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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Hessen

Entscheidungsdatum: 12.09.2013

Aktenzeichen: 8 C 1776/12.N

Entscheidungsart: Urteil

Eigenes Abstract: Das Arbeitszeitgesetz erlaubt den Bundesländern, Ausnahmen vom grundsätzlichen Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen zu regeln. So auch in Hessen, das eine Rechtsverordnung erließ, in dem die Regelung von Sonn- und Feiertagsarbeit einzelner Institutionen geregelt wurde. Gegen diese Verordnung gingen nun die Gewerkschaft Verdi und zwei südhessische Dekanate der evangelischen Kirche vor. Der VGH erklärte die Rechtsverordnung für unwirksam. Speziell für Bibliotheken galt die Regelung einer Sonn- und Feiertagsarbeit von sechs Stunden ab 13 Uhr. Der VGH untersagt diese Arbeit, da die vom Land geregelten Ausnahmen nur zur „Vermeidung erheblicher Schäden“ getroffen werden dürfen. Bei Bibliotheken sei keine Schutzmaßnahme notwendig, da für Kunden nur geringfügige Nachteile bei einer Schließung an Sonn- und Feiertagen auftreten würden. Der VGH hat die Revision zugelassen.

Instanzenzug:
– VGH Hessen vom 12.09.2013, Az: 8 C 1776/12.N
BVerwG vom 26.11.2014, Az: 6 CN 1/13

Leitsatz

1. Gewerkschaften können sich aufgrund ihrer Grundrechte aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG auf den Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe nach Art. 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV) i.V.m. Art. 140 GG berufen und daraus eine Antragsbefugnis für Normenkontrollanträge gegen untergesetzliche Rechtsnormen herleiten, die eine zusätzliche Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ermöglichen.

2. Gleiche Schutzrechte haben Dekanate der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau; sie sind juristische Personen, als solche im verwaltungsrechtlichen Normenkontrollverfahren gem. § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig und gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 139 WRV und Art. 140 GG antragsbefugt.

3. Aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 1 und 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) können die Landesregierungen keine dem Bundesgesetzgeber vorbehaltenen wesentlichen Grundentscheidungen treffen. Deshalb sind die in § 1 Abs. 1 Nr. 4, 5 und 9 der hessischen Bedarfsgewerbeverordnung (BedGewV) geregelten Ausnahmen vom gesetzlichen Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit unwirksam (betrifft Getränkeindustrie und -großhandel, Eisfabriken und Großhandel sowie Callcenter).

4. Das gesetzliche Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hat weder bei Videotheken und öffentlichen Bibliotheken noch bei Lotto- und Totogesellschaften erhebliche Schäden i.S.d. § 13 Abs. 1 ArbZG zur Folge. Deshalb sind die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 10 BedGewV geregelten Ausnahmen von diesem Verbot unwirksam.

5. Im Buchmachergewerbe dürften allenfalls die den zertifizierten oder konzessionierten Buchmachern vorbehaltenen Abschlüsse und Vermittlungen von Pferdewetten ausschließlich an Sonn- und Feiertagen möglich sein, da jeweils erst an den Renntagen das Teilnehmerfeld feststeht. Da die diesen Gewerbezweig betreffende Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 8 BedGewV nicht auf die Annahme von Pferdewetten beschränkt ist und wegen ihrer tatbestandlichen Weite ihre Auswirkungen nicht abschätzbar sind, ist sie ebenfalls unwirksam.(Rn.74)

Tenor

Die in § 1 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5, 8, 9 und 10 der Verordnung über die Zulassung der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen (Bedarfsgewerbeverordnung – BedGewV -) vom 12. Oktober 2011 (GVBl. I Seite 664) getroffenen Ausnahmeregelungen sind unwirksam.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Antragsteller Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller halten einige Bestimmungen der am 2. November 2011 in Kraft getretenen Verordnung über die Zulassung der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen (Bedarfsgewerbeverordnung – BedGewV -) vom 12. Oktober 2011 (GVBl. I Seite 664) für verfassungswidrig und begehren, diese Bestimmungen für unwirksam zu erklären.

§ 1 dieser Verordnung hat folgenden Wortlaut:

(1) Abweichend von § 9 des Arbeitszeitgesetzes dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen in den folgenden Bereichen beschäftigt werden, soweit die Arbeiten nicht an Werktagen durchgeführt werden können:

1. in Videotheken und öffentlichen Bibliotheken im Sinne von § 5 Abs. 1 des Hessischen Bibliotheksgesetzes vom 20. September 2010 (GVBl. I S. 295) ab 13 Uhr für bis zu sechs Stunden,

2. im Bestattungsgewerbe,

3. in Garagen und Parkhäusern,

4. in

a) Brauereien,

b) Betrieben zur Herstellung von alkoholfreien Getränken oder Schaumwein sowie

c) in Betrieben des Großhandels, die die Erzeugnisse der in Buchst. a und b genannten Betriebe vertreiben, zur Belieferung der Kundschaft jeweils vom 1. April bis 31. Oktober für bis zu acht Stunden,

5. in Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis und Betrieben des Großhan- dels, die deren Erzeugnisse vertreiben, zur Belieferung der Kundschaft vom 1. April bis 31. Oktober für bis zu acht Stunden,

6. im Immobiliengewerbe mit der Begleitung und Beratung von Kunden bei der Besichtigung von Häusern und Wohnungen für bis zu sechs Stunden,

7. in Musterhaus-Ausstellungen mit gewerblichem Charakter für bis zu sechs Stunden,

8. im Buchmachergewerbe zur Annahme von Wetten für Veranstaltungen für bis zu sechs Stunden,

9. in Dienstleistungsunternehmen mit der Entgegennahme von Aufträgen, der Auskunftserteilung und der Beratung per Telekommunikation,

10. in Lotto- und Totogesellschaften mit der elektronischen Geschäftsabwicklung für bis zu acht Stunden.

(2) Die Ausnahmen nach Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 bis 9 gelten nicht am Neujahrstag, Palmsonntag, Karfreitag, Ostersonntag, Ostermontag, 1. Mai, Himmelfahrtstag, Pfingstsonntag, Pfingstmontag, Fronleichnamstag, Volkstrauertag, Totensonntag sowie am ersten und zweiten Weihnachtstag.

(3) Die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen nach Abs. 1 Nr. 9 ist der Aufsichtsbehörde vor der erstmaligen Beschäftigung anzuzeigen. Die Anzeige muss insbesondere enthalten:

1. Angaben zur Notwendigkeit der Arbeiten,

2. die Zahl der Beschäftigten und

3. die Arbeitszeiten der Beschäftigten an Sonn- und Feiertagen.

Wesentliche Veränderungen sind anzuzeigen.“

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 27. August 2012, der am 3. September 2012 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist, hat die Antragstellerin zu 1. den vorliegenden Normenkontrollantrag gestellt. Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 22. Oktober 2012, der am 29. Oktober 2012 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist, sind die Antragsteller zu 2. und 3. diesem Antrag beigetreten.

Die Antragstellerin zu 1. macht geltend, sie sei als Gewerkschaft mit 168.000 Mitgliedern in Hessen, von denen 6.700 in Dienstleistungsunternehmen tätig seien, antragsbefugt, da sie geltend machen könne, durch die angegriffene Verordnung oder deren Anwendung in eigenen subjektiven Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte könne sie sich auf den Sonntagsschutz gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV) berufen, da dieser verfassungsrechtliche Schutz auch die sich aus den Grundrechten – hier Art. 9 Abs. 1 und 3 GG – ergebenen Schutzpflichten des Staates konkretisiere. Der Sonntagsschutz aus Art. 139 WRV diene nach dieser Rechtsprechung nicht nur der Religionsfreiheit, sondern auch der Verwirklichung anderer Grundrechte, insbesondere der Vereinigungsfreiheit. Da sich Träger der durch den Sonntagsschutz konkretisierten Grundrechte zur Begründung der Beschwerdebefugnis im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde auf Art. 139 WRV berufen könnten, stehe ihnen auch die Antragsbefugnis im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu. Die Vereinigungsfreiheit sei auch durch die von ihr für verfassungswidrig gehaltenen Grundrechte konkret tangiert. Die koalitionsmäßige Betätigung nach Art. 9 Abs. 3 GG sei nicht auf einen Kernbereich beschränkt, sondern erfasse sämtliche koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, insbesondere auch die Organisation von Streiks, Demonstrationen und ähnlichen Maßnahmen. Für eine Vielzahl derartiger koalitionsspezifischer Betätigungen sei ein kollektiver freier Tag zwingende Voraussetzung. Dies komme auch schon darin zum Ausdruck, dass zahlreiche Veranstaltungen von Gewerkschaften und insbesondere Demonstrationen regelmäßig an Sonn- bzw. Feiertagen stattfänden.

Der Antragsteller zu 2., ein Zusammenschluss von 20 evangelischen Kirchengemeinden im Gebiet der Stadt D-Stadt, und der Antragsteller zu 3., der aus insgesamt 40 Kirchengemeinden im Odenwald mit rund 64.000 Gemeindemitgliedern besteht, leiten ihre Antragsbefugnis aus ihrer körperschaftlichen Organisation und ihrer durch kirchliches Recht begründeten Aufgabe her, die Gemeinden zu vernetzen und Kontakte nach außen herzustellen.

Zur Begründetheit ihrer Anträge führen die Antragsteller aus, § 1 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5, 8, 9 und 10 BedGewV seien schon deshalb ungültig, weil die darin vorgesehene Lockerung der Sonn- und Feiertagsruhe entgegen der bundesgesetzlichen Ermächtigung in § 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nicht zur Vermeidung erheblicher Schäden erforderlich sei und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausnahmeregelung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG nicht erfüllt seien. Danach zulässige Ausnahmen dürften nicht das generelle Konzept und den Kernbereich der Sonn- und Feiertagsruhe gefährden. Eine Arbeit trotz des Sonn- und Feiertages sei daher nur im Interesse der Gewährleistung anderer Rechtsgüter mit gleich- oder höherwertigem Verfassungsrang zulässig. Für keine der beanstandenden Ausnahmeregelungen bestehe das nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 a ArbZG erforderliche besonders hervortretende Bedürfnis der Bevölkerung für eine tägliche oder an diesem Tag erfolgende Bedarfsbefriedigung. Dieses besondere Bedürfnis könne nicht schon dann angenommen werden, wenn die Bevölkerung ein vorhandenes Angebot an Sonn- und Feiertagen begrüßen und nutzen würde. Vielmehr müsse von der Mehrheit der Bevölkerung bzw. von einem wesentlichen Teil der Bevölkerung bei Fehlen eines entsprechenden Angebots ein echter Mangel empfunden werden, was in der Rechtsprechung z. B. für die Versorgung mit aktuellen Presseerzeugnissen anerkannt worden ist. Damit seien die von den Antragstellern beanstandeten Ausnahmeregelungen nicht vergleichbar. Dies wird für die einzelnen beanstandeten Ausnahmeregelungen näher ausgeführt; insoweit und wegen der Ausführungen zu gerügten Abwägungsmängeln wird wegen der Einzelheiten auf die Seiten 17 ff. der Antragsschrift vom 27. August 2012 Bezug genommen.

Die Antragsteller beantragen,

§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5, 8, 9 und 10 BedGewV vom 12. Oktober 2011 (GVBl. I S. 664) für unwirksam zu erklären.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hält den Antrag der Antragstellerin zu 1. für unzulässig und ist der Auffassung, sämtliche Anträge seien jedenfalls unbegründet.

Der Antragstellerin zu 1. fehle sowohl die Antragsbefugnis als auch ein Rechtsschutzbedürfnis für ihren Normenkontrollantrag. Angesichts der im Arbeitszeitgesetz selbst geregelten zahlreichen Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot könne sie wegen der geringen Zahl der von den angefochtenen Verordnungsbestimmungen betroffenen Beschäftigten nicht mit dem Argument gehört werden, organisierte oder nichtorganisierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer könnten wegen der Verhinderung infolge Sonn- und Feiertagsarbeit nicht an ihren Veranstaltungen teilnehmen. Es obliege der Antragstellerin zu 1. selbst, ihre Veranstaltungen so zu terminieren, dass es auch dem durch Sonn- und Feiertagsarbeit betroffenen Kreis von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern möglich sei, an ihren Veranstaltungen teilzunehmen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehle der Antragstellerin zu 1., weil sie nicht konkret dargelegt habe, welche Veranstaltungen sie in Zukunft so terminieren wolle, dass sie mit den in der Bedarfsgewerbeverordnung geregelten Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot in Konflikt gerieten. Wegen der zahlreichen Ausnahmen von diesem Verbot, die bereits im Arbeitszeitgesetz selbst geregelt seien, sei nicht erkennbar, welche rechtlichen oder tatsächlichen Vorteile eine Ungültigkeitserklärung in Bezug auf die angefochtenen Verordnungsbestimmungen für die Antragstellerin zu 1. bringen könnte.

Die Normenkontrollanträge aller Antragsteller seien jedenfalls unbegründet, da die angegriffene Verordnung sich im Rahmen der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 2 ArbZG halte, in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen sei und die angegriffenen Bestimmungen in § 1 Abs. 1 BedGewV mit höherrangigem Recht vereinbar und materiell rechtmäßig seien. Mit dem Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes im Jahr 1994 seien für einzelne Wirtschaftszweige Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen nicht mehr im selben Umfang wie nach früherer Rechtslage möglich. Zwar seien durch das Arbeitszeitgesetz wesentliche Regelungsgegenstände aus § 105e GewO in den Katalog des § 10 Abs. 1 Nr. 1 – 16 ArbZG übernommen worden, so dass in den dort genannten Bereichen Sonn- und Feiertagsarbeit kraft Gesetzes auch ohne Erteilung von Einzelausnahmen möglich sei. Dieser Katalog sei jedoch nicht abschließend und berücksichtige insbesondere nicht die Änderung des Wirtschafts- und Arbeitslebens aufgrund der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie einschließlich des damit einhergehenden Wandels gesellschaftlicher Verhältnisse und Wertvorstellungen. Entgegen der Auffassung der Antragsteller bestehe für die Bereitstellung einiger Dienst- und Versorgungsleistungen, die nicht von § 10 ArbZG erfasst sind, ein anzuerkennender Bedarf in der Bevölkerung an Sonn- und Feiertagen, so dass ergänzende Ausnahmeregelungen erforderlich gewesen seien, die der Antragsgegner im Verordnungswege unter Anwendung des „ihm zustehenden gesetzlichen Beurteilungsspielraums“ geregelt habe. Dabei habe der Antragsgegner entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht einen von den Ländern erarbeiteten Musterentwurf für eine Verordnung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 a ArbZG blind übernommen, sondern eine umfassende Abwägung hinsichtlich der einzelnen in die Verordnung aufzunehmenden Tatbestände vorgenommen, indem er sich daran orientiert habe, dass zum einen der Ausnahmenkatalog des § 10 ArbZG dem sogenannten Bedürfnisgewerbe nicht gerecht werde und sich zum anderen seit Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes ganz gravierende Veränderungen des Freizeit- und Verbraucherverhaltens der Bevölkerung sowie der Rahmenbedingungen der ökonomischen Verhältnisse ergeben hätten. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass vor Erlass der Hessischen Bedarfsgewerbeverordnung einem anzuerkennenden Bedarf der Bevölkerung an bestimmten Dienstleistungen an Sonn- und Feiertagen nur durch Erteilung von Duldungen oder Ausnahmegenehmigungen auf zweifelhafter Rechtsgrundlage habe entsprochen werden können. Da fast alle anderen Bundesländer bereits ähnliche Tatbestände regelnde Bedarfsgewerbeverordnungen erlassen hätten, sei bei der Vorbereitung der angegriffenen Bedarfsgewerbeverordnung insbesondere die Überlegung einzubeziehen gewesen, Schäden in Gestalt von Wettbewerbsnachteilen für die hessische Wirtschaft abzubauen und zu vermeiden.

Vor Erlass der Bedarfsgewerbeverordnung habe eine Verbändeanhörung stattgefunden, an der auch die Antragstellerin zu 1. und der Beauftragte der Evangelischen Kirchen in Hessen am Sitz der Landesregierung beteiligt worden seien und deren Ergebnisse in die Abwägung des Antragsgegners eingeflossen seien. Die Antragsteller berücksichtigten nicht hinreichend, dass dem Gebot des Sonn- und Feiertagsschutzes auch mit § 1 Abs. 1 BedGewV dadurch Rechnung getragen worden sei, dass Arbeitnehmer in den genannten Bereichen an Sonn- und Feiertagen nur beschäftigt werden könnten, soweit die Arbeiten nicht an Werktagen durchgeführt werden könnten. Durch § 1 Abs. 2 BedGewV sei hinsichtlich einiger Ausnahmen vom Arbeitsverbot an Feiertagen der besondere Schutz der sog. hohen Feiertage gewährleistet worden. Für einige Bereiche seien die Ausnahmeregelungen auf wenige Stunden an Sonn- und Feiertagen begrenzt worden.

Wegen des Vorbringens des Antragsgegners zu den einzelnen vorgesehen Beschäftigungsbeschränkungen und zu den von den Antragstellern angegriffenen Ausnahmetatbeständen im Einzelnen wird auf die Antragserwiderung der Bevollmächtigten des Antragsgegners vom 10. Januar 2013 (Bd. I Bl. 105 ff. GA) und die diesem Schriftsatz als Anlage beigefügte Vergleichstabelle zum Ergebnis der durchgeführten Verbändeanhörung (Bd. I Bl. 135 ff. GA) sowie auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten des Antragsgegners vom 27. August 2013 (Bd. II Bl. 214 ff. GA) und auf die mit diesem Schriftsatz vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

Die Antragsteller sind mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 28. Februar 2013 (Bd. I Bl. 148 ff. GA), auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, den Zweifeln des Antragsgegners an der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags der Antragstellerin zu 1. und seinen Ausführungen zur Begründetheit der Anträge aller Antragsteller entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

Die Normenkontrollanträge sind zulässig.

Ihre Statthaftigkeit ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 15 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der VwGO (HessAGVwGO). Danach entscheidet der Verwaltungsgerichtshof in Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO über die Gültigkeit im Rang unter dem Landesgesetz stehender Rechtsvorschriften, auch soweit diese nicht in § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO genannt sind. Die angegriffene Verordnung ist eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsnorm.

Die Antragstellerin zu 1. ist als Vereinigung i. S. d. § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähig, weil ihr ein Recht zustehen kann, insbesondere die Rechte auf Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 und 3 GG).

Die Antragstellerin zu 1. ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners antragsbefugt, weil sie geltend macht, durch die angegriffenen Rechtsvorschriften oder deren Anwendung in absehbarer Zeit in ihren Rechten verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Zu Recht vertritt sie unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2009 – 1 BvR 2857/07 und 1 BvR 2858/07 – (BVerfGE 125, 39; juris) die Auffassung, durch die angegriffene Verordnung in ihrem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 140 GG und Art. 139 WRV verletzt zu werden. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass der Grundrechtsschutz sich nicht in seinem klassischen Gehalt als subjektives Abwehrrecht erschöpfe, sondern aus den Grundrechten vielmehr auch eine Schutzpflicht des Staates für das geschützte Rechtsgut abzuleiten sei (Rn. 134). Art. 139 WRV sei ein religiöser, in der christlichen Tradition wurzelnder Gehalt eigen, der mit einer dezidiert sozialen, weltlich-neutral ausgerichteten Zwecksetzung einhergehe (juris Rn. 141). Zum einen knüpfe er an die anerkannten religiösen Feiertage in ihrer überkommenen christlichen Bedeutung als arbeitsfreie Ruhetage an (Rn. 142). Gleichzeitig komme ihm aber auch die Aufgabe zu, Schutz vor einer weitgehenden Ökonomisierung des Menschen zu bieten. Mit der Gewährleistung rhythmisch wiederkehrender Tage der Arbeitsruhe konkretisiere Art. 139 WRV überdies das Sozialstaatsprinzip. Die Sonn- und Feiertagsruhe fördere und schütze daher nicht nur die Ausübung der Religionsfreiheit. Die Arbeitsruhe diene vielmehr auch der psychischen und physischen Regeneration und damit der körperlichen Unversehrtheit – Art. 2 Abs. 2 GG –, dem Schutz von Ehe und Familie – Art. 6 Abs. 1 GG – sowie der effektiven Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG). Der Sonn- und Feiertagsgarantie könne schließlich ein besonderer Bezug zur Menschenwürde beigemessen werden, weil sie dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze ziehe und dem Menschen um seiner selbst willen diene (BVerfG a.a.O., juris Rn. 141 ff.). Gleiches gilt nach Auffassung des Senats für die Anwendung des Art. 53 der Verfassung des Landes Hessen (HV), der mit Art. 139 WRV wörtlich übereinstimmt.

Die soziale Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschutzes und damit der generellen Arbeitsruhe im weltlichen Bereich resultiert wesentlich aus der synchronen Taktung des sozialen Lebens. Der zeitliche Gleichklang einer für alle regelmäßigen Arbeitsruhe ist daher ein grundlegendes Element für die Wahrnehmung der verschiedenen Formen sozialen Lebens und betrifft insbesondere Familien und gesellschaftliche Verbände. Die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen ist damit wesentlicher Bestandteil der Rahmenbedingungen des Wirkens politischer Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger Vereinigungen. Insoweit kommt ihr wesentliche Bedeutung für die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie zu (vgl. BVerfG a.a.O., juris Rn. 145).

Davon ausgehend wird auch die Antragstellerin zu 1. durch die vom Antragsgegner mit der angegriffenen Verordnung festgesetzten Ausnahmen vom Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen in ihren Rechten berührt und möglicherweise verletzt, weil die Sonntagsruhe auch dem Schutz ihrer Interessen dient.

Der Antragstellerin zu 1. kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, sie berufe sich rechtsmissbräuchlich auf eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 9 GG, weil sie ihre Betroffenheit von den angegriffenen Ausnahmebestimmungen umgehen könne, indem sie Kundgebungen und andere von ihr geplante Veranstaltungen so terminiere, dass von den angegriffenen Ausnahmeregelungen betroffene Arbeitnehmer daran teilnehmen könnten. Aufgrund ihrer von Art. 9 Abs. 1 und 3 S. 1 GG geschützten Vereinigungsfreiheit kann die Antragstellerin zu 1. im Rahmen ihres satzungsmäßigen Auftrags in plakativer und öffentlichkeitswirksamer Form auf die aus ihrer Sicht negativen Auswirkungen der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen hinweisen. Das mit der Vereinigungsfreiheit Hand in Hand gehende Grundrecht der Demonstrationsfreiheit gem. Art. 8 GG gewährleistet den Grundrechtsträgern überdies das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – Brokdorf II – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 –, juris Rn. 61; Sächs. OVG, Beschluss vom 1. November 2010 – 3 B 291/10 –, juris Rn. 22). Es liegt auf der Hand, dass von einer Gewerkschaft organisierte Demonstrationen und andere Veranstaltungen gegen die Zulassung verstärkter Arbeitnehmerbeschäftigung an Sonn- und Feiertagen bevorzugt in örtlicher und zeitlicher Nähe zu den beanstandeten Beschäftigungen durchgeführt werden, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die kritisierten Missstände Realität sind.

Schließlich hat die Antragstellerin zu 1. auch ein Rechtsschutzbedürfnis für ihren Normenkontrollantrag, weil sie durch die beantragte Ungültigerklärung verschiedener Bestimmungen der Bedarfsgewerbeordnung konkrete Vorteile zumindest in tatsächlicher Hinsicht erlangen würde.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es insoweit für die Zulässigkeit der Normenkontrolle maßgeblich darauf an, ob der Antragsteller geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift in seinen Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Ist diese Hürde genommen, so ist regelmäßig auch von einem Rechtsschutzinteresse auszugehen, es sei denn, das Gericht müsste in eine Normprüfung eintreten, die für den Antragsteller im Ergebnis wertlos wäre (BVerwG, Urteil vom 23. April 2002 – 4 CN 3.01 – juris Rn. 10). Dies ist bei dem Normenkontrollantrag der Antragstellerin zu 1. schon deshalb nicht der Fall, weil ihr durch eine Ungültigerklärung der von ihr beanstandeten Bestimmungen der Bedarfsgewerbeverordnung der personelle und sachliche Aufwand erspart bleibt, der sonst mit der Organisation und Durchführung von Kundgebungen und anderen Veranstaltungen gegen vermehrte Sonntagsarbeit verbunden wäre.

Dem kann der Antragsgegner nicht mit Erfolg entgegenhalten, angesichts der bereits durch den Bundesgesetzgeber selbst in § 10 Abs. 1 ArbZG zugelassenen Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit fielen die Auswirkungen der weiter gehenden Ausnahmen aufgrund der angegriffenen Verordnung statistisch nicht ins Gewicht. Zwar dürften die personellen Auswirkungen bei einzelnen angegriffenen Ausnahmeregelungen – etwa § 1 Abs. 1 Nr. 8 und 10 BedGewV (Buchmachergewerbe, Toto- und Lottogesellschaften ohne Annahmestellen) – tatsächlich statistisch gering sein. Bei anderen Ausnahmen – insbesondere nach § 1 Abs. 1 Nr. 4, 5 und 9 BedGewV (Getränkeindustrie und -großhandel, Speiseeisfabriken und entsprechender Großhandel, sog. Callcenter) zeigt aber schon die von der Landesregierung selbst für ihre Verordnung gegebene Begründung, auf die später noch näher einzugehen ist, dass der Verordnungsgeber selbst hier mit erheblichen zahlenmäßigen Auswirkungen rechnet, vor allem bei dem boomenden Versandhandel per Internet, der sich inzwischen zu einer eigenen prosperierenden Handelsbranche entwickle.

Auch die Normenkontrollanträge der Antragsteller zu 2. und 3. sind aus den schon dargestellten Gründen statthaft. Sie sind auch im Übrigen zulässig.

Mit der am 29. Oktober 2012 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Beitrittserklärung ihrer Bevollmächtigten und der damit verbundenen Antragstellung haben auch sie die einjährige Antragsfrist nach Verkündung der angegriffenen Verordnung am 1. November 2011 (GVBl. I S. 664) gewahrt. Ob die Dekanate damals innerkirchlich berechtigt und fähig waren, diese Rechte vor einem staatlichen Gericht ohne die nach § 26 Abs. 2 Nr. 6, Abs. 3 Nr. 2 der Dekanatssynodalordnung (DSO) vom 26. November 2003 (ABl. 2004 S. 87, Abdruck Bd. I Bl. 166 ff. GA), zuletzt geändert am 24. November 2012 (ABl. 2013 S. 38, 54) erforderliche Genehmigung der Kirchenleitung geltend zu machen, kann dahinstehen. Denn die erforderlichen Genehmigungen sind mit Schreiben der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 23. August 2013 (Bd. II Bl. 255 ff. GA) erteilt worden und machen die der Antragstellung zugrunde liegenden Beschlüsse beider Dekanatssynodalvorstände rückwirkend wirksam (§ 26 Abs. 3 DSO; § 184 Abs. 1 BGB analog).

Die Antragsteller zu 2. und 3. sind als juristische Personen beteiligtenfähig (§ 61 Nr. 1 VwGO). Nach Art. 16 S. 1 der Ordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (KO) in der Fassung vom 20. Februar 2010 (ABl. S. 118), geändert am 23 November 2012 (ABl. 2013 S. 5, Abdruck Bd. I Bl. 163 ff. GA) bilden die Kirchengemeinden eines zusammenhängenden Gebiets das Dekanat, das Verantwortung für die kirchlichen Handlungsfelder in seinem Gebiet trägt (Art. 17 S. 3 KO). Nach Art. 1 Abs. 4 des Vertrags der Evangelischen Landeskirchen in Hessen mit dem Lande Hessen vom 18. Februar 1960 (ratifiziert und veröffentlicht mit § 1 des Kirchengesetzes vom 26. April 1960, ABl. S. 41, sowie § 1 Abs. 1 und 2 des Gesetzes vom 10. Juni 1960, GVBl. S. 54) sind die Kirchen, die Kirchengemeinden und die aus ihnen gebildeten Verbände Körperschaften des öffentlichen Rechts. Mithin sind die antragstellenden Dekanate juristische Personen.

Die Antragsbefugnis der beiden Dekanate (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO) ergibt sich unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 140 GG und Art. 139 WRV, da sie geltend machen, durch die angegriffenen Ausnahmeregelungen in ihrem Verantwortungsbereich selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein. Es erscheint möglich, dass die Gottesdienste in den zu ihren Verbänden gehörenden Kirchengemeinden und ihre eigenen religiösen Aktivitäten durch mit der Verordnung erlaubte Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen beeinträchtigt werden. Auf Art. 53 HV braucht hier nicht gesondert eingegangen zu werden.

Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller zu 2. und 3. ergibt sich ohne Weiteres aus den schon erwähnten möglichen Störungen der Gottesdienste der ihnen angehörenden Kirchengemeinden, zumal einige der angegriffenen Ausnahmeregelungen nicht einmal den Schutz der Hauptgottesdienstzeiten gewährleisten.

Die Normenkontrollanträge sind auch begründet.

Zweifel am ordnungsgemäßen Zustandekommen der angegriffenen Verordnung sind nicht dargelegt und nicht ersichtlich.

§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5, 9 und 10 BedGewV sind jedoch insgesamt unwirksam, weil sie ohne hinreichende Ermächtigungsgrundlage ergangen sind.

Für § 1 Abs. 1 Nr. 4 BedGewV (Getränkeindustrie und -großhandel), § 1 Abs. 1 Nr. 5 BedGewV (Fabriken für Roh- und Speiseeis sowie entsprechender Großhandel) und § 1 Abs. 1 Nr. 9 BedGewV (Callcenter) gilt dies schon deshalb, weil der Verordnungsgeber hier auch die Antragsteller im grundrechtsrelevanten Bereich belastende wesentliche Grundentscheidungen getroffen hat, die nicht ihm zustehen, sondern dem (hier: Bundes-) Gesetzgeber vorbehalten sind (Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 12. Aufl. 2012, Rn. 44 ff. zu Art 20 m.w.N.). Nach der sog. Wesentlichkeitstheorie muss der parlamentarische Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und darf sie nicht anderen Normgebern überlassen, insbesondere nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive (Jarass, a.a.O., Rn 47 f. m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 11. März 2008 – 1 BvR 2074/05 u.a. – (BVerfGE 120, 378 = juris Rn. 93 ff.) ausgeführt:

„ …Die Ermächtigung zur automatisierten Kennzeichenerfassung muss den rechtsstaatlichen Anforderungen der Bestimmtheit und Klarheit einer gesetzlichen Ermächtigung genügen. Dem werden die angegriffenen Normen nicht gerecht.

… Das Bestimmtheitsgebot soll sicherstellen, dass der demokratisch legitimierte Parlamentsgesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe und deren Reichweite selbst trifft, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und dass die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können. Ferner erlauben die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann (vgl. BVerfGE 110, 33 <52 ff.>; 113, 348 <375 ff.>). Der Gesetzgeber hat Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar festzulegen (vgl. BVerfGE 100, 313 <359 f., 372>; 110, 33 <53>; 113, 348 <375>; BVerfG, NJW 2007, S. 2464 <2466>).

Das Bestimmtheitsgebot steht in enger Beziehung zum Parlamentsvorbehalt (vgl. BVerfGE 56, 1 <13>; 83, 130 <152>). Dieser soll sicherstellen, dass Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 <403 f.>; 108, 282 <312>). Die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Ermächtigung richten sich nach der Art und Schwere des Eingriffs (vgl. BVerfGE 110, 33 <55>). Die Eingriffsgrundlage muss darum erkennen lassen, ob auch schwerwiegende Eingriffe zugelassen werden sollen. Wird die Möglichkeit derartiger Eingriffe nicht hinreichend deutlich ausgeschlossen, so muss die Ermächtigung die besonderen Bestimmtheitsanforderungen wahren, die bei solchen Eingriffen zu stellen sind (vgl. BVerfGE 113, 348 <377 f.>; 115, 320 <365 f.>).

Die gleiche Auffassung vertritt das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung und begrenzt dabei die Normsetzungsbefugnis des durch Gesetz ermächtigten Verordnungsgebers im Normenkontrollverfahren. In seinem Urteil vom 3. Juli 2002 – 6 CN 8.01 – (BVerwGE 116, 347 = juris Rn.31) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:

„ …Aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem ( Art. 20 Abs. 1 und 3, Art. 28 Abs. 1 GG) folgt, dass in einem Gesetz, durch das die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt wird, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt werden. Das Parlament soll sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll. Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit stellt die notwendige Ergänzung und Konkretisierung des aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes dar. Welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes sowie der Intensität der Maßnahme, namentlich der Grundrechtsrelevanz der Regelung ab (vgl. BVerfGE 58, 257, 277 f.; BVerwGE 110, 253, 255 f.).“

Bei den Ausnahmeregelungen in § 1 Abs. 1 Nr. 4, 5, und 9 BedGewV handelt es sich um grundrechtsrelevante Grundentscheidungen im Sinne dieser Rechtsprechung. Für weite Teile der Getränkeindustrie und Eisfabriken einschließlich des zugehörigen Großhandels wird Sonn- und Feiertagsbeschäftigung im Sommerhalbjahr bis zu acht Stunden freigegeben, so dass diese Tage hinsichtlich der möglichen Arbeitszeit etwa zur Hälfte den Werktagen nahezu gleichgestellt werden (vgl. § 3 ArbZG). Für Callcenter erfolgt die Freigabe ganzjährig und völlig ohne Begrenzung der zulässigen Arbeitszeit. Von diesen Regelungen sind absehbar sehr viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen, wie sich auch der Begründung der Landesregierung für die Bedarfsgewerbeverordnung entnehmen lässt (siehe dort S. 6 f., Bd. II Bl. 239 f. GA). Dies gilt vor allem für Callcenter, womit nach dieser Begründung Beratungs- und Auftragsdienste („Onlinedienste, E-Commerce, Reisebuchungen, Online-Banking, Informations- und Nachrichtenrecherche“) gemeint sind (a.a.O., S. 7).

Eine so weitgehende Freigabe der Arbeitnehmerbeschäftigung an Sonn- und Feiertagen ist durch die Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 2 Nr. 2 a, Abs. 2 S. 1 ArbZG nicht gedeckt und könnte nach der Wesentlichkeitstheorie auch gar nicht verfassungskonform an einen Verordnungsgeber delegiert werden. Zu dieser gestaffelten Verordnungsermächtigung für die Landesregierungen ist in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Arbeitszeitrechtsgesetz vom 13. Oktober 1993 ausgeführt (BT-Drs. 12/5888, S. 30 zum damaligen Art. 1 § 12 Abs. 2 des Gesetzentwurfs):

„Die Landesregierungen sollen die Möglichkeit erhalten, eine Rechtsverordnung in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 a [wortgleich mit § 13 Abs. 1 Nr. 2 a ArbZG] zu erlassen, soweit die Bundesregierung von ihrer Ermächtigung nicht Gebrauch macht. Eine Landesverordnung kommt insbesondere dann in Frage, wenn das Regelungsbedürfnis regionaler Art ist.“

Mit diesem Vorschlag hat die Bundesregierung mit nahezu gleicher Begründung an ihren Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes vom 9. Januar 1985 angeknüpft (BT-Drs. 10/2706, S. 21 zum damaligen § 9 des Gesetzentwurfs), das damals nicht verabschiedet wurde.

Auch wenn der Text der gestaffelten Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 1 und 2 ArbZG die Reichweite der Regelungskompetenz der Landesregierungen nicht ausdrücklich begrenzt, gibt doch der Hinweis auf ein „Regelungsbedürfnis regionaler Art“ in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung einen Anhaltspunkt darauf, dass der Gesetzgeber – ähnlich wie bei der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 72 Abs. 1 und 2 GG) – landesrechtliche Regelungen nur da zulassen wollte, wo nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesrechtliche Regelung erforderlich ist. Dass bei den meisten der inzwischen durch Bedarfsgewerbeverordnungen der Landesregierungen geregelten Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit ein Bedürfnis für bundeseinheitliche Rechtssetzung gesehen wurde, zeigt der Umstand, dass der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik schon 1996 – zwei Jahre nach Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes – einen Musterentwurf für Bedarfsgewerbeverordnungen erstellt hat, an dem sich die Landesregierungen seither orientiert haben (vgl. das vom Antragsgegner vorgelegte Redemanuskript von Herrn Sozialminister Grüttner vor dem Hessischen Landtag zur Initiative der LINKEN gegen eine Ausweitung der Sonn- und Feiertagsarbeit, LT-Drs. 18/4294; Bd. II Bl. 243 ff., S. 2 f.). Ob § 13 Abs. 1 und 2 ArbZG eine Kompetenz der Landesregierungen entnommen werden kann, anstelle der primär zuständigen Bundesregierung sukzessive nahezu bundeseinheitliche Ausnahmeregelungen zu schaffen, bleibt dahingestellt.

Einer derart subsidiär gestalteten Verordnungsermächtigung kann jedenfalls nicht die ohnehin dem Gesetzgeber vorbehaltene Befugnis entnommen werden, Fragen grundsätzlicher Art mit Grundrechtsbezug im Verordnungswege zu regeln. Dies gilt umso mehr, als dem Bundesgesetzgeber von Anfang an der allgemeinkundige Umstand bekannt war, dass die Getränkeindustrie und Eisfabriken sowie die entsprechenden Großhandelsunternehmen im Sommerhalbjahr bundesweit mit einer erhöhten Nachfrage insbesondere an Wochenenden zu rechnen haben. Dass er gleichwohl diese Bereiche nicht in den Ausnahmenkatalog des § 10 ArbZG aufgenommen hat, ist ein wichtiges Indiz dafür, dass hier auch von Gesetzes wegen dem Schutz der Sonn- und Feiertage höheres Gewicht beigemessen wird als den wirtschaftlichen Interessen dieser Gewerbebetriebe, die die Folgen des Arbeitsverbots an diesen geschützten Tagen bislang offensichtlich organisatorisch bewältigen konnten.

Auch hinsichtlich der Callcenter hat der Bundesgesetzgeber bislang keinen Handlungsbedarf für eine Liberalisierung des Arbeitszeitrechts gesehen, obwohl hierzu anlässlich zahlreicher Änderungen des Arbeitszeitgesetzes – zuletzt durch Art. 3 Abs. 6 des Gesetzes vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868, 914) – Gelegenheit bestanden hätte und hier seit Jahren in einer rechtlichen Grauzone aufgrund entsprechender Ausnahmeregelungen in Bedarfsgewerbeverordnungen anderer Bundesländer, möglicherweise aber auch wegen der Duldung illegaler Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen durch die Gewerbeaufsicht eine bundesweit wirkende faktische Aushöhlung des Schutzgebots für diese Tage stattgefunden hatte. Die Frage, ob dem Druck der Wirtschaft und einer steigenden Zahl von Internetnutzern nachgegeben und diese Praxis dauerhaft legalisiert werden soll, ist wegen ihrer schwerwiegenden Bedeutung nicht nur für die Wahrnehmung der von den Antragstellern geltend gemachten Grundrechte, sondern auch für die Wettbewerbsstrukturen in vielen Wirtschaftszweigen nur durch den zuständigen (Bundes-) Gesetzgeber zu entscheiden, der aber offenbar bisher keinen Anlass für eine entsprechende Einschränkung des Schutzes von Sonn- und Feiertagen gesehen hat.

Auch die Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 BedGewV für Videotheken und öffentliche Bibliotheken hält der Senat für unwirksam.

Zwar dürfte hier keine Entscheidung von grundlegender Bedeutung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie getroffen worden sein. Zum einen ist davon nur eine überschaubare Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betroffen, weil Videotheken angesichts der technischen Möglichkeiten mit relativ wenig Personal auskommen und öffentliche Bibliotheken – in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft (§ 5 Abs. 1 Hessisches Bibliotheksgesetz vom 20. September 2010, GVBl. I. S. 295) aus tariflichen Gründen bzw. wegen des Einsatzes ehrenamtlicher Kräfte an Wochenenden kaum mit bezahltem Personal arbeiten. Zum anderen ist durch Änderungsgesetz vom 2. Februar 2010 (GVBl. I S.10) mit § 6 Abs. 2 Nr. 5 Hessisches Feiertagsgesetz die Öffnung von Videotheken und Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen ab 13:00 Uhr erlaubt worden, wodurch der Landesgesetzgeber einen regionalen Bezug für die Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 BedGewV geschaffen hatte.

Jedoch fehlt es insoweit offensichtlich an dem Tatbestandsmerkmal, dass die Ausnahmeregelung „zur Vermeidung erheblicher Schäden“ getroffen sein muss (§ 1 Abs. 1 und 2 S. 1 BedGewV). Zwar ist dem Antragsgegner einzuräumen, dass sowohl bei Videothekenbetreibern – in wirtschaftlicher Hinsicht durch Umsatzeinbußen – als auch bei potentiellen Kunden bzw. Nutzern von Videotheken und öffentlichen Bibliotheken – durch die entgangene Möglichkeiten bestimmter Freizeitgestaltungen – „Schäden“ materieller bzw. immaterieller Art entstehen können, wenn diese Einrichtungen an Sonn- und Feiertagen nicht in Betrieb sind. Dass diese Schäden „erheblich“ sein sollen, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Denn Umsatzeinbußen der Betreiber werden großenteils durch die Ersparnis von Aufwendungen für die Bezahlung der an Sonn- und Feiertagen eingesetzten Arbeitskräfte und die Verlagerung der Nachfrage auf Werktage kompensiert. Die Nutzer der Einrichtungen können sich auf deren Schließung an Sonn- und Feiertagen durch eine geringfügige Verhaltensänderung einstellen, indem sie ihre Vorbereitungen für die Gestaltung dieser Tage – wie etwa beim Einkauf benötigter Lebensmittel – schon am Samstag oder einem anderen arbeitsfreien Tag treffen. Eine solche Verhaltensänderung ist nicht „erheblich“, auch nicht für Berufspendler, die ihren Wochenendbedarf an Videoaufzeichnungen und Lesestoff am Ort ihrer beruflichen Tätigkeit decken und beides zu Hause konsumieren können, so dass sie auf eine sonn- und feiertägliche Betreuung am Wohnort nicht angewiesen sind. Für Videotheken-Nutzer besteht außerdem die Möglichkeit, auf inhabergeführte Betriebe auszuweichen, die an Sonn- und Feiertagen öffnen dürfen.

In Bezug auf Präsenzbibliotheken kommt hinzu, dass der (Bundes-) Gesetzgeber mit der Ausnahmeregelung für „wissenschaftliche Präsenzbibliotheken“ in § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG zu erkennen gegeben hat, dass er nur die Wahrnehmung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG für wichtig genug hält, in diesem Bereich den grundrechtlich gewährleisteten Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe einzuschränken. Diese Einschränkung ist auch für Videotheken zu beachten, zumal dem Verordnungsgeber das vom Antragsgegner in Anspruch genommene „gesetzgeberische Ermessen“ nicht zusteht.

Auch die in § 1 Abs. 1 Nr. 10 BedGewV getroffene Ausnahmeregelung „in Toto- und Lottogesellschaften mit der elektronischen Geschäftsabwicklung für bis zu acht Stunden“ ist unwirksam.

Zwar ist auch hier wohl keine dem Gesetzgeber vorbehaltene Grundsatzentscheidung getroffen worden, weil sich die Ausnahmeregelung auf eine überschaubare Zahl von Beschäftigten und sehr spezielle, weitgehend automatisierte Arbeitsvorgänge bezieht.

Jedoch fehlt es auch insoweit offensichtlich an dem Tatbestandsmerkmal, dass die Ausnahmeregelung „zur Vermeidung erheblicher Schäden“ getroffen sein muss (§ 1 Abs. 1 und 2 S. 1 BedGewV). In der Begründung der Landesregierung für die Bedarfsgewerbeverordnung wird die Erforderlichkeit dieser Ausnahmeregelung mit einem dringenden Bedürfnis der Bevölkerung für eine zeitnahe Auswertung von Toto- und Lottoergebnissen und der im Online-Verfahren bundesweit stattfindenden Spielvertragsabwicklung begründet (S. 8 der Begründung, Bd. II Bl. 241 GA). Weshalb mit einer um einen Tag verzögerten Ermittlung von Gewinnern und Quoten und mit deren entsprechend später stattfindenden Benachrichtigung bzw. Veröffentlichung ein Schaden verbunden sein soll, der zudem erheblich sein müsste, wird jedoch nicht begründet und ist auch nicht nachvollziehbar. Durch eine derartige Verzögerung könnte allenfalls die Werbewirksamkeit der Veröffentlichung der Quoten leiden, was aber – wenn überhaupt – kein erheblicher Schaden wäre. Denn die intensiven Werbemaßnahmen der Toto- und Lottogesellschaften in Deutschland als Nutznießer eines – derzeit durch eine Konzessionsregelung überlagerten – staatlichen Sportwettenmonopols sind ohnehin unions- und verfassungsrechtlich höchst problematisch und bedürfen im Interesse einer kohärenten Bekämpfung der Spielsucht dringend der Überprüfung (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – C-316/07 u.a. –, NVwZ 2010, 1409 = juris Rn. 103; BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 -, BVerfGE 115, 276 = juris Rn 132 ff. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 – 8 C 13.09 –, NVwZ 2011, 549 = juris Rn. 50 und 66 m.w.N.).

Schließlich ist auch § 1 Abs. 1 Nr. 8 BedGewV, der im Buchmachergewerbe die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur Annahme von Wetten für Veranstaltungen für bis zu sechs Stunden zulässt, wegen nicht hinreichender Bestimmtheit von der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 2 Nr. 2 a, Abs. 2 S. 1 ArbZG nicht gedeckt und daher entgegen der Auffassung des Antragsgegners unwirksam.

Auch insoweit hat der Verordnungsgeber zwar im Hinblick auf die geringe Zahl der betroffenen Arbeitskräfte und die Besonderheiten dieses Gewerbes keine dem Gesetzgeber vorbehaltene Grundsatzentscheidung getroffen. In ihrer Begründung für die Bedarfsgewerbeverordnung hat die Landesregierung darauf hingewiesen, dass das Buchmachergewerbe ein Bestandteil der im Übrigen nicht gewerblichen, regelmäßig an Sonn- oder Feiertagen stattfindenden und durch § 10 ArbZG privilegierten Rennsportveranstaltungen sei (S. 7 der Begründung, Bd. II Bl. 240 GA). Gemeint waren hier aber offenbar nur Pferderennen, bei denen – anders als bei den Toto- und Lottogesellschaften – Wetten nicht an Werktagen angenommen werden können, weil erst am Veranstaltungstag feststeht, welche Pferde an den Rennen teilnehmen. Anders als bei den Toto- und Lottogesellschaften hat der Verordnungsgeber hier die aufschiebbare Auswertung der Wetten nicht in die Ausnahmeregelung einbezogen und mit einer Begrenzung auf sechs Stunden die an Sonn- und Feiertagen zulässige Beschäftigungszeit recht deutlich von der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit an Werktagen (§ 3 ArbZG) abgesetzt, um dadurch dem Schutz der prinzipiellen Sonn- und Feiertagsruhe Rechnung zu tragen.

Dass die Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 8 BedGewV insoweit „zur Vermeidung erheblicher Schäden“ getroffen worden ist und „zur Befriedigung … an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist (§ 1 Abs. 1 und 2 S. 1 a BedGewV), ergibt sich daraus, dass Pferdewetten gar nicht mehr veranstaltet und angeboten werden könnten, wenn nicht die Wettannahme an den Veranstaltungstagen nach Bekanntwerden der Starterfelder ermöglicht würde.

§ 1 Abs. 1 Nr. 8 BedGewV kann nach Auffassung des Senats gleichwohl nicht als gültige Ausnahmeregelung angesehen werden, weil sie nicht auf zertifizierte bzw. konzessionierte Buchmacher beschränkt ist, die ausschließlich Pferdewetten abschließen und vermitteln dürfen (Hahn in: Friauf, GewO, Stand: Juli 2013, Rn. 31 f. zu § 33 h GewO; vgl. auch § 27 Glückspielstaatsvertrag – GlüStV –). Auch der im Tatbestand der Vorschrift verwendete Begriff „Veranstaltungen“ lässt nicht erkennen, dass ausschließlich die Annahme von Pferdewetten privilegiert werden soll. Vielmehr ist die Ausnahmeregelung auch auf Buchmacher anwendbar, die ihre Tätigkeit nach einer Gewerbeanmeldung ohne Erlaubnis ausüben können (Heß in: Friauf, a.a.O., Rn. 5 f. vor § 14 GewO m.w.N.) oder – soweit es sich um Glücksspiele einschließlich sonstiger Sportwetten handelt – mit einer Konzession nach § 4a GlüStV Wetten auch auf andere Ereignisse als Sportveranstaltungen abschließen und vermitteln dürfen, ohne dass jeweils vorhersehbar ist, dass diese Ereignisse ausschließlich an Sonn- und Feiertagen stattfinden und Wetten darauf nur am Veranstaltungstag abgeschlossen werden können. Dadurch gewinnt die Ausnahmebestimmung zudem eine tatbestandliche Weite, die die Befürchtung begründet, dass der Verordnungsgeber (auch) seine oben beschriebene begrenzte Ermächtigung überschritten hat.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner als unterliegender Beteiligter zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Das Urteil ist wegen der Kosten mit Abwendungsbefugnis des Antragsgegners für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO analog, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Nach unwidersprochenem Vortrag der Antragstellerin zu 1. Ist das vorliegende Verfahren bundesweit das erste, in dem eine Bedarfsgewerbeverordnung einer Landesregierung der Normenkontrolle unterworfen wird.

Beschluss

Der Streitwert wird entsprechend den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 5.000,- € festgesetzt (NVwZ 2004, 1327; Nr. 35.5 Normenkontrolle), da die Antragsteller kein wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung haben (§ 52 Abs. 2 GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 66 Abs. 3 S. 3, 68 Abs. 1 S. 5 GKG).

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