Gericht: Oberverwaltungsgericht NRW
Entscheidungsdatum: 20.11.2019
Aktenzeichen: 15 A 4408/18
Entscheidungsart: Beschluss
eigenes Abstract: Das Oberverwaltungsgericht von Nordrhein-Westfalen klärt in der Berufung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf die Frage, ob durch eine fehlende Gebührenobergrenze die Säumnisgebühren der Klägerin unverhältnismäßig sind. Die Klägerin hatte über 50 Bücher über die Frist hinausausgeliehen und so Verwaltungsgebühren in Höhe von 1.250€ und Säumnisgebühren über 1.000€ akkumuliert. Das Gericht entscheidet, dass Säumnisgebühren keiner Obergrenze unterliegen müssen.
Instanzenzug:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 19.10.2018 – 15 K 1130/16
Oberverwaltungsgericht NRW, 20.11.2019 – 15 A 4408/18
Leitsatz
Über die Beachtung der spezifischen Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinaus besteht keine generelle Pflicht, bei der Normierung von Säumnisgebühren in der Gebührenordnung einer Hochschulbibliothek eine Degression oder eine Gebührenobergrenze vorzusehen.
Atypischen Fallgestaltungen und besonderen Härten kann im Einzelfall über eine Stundungs-, Ermäßigungs- und Erlassregelung Rechnung getragen werden.
Tenor
Soweit die Beklagte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 21. Dezember 2015 eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 1.250,- € festgesetzt hat, wird die Berufung der Klägerin zugelassen.
Im Übrigen wird der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Gründe
I. Soweit die Beklagte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 21. Dezember 2015 eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 1.250,- € festgesetzt hat, wird die Berufung der Klägerin gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen.
II. Im Übrigen, also soweit die Festsetzung einer Säumnisgebühr über 1.000,- € streitgegenständlich ist, hat der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung keinen Erfolg.
Diesbezüglich begründen die für die Prüfung maßgeblichen Einwände (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.). Sie führen insofern auch nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.). Ein der Beurteilung des beschließenden Gerichts unterliegender Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, auf dem die Entscheidung beruhen kann, liegt hier ebenfalls nicht vor (4.).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen mit Blick auf die in Rede stehende Säumnisgebührenerhebung nicht vor.
Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Januar 2017 ‑ 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19, und vom 9. Juni 2016 ‑ 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 16, jeweils mit weiteren Nachweisen.
Dies ist hinsichtlich der Säumnisgebühr nicht der Fall.
a) Die Rüge der Klägerin, § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 GebOHBib seien wegen des Fehlens einer festen Gebührenobergrenze unverhältnismäßig, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Säumnisgebühr.
Eine Gebühr entbehrt von Verfassungs wegen einer sachlichen Rechtfertigung, wenn sie in einem groben Missverhältnis zu dem vom Gesetzgeber verfolgten legitimen Gebührenzweck steht. Bei der Bemessung von Gebühren verfügt der Normgeber über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum. Verfolgt die Gebühr den Zweck der Kostendeckung, darf dieser Zweck bei der Bemessung der Gebühr nicht gänzlich aus dem Auge verloren werden. Die gerichtliche Kontrolle der Gebührenbemessung darf daher nicht überspannt werden. Gebühren werden in der Regel in Massenverfahren erhoben, bei denen die Gebühr vielfach nur nach Wahrscheinlichkeit und Vermutung in gewissem Maß vergröbert bestimmt und pauschaliert werden kann. Bei der Ordnung der Gebührenerhebung ist der Normgeber daher berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtblick zu erfassen und generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, die verlässlich und effizient vollzogen werden können.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2003 – 2 BvL 9/98 u.a. -, juris Rn. 62; BVerwG, Urteil vom 13. April 2005 – 6 C 5.04 -, juris Rn. 16, Beschluss vom 30. April 2003 – 6 C 6.02 -, juris Rn. 22.
Über die Beachtung dieser Vorgaben hinaus besteht keine generelle Pflicht, eine Degression oder eine Gebührenobergrenze vorzusehen.
Vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 13. April 2005 – 6 C 5.04 -, juris Rn. 17.
Legt man dies zugrunde, ist die Ausgestaltung der Säumnisgebühren in der GebOHBib entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wegen des Fehlens einer festen Gebührenobergrenze unverhältnismäßig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet nicht die Deckelung der potentiell anfallenden Säumnisgebühren. § 3 Abs. 1 Satz 2 GebOHBib sieht nach der Dauer der Leihfristüberschreitung gestaffelte Gebühren je Medieneinheit vor. Schon dadurch wird die Höhe der Säumnisgebühr begrenzt. Etwaige Härtefälle können über § 10 GebOHBib aufgefangen werden. Danach kann die Bibliotheksleitung/Leitung der Hochschulverwaltung entstandene Gebühren und Auslagen auf Antrag ausnahmsweise stunden, ermäßigen oder ganz erlassen, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles eine besondere Härte bedeuten würde. Auf diese Weise könnte insbesondere dem von der Klägerin angesprochenen Fall Rechnung getragen werden, dass Studierende durch die Erhebung hoher Säumnisgebühren in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gebracht werden könnten. Entsprechendes gilt für andere atypische Fallgestaltungen.
Vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 31. März 2006 – 1 BvR 1750/01 -, juris Rn. 35; BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2001 – 6 C 8.00 -, juris Rn. 35; VerfGH Berlin, Beschluss vom 13. Juni 2003 – 161/00 -, juris Rn. 24.
Ob der Beklagten neben der Erhebung einer Säumnisgebühr noch andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um gegen säumige Bibliotheksnutzer vorzugehen, ist für die Beantwortung der Frage, ob es aus Verhältnismäßigkeitsgründen einer festen Gebührenobergrenze bedarf, nicht relevant.
b) Ohne Erfolg macht die Klägerin einen Verstoß der GebOHBib gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund fehlender Differenzierung bei säumigen Medien mit Blick auf die Verlängerbarkeit der Leihfrist geltend.
Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich kein striktes Gebot der gebührenrechtlichen Leistungsproportionalität. Vielmehr verbietet der Gleichheitssatz auch insoweit eine Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung nur, wenn sie sachlich ungerechtfertigt ist. Verfassungsrechtlich geboten ist nicht, dass dem unterschiedlichen Maß der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen genau Rechnung getragen wird, sondern nur, dass in den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit eine verhältnismäßige (Belastungs-)Gleichheit unter den Gebührenschuldnern gewahrt bleibt. Mit Art. 3 Abs. 1 GG ist insbesondere eine Pauschalierung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung zu vereinbaren.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 2005 – 6 C 5.04 -, juris Rn. 19, Beschluss vom 30. April 2003 – 6 C 6.02 -, juris Rn. 57, Urteil vom 25. Juli 2001 – 6 C 8.00 -, juris Rn. 46.
Daran gemessen ist die GebOHBib – namentlich deren § 3 Abs. 1 – nicht unter dem von der Klägerin aufgeworfenen Aspekt gleichheitswidrig. Der Umstand, dass Leihfristen nach § 11 Abs. 5 BenOHBib verlängerbar sind, wenn das Buch nicht anderweitig vorgemerkt ist, ändert nichts daran, dass nach Ablauf der Leihfrist gemäß § 11Abs. 1 Satz 2 BenOHBib bei Nichtrückgabe der entliehenen Bücher Säumnisgebühren nach den geltenden rechtlichen Grundlagen – also nach § 3 Abs. 1 GebOHBib – erhoben werden. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, hierbei nach vorgemerkten und nicht vorgemerkten Medien unterscheiden. Auch nicht vorgemerkte Medien werden der Nutzung durch andere Nutzer entzogen, sobald die Leihfrist überschritten ist. Bereits das Interesse der Beklagten daran, mithilfe des Leihfristsystems möglichst vielen Nutzern möglichst regelmäßig eine Nutzungsmöglichkeit im Hinblick auf die einzelnen Medien zu eröffnen, rechtfertigt eine pauschale Säumnisgebührenbemessung, die nicht gesondert auf die Vormerkung des Mediums Rücksicht nimmt. Das Nutzungsinteresse kann auch spontan entstehen, ohne dass es zuvor durch eine Vormerkung bekundet wurde. Abgesehen davon kann der Nutzer – und im vorliegenden Fall damit auch die Klägerin – die Entstehung von Säumnisgebühren bei verlängerbaren Medien ohne Weiteres durch einen Verlängerungsantrag abwenden.
c) Den Einwand, die abweichende Leihfrist für Handapparate in § 11 Abs. 7.3 Satz 1 BenOHBib sei zu Unrecht nicht berücksichtigt worden, hat die Beklagte mit ihrer Zulassungserwiderung vom 22. Januar 2019 in tatsächlicher Hinsicht entkräftet. Danach habe die Leihfrist gerade wegen der Einordnung als Handapparat im Sinne von § 11 Abs. 7.3 BenOHBib wie bei allen anderen hauptamtlich Lehrenden und Forschenden zum Ende des Studienjahrs am 31. Juli 2015 geendet und nicht gemäߧ 11 Abs. 1 Satz 1 BenOHBib nach 28 Tagen.
2. Die Berufung ist, was die Säumnisgebühr anbelangt, nicht gemäß § 124 Abs. 2Nr. 2 VwGO wegen der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe der Klägerin gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil insofern beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dass der Ausgang des Rechtsstreits in dem vorgenannten Sinn offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens aus den unter II.1. genannten Gründen nicht feststellen. Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten wirft die Rechtssache, die keine überdurchschnittliche Komplexität aufweist, auch sonst nicht auf
3. Die Berufung ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrunds die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist und aus welchen Gründen sie Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat.
Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Säumnisgebühr nicht gegeben.
Die von der Klägerin formulierten, auf die Erhebung der Säumnisgebühr abzielenden Fragen,
„ob die Ausleihe von 50 Büchern zum gleichen Zeitpunkt durch einen Hochschullehrer ipso jure als Ausleihe eines Handapparates zu würdigen ist“,
„ob das Fehlen einer Gebührenobergrenze in der Gebührenverordnung eine Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Art. 28 Abs. 1 GG, 20 Abs. 3 GG darstellt“,
führen nicht auf einen grundsätzlichen Klärungsbedarf. In der unter II.1. zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auch des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, welchen Inhalt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Gestalt des Äquivalenzprinzips hat. Einen weitergehenden Klärungsbedarf zeigt der Zulassungsantrag mit Blick auf die Säumnisgebühr nicht auf. Alles Weitere ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls des Zuschnitts der Säumnisgebühr in der betreffenden(Hochschulbibliotheks-)Gebührensatzung, der einer verallgemeinernden Klärung nicht zugänglich ist. Unbeschadet dessen trifft die Prämisse des Zulassungsantrags nicht zu, dass die Beklagte – wie unter II. 1. c) ausgeführt – nicht vom Vorliegen eines Handapparats ausgegangen sei. Daher würde sich die von der Klägerin insoweit aufgeworfene Grundsatzfrage in einem Berufungsverfahren nicht stellen.
4. Es liegt kein der Beurteilung des beschließenden Gerichts unterliegender Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Das Verwaltungsgericht hat nicht in entscheidungserheblicher Weise gegen den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VwGO verstoßen, weil es der Frage des Vorliegens eines Handapparats nicht weiter nachgegangen ist. Denn, wie unter II. 1. c) dargelegt, hat die Beklagte die Gebühren unter der Prämisse des Vorliegens eines Handapparats berechnet und erhoben. Aus demselben Grund hat das Verwaltungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt.
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