der Vergütungspflicht auf das Vermieten zu Erwerbszwecken folgt, dass die öffentlichen Bibliotheken von der Vergütungspflicht nicht betroffen werden.
2. Die Rüge der Beschwerdeführer, die Vorschrift sei grundgesetzwidrig, weil nicht für jede Vermietung der sogenannte „Bibliotheksgroschen“ abzuführen sei, ist nicht berechtigt.
Der Gesetzgeber kann bei der Bestimmung der Befugnisse und Pflichten, die den Inhalt des verfassungsrechtlich geschützten Rechts im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ausmachen, nicht beliebig verfahren. Der an das Grundgesetz gebundene Gesetzgeber muss einerseits den grundlegenden Gehalt der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wahren, sich aber andererseits auch mit allen übrigen Verfassungsnormen in Einklang halten. Das hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach für das Sacheigentum ausgesprochen; es muss aber auch für andere Rechte gelten, die Eigentum im Sinne der Verfassung sind. In diesem Rahmen hält sich die angefochtene Vorschrift; § 27 Abs. 1 UrhG ist verfassungsmäßig.
a) Zu Unrecht nehmen die Beschwerdeführer an, aus Art. 14 GG ergebe sich die Verpflichtung des Gesetzgebers, für jeden Fall der Ausleihe eines geschützten Werkes eine Vergütung anzuordnen. Die verfassungsrechtliche Garantie des Urheberrechts besagt in diesem Zusammenhang nur folgendes: Der Gesetzgeber muss die vermögensrechtlichen Befugnisse am geschützten Werk dem Urheber derart zuordnen, dass ihm eine angemessene Verwertung ermöglicht wird; die Eigentumsgarantie gebietet dagegen nicht, ihm jede nur denkbare wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit zuzuordnen. Mit der Einräumung des Verbreitungsrechts nach den §§ 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 UrhG ist diesen grundgesetzlichen Anforderungen Rechnung getragen. Es kann nicht beanstandet werden, wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass das Verbreitungsrecht grundsätzlich mit der Veräußerung des Werkstückes nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 UrhG verbraucht ist. Das Gesetz berücksichtigt in ausreichendem Maße das Interesse des Urhebers an einer wirtschaftlichen Verwertung seines Werkes, zumal der Gesetzgeber auch das Interesse des Erwerbers in Betracht ziehen musste, mit dem von ihm gegen Entgelt erworbenen Werkstück nach Belieben verfahren zu dürfen.
Aus der grundgesetzlichen Garantie des Urheberrechts kann kein Anspruch hergeleitet werden, dass der Urheber nach der Erschöpfung des Verbreitungsrechts noch einmal eine Vergütung erhält, wenn rechtmäßig erworbene Werkexemplare verliehen oder vermietet werden und damit kein Erwerbszweck verfolgt wird. Es ist kein Gebot des Art. 14 GG, dass dann, wenn lediglich eine „Leihgebühr“ zur Deckung von Unkosten erhoben wird, für den Urheber der „Bibliotheksgroschen“ anfallen müsste.
b) Ein solches Recht kann auch nicht aus dem Gleichheitssatz hergeleitet werden, der bei der Ausgestaltung inhaltsbestimmender Normen ebenfalls zu beachten ist. Es ist irrig, wenn die Beschwerdeführer annehmen, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG gebiete, dass bei jeder Ausleihe eine Vergütung gezahlt werden müsse, weil der Gesetzgeber im Falle der Vermietung für Erwerbszwecke eine Vergütung angeordnet hat. Da der Gesetzgeber hierzu durch keine Norm des Grundgesetzes verpflichtet war, konnte er diesen Anspruch auch sachlich begrenzen. Die Regelung könnte nur bedenklich sein, wenn die Anknüpfung des Vergütungsanspruchs an die Vermietung zu Erwerbszwecken sachwidrig und willkürlich wäre. Aber selbst dann hätten die Beschwerdeführer kein grundgesetzlich garantiertes Recht, in jedem Fall der Ausleihe eine Vergütung zu erhalten. Der Gesetzgeber könnte ohne Verstoß gegen die Verfassung von der Regelung des § 27 Abs. 1 UrhG absehen und den früheren Rechtszustand wiederherstellen.
c) Die in § 27 Abs. 1 UrhG getroffene Regelung ist auch nicht deshalb mit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, weil die Beschränkung des Vergütungsanspruchs auf die Vermietung zu Erwerbszwecken zu einer Begünstigung der öffentlichen und kirchlichen Bibliotheken gegenüber den gewerblichen Leihbüchereien und Lesezirkeln führt und damit den Vergütungsanspruch der Urheber schmälert. Beide Gruppen unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Die öffentlichen und kirchlichen Bibliotheken, welche Bücher unentgeltlich oder nur gegen einen Unkostenbeitrag ausleihen, verfolgen weitgehend volksbildende Aufgaben; sie erfüllen eine dem Wohle der Allgemeinheit dienende Aufgabe. Die Bereitstellung belletristischer und auch wissenschaftlicher Literatur ermöglicht vielen Bürgern die Teilnahme am kulturellen und geistigen Geschehen. Demgegenüber sind die gewerblichen Mietbüchereien auf die Erzielung privaten wirtschaftlichen Gewinns angewiesen; sie müssen ihr Sortiment danach ordnen. Es sind also durchaus sachgerechte Gesichtspunkte, die eine verschiedene Behandlung rechtfertigen.
3. § 27 Abs. 1 UrhG ist keine Enteignung.
Nach dem bis zum Inkrafttreten des Urheberrechts geltenden Recht war die Vermietung von Werkstücken ohne Zustimmung des Urhebers frei zulässig. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 LUG, § 15 Abs. 1 Satz 1 KUG erstreckte sich das ausschließliche Recht des Urhebers, das Werk gewerbsmäßig zu verwerten, nicht auf das „Verleihen“, worunter auch die entgeltliche Gebrauchsüberlassung verstanden wurde. Die herrschende Meinung ging hierbei davon aus, dass die Vermietung durch gewerbliche Leihbüchereien und Lesezirkel ebenso frei zulässig sei wie die Ausleihe durch öffentliche und kirchliche Bibliotheken. Da der Urheber hiernach in keinem Fall einen Vergütungsanspruch gegen die Vermieter oder Verleiher hatte, sind ihm auch durch das Urheberrechtsgesetz keine Rechte entzogen worden.
4. Ob Werkbüchereien und Werkdiskotheken unter die Vergütungspflicht nach § 27 Abs. 1 UrhG fallen, ist – wie die Beschwerdeführer ausführen – zweifelhaft. Es ist aber nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diese Auslegungsfrage zu entscheiden. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (BVerfGE 22, 287 (290)) müssen die Beschwerdeführer zur Klärung dieser Zweifelsfrage den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten erschöpfen, deren Aufgabe die Auslegung der einfachrechtlichen Bestimmung ist. Kommen diese zu dem Ergebnis, dass die Norm in der nach ihrer Ansicht allein möglichen Auslegung mit der Verfassung nicht in Einklang steht, so haben sie die Frage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Wenden die Gerichte dagegen die Bestimmung in einer Auslegung an, die nach Meinung der Beschwerdeführer verfassungswidrig ist, so haben diese die Möglichkeit, gegen die gerichtlichen Entscheidungen Verfassungsbeschwerde einzulegen.