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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen

Entscheidungsdatum: 01.06.2023

Aktenzeichen: 4 D 94/20.NE

ECLI: ECLI:DE:OVGNRW:2023:0601.4D94.20NE.00

Entscheidungsart: Urteil

Eigenes Abstract: In dem Verfahren vor dem OVG Münster hatte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gegen das Land Nordrhein-Westfalen geklagt, um in einem Normenkontrollantrag feststellen zu lassen, dass § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeordnung NRW rechtswidrig sei. Diese Norm gestattet Öffentlichen Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen an Sonn- und Feiertagen Arbeiternehmer bis zu sechs Stunden zu beschäftigen. Das Gericht wies die Klage ab, u.a mit der Begründung, dass ein sonntäglicher Bibliotheksbesuch gerade zur Verwirklichung der Zweckbestimmung der Feiertage als Tage der Arbeitsruhe diene, da Bibliotheken ihren Besuchern einen niederschwellig zugänglichen Raum zur individuellen Gestaltung des Sonntags zur seelischen Erhebung zur Verfügung stellen.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Antragstellerin, eine bundesweit tätige Dienstleistungsgewerkschaft, wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Verordnung über die Zulassung der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung (Bedarfsgewerbeverordnung), der eine Sonn- und Feiertagsöffnung öffentlicher Bibliotheken in Erfüllung ihrer kulturellen Funktionen als Orte der Kultur vorsieht.

Der Antragsgegner fasste durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der kulturellen Funktion der Öffentlichen Bibliotheken und ihrer Öffnung am Sonntag (Bibliotheksstärkungsgesetz) vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) § 10 des Kulturfördergesetzes NRW wie folgt neu:

„(1) Die öffentlichen Bibliotheken sind nach Maßgabe der Bestimmungen ihres Trägers Orte der Kultur. Insofern dienen sie

1. dem Informationszugang und lebenslangen Lernen,

2. der Begegnung, Kommunikation, dem kulturellen Austausch und der gesellschaftlichen Integration,

3. der Leseförderung sowie der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz,

4. der Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung sowie

5. der demokratischen Willensbildung und gleichberechtigten Teilhabe, insbesondere durch ein vielfältiges Presseangebot.

Sie können insbesondere im ländlichen Raum und in kleinen Städten und Gemeinden zu Zentren der Kultur weiterentwickelt werden und insofern dazu dienen, dass an ihnen verschiedene kulturelle Aktivitäten aus der regionalen Umgebung angeboten werden können.

(2) Das Land fördert die öffentlichen Bibliotheken in ihren Funktionen nach Absatz 1. Das Land unterstützt die öffentlichen Bibliotheken insbesondere bei der Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz, der Leseförderung, der Entwicklung neuer Dienstleistungen, insbesondere von Dienstleistungen, die nicht Ausleihe oder Rückgabe sind, und der Modernisierung der technischen Infrastruktur. Das Nähere regelt das für Kultur zuständige Ministerium in einer Förderrichtlinie.

(3) Das Land unterhält eine zentrale Fachstelle für öffentliche Bibliotheken, welche die Aufgabe hat, Konzepte und Programme zur Sicherung und zum Ausbau öffentlicher Bibliotheken zu entwickeln und zu vermitteln sowie insbesondere kleinere Bibliotheken in allen bibliotheksfachlichen Fragen zu informieren, zu beraten und zu unterstützen.“

Gleichzeitig fügte der Antragsgegner durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes § 1 Abs. 1 der Bedarfsgewerbeverordnung folgende Nr. 11 an:

„in öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre Funktionen nach § 10 Absatz 1 des Kulturfördergesetzes NRW vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 917), geändert durch Gesetz vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90), erfüllen, bis zu 6 Stunden.“

Dem Vorhaben zugrunde lag ein Gesetzesentwurf der Fraktionen von CDU und FDP vom 2.4.2019 (LT-Drs. 17/5637). Öffentliche Bibliotheken seien als hoch frequentierte Kultureinrichtungen in Nordrhein-Westfalen Orte der Begegnung, der Kommunikation und – vor allem aufgrund ihrer Niederschwelligkeit – der gesellschaftlichen Integration. Gerade Familien nutzten gemeinsam die Bibliothek, um damit aktive Familienarbeit zu betreiben. Zugleich hielten Bibliotheken unverzichtbare Informationsquellen für die politische Meinungsbildung und die demokratische Teilhabe in Form von nur vor Ort nutzbaren Presseerzeugnissen und anderen Medien tagespolitischen Inhalts bereit und ermöglichten so weiten Teilen der Bevölkerung, ihr Grundrecht auf Informationsfreiheit in Anspruch zu nehmen und damit mündig am politischen Leben teilzunehmen. Im Internet seien neben sehr vielen guten Informationsangeboten viele zweifelhafte Quellen vorhanden, die die Entstehung und die Verbreitung von sog. Fake News begünstigten, zu denen das fachlich ausgewählte Informationsangebot der öffentlichen Bibliotheken ein notwendiges Korrektiv von besonderer Bedeutung darstelle. Öffentliche Bibliotheken seien Bildungseinrichtungen, die Medien- und Informationskompetenz gerade an Kinder und Jugendliche vermittelten. Darüber hinaus dienten sie jedermann der Befriedigung kultureller, nicht nur konsumtiver Freizeitbedürfnisse und seien insofern vergleichbar mit Musikaufführungen, Theatervorstellungen, Filmvorführungen, Schaustellungen, Darbietungen und ähnlichen Veranstaltungen. In öffentlichen Bibliotheken würden zudem Räume nicht nur familiärer Sinnstiftung und Begegnung geschaffen, sondern auch Foren interkultureller Erziehung und Integration bereitgestellt. Öffentliche Bibliotheken seien nicht nur im ländlichen Raum und in kleinen Städten zentrale Orte für öffentliche kulturelle Veranstaltungen. Durch verschiedene Formen der Kooperation und institutionellen Integration mit anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen wie Museen oder Volkshochschulen fungierten sie als Zentren für Kultur und Bildung und damit als sog. Dritte Orte. Öffentliche Bibliotheken seien daher Orte der Kultur. Anders als Museen, Theater oder kommerzielle Freizeiteinrichtungen müssten öffentliche Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen schließen. Dadurch könnten sie ihre Funktion als gesellschaftlicher Begegnungsort, die auch der nichtkonsumtiven Freizeitgestaltung diene, nur unzureichend erfüllen. Berufstätige Eltern hätten keine Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Kindern eine Bibliothek aufzusuchen und sie an das vielfältige Medien- und Buchangebot heranzuführen. Gerade für sozial benachteiligte Familien seien öffentliche Bibliotheken für die kulturelle gesellschaftliche Teilhabe von hoher Bedeutung.

Die Funktion der öffentlichen Bibliotheken als Begegnungs- und kulturelle Veranstaltungsorte sowie ihre für die Ausübung des Grundrechts der Informationsfreiheit wichtige Rolle als Vermittlerin nur vor Ort nutzbarer Informationsangebote solle durch eine Änderung des Kulturfördergesetzes (Art. 1) als im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe gesetzlich anerkannt und künftig in das Förderhandeln des Landes einbezogen werden. Zugleich würden die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um über eine Änderung der Bedarfsgewerbeverordnung (Art. 2) auf der Grundlage der bislang vom Land nicht genutzten Regelungsbefugnis in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i. V. m. § 13 Abs. 2 Satz 1 ArbZG öffentlichen Bibliotheken eine Öffnung an Sonntag- und Feiertagen zu ermöglichen. Art. 1 und Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes stellten ein aufeinander bezogenes Regelungsvorhaben dar. Aufgrund dieses Sachbezugs sei eine Änderung der Bedarfsgewerbeverordnung durch Parlamentsgesetz nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig.

Ein erheblicher Schaden im Sinne des § 13 Abs. 1 ArbZG liege vor. Die durch die Funktionen öffentlicher Bibliotheken getragenen Bedürfnisse seien jeweils grundrechtlich (Art. 5 und Art. 6 GG) oder staatsprinzipiell (Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) besonders geschützt und damit zumindest gleichrangig mit dem Schutz der Sonntagsruhe nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. Eine Abwägung der zu berücksichtigenden Schutzinteressen im Sinne praktischer Konkordanz ergebe, dass eine Sonntagsöffnung sachgerecht und zur Bedürfnisbefriedigung erforderlich sei. Aus der bisher fehlenden Öffnungsmöglichkeit an Sonn- und Feiertagen folge nicht nur eine Beeinträchtigung der Funktion von öffentlichen Bibliotheken als kulturellen Veranstaltungs- und Begegnungsorten sowie als Bildungseinrichtungen, sondern auch ein grundrechtserheblicher Nachteil auf Seiten der Bürger, welche die Bibliothek wegen ihrer Berufstätigkeit unter der Woche nicht aufsuchen und daher die nur vor Ort verfügbaren Informationsangebote nicht nutzen könnten. Zudem sei berufstätigen Eltern eine gemeinsame Nutzung der öffentlichen Bibliotheken mit ihren Kindern an Werktagen nicht möglich, wodurch sie bei der ebenfalls grundrechtlich geschützten Medien- und Informationserziehung ihrer Kinder beeinträchtigt würden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, Rn. 40) sei eine Sonntagsöffnung öffentlicher Bibliotheken gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i. V. m. § 13 Abs. 2 Satz 1 ArbZG zwar nicht statthaft, wenn sie der Erfüllung bloß konsumtiver Freizeitbedürfnisse der Bevölkerung ähnlich derer einer Videothek diene, die bei vorausschauender Planung werktäglich befriedigt werden könne. Das Bibliotheksstärkungsgesetz folge dieser Rechtsprechung und stelle für die Öffnung von öffentlichen Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen daher besonders auf deren kulturelle Funktion als Bildungs-, Begegnungs- und Kommunikationsort jenseits ihrer Ausleihfunktion ab. Bei öffentlichen Bibliotheken liege vor diesem Hintergrund ein rechtfertigender Sachgrund für die Sonntagsöffnung vor, weil ohne diese Öffnung an Sonn- oder Feiertagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung, die in der Wahrnehmung der in Art. 1 dieses Gesetzes im Einzelnen geregelten kulturellen Funktionen der öffentlichen Bibliotheken lägen, nicht befriedigt werden könnten. Hinsichtlich der Funktion öffentlicher Bibliotheken als Stätten staatsbürgerlicher Bildung und der Unterstützung der demokratischen Willensbildung könne je nach politischer Lage das Bedürfnis bestehen, sich zeitnah zu einem Thema der öffentlichen Meinungsbildung zu informieren, weil die sozialen Prozesse der Meinungsbildung eine spontane Information erforderten. Es sei verfassungsrechtlich anerkannt, dass Prozesse spontaner Meinungsbildung – wie etwa in einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Spontandemonstration – verfassungsrechtlich ebenso geschützt seien wie die Prozesse geplanter Meinungsbildung. Sowohl grundrechtlich als auch vom Demokratieprinzip her müsse der Weg offen sein, derartige spontane Informationsbegehren befriedigen zu können. Dies gelte gerade in einer Zeit, in der aufgrund der Informationsunwucht, die durch die sozialen Medien geschaffen worden sei, ein erhöhter Bedarf an belastbaren Informationen bestehe, die öffentliche Bibliotheken mit ihrem fachlich ausgewählten Angebot bereithielten. Hier ergäben sich viele spontane Informationsbedürfnisse, die durch Planung im Vorfeld nicht erfüllbar seien. Im Hinblick auf die Funktion öffentlicher Bibliotheken als Räume der Begegnung, der Kommunikation und der gesellschaftlichen Integration habe empirisch – beispielsweise bei dem Sonntagsöffnungsversuch der kommunalen Bibliothek des Mönchengladbacher Stadtteils Rheydt – festgestellt werden können, dass sich die sonntags geöffnete Bibliothek zu einer „interkulturellen Familienbibliothek“ weiterentwickelt habe. Andere Erfahrungen zeigten, dass sonntags der Anteil jugendlicher Nutzer und damit der Anteil einer nur schwer erreichbaren Zielgruppe besonders groß sei. Weiterhin unterstützten öffentliche Bibliotheken den Schutz der Familie und das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 GG. An Sonntagen geöffnete Bibliotheken seien – gerade aufgrund des für alle grundsätzlich beschäftigungsfreien Sonntags – gut angenommene Stätten der Familie. Insofern höhle eine Sonntagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken den verfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutz, der ja auch eine gemeinsame Familienzeit ermöglichen solle, nicht aus, sondern setze ihn voraus und stärke ihn.

Ohne die Zulässigkeit einer Sonntagsöffnung würde für diese hochrangigen Rechtsgüter ein erheblicher Schaden eintreten. Hinsichtlich der Funktionen öffentlicher Bibliotheken als Orte der Kultur und des lebenslangen Lernens bestehe ohne Sonntagsöffnung ein Widerspruch zu den Wertungen des Arbeitszeitgesetzes und damit ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Denn die sonstigen Dimensionen kultureller Entfaltung seien durch § 10 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 ArbZG vom Gebot der Sonntagsruhe gesetzlich befreit. Aus diesen Wertungen des Arbeitszeitgesetzes folge daher als solches schon die Erheblichkeit des Schadens bei denjenigen Bedürfnissen, die durch ortsgebundene Funktionen öffentlicher Bibliotheken als Kultureinrichtungen befriedigt würden. Dieses Ergebnis werde durch den Umstand bestätigt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Sonn- und Feiertagsgarantie ein besonderer Bezug zur Menschenwürde beigemessen werden könne, weil sie dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze ziehe und dem Menschen um seiner selbst willen diene. Umgekehrt müssten dann aber auch solche Einrichtungen eine Nähe zur Sonntagsöffnung besitzen, die sich in ihrem Angebot einem ökonomischen Nutzdenken entzögen, etwa weil sie konsumfreie Stätten persönlichkeitsprägender Bildung seien. Soweit Bibliotheken als Stätten der Begegnung und der familiären Freizeitgestaltung dienten, stehe die Befriedigung hoher Schutzgüter der Familie und der Erziehung in Rede. Gerade werktags arbeitende Eltern könnten nur sonn- und feiertags mit ihren Kindern öffentliche Bibliotheken aufsuchen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diene indes die Statuierung gemeinsamer Ruhetage auch dem Schutz von Ehe und Familie und finde familiäre Entfaltung nicht nur im häuslichen Bereich, sondern auch innerhalb eines sozialen Kontexts statt. Dann könne es aber nicht sein, dass umgekehrt gerade das Gebot gemeinsamer Ruhetage einen Schutz von Ehe und Familie im Hinblick auf die Nutzung öffentlicher Bibliotheken an diesen Tagen verhindere. Das Bundesverfassungsgericht habe daher die „Arbeit für den Sonntag“ anerkannt. Bei Wahrung eines hinreichenden Niveaus des Sonn- und Feiertagsschutzes seien Beschäftigungen, die dazu dienten, arbeitenden Menschen eine individuelle Gestaltung ihres arbeitsfreien Tages zu ermöglichen, grundsätzlich zulässig. Auch durch einen Vergleich zu den nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG privilegierten wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken ergebe sich das Vorliegen eines erheblichen Schadens. Grund ihrer Privilegierung sei der Schutz der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG. Diese Interessenbefriedigung greife indes auch bei der Sonntagsöffnung öffentlicher Bibliotheken mit Blick auf das ebenfalls in Art. 5 GG geschützte Grundrecht der Informationsfreiheit. Denn ohne Sonntagsöffnung sei die Nutzung ebenfalls nur vor Ort vorhandener allgemein zugänglicher Quellen für die tagespolitische Information und staatsbürgerliche Bildung für viele Menschen praktisch nicht möglich, was eine empfindliche Verkürzung ihrer grundrechtlichen Entfaltungsmöglichkeiten bedeute. Was für die Quellen wissenschaftlicher Arbeit gelte, müsse auch für demokratierelevante Informationsmittel in den Beständen öffentlicher Bibliotheken gelten. Soweit die demokratietheoretische Funktion öffentlicher Bibliotheken als Zentrum öffentlicher staatsbürgerlicher Meinungsbildung in Rede stehe, liege ebenfalls ein erheblicher Schaden vor. Denn das Bundesverfassungsgericht spreche der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen eine erhebliche Bedeutung für die Rahmenbedingungen des Wirkens der politischen Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger Vereinigungen und ganz generell für die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie zu. Auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Integration sei die Erheblichkeit des Schadens offensichtlich. Öffentliche Bibliotheken entwickelten sich zu funktionalen Orten interkultureller Bildung. Ohne die Öffnung an Sonn- und Feiertagen würde die Befriedigung dieses Bedürfnisses entfallen. Für die Bundesrepublik Deutschland sei eine gelingende Integration von Migranten sowie von Menschen mit Migrationshintergrund aber eine unabweislich wichtige öffentliche Aufgabe. Soweit öffentliche Bibliotheken zu „Dritten Orten“ weiter entwickelt würden, liege ohne Sonntagsöffnung ebenfalls ein erheblicher Schaden vor, weil die öffentlichen Bibliotheken in diesen Fallgestaltungen keine üblichen bibliothekarischen Funktionen im Sinne der Ausleihe und Rückgabe wahrnähmen, sondern gerade solche kulturelle Funktionen übernähmen, die arbeitszeitrechtlich nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 ArbZG schon gegenwärtig ausdrücklich privilegiert seien, wenn sie von speziellen Institutionen angeboten würden.

Eine Bedürfnisbefriedigung sei nicht durch eine zumutbare vorausschauende Planung realisierbar. Denn diese Bedürfnisse zeichneten sich gerade in ihrem Kern dadurch aus, dass sie entweder auf eine spontane Befriedigung hin ausgerichtet seien oder dass die sonntägliche Inanspruchnahme der Bibliothek die Befriedigung eines nichtspontanen, aber gleichwohl grundrechtlich geschützten Bedürfnisses ermögliche, welches deshalb nicht werktags befriedigt werden könne, weil an diesen Tagen die bibliotheksaufsuchenden Personen der werktäglichen Arbeit nachgehen müssten.

Durch die Beschränkung der Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken auf sechs Stunden werde gewährleistet, dass Bibliotheksmitarbeiter nicht vollständig auf eine Sonntagsruhe verzichten müssten und auch Gelegenheit zum Gottesdienstbesuch hätten. Insoweit werde sowohl dem Schutz der Arbeitnehmer als auch der Sonn- und Feiertagsruhe ausreichend Rechnung getragen. Soweit kirchliche Bibliotheken vormittags im Zusammenhang mit den Gottesdiensten durch den Einsatz von ehrenamtlich tätigen Personen geöffnet seien, würden sie durch die Zeitvorgaben in der Bedarfsgewerbeverordnung nicht beeinträchtigt.

Der Gesetzesentwurf war nach erster Lesung im Landtag am 11.4.2019 an den Ausschuss für Kultur und Medien – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und an den Innenausschuss überwiesen worden. Der Ausschuss für Kultur und Medien hatte am 4.7.2019 eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen durchgeführt, an der sich die beiden mitberatenden Ausschüsse nachrichtlich beteiligt hatten. Die öffentliche Anhörung der Sachverständigen nebst einer Übersicht der geladenen Sachverständigen und deren im Vorfeld abgegebenen Stellungnahmen ist im Ausschussprotokoll 17/693 dokumentiert, auf welches bezüglich des genauen Inhalts verwiesen wird. Im Rahmen der Stellungnahmen und der mündlichen Anhörung wurde der Gesetzentwurf breit unterstützt. Anschließend hatten die damit befassten Ausschüsse dem Gesetzesentwurf jeweils einstimmig zugestimmt. Der Gesetzentwurf war sodann in zweiter Lesung am 9.10.2019 einstimmig angenommen worden. Ausweislich der Plenarprotokolle zu erster und zweiter Lesung (17/56, 17/68) sowie der Kabinettvorlage des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft zu dem Gesetzentwurf vom 8.4.2019 sollte durch das Vorhaben auf Landesebene eine Sonn- und Feiertagsöffnung öffentlicher Bibliotheken ermöglicht werden, nachdem in den vergangenen Jahren mehrere Initiativen zur Anpassung des Arbeitszeitgesetzes auf Bundesebene gescheitert waren.

Die Antragstellerin hat am 28.5.2020 den vorliegenden Normenkontrollantrag gestellt.

Mit dem Gesetz zum Erlass eines Kulturgesetzbuches sowie zur Änderung und Aufhebung weiterer Vorschriften (Kulturrechtsneuordnungsgesetz) vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) hat der Antragsgegner unter Art. 1 das Kulturgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen (Kulturgesetzbuch NRW) erlassen, unter Art. 2 das Kulturfördergesetz NRW aufgehoben sowie unter Art. 7 in § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung die Wörter „§ 10 Absatz 1 des Kulturfördergesetzes NRW vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 917), geändert durch Gesetz vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90),“ durch die Wörter „§ 47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuches vom 1. Dezember 2021 (GV. NRW. S. 1353) in der jeweils geltenden Fassung“ ersetzt.

Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags führt die Antragstellerin aus, der Antrag sei zulässig. Insbesondere sei sie antragsbefugt, weil sie geltend machen könne, in ihrem subjektiven Recht aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG, konkretisiert durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, verletzt zu sein. Durch § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung werde die Sonn- und Feiertagsarbeit in öffentlichen Bibliotheken zugelassen. Die Tätigkeit in öffentlichen Bibliotheken gehöre zu den Dienstleistungen im Öffentlichen Dienst und falle damit in ihren gewerkschaftlichen Tätigkeitsbereich. Der Antrag sei auch begründet, weil die angegriffene Norm rechtswidrig sei. In formeller Hinsicht hätte § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung weder durch ein formelles Landesgesetz eingefügt noch geändert werden dürfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts sei der Erlass bzw. die Änderung einer Rechtsverordnung durch ein formelles Gesetz nur zulässig, wenn sowohl ein förmliches Gesetz als auch eine auf ihm beruhende Verordnung in einem einheitlichen Vorgang geändert und aufeinander abgestimmt würden. Dies sei hier unzweifelhaft nicht geschehen, weil die Verordnungsermächtigung im Arbeitszeitgesetz unverändert geblieben sei und nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers stehe. In materieller Hinsicht genüge § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung bereits nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Insbesondere lasse sich die Beschränkung der Sonn- und Feiertagsöffnung auf eine Nutzung der öffentlichen Bibliotheken an Ort und Stelle weder § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung noch § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW entnehmen, sodass reine Ausleihbibliotheken ebenfalls profitieren könnten. Insbesondere sei nicht eindeutig, ob die Bibliotheken nur dann Orte der Kultur seien, wenn sie eine oder mehrere der genannten Funktionen ausübten. So sei für die Verantwortlichen vor Ort auch nicht zu erkennen, welche öffentlichen Bibliotheken aufgrund der Regelungen öffnen dürften und welche nicht, wodurch sie sich dem Risiko eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG aussetzten. Die angegriffene Norm sei zudem rechtswidrig, weil § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung nicht die allgemeinen und speziellen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG erfülle. Insbesondere habe das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 – bereits entschieden, dass die Voraussetzungen für eine sonn- und feiertägliche Öffnung öffentlicher Bibliotheken gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG grundsätzlich nicht vorlägen. Es sei nicht erforderlich, Bibliotheken auch an Sonn- und Feiertagen zu öffnen, um an diesen Tagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und anderenfalls eintretende erhebliche Schäden zu vermeiden. Die angegriffene Norm sei nicht abweichend zu bewerten, weil der Antragsgegner ihren Anwendungsbereich auf öffentliche Bibliotheken mit Funktionen nach § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW beschränke, also die besondere Bedeutung der Bibliotheken im Sinne des Kulturgesetzbuchs NRW betont habe. Es sei bereits zu bezweifeln, dass ein besonderes Bedürfnis an einer sonn- und feiertäglichen Öffnung von Bibliotheken in einem wesentlichen Teil der Bevölkerung bestehe. Dieses ergebe sich insbesondere nicht aus dem Bedürfnis, sich zeitnah und spontan zu einem Thema der öffentlichen Meinungsbildung gerade an einem Sonn- oder Feiertag in Bibliotheken zu informieren, weil hierzu heutzutage zahlreiche weitere Medien zur Verfügung stünden. Auch von einem bei Nichtöffnung entstehenden erheblichen Schaden sei nicht auszugehen. Der Antragsgegner habe in seiner Begründung insoweit nur auf die besondere Bedeutung von Bibliotheken verwiesen. Schließlich habe der Gesetzgeber durch die besondere Erwähnung von wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken in § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG eine bewusste Unterscheidung zwischen diesen und öffentlichen Bibliotheken und damit eine Entscheidung zu Lasten der öffentlichen Bibliotheken getroffen. Das vom Antragsgegner verfolgte staatliche Interesse an der Kulturförderung sei zwar zu begrüßen, jedoch enthalte § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG gerade keine Ermächtigungsgrundlage dafür, dieses Ziel durch die Gestattung von Sonn- und Feiertagsöffnungen zu verfolgen.

Sofern wegen der Änderung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung eine Antragsänderung erforderlich sei und für diese die Jahresfrist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gelte, sei ihr – die mit Schriftsatz vom 20.1.2023 auf den Hinweis des Gerichts vom 3.1.2023 beantragte – Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Für sie sei erst aufgrund des gerichtlichen Hinweises vom 3.1.2023 erkennbar gewesen, dass das Gericht von einer wirksamen Änderung der streitgegenständlichen Verordnung und hinsichtlich einer Antragsanpassung von einer Änderung des Antrags, die dem Fristenregime des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterliege, ausgehe. Hier wäre das Gericht gemäß § 86 VwGO gehalten gewesen, rechtzeitig entsprechende Hinweise zu erteilen.

Die Antragstellerin hat ursprünglich beantragt, § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung vom 5.5.1998, eingefügt durch Bibliotheksstärkungsgesetz vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) für unwirksam zu erklären. Nach gerichtlichen Hinweisen vom 3. und 31.1.2023 beantragt sie nunmehr – wie mit den Schriftsätzen vom 20.1.2023 und 10.2.2023 erstmals angekündigt –,

§ 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung vom 5.5.1998, eingefügt durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852), in der Fassung gemäß Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353), für unwirksam zu erklären.

Der Antragsgegner hat in der mündlichen Verhandlung in die Einbeziehung von Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) in den Antrag eingewilligt und beantragt nunmehr,

den Antrag abzulehnen.

Er hält die angegriffene Norm für mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar. Eine genauere Beschreibung der öffentlichen Bibliotheken, die an Sonn- und Feiertagen öffnen dürften, sei im Wege einer Rechtsnorm nicht möglich. Die Regelung habe in der Praxis bei der bislang nur vereinzelt wahrgenommenen Umsetzung vor Ort nicht zu Problemen geführt. Sämtliche der in Nordrhein-Westfalen vorhandenen öffentlichen Bibliotheken verstünden sich im Übrigen als Orte der Kultur; selbst kleinste öffentliche Bibliotheken böten etwa eine Leseförderung an; reine Ausleihbibliotheken gebe es in Nordrhein-Westfalen nicht mehr. Auch seien die allgemeinen und speziellen Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG erfüllt. Der Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV solle der Bevölkerung gerade die Möglichkeit eröffnen, ihre Freizeit an Sonn- und Feiertagen nach eigenen Vorstellungen zu nutzen, wozu auch der Besuch einer öffentlichen Bibliothek gehöre. Öffentliche Bibliotheken seien nicht nur zentrale Orte für öffentliche kulturelle Veranstaltungen, sondern gehörten sogar zu den am stärksten frequentierten Kultur- und Bildungseinrichtungen. Anders als andere Kultureinrichtungen wie Museen, Theater oder kommerzielle Freizeiteinrichtungen müssten öffentliche Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen aber schließen, obwohl an diesen Tagen besonders viele Menschen Zeit für einen Besuch dort hätten. Die Funktion der öffentlichen Bibliothek beschränke sich nicht nur auf die einer „Ausleihstation“. Bibliotheken hätten sich vielmehr zunehmend zu Orten der Begegnung, der Kommunikation und der gesellschaftlichen Integration (sog. Dritte Orte) entwickelt, an denen sich Menschen träfen und gemeinsam die ortsgebundenen Angebote der Bibliothek vor Ort nutzten. Dies sei insbesondere auf ihre Niederschwelligkeit zurückzuführen, weil gerade die Vor-Ort-Nutzung in der Regel kostenlos und ohne Anmeldung möglich sei. Weiterhin dienten öffentliche Bibliotheken dem Grundrecht der Informationsfreiheit. Insbesondere in Zeiten der ungebremsten und ungefilterten Informationsflut sei es essentiell, dass öffentliche Bibliotheken mit ihrem aktuellen, fachlich ausgewählten Informationsangebot sowie ihren kompetenten Beratern als notwendiger Gegenpol dienten, bspw. gegen sog. Fake News. Zwar habe ein Großteil der Bürger stets über das Internet Zugriff auf aktuelle Informationen, dies sei jedoch – gerade bei Bürgern aus schwächeren sozialen Verhältnissen – nicht flächendeckend gewährleistet. Weiterhin dienten öffentliche Bibliotheken dem Grundrecht des Schutzes der Familie, weil sie Räume familiärer Sinnstiftung und Begegnung seien. Vor diesem Hintergrund lägen jedenfalls im Hinblick auf die ortsgebundenen Leistungen einer öffentlichen Bibliothek als Bildungs-, Begegnungs- und Kommunikationsort viele unterschiedliche besonders hervortretende Bedürfnisse gerade an der Sonn- und Feiertagsöffnung im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG vor, die im Falle ihrer Nichtbefriedigung zu einer erheblichen Beeinträchtigung verschiedenster verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter der Bevölkerung führten. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse und damit die Vermeidung des Eintritts eines erheblichen Schadens ließen sich nur durch eine Sonntagsöffnung der Bibliotheken erreichen. Denn eine Bedürfnisbefriedigung sei hier – anders als bei Videotheken – nicht durch eine zumutbare vorausschauende Planung der Freizeitgestaltung realisierbar. Das Bedürfnis für eine Sonntagsöffnung öffentlicher Bibliotheken betreffe auch einen wesentlichen Teil der Bevölkerung. Durch die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – Ganztagsschulen, Arbeitswelt, etc. – hätten viele Menschen – besonders Familien, Berufstätige, Schüler, Studierende – nur am Wochenende, vor allem am Sonntag Zeit, die Bibliothek zu besuchen. Dies zeigten auch die Nutzerzahlen von sonntags geöffneten Bibliotheken sowie diverse Presseartikel. Der Gesetzgeber könne bei dem Ausgleich gegenläufiger Schutzgüter im Rahmen seines Gestaltungsspielraums auf eine derart geänderte soziale Wirklichkeit, insbesondere auf Änderungen im Freizeitverhalten, Rücksichtnehmen. Nichts anderes ergebe sich aus dem Vergleich mit der Privilegierung von wissenschaftlichen Bibliotheken in § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG. Diese seien, nachdem zwischenzeitlich nahezu alle relevanten Ressourcen für die wissenschaftliche Arbeit digitalisiert und jedenfalls den Angehörigen von Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen rund um die Uhr über das Internet zur Verfügung stünden, für die große Masse der Sonntagsbesucher ein Lern- und Begegnungsraum geworden. Nichts anderes seien öffentliche Bibliotheken.

In der mündlichen Verhandlung hat der Antragsgegner ergänzend ausgeführt, neben den im Gesetzgebungsverfahren ausgewerteten Modell-Projekten, zeigten mittlerweile auch die Erfahrungen weiterer sonntags geöffneter Bibliotheken, wie stark die Sonntagsöffnungen angenommen würden: Beispielsweise werde die Bibliothek in Witten jeden Sonntag von etwa 300 bis 350 Besuchern genutzt, die Bibliothek in Düsseldorf an jedem Sonntag von etwa 2.000 Besuchern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der elektronischen Gerichtsakte sowie auf die elektronische Beiakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.

A. Die aufgrund der gerichtlichen Hinweise erfolgte Anpassung des Antrags ist, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Antragsänderung entsprechend § 91 VwGO handelt, jedenfalls gemessen an den Voraussetzungen des § 91 VwGO zulässig. Der Antragsgegner hat in der mündlichen Verhandlung in die Einbeziehung von Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) in den Antrag eingewilligt.

B. Der hiernach von der Antragstellerin nunmehr ausschließlich gestellte Antrag, § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung vom 5.5.1998, eingefügt durch Bibliotheksstärkungsgesetz vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852), in der Fassung gemäß Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353), für unwirksam zu erklären, ist zulässig (dazu I.), aber unbegründet (dazu II.).

I. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist der Antrag statthaft (unter 1.), ist die Antragstellerin antragsbefugt (unter 2.) und war für die Einbeziehung der aktuellen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht zu beachten (unter 3.).

1. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und §§ 109a, 133 Abs. 3 Satz 2 JustG NRW statthaft. Bei der nunmehr angegriffenen aktuellen Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung handelt es sich um eine ab dem 1.1.2019 bekannt gemachte, im Rang unter dem Landesgesetz stehende andere Rechtsvorschrift, für deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht in einem Normenkontrollverfahren zuständig ist.

Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die nunmehr angegriffene aktuelle Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erstmals durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) eingefügt und durch Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) geändert wurde. Auch eine im Wege eines formellen Gesetzes erlassene bzw. geänderte Rechtsverordnung nimmt einheitlich den Rang einer Verordnung ein und stellt eine im Wege eines Normenkontrollantrags nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, soweit – wie hier – landesrechtlich zugelassen, überprüfbare Rechtsvorschrift dar.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.1.2003 – 4 CN 8.01 –, BVerwGE 117, 313 = juris, Rn. 17 ff.

2. Die Antragstellerin ist als Dienstleistungsgewerkschaft auch antragsbefugt, weil sie geltend machen kann, durch § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung in eigenen Rechten verletzt zu sein. § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung gestaltet den Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe in öffentlichen Bibliotheken, wodurch der die Dienstleistungen im Öffentlichen Dienst umfassende gewerkschaftliche Tätigkeitsbereich der Antragstellerin (vgl. § 3 Nr. 1, § 4 Nr. 1 i. V. m. Punkt 1.4 der Anlage 1 der Satzung) betroffen ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 14 ff.

3. Für die Einbeziehung der aktuellen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung war schließlich die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ‒ die vorliegend nach Bekanntmachung des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes am 14.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) bereits vor Anpassung der Anträge durch die Antragstellerin am 20.1.2023 abgelaufen war ‒ nicht zu beachten.

Bezogen auf das Erfordernis der Fristwahrung bei Änderung des Antragsgegenstands stützt sich der Senat auf die eine vergleichbare Interessenlage betreffende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anfechtungsklage. Für nachträglich in eine Anfechtungsklage einbezogene Änderungsverwaltungsakte wird die (erneute) Wahrung der Klagefrist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls dann nicht verlangt, wenn die nach der Änderung oder Ersetzung verbleibenden Bestandteile des ursprünglich und fristgerecht angefochtenen Bescheids und die Regelungsbestandteile des Änderungs- oder Ersetzungsbescheids nach materiellem Recht unteilbar sind. Die Prozesslage unterscheidet sich dann im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 74 Abs. 1 VwGO, für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu sorgen sowie ein wirkungsvolles behördliches und gerichtliches Verfahren zu gewährleisten, wesentlich von der Situation vor Klageerhebung. Der von dem ursprünglichen Verwaltungsakt Betroffene hat mit der Klageerhebung bereits zum Ausdruck gebracht, dass er diesen nicht hinnehmen will. Solange er auf dessen Änderung nicht mit einer Erledigungserklärung reagiert, kann ungeachtet einer Überschreitung der Klagefrist bei der Einbeziehung des weiteren Bescheids angenommen werden, dass sich sein Abwehrwille unverändert auf die gesamte unteilbare Regelung erstreckt, sodass weder die Behörde noch etwa betroffene Dritte mit dem Eintritt der Bestandskraft des Änderungs- oder Ersetzungsbescheids rechnen können. Eine vergleichbare Unsicherheit, ob der Betroffene den Eintritt der Bestandskraft aufhalten wird, wie sie vor Klageerhebung besteht und durch § 74 Abs. 1 VwGO zeitlich begrenzt werden soll, ist hier also nicht gegeben. Deshalb wäre es unbillig, dem Kläger die Last aufzuerlegen, sein Klagebegehren während des Rechtsstreits ständig unter Kontrolle zu halten und auf Änderungsverwaltungsakte, die unter Umständen nicht einmal etwas an den mit dem ursprünglichen Verwaltungsakt verbundenen Einwirkungen auf seine Rechtssphäre ändern und im Einzelfall zudem nicht einmal mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sind, bereits vor der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung zu reagieren.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 11.11.2020 – 8 C 22.19 –, BVerwGE 170, 311 = juris, Rn. 24 f., m. w. N., und vom 18.3.2009 – 9 A 31.07 –, juris, Rn. 21 ff.

Das für Änderungsverwaltungsakte entwickelte Kriterium der inhaltlichen Teil- bzw. Trennbarkeit wurde vom Bundesverwaltungsgericht auch im Zusammenhang mit der Einbeziehung von Änderungen eines Bebauungsplans in ein bereits anhängiges Normenkontrollverfahren herangezogen. Es hat betont, dass die ursprünglich angegriffene Norm und die geänderte oder ergänzte Norm trotz inhaltlichen Zusammenhangs formal selbstständig seien und zumindest bei inhaltlicher Trennbarkeit durch einen ausdrücklichen Antrag in ein bereits anhängiges Normenkontrollverfahren unter Einhaltung der Sachurteilsvoraussetzungen, wie der Antragsfrist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, einzuführen seien.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.1999 – 4 CN 7.98 –, BVerwGE 110, 193 = juris, Rn. 14 ff., wiederaufgegriffen durch Beschluss vom 22.5.2006 – 4 BN 10.06 –, juris, Rn. 6.

Historie sowie Sinn und Zweck der Antragsfrist für das Normenkontrollverfahren zeigen, dass die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO – ebenso wie die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO – dem Rechtsfrieden, der Rechtssicherheit sowie der Effektivität des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens dienen soll. Die Einführung der Antragsfrist durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1.11.1996 (BGBl. I S. 1626) und ihre nachfolgende Verkürzung durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21.12.2006 (BGBl. I S. 3316) hatten den Zweck, die Zulässigkeit einer Normenkontrolle nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass der Rechtsvorschrift vorzusehen. Hierdurch soll vermieden werden, dass Normen, die bereits lange praktiziert wurden und auf deren Rechtsgültigkeit sowohl die Behörden als auch die Bürger vertraut haben, als Rechtsgrundlage für nicht bestandskräftige Entscheidungen entfallen und dies zu erheblichen Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit führen kann. Im Übrigen soll es bei den außerhalb von § 47 VwGO gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten und der in diesen Verfahren gegebenen Befugnis der Verwaltungsgerichte bleiben, die Rechtsvorschrift inzident auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6.4.2016 – 4 CN 3.15 –, juris, Rn. 6 f., sowie Beschlüsse vom 29.6.2015 – 4 BN 31.14 –, juris, Rn. 7, und vom 22.7.2013 – 7 BN 1.13 –, juris, Rn. 11; BT-Drs. 13/3993, S. 10, sowie BT-Drs.16/2496, S. 17 f.

Hiervon ausgehend unterscheidet sich die Prozesslage bei der nachträglichen Einbeziehung der geänderten Fassung einer fristgerecht angegriffenen Norm in ein Normenkontrollverfahren, wenn die ursprünglich angegriffene Norm und die einbezogene Änderungsfassung eine nach materiellem Recht unteilbare Regelung treffen, im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO – wie bei der nachträglichen Einbeziehung eines Änderungsverwaltungsakts in eine Anfechtungsklage, wenn der ursprünglich angegriffene Verwaltungsakt und der einbezogene Änderungsverwaltungsakt eine nach materiellem Recht unteilbare Regelung treffen, im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 74 Abs. 1 VwGO – ebenfalls wesentlich von der Situation vor Antragstellung. Der Antragsteller hat mit dem Antrag gegen die ursprünglich angegriffene Norm bereits zum Ausdruck gebracht, dass sich sein Abwehrwille unverändert auf die gesamte unteilbare Regelung erstreckt, sodass weder Behörden noch Bürger mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Änderungsfassung im Wege des Normenkontrollantrags rechnen können. Dem Antragsteller wäre es in einer solchen Situation ebenso wenig zuzumuten, sein Antragsbegehren ständig unter Kontrolle zu halten und auf Änderungen, die unter Umständen nicht einmal etwas an den mit der ursprünglich angegriffenen Norm verbundenen Einwirkungen auf seine Rechtssphäre ändern und – anders als Verwaltungsakte – niemals mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen und an ihn persönlich gerichtet, sondern lediglich in der gesetzlich vorgesehenen Form bekannt zu machen sind, bereits vor der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung zu reagieren.

In einer solchen Situation ist es nur konsequent, die zur nachträglichen Einbeziehung von Änderungsverwaltungsakten vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten und für Bebauungspläne ebenfalls angedachten Grundsätze auf nachträglich in ein Normenkontrollverfahren einbezogene geänderte Fassungen einer angegriffenen Norm zu übertragen und die Zulässigkeit der Einbeziehung jedenfalls dann nicht von der Beachtung der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO abhängig zu machen, wenn die ursprünglich angegriffene Norm und die einbezogene Änderungsfassung eine nach materiellem Recht unteilbare Regelung treffen.

Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei der ursprünglich angegriffenen Norm des § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung vom 5.5.1998, eingefügt durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) in der nachträglich einbezogenen aktuellen Fassung gemäß Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) um eine nach materiellem Recht unteilbare Regelung, bei deren Änderung die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht zu beachten war, um sie in das fristgerecht eingeleitete Antragsverfahren einbeziehen zu können.

Durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes wurde § 1 Abs. 1 Bedarfsgewerbeverordnung folgende Nr. 11 angefügt:

„in öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre Funktionen nach § 10 Absatz 1 des Kulturfördergesetzes NRW vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 917), geändert durch Gesetz vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90), erfüllen, bis zu 6 Stunden.“

Durch Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) wurden in § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung lediglich die Wörter „§ 10 Absatz 1 des Kulturfördergesetzes NRW vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 917), geändert durch Gesetz vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90),“ durch die Wörter „§ 47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuches vom 1. Dezember 2021 (GV. NRW. S. 1353) in der jeweils geltenden Fassung“ ersetzt. Während die Zulassung der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in öffentlichen Bibliotheken selbst in der ursprünglich angegriffenen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung eingeführt wurde, wurden durch die geänderte aktuelle Fassung ohne nennenswerte inhaltliche Änderung lediglich die von § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung in Bezug genommenen Funktionen öffentlicher Bibliotheken ersetzt. Durch Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) wurde gerade keine vollständige Neufassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung, sondern lediglich eine partielle Ersetzung einzelner Worte vorgenommen, die dazu führt, dass beide Fassungen nur im Zusammenhang miteinander zu verstehen sind. Deshalb musste die Antragstellerin sowohl die in der Ursprungsfassung eingeführte Zulassung der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in öffentlichen Bibliotheken als auch die in der aktuellen Fassung ersetzte Bezugnahme auf die Neuregelung der Funktionen öffentlicher Bibliotheken angreifen. Die abhängige Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in öffentlichen Bibliotheken stand sowohl für Behörden als auch Bürger bereits mit dem jedenfalls fristgerecht gestellten Normenkontrollantrag gegen die ursprünglich angegriffene Fassung erkennbar auf dem Prüfstand.

II. Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet. Die nunmehr angegriffene aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung ist wirksam und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

Die aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung ist formell rechtmäßig (unter 1.) und erfüllt die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung (unter 2.).

Rechtsgrundlage der angegriffenen aktuellen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung ist § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe über die Ausnahmen nach § 10 hinaus weitere Ausnahmen abweichend von § 9 für Betriebe, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, zulassen und die zum Schutz der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe notwendigen Bedingungen bestimmen. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 ArbZG können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung entsprechende Bestimmungen erlassen, soweit die Bundesregierung von der Ermächtigung des Absatzes 1 Nr. 2 Buchst. a keinen Gebrauch gemacht hat.

1. Die aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung ist formell rechtmäßig.

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG i. V. m. Art. 80 Abs. 4 GG durfte der Erlass von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung zulässigerweise durch das Land im Verordnungsweg [unter a)] durch Landesgesetz erfolgen [unter b)].

a) Auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG durfte eine Rechtsverordnung durch das Land erlassen werden, weil die Bundesregierung von der Ermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG bisher keinen Gebrauch gemacht hat.

Dabei wird die Landeskompetenz für den Erlass der Norm auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass in der bundesrechtlichen Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG ausdrücklich nur für wissenschaftliche Präsenzbibliotheken eine Ausnahme vom Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen geregelt ist. Schon nach dem Wortlaut von § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG erlaubt die Ermächtigung ausdrücklich, über die in § 10 ArbZG genannten Ausnahmen hinaus weitere Regelungen zu treffen. Die Regelungskompetenz der Landesregierungen ist inhaltlich nicht eingeschränkt, sondern sie wird ihnen in demselben Umfang übertragen, wie sie der Bundesregierung zusteht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 49.

Zudem kann aus der Entscheidung des Gesetzgebers, in § 10 ArbZG keine Ausnahme zu Gunsten öffentlicher Bibliotheken vorgesehen zu haben, nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, er habe damit zugleich die Wertung getroffen, insoweit überwiege der Sonntagsschutz die Belange der öffentlichen Bibliotheken und der Bevölkerung, die ihre Dienstleistungen nachfrage. Dass ausweislich der Plenarprotokolle zur ersten und zweiten Lesung (LT-Protokolle 17/56, 17/68) des ursprünglichen Gesetzesentwurfs sowie der Kabinettvorlage hierzu bislang keine Bundesregelung über eine Aufnahme öffentlicher Bibliotheken in den Ausnahmekatalog des § 10 ArbZG geschaffen worden ist, stellt kein beredtes Schweigen dar. Der Bundesgesetzgeber hat die Regelung nicht gesetzlich bestimmter weiterer Sachverhalte dem (Landes-) Verordnungsgeber überlassen.

Vgl. BT-Drs. 12/5888, S. 29 f., sowie BT-Drs. 12/6990, S. 43 f.; dazu auch: BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 50 f.

b) Der Verordnungsgeber hat auch nicht dadurch die Grenzen der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG an die Landesregierung überschritten, dass sowohl die ursprüngliche als auch die aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Bedarfsgewerbeverordnung durch ein formelles Landesgesetz erlassen bzw. geändert worden sind. Denn der Landesgesetzgeber hat sich hiermit in den Grenzen der ihm durch Bundesgesetz in Verbindung mit Art. 80 Abs. 4 GG eingeräumten Ermächtigungsgrundlage gehalten. Art. 80 Abs. 4 GG erlaubt den Ländern ausdrücklich auch eine Regelung durch Gesetz, soweit – wie hier – durch Bundesgesetz Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Vor dem Hintergrund dieser bundesrechtlichen Ermächtigung des Landesgesetzgebers zu einer die Verordnungsermächtigung in Anspruch nehmenden Gesetzgebung bestehen auch keine Bedenken gegen die Regelung durch den Landesgesetzgeber im Verordnungswege.

Möglichkeiten und Grenzen des zuständigen Gesetzgebers, eine Verordnung im Wege eines formellen Gesetzes zu erlassen bzw. zu ändern, sind in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.9.2005 – 2 BvF 2/03 –, BVerfGE 114, 196 = juris, Rn. 193 ff., 206 ff.; BVerwG, Urteile vom 15.12.2016 – 2 C 31.15 –, BVerwGE 157, 54 = juris, Rn. 14, und vom 16.1.2003 – 4 CN 8.01 –, BVerwGE 117, 313 = juris, Rn. 17 ff.

Im Hinblick auf den Grundsatz der Formenstrenge der Rechtsetzung, wonach dem parlamentarischen Gesetzgeber bei der Rechtsetzung eine freie Formenwahl nicht zusteht, kann die Bestimmung einer vom Parlament erlassenen Norm zur Verordnung zwar nur hingenommen werden, wenn es sich um eine Anpassung im Rahmen einer Änderung eines Sachbereichs durch den zuständigen Gesetzgeber handelt, der parlamentarische Gesetzgeber die Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren einhält und er sich in den Grenzen der Ermächtigungsgrundlage hält. Die Änderung einer Verordnung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unabhängig von sonstigen gesetzgeberischen Maßnahmen ist unzulässig.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2016 – 2 C 31.15 –, BVerwGE 157, 54 = juris, Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 13.9.2005 – 2 BvF 2/03 –, BVerfGE 114, 196 = juris, Rn. 206 ff.

Diese Voraussetzungen sind hier allerdings gegeben. Zutreffend ist im ursprünglichen Gesetzesentwurf wegen des erforderlichen Sachzusammenhangs zur gleichzeitig erfolgten Änderung des Kulturfördergesetzes eine Änderung der Bedarfsgewerbevorordnung im ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren durch Parlamentsgesetz als zulässig angesehen worden.

Ein derartiger sachlicher Zusammenhang ist nicht nur dann anzunehmen, wenn sowohl ein förmliches Gesetz als auch eine auf ihm beruhende Verordnung in einem einheitlichen Vorgang geändert und aufeinander abgestimmt werden. Hiergegen spricht schon, dass auch in der mit den Beteiligten erörterten grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diesen Fragen, ein sachlicher Zusammenhang bejaht wurde, obwohl die im dort streitgegenständlichen Beitragssicherungsgesetz vom 23.12.2002 (BGBl. I S. 4637) vorgesehene Änderung der Bundespflegesatzverordnung auf der Verordnungsermächtigung in § 16 Abs. 1 Nr. 1 KHG beruhte, das Krankenhausfinanzierungsgesetz selbst im Beitragssicherungsgesetz aber gerade nicht geändert wurde.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.9.2005 – 2 BvF 2/03 –, BVerfGE 114, 196 = juris, Rn. 217.

Auch die Herleitung der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Befugnis des Gesetzgebers zum Erlass bzw. zur Änderung einer Rechtsverordnung spricht gegen ein derart enges Verständnis des hierfür notwendigen sachlichen Zusammenhangs. Hintergrund dieser Befugnis des Gesetzgebers zum Erlass bzw. zur Änderung einer Rechtsverordnung ist, dass es zur Gestaltungsfreiheit des Parlaments gehört, sein Änderungsvorhaben umfassend selbst zu verwirklichen, sofern dabei dem Grundsatz der Formenstrenge der Rechtssetzung und dem Prinzip der Rechtssicherheit Rechnung getragen wird. Wäre es darauf beschränkt, nur förmliche Gesetze zu ändern oder zu erlassen, so müsste das Änderungsvorhaben entweder zerteilt werden, um den Gesetzesänderungen die von der Exekutive zu erledigenden Verordnungsänderungen nachfolgen zu lassen; oder der parlamentarische Gesetzgeber müsste die bislang durch Verordnung geregelten Gegenstände wieder in förmliches Gesetzesrecht übernehmen bzw. daneben erstmals förmliches Gesetzesrecht schaffen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.9.2005 – 2 BvF 2/03 –, BVerfGE 114, 196 = juris, Rn. 196, 206.

Ob der Erlass bzw. die Änderung des Gesetzes sowie der Verordnung auf derselben Gesetzgebungskompetenz beruht, ist vor diesem Hintergrund für den erforderlichen sachlichen Zusammenhang unerheblich. Weder der Grundsatz der Formenstrenge der Rechtssetzung noch das Prinzip der Rechtssicherheit gebieten es, von einer nach Einschätzung des Gesetzgebers sachlich gebotenen Regelung im Verordnungsweg im sachlichen Zusammenhang mit einem anderen Gesetzesvorhaben Abstand nehmen zu müssen, nur weil die Gesetzgebungskompetenz für beide Regelungen auf verschiedenen Kompetenznormen beruht. Hier zu differenzieren und einen sachlichen Zusammenhang nur dann anzunehmen, wenn der Erlass bzw. die Änderung des Gesetzes und der Verordnung aufgrund derselben Gesetzgebungskompetenz erfolgen, könnte im Gegenteil eine Verfahrensweise des parlamentarischen Gesetzgebers begünstigen, Rechtsnormen zu schaffen, die einen zweifelhaften thematischen Zusammenhang zu ihrem Regelungsort aufweisen. Eine systematisch wünschenswerte klare Strukturierung des geltenden Rechts könnte so Schaden nehmen.

Vgl. zu Letzterem: BVerwG, Urteil vom 15.12.2016 – 2 C 31.15 –, BVerwGE 157, 54 = juris, Rn. 16

Ausweislich des ursprünglichen Gesetzesentwurfs,

Vgl. LT-Drs. 17/5637, S. 8,

sollte mit dem Bibliotheksstärkungsgesetz im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ein einheitliches Änderungsvorhaben umgesetzt werden. Es sollten die Funktionen der öffentlichen Bibliotheken durch eine Änderung des Kulturfördergesetzes als im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben gesetzlich anerkannt und künftig in das Förderhandeln des Landes einbezogen (Art. 1 Bibliotheksstärkungsgesetz) sowie zugleich die rechtlichen Voraussetzungen für eine Sonn- und Feiertagsöffnung durch eine Änderung der Bedarfsgewerbeverordnung geschaffen werden (Art. 2 Bibliotheksstärkungsgesetz). Sowohl für Art. 1 als auch für Art. 2 Bibliotheksstärkungsgesetz stand dem Antragsgegner die notwendige, wenn auch nicht identische, Gesetzgebungskompetenz zu. Für Art. 1 folgte sie aus seiner Kulturhoheit aus Art. 70 GG, für Art. 2 aus dem Recht des Antragsgegners gemäß Art. 80 Abs. 4 GG, von einer bundesgesetzlichen Ermächtigung an die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung – hier § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG – auch durch Gesetz Gebrauch zu machen. Während sich der Antragsgegner im Hinblick auf die Änderung des Kulturfördergesetzes für eine Regelung durch einfaches Landesgesetz entschieden hat, hat er von seiner Gesetzgebungskompetenz aus § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG i. V. m. Art. 80 Abs. 4 GG in der Form Gebrauch gemacht, eine Regelung in die bereits bestehende Bedarfsgewerbeverordnung im Wege eines formellen Gesetzes einzufügen. Mit § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung hat er eine Verordnungsregelung getroffen, die er in formeller Hinsicht selbst aufgrund einer ihm zukommenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 80 Abs. 4 GG i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG als formelles Gesetz hätte erlassen können. Ein derartiges formelles „Bedarfsgewerbegesetz“ allein zu Gunsten der öffentlichen Bibliotheken neben der im Übrigen unverändert als Rechtsverordnung fortbestehenden Bedarfsgewerbeverordnung würde jedoch mehr zu Verwirrung als zu einer klaren Strukturierung des geltenden Rechts führen. Verfassungsrechtlich geboten war eine solche Regelungstechnik in formeller Hinsicht jedenfalls nicht.

Für die spätere Änderung im Zusammenhang mit der Schaffung eines Kulturgesetzbuchs NRW durch das Kulturrechtsneuordnungsgesetz vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) gilt nichts anderes.

Die mithin kompetenzgemäß erlassene aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung durch das Kulturrechtsneuordnungsgesetz wurde auch ordnungsgemäß bekanntgemacht. Sowohl das Bibliotheksstärkungsgesetz vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) als auch das Kulturrechtsneuordnungsgesetz vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) wurden im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen bekannt gemacht, wie es Art. 71 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen für Gesetze und Rechtsverordnungen vorsieht.

2. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG [unter a)] liegen hier vor [unter b)].

a) Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und Abs. 2 Satz 1 ArbZG können die Landesregierungen über die Ausnahmen in § 10 ArbZG hinaus durch Rechtsverordnung weitere Ausnahmen von dem Verbot einer Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe für Betriebe zulassen, in denen eine solche Beschäftigung zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist.

Nach höchstrichterlicher Klärung zu den Voraussetzungen dieser Verordnungsermächtigung besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen einerseits den Gründen, aus denen eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ausnahmsweise zugelassen werden darf, und andererseits den Schäden, deren Vermeidung die Zulassung einer Ausnahme dienen soll. Die Schäden bestehen darin, dass Bedürfnisse der Bevölkerung nur unzureichend befriedigt werden. Zu diesen Bedürfnissen gehören auch solche, welche die Möglichkeit betreffen, die Freizeit an Sonn- und Feiertagen nach eigenen Vorstellungen zu nutzen. Wird die Freizeitgestaltung jedenfalls für beachtliche Teile der Bevölkerung beeinträchtigt, kann dies einen Schaden darstellen, zu dessen Vermeidung eine Ausnahme durch Verordnung zugelassen werden kann. Dass von der Ermächtigung (nur) zur Vermeidung erheblicher Schäden Gebrauch gemacht werden darf, steuert dabei ebenso wie die vorgeschriebene Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe die Anforderungen, die an Bedeutung und Gewicht des Bedürfnisses zu stellen sind, dessen sonst unterbleibende Befriedigung die Zulassung einer Ausnahme vom Beschäftigungsverbot rechtfertigen soll. Im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG „erforderlich“ ist die Befriedigung täglich oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung nur, wenn ihr Unterbleiben einen erheblichen Schaden darstellt. Insoweit hat der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers bei der Auswahl der Bedürfnisse eingeschränkt, deren Befriedigung eine Ausnahme rechtfertigen soll. Bedürfnisse der Bevölkerung, die an Sonn- und Feiertagen besonders hervortreten, sind insbesondere solche, die der Freizeitgestaltung dienen. Der Schutz der Sonn- und Feiertage nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV ist nicht auf einen religiösen oder weltanschaulichen Sinngehalt der Sonn- und Feiertage beschränkt. Die Regelung zielt in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung. An den Sonn- und Feiertagen soll grundsätzlich die Geschäftstätigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese Tage allein oder in Gemeinschaft mit anderen ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann. Die Bürger sollen sich an Sonn- und Feiertagen von der beruflichen Tätigkeit erholen und das tun können, was sie individuell für die Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele und als Ausgleich für den Alltag als wichtig ansehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 34 f., m. w. N.

Der Verordnungsgeber kann bei dem Ausgleich gegenläufiger Schutzgüter im Rahmen seines Gestaltungsspielraums auf eine geänderte soziale Wirklichkeit, insbesondere auf Änderungen im Freizeitverhalten, Rücksicht nehmen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 38.

Allerdings führt der Schutz der Verwirklichung von Freizeitwünschen der Bürger insoweit zu einem Konflikt, als diese auf die Bereitstellung von Leistungen angewiesen sind, die den Arbeitseinsatz der Anbieter solcher Leistungen erfordern.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 155.

Nach dem in Art. 139 WRV bestimmten Schutzauftrag an den Gesetzgeber, der für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter anderem ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert, hat grundsätzlich die typische „werktägliche Geschäftigkeit“ an Sonn- und Feiertagen zu ruhen. Der verfassungsrechtlich garantierte Sonn- und Feiertagsschutz ist nur begrenzt einschränkbar. Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe sind nur zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglich; in jedem Falle muss der ausgestaltende Gesetzgeber aber ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes wahren.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 152.

Für die gesetzliche Ordnung von Lebensbereichen ist der Gesichtspunkt des Sonntagsschutzes aber kein isolierter – absolut zu setzender – Maßstab, dem sich alle anderen für die Regelung des jeweiligen Lebensbereichs bedeutsamen Gesichtspunkte schlechthin unterzuordnen hätten. Der Sonntagsschutz stellt vielmehr ein verfassungsgesetzlich vorgeschriebenes Regelungselement dar, das der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zukommenden Gesetzgebungsmacht mit den anderen für den zu regelnden Lebensbereich bedeutsamen Regelungselementen zum Ausgleich bringen und damit im Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Ordnung durch eine eigenständige gesetzgeberische Entscheidung konkretisieren muss. Art, Umfang, Intensität und nähere inhaltliche Ausgestaltung des gesetzlichen Sonntagsschutzes sind damit der spezifischen Regelungsmacht des Normgebers überantwortet und unterliegen seinem gesetzgeberischen Ermessen. Dieses gesetzgeberische Ermessen findet seine Grenzen darin, dass einerseits die durch das Grundgesetz festgelegte besondere Zweckbestimmung des Sonntags hinreichend gewährleistet und dadurch der Sonntag als Institution hinreichend geschützt sein muss, und dass andererseits die zum Schutz des Sonntags getroffenen Regelungen nicht unverhältnismäßig sein dürfen. In diesem Rahmen hat der Gesetzgeber insbesondere darüber zu entscheiden, ob bestimmte Tätigkeiten an Sonntagen verboten sein sollen oder ob sie beschränkt oder uneingeschränkt zulässig sein sollen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25.8.1992 – 1 C 38.90 –, BVerwGE 90, 337 = juris, Rn. 18, und vom 15.3.1988 – 1 C 25.84 –, BVerwGE 79, 118 = juris, Rn. 24.

Dementsprechend werden einfachrechtlich schon seit jeher an Sonn- und Feiertagen Arbeiten gestattet, die aus gesellschaftlichen oder technischen Gründen notwendig sind. Diese Arbeiten „trotz des Sonntags“ sind in Grenzen durchaus zulässig. Daneben ist auch die „Arbeit für den Sonntag“ anerkannt, die etwa in der Hotel- und Gastronomiebranche und im Bereich der Sicherstellung der Mobilität des Einzelnen dazu dient, den Bürgern eine individuelle Gestaltung ihres Tages der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zu ermöglichen. Stets aber muss ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewahrt bleiben.

Vgl. BVerfG, Urteile vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 156, und

vom 9.6.2004 – 1 BvR 636/02 –, BVerfGE 111, 10 = juris, Rn. 180.

Zur Wahrung dieses Mindestniveaus genügen ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse von Verkaufsstelleninhabern und ein alltägliches Erwerbsinteresse potenzieller Käufer grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen. Darüber hinaus müssen Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben und dürfen nicht auf eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen Verhältnisse mit den Werktagen und ihrer Betriebsamkeit hinauslaufen. Dem Regel-Ausnahme-Gebot kommt generell umso mehr Bedeutung zu, je geringer das Gewicht derjenigen Gründe ist, zu denen der Sonn- und Feiertagsschutz ins Verhältnis gesetzt wird und je weitergreifend die Ausnahme vom Sonn- und Feiertagsschutz ausgestaltet ist.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 157 f.

Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund und mit Rücksicht auf den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes hat der Gesetzgeber unter anderem im Arbeitszeitgesetz selbst geregelt, was für die Wahrung des Sonn- und Feiertagsschutzes und die Schutzpflichten für dadurch konkretisierte Grundrechte wesentlich ist. Er hat festgelegt, dass das Verbot einer Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen die Regel ist, eine solche Beschäftigung nur als Ausnahme zugelassen werden kann. Er hat in § 13 Abs. 1 ArbZG festgelegt, welche gegenläufigen Belange hinreichendes Gewicht haben, um eine Ausnahme zu rechtfertigen, darunter in Nr. 2 Buchst. a die Befriedigung von täglichen oder an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretenden Bedürfnissen der Bevölkerung. Er hat hierzu weitere Voraussetzungen festgelegt, welche die Durchbrechung des Sonn- und Feiertagsschutzes als Ausnahme sichern. Auf die Zahl der Betroffenen allein kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist, ob das mit der Ausnahme verfolgte Ziel ein solches Gewicht hat, dass auch die Beschäftigung einer großen Zahl von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint, und ob die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen ihren Ausnahmecharakter behält. Die hierfür notwendigen Vorgaben hat der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber durch die begrenzenden Voraussetzungen der Ermächtigung gemacht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 45 ff.

Danach genügt ein alltäglich zu befriedigendes Erwerbsinteresse potenzieller Kunden grundsätzlich auch nicht, um im Rahmen der Verordnungsermächtigung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage zu rechtfertigen. Dieser Schutz muss nicht allein deshalb zurückstehen, weil die Betroffenen ihren an Sonn- oder Feiertagen bestehenden Bedarf zwar an Werktagen decken könnten, ihn aber nicht an diesen Tagen, sondern aufgrund eines spontanen Entschlusses an Sonn- oder Feiertagen decken wollen. Unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe tritt kein erheblicher Schaden im Sinne der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ein, wenn Wünsche nach einer bestimmten Freizeitgestaltung nur durch vorausschauende Planung realisiert werden können.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 39, und vom 19.4.1988 – 1 C 50.86 –, BVerwGE 79, 236 = juris, Rn. 33.

Die Einschätzung des Verordnungsgebers, die Beschäftigung von Arbeitnehmern in öffentlichen Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen sei unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe erforderlich, um an diesen Tagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und andernfalls eintretende erhebliche Schäden zu vermeiden, unterliegt nur eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle; insbesondere darf das Gericht keine eigene Einschätzung vornehmen. Es hat jedoch zu prüfen, ob die bei Erlass der Rechtsverordnung vorgenommenen Annahmen schlüssig und vertretbar sind. Beides ist anhand der Umstände zu beurteilen, die der Verordnungsgeber dem Erlass der Verordnung zugrunde gelegt hat.

Vgl. zu Ladenöffnungen an Sonntagen: BVerwG, Urteile vom 11.11.2015 – 8 CN 2.14 –, BVerwGE 153, 183 = juris, Rn. 36, vom 12.12.2018 – 8 CN 1.17 –, BVerwGE 164, 64 = juris, Rn. 22, sowie vertiefend vom 22.6.2020 – 8 CN 1.19 –, BVerwGE 168, 338 = juris, Rn. 31.

b) Nach Einschätzung des zuständigen Landesgesetzgebers und den auf dieser Grundlage schlüssigen und vertretbaren Annahmen des Verordnungsgebers besteht angesichts der gewandelten kulturellen Funktionen öffentlicher Bibliotheken als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur [unter aa)] jedenfalls in Nordrhein-Westfalen an Sonn- und Feiertagen ein Bedürfnis für die Nutzung derartiger Bibliotheksräume an Ort und Stelle [unter bb)] jenseits der vorausschauend an Werktagen möglichen Ausleihe von Medien [unter cc)], welches auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe eine Beschäftigung von Arbeitnehmern in solchen öffentlichen Bibliotheken an diesen Tagen als erforderlich erscheinen lässt [unter dd)]. Die Regelung genügt auch dem Bestimmtheitsgebot [unter ee)].

aa) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung in der aktuellen Fassung dürfen abweichend von § 9 ArbZG Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen bis zu sechs Stunden in öffentlichen Bibliotheken beschäftigt werden, soweit sie ihre Funktionen nach § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) in der jeweils geltenden Fassung erfüllen sowie die Arbeiten für den Betrieb unerlässlich sind und nicht an Werktagen durchgeführt werden können.

Der Kreis der von der Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung in der aktuellen Fassung erfassten öffentlichen Bibliotheken ist hierdurch auf solche Bibliotheken beschränkt, die die gesetzlich in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen Funktionen in einem so nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint.

Gemäß § 47 Kulturgesetzbuch NRW sind Bibliotheken zur Benutzung bestimmte und erschlossene Sammlungen von Büchern sowie anderen Medien- und Informationsangeboten, auch digitaler Art. Sie tragen in besonderer Weise zur Verwirklichung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes bei, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu können (Abs. 1). Als Bildungs- und Informationseinrichtungen unterstützen Bibliotheken das selbstbestimmte lebensbegleitende Lernen, die Leseförderung sowie die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz (Abs. 2). Als Kultureinrichtungen stellen sie Räume für Begegnungen, Kommunikation, Integration und Kreativität zur Verfügung, gestalten diese aktiv und bieten ein vielfältiges Programm an. Sie haben auch die Funktion eines Dritten Orts im Sinne von § 14 Abs. 4 Satz 1 Kulturgesetzbuch NRW (Abs. 3). Als Gedächtnisinstitutionen pflegen, bewahren und erschließen Bibliotheken wertvolle Altbestände und Sammlungen und machen sie der Öffentlichkeit in analoger oder digitaler Form zugänglich (Abs. 4).

Gemäß § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW leisten öffentliche Bibliotheken durch ein fachlich kuratiertes Informationsangebot einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Informationsfreiheit. Daher sind sie bei der Auswahl ihrer Medien unabhängig und an Weisungen nicht gebunden (Abs. 4). Öffentliche Bibliotheken sind unter Beachtung des Hausrechts und im Rahmen der Benutzungsregelungen ihrer Träger frei zugänglich. Sie ermöglichen Nutzerinnen und Nutzern einen niedrigschwelligen und ungehinderten Zugang zu Informationen und tragen so wesentlich zur Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung bei. Zudem ermöglichen und unterstützen sie die demokratische Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe sowie die gesellschaftliche Integration. Das Land unterstützt die Öffentlichen Bibliotheken bei der nutzerfreundlichen Ausweitung der Öffnungszeiten (Abs. 5). Als Orte der Begegnung, der Kommunikation, des kulturellen Austausches und der gesellschaftlichen Integration können Bibliotheken zentrale Orte der Kultur und der außerschulischen Bildung sein und dazu beitragen, kulturelle Aktivitäten in der Region zu bündeln und zugänglich zu machen.

Neben dieser umfangreichen gesetzlichen Umschreibung kultureller Funktionen einer öffentlichen Bibliothek in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW werden ihre kulturellen Funktionen durch den der erstmaligen Einführung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung zugrunde liegenden ursprünglichen Gesetzesentwurf weiter dahingehend konkretisiert, dass nur die Nutzung von Bibliotheksräumen an Ort und Stelle jenseits der klassischen Ausleihfunktion die sonntägliche Öffnung rechtfertigen soll. Öffentliche Bibliotheken seien Orte der Kultur. Als sog. Dritte Orte dienten sie der Begegnung, der Kommunikation, der gesellschaftlichen Integration, der Information, der (staatsbürgerlichen) Bildung, als Stätten der Familie sowie als kulturelle Veranstaltungsorte. Sie böten zu diesen Zwecken Menschen aus unterschiedlichen sozialen Kontexten auch im ländlichen Raum und in kleinen Städten einen zentralen, besonders niederschwellig zugänglichen, nichtkommerziellen Raum für nichtkonsumtive Freizeitgestaltung. All diese Nutzungsbedürfnisse vor Ort könnten an Sonntagen nur durch eine Öffnung der Bibliotheken erfüllt werden. Insofern könne eine Sonntagsarbeit von Bibliotheksmitarbeitern durch zumutbare planerische Vorkehrungen der Bevölkerung nicht vermieden werden.

Vgl. zur ursprünglich angegriffenen Fassung insbesondere: LT-Drs. 17/5637, S. 7, 10 ff. und 14. Durch die Neufassung sollte ausweislich des Gesetzesentwurfs nur eine „sprachliche Anpassung im Sinne der Vereinheitlichung vorgenommen“ werden: LT-Drs. 17/13800, S. 82, 135.

Auf dieser Grundlage geht Herr T. von der Universitätsbibliothek der FernUniversität Hagen in seiner Stellungnahme (LT-Stellungnahme 17/1667, S. 3) zutreffend davon aus, dass Bibliotheken, die allein eine Buchausleihe für die häusliche Lektüre anböten, von der geplanten nordrhein-westfälischen Regelung nicht profitieren würden. Hiermit übereinstimmend meint auch der Berufsverband Information Bibliothek e.V. (LT-Stellungnahme 17/1683, S. 2), dass viele Bibliotheken weder von der Raumkapazität noch von den personellen wie sonstigen Ressourcen her in der Lage sein würden, sonn- und feiertags zu öffnen. Ein Bedürfnis für eine Sonn- und Feiertagsöffnung hänge stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen vor Ort ab. Hierauf hat auch die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen in ihrer Stellungnahme hingewiesen (LT-Stellungnahme 17/1663, S. 2 f.).

bb) An der Nutzung öffentlicher Bibliotheken, die die vorbeschriebenen kulturellen Funktionen als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur erfüllen, besteht ein an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretendes Bedürfnis im Sinne der Verordnungsermächtigung.

Die öffentlichen Bibliotheken, die die in dem Gesetzesentwurf sowie in den § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW beschriebenen kulturellen Funktionen erfüllen, ermöglichen als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur weiten Teilen der Bevölkerung in vielfältiger Weise, ihre Freizeit individuell zu gestalten. Sie tragen damit zur Verfolgung profaner Ziele wie der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung der Bevölkerung bei. Neben der Nutzung der vor Ort vorgehaltenen und fachlich ausgewählten Medien ermöglichen sie als Orte der Kultur die Begegnung und die Kommunikation mit anderen Menschen, die gemeinsame Nutzung des Medienangebots unter fachlicher Aufsicht des Bibliothekspersonals sowie die Teilnahme an vor Ort organisierten Kultur- und Bildungsveranstaltungen. Sonn- und Feiertage bieten die nötige Zeit und Muße, um öffentliche Bibliotheken zu diesen Zwecken und losgelöst von anderen werktäglichen Verpflichtungen an Ort und Stelle zu nutzen. Ohne eine Sonn- und Feiertagsöffnung würde die Freizeitgestaltung für beachtliche Teile der Bevölkerung entsprechend beeinträchtigt.

Vgl. zu Letzterem: BVerwG, Urteile vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 34, 36, und vom 19.4.1988 – 1 C 50.86 –, BVerwGE 79, 236 = juris, Rn. 33.

Eine Sonn- und Feiertagsöffnung stellt sich nicht lediglich als begrüßenswert und nützlich dar. Vielmehr wird das Fehlen einer solchen Öffnung als Mangel empfunden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.11.1989 – 1 C 14.88 –, juris, Rn. 18, zum Vorliegen eines Bedürfnisses im Sinne der Vorgängernorm des § 105 e Abs. 1 GewO, welche durch § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG übernommen wurde, vgl. BR-Drs. 507/93, S. 91, BT-Drs. 12/5888, S. 30.

cc) Die Annahme des ursprünglichen Gesetzesentwurfs, wenn und soweit öffentliche Bibliotheken ortsgebundene Leistungen anböten, könne dem gerade an Sonn- und Feiertagen bestehenden Bedürfnis an der Nutzung dieser kulturellen Funktionen nicht ohne Sonn- und Feiertagsöffnung durch hinreichende planerische Vorkehrungen Rechnung getragen werden,

vgl. LT-Drs. 17/5637, Seite 14, letzter Absatz,

ist schlüssig und vertretbar. Anders als ein – dem Besuch einer Videothek ähnlicher – Bibliotheksbesuch zum Zwecke der vorausschauend an Werktagen möglichen Medienausleihe, ist der Besuch einer öffentlichen Bibliothek zur Nutzung ihrer kulturellen Funktionen an Ort und Stelle nicht lediglich auf einen vergleichsweise kurzen Aufenthalt zur Auswahl der zu entleihenden Medien beschränkt, sondern gerade auf ein längeres Verweilen in den Bibliotheksräumen ohne Zeitdruck ausgerichtet. Sie ähnelt damit eher dem Besuch eines Museums, das zur Befriedigung eines an Sonn- und Feiertagen bestehenden Bedürfnisses geöffnet sein darf.

Vgl. zur Abgrenzung zwischen Videotheken und Kinos: BVerwG, Urteil vom 19.4.1988 – 1 C 50.86 –, BVerwGE 79, 236 = juris, Rn. 33.

Konkret wird die Annahme, das Bedürfnis nach einer derartigen Nutzung lasse sich nicht ohne Sonntagsöffnung durch planerische Vorkehrungen erfüllen, von den im Gesetzgebungsverfahren herangezogenen Materialien und Stellungnahmen sowie den im gerichtlichen Verfahren durch den Antragsgegner vorgelegten vorbereitenden Materialien getragen.

Die im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren befragten Sachverständigen – mit Ausnahme der Antragstellerin (LT-Stellungnahme 17/1673) – waren einhellig der Auffassung, dass gerade die Sonn- und Feiertagsöffnungen der öffentlichen Bibliotheken, die ihre kulturellen Funktionen als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur erfüllten, für die (gemeinsame) Nutzung an Ort und Stelle einen erheblichen Besucherstrom aus verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen anziehen. Eine zeitlich und mengenmäßig vergleichbar intensive Nutzung ist regelmäßig an Werktagen nicht festzustellen. Auch stehen neben den öffentlichen Bibliotheken nur wenige solcher Räume an Sonn- und Feiertagen nichtkommerziell zur Verfügung. Besonders eindrücklich zeigen dies die Erfahrungen aus den Pilotprojekten in Mönchengladbach, Dinslaken und Berlin. In Mönchengladbach beendete das Pilotprojekt zur Sonntagsöffnung den Besucherrückgang. Sowohl aus Mönchengladbach als auch aus Dinslaken wurde berichtet, dass am Sonntag konstant mehr Personen die Bibliothek besuchten als am Samstag. Auch aus Berlin wurde von enormen Besucherzahlen am Sonntag berichtet sowie davon, dass der Sonntag andere Benutzergruppen anziehe als die Werktage. Im Einzelnen:

Ausweislich der Stellungnahme des Verbands der Bibliotheken des Landes NRW e. V. zum ursprünglichen Gesetzesentwurf (LT-Stellungnahme 17/1658, S. 1) werden Bibliotheken seit vielen Jahren intensiv als Lern- und Arbeitsorte, aber auch als Orte der Kommunikation und der Kreativität genutzt. Gerade Familien hätten meist nur am Sonntag die Möglichkeit, gemeinsam in die Bibliothek zu gehen und dort nicht nur das Medienangebot, sondern auch die anderen vielfältigen Angebote vor Ort zu nutzen. Öffentliche Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen, die eine Öffnung an Sonntagen auf alternativen Wegen ausprobiert hätten, hätten erlebt, dass das Angebot vor allem von Berufstätigen, Familien, Flüchtlingen, Schülern und Studenten intensiv genutzt werde. Ähnlich hat sich der Direktor der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund in seiner Stellungnahme (LT-Stellungnahme 17/1656, S. 1) geäußert und ergänzend angeführt, öffentliche Bibliotheken seien in ihrer Funktion als wichtige Begegnungs- und kulturelle Veranstaltungsorte in ihren Kommunen den Museen und Theatern gleichzusetzen. Familien hätten am Sonntag die Möglichkeit, gemeinsam in die öffentlichen Bibliotheken zu kommen, um dort Zugang zu dem vielfältigen Medienangebot zu finden. Zudem ermöglichten sie es allen Bürgern, ihr Grundrecht auf Informationsfreiheit wahrzunehmen, indem sie die dazu notwendigen Angebote und Infrastruktur vor Ort zur Verfügung stellten. Auch die Stadt- und Landesbibliothek in Dortmund werde seit vielen Jahren intensiv als Lern- und Arbeitsort genutzt. Gerade berufstätige Menschen nutzten hier die Gelegenheit zur Weiterbildung oder Information. Dies solle auch am Sonntag möglich sein.

In der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen (LT-Stellungnahme 17/1663, S. 2) hieß es, öffentliche Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen seien hochfrequentierte Orte kommunaler Bildung und Kultur. Sie erzielten ausweislich des Spartenberichts „Museen, Bibliotheken und Archive“ der bundesweiten Kulturstatistik im Bund die meisten physischen Besuche und nähmen in der Vermittlung von Information und Bildung einen zentralen Platz ein. Zugleich komme ihrer Funktion als Austausch- und Begegnungsraum stetig wachsende Bedeutung zu, insbesondere bei der aktuell notwendigen Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Das Katholische Büro NRW und das Evangelische Büro NRW (LT-Stellungnahme 17/1655, S. 2) bestätigen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme, dass die vorgesehene Sonntagsöffnung für hauptamtlich betriebene öffentliche Bibliotheken der Kommunen die konsequente Weiterentwicklung der öffentlichen Bibliothek als niedrigschwelliger, konsumfreier und öffentlicher Begegnungs- und Kulturraum fördere. Auch aus der Erfahrung der kirchlichen öffentlichen Büchereien könne bestätigt werden, dass gerade am Sonntag Familien gerne gemeinsam die kirchlichen öffentlichen Büchereien besuchten.

Ausweislich der Stellungnahme der Stadtbibliothek Mönchengladbach (LT-Stellungnahme 17/1694) stelle der ursprüngliche Gesetzesentwurf die Funktion der öffentlichen Bibliotheken zeitgemäß dar. Profil, Ausstattung und Funktion öffentlicher Bibliotheken hätten sich in den letzten Jahren stark geändert. Besucher kämen immer weniger nur, um Medien auszuleihen. Bibliotheken würden als Lern- und Arbeitsorte, Kulturorte, Orte des intergenerativen und interkulturellen Austausches genutzt und dringend benötigt, im digitalen Zeitalter und angesichts aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen, wie Migration und Segregation, mehr denn je. Sie gehörten zu den wenigen, oft einzigen öffentlichen Räumen, die besonders niederschwellig zugänglich, neutral und kommerzfrei seien. Angesichts veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen – Ganztagsschulen, Arbeitswelt – hätten viele Menschen – besonders Familien, Berufstätige, Schüler, Studierende – nur am Wochenende, vor allem am Sonntag Zeit, die Bibliothek zu besuchen. Die Stadtbibliothek Mönchengladbach öffne an ihrem Standort Rheydt seit Ende 2011 regelmäßig am Sonntagnachmittag mit Personal eines Personaldienstleisters, zunächst bis 2016 als Pilotprojekt, danach im Regelbetrieb. Nach einem Stopp der deutlichen Besucherrückgänge hätten sich konstant hohe Besucherzahlen eingestellt, sonntags besuchten mehr Menschen die Bibliothek als samstags und es gebe viele begeisterte Besucherrückmeldungen. Neben Familien kämen auch sehr viele junge Menschen, ganz besonders mit Migrationshintergrund. Hier zeige sich die hohe integrative Leistung und präventive Funktion der Bibliothek. Die Evaluation habe in Mönchengladbach die Funktion der Bibliothek als interkultureller, intergenerativer Begegnungs- und Kommunikations- sowie Bildungsort empirisch belegt. Sie spiele sonntags eine besonders große Rolle: 81 % nutzten die Bibliothek als Treffpunkt und Lernort. Sachlich belastbare Informationen seien angesichts extremer Tendenzen in der Gesellschaft und der Informationsunwucht durch soziale Medien heute wichtiger denn je. Auf der Basis der inzwischen achtjährigen Erfahrung mit Samstags- und Sonntagsöffnung werde der Einsatz von bibliothekarischem Fachpersonal auch am Sonntag für unverzichtbar gehalten. In der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Kultur und Medien (APr 17/693, S. 5 ff.) wurde nochmals hervorgehoben, die Stadtteilbibliothek Rheydt werde sonntags sogar stärker angenommen, wodurch deutlich werde, dass eine verlängerte Öffnung am Samstagnachmittag allein für an Samstagen viel beschäftigte Familien gerade nicht genüge. In der von der TH Köln Ende 2014 hierzu durchgeführten wissenschaftlichen Evaluierung gaben 46,2 % der Befragten an, besonders am Wochenende und hier bevorzugt sonntags Zeit für den Bibliotheksbesuch zu haben. Dabei war für 31,9 % der Befragten der Bibliotheksbesuch an Sonntagen eher zufällig; 20,6 % gaben dagegen an, am Wochenende besonders viel Zeit zu haben. Berufstätige besuchten überproportional häufig am Sonntag die Bibliothek (rund 57,9 %), bei den Schülern waren es immerhin 40,9 %. Nur 27,2 % der Besucher besuchten die Bibliothek allein; alle anderen gaben an, die Bibliothek mit Freunden, Kindern und/oder Partnern zu besuchen.

Vgl. Fühles-Ubach/Seidler-de Alwis, BuB 68 (05/2016), S. 258, 259.

Diese Zahlen wurden durch die eigenen Erhebungen der Stadtteilbibliothek Mönchengladbach Rheydt aus den Jahren 2019 und 2020 bestätigt. Danach wurden – bei gleichzeitiger Öffnung auch am Samstagnachmittag – im Jahr 2019 durchschnittlich an einem Sonntag 301 Besucher registriert, während an einem Samstag in einem gleichlangen Zeitraum von ebenfalls vier Stunden nur durchschnittlich 240 Personen die Einrichtung nutzten. Im Januar 2020 wurden an einem Sonntag durchschnittlich 342 Besucher erfasst, während es an einem Samstag durchschnittlich nur 174 Besucher waren. Ganz besonders am Sonntag war eine deutlich höhere Aufenthaltsdauer der Besucher als in der Woche zu beobachten; bis zu zwei Stunden und mehr waren keine Ausnahme.

Ähnlich verhält es sich mit den von dem Antragsgegner vorgelegten Erhebungen der Stadtbibliothek Dinslaken. Anlässlich einer Probeöffnung an Sonn- und Feiertagen von Oktober 2019 bis zum 15.3.2020 (ohne Bibliothekspersonal, nur mit einem Wachdienst) neben erweiterten Öffnungszeiten am Samstagnachmittag wurden im gesamten Zeitraum 2.500 Besucher nur am Sonntag und 4.500 Besucher insgesamt gezählt. Dabei befürworteten 78 % der Befragten eine zusätzliche Sonntagsöffnung als ganzjähriges Angebot.

Herr T. von der Universitätsbibliothek der FernUniversität Hagen betont in seiner Stellungnahme (LT-Stellungnahme 17/1667, S. 1 f.), dass die Begründung für die Privilegierung der in § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG genannten wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken, für die wissenschaftliche Arbeit könne auch an Sonn- und Feiertagen auf die dort nur vor Ort nutzbaren Bestände nicht verzichtet werden, durch die Digitalisierung überholt sei. Die Bedeutung der Sonntagsöffnung wissenschaftlicher Präsenzbibliotheken liege inzwischen darin, dass sie als konsumfreie öffentlich zugängliche Lern- und Begegnungsräume gut angenommen würden. Einen vergleichbaren Funktionswandel hätten auch die öffentlichen Bibliotheken durch die Digitalisierung erfahren. Dass auch hier mit der Digitalisierung und dem Angebot der Onleihe bereits Ausleihmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen und damit vergleichbare Alternativen wie bei den digitalisierten Ressourcen der wissenschaftlichen Bibliotheken existierten und trotzdem die politische Forderung nach einer Sonntagsöffnung nicht verstumme, zeige eindrücklich, dass es – wie bei der wissenschaftlichen Präsenzbibliothek – gerade der öffentlich zugängliche Raum mit seinen vielfältigen Möglichkeiten der Kreativität, der Begegnung, der Kommunikation und gesellschaftlichen Integration sei, der den Wert einer öffentlichen Bibliothek als Einrichtung präge. Dieser könne dann am besten genutzt werden, wenn er möglichst vielen Menschen zu einer Zeit zugänglich sei, in der sie die Möglichkeit hätten, die Einrichtung auch tatsächlich zu nutzen, also an den arbeitsfreien Wochenenden, vor allem aber am Sonntag, wo keine Besorgungen anstünden und gerade Familien Zeit für gemeinsame Aktivitäten hätten.

Ausweislich der Stellungnahme des Vorstands und Managementdirektors der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin (LT-Stellungnahme 17/1651) wird die Amerika-Gedenkbibliothek als deren besucherstärkster Standort seit dem 24.9.2017 sonntags von 11:00 bis 17:00 Uhr auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG für die Durchführung von Veranstaltungen durch einen Kooperationspartner geöffnet. Traditionell klassische Bibliotheksarbeit durch das Bibliothekspersonal dürfe nicht stattfinden. Die Medien des Freihandbestands stünden den Besuchern aber komplett zur Nutzung zur Verfügung; die Ausleihe und Rückgabe von Medien laufe ausschließlich im Selbstbedienungsbetrieb. Im Durchschnitt kämen sonntags rund 2.000 Besucher. Diese stünden teilweise kurz vor Beginn der Öffnungszeit in „Menschentrauben“ vor dem Eingang. Dabei würden sonntags neben den „üblichen“ Besuchern insbesondere Familien erreicht, die die Gelegenheit für einen gemeinsamen Ausflug in ihren Kultur- und Bildungsort nutzten.

Der Berufsverband Information Bibliothek e.V. (LT-Stellungnahme 17/1683, S. 1 f., 3) hat ausgeführt, dass die Beschreibung der veränderten Funktionen der Öffentlichen Bibliotheken im Gesetzentwurf zeitgemäß, modern und hochaktuell sei. Zu Recht werde darauf hingewiesen, dass sie sowohl „hoch frequentierte Kultureinrichtungen“ seien, aber auch „Bildungseinrichtungen, die Medien- und Informationskompetenz gerade an Kinder und Jugendliche vermitteln“. Zudem agierten sie als kommunale Kuratorinnen des Öffentlichen Raumes, in dem sie die bereits vorhandenen Funktionen des inhaltlich wie räumlich attraktiven und informativen „gesellschaftlichen Begegnungsortes“ der Diskussion, der politischen Meinungsbildung und der Befähigung zur demokratischen Teilhabe ausbauten. Bereits an geöffneten Samstagen würden Bibliotheken stark überproportional genutzt. Pilotversuche zur Öffnung an Sonntagen in Bremen und Berlin sowie Lösungen, wie sie in Nordrhein-Westfalen bspw. in Siegburg, Witten und Mönchengladbach-Rheydt ohne den Einsatz von Fachpersonal gefunden worden seien, belegten eine hohe Akzeptanz der Sonntagsöffnung durch die Bürger der jeweiligen Kommune. Gerade die im Gesetzentwurf skizzierten Herausforderungen, die Öffentliche Bibliotheken gegenwärtig und zukünftig bewältigen wollten und sollten, ließen eine weitere Deprofessionalisierung nicht zu. Erweiterte Öffnungszeiten vor allem zu hochfrequentierten Zeiten seien daher im Regelfall mit (zusätzlichem) qualifiziertem Personal abzudecken und nicht durch den Einsatz von prekär beschäftigten Hilfskräften und Wachleuten.

Die Direktorin der Stadtbibliothek Köln führte in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Kultur und Medien (LT-Ausschussprotokoll APr 17/693, S. 12) aus, dass die dort eingeführte Montagsöffnung zu enorm hohen Besucherzahlen am Montag geführt habe. Von Anfang an nutzten im Schnitt montags 1.800 Menschen nur den Ort „Bibliothek“. Extrem viele junge Menschen kämen, die in Gruppen zusammenarbeiteten. Dass Bibliotheken kein kommerzieller Ort seien, mache sie besonders, weil es hiervon in der Stadt nur sehr wenige gebe. Genau deshalb sei gerade an den Sonntagen das Zugänglichmachen solcher Räume notwendig.

Schließlich waren öffentliche Bibliotheken ausweislich der vom Antragsgegner vorgelegten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zu Besuchen an Theatern in der Spielzeit 2017/2018 (25.872.000 Besucher insgesamt), in Museen in den Jahren 2016 und 2017 (111.877.000 und 114.376.000 Besucher insgesamt) und in öffentlichen Bibliotheken für die Jahre 2016 bis 2018 (121.162.000, 120.489.000 und 120.780.000 Besuche) die kulturellen Einrichtungen mit den höchsten Besuchszahlen. Die Zahl der Besuche öffentlicher Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen lag dabei in den Jahren 2016 und 2018 in der Größenordnung von 25.000.000, nachdem es im Jahr 2000 noch nur 20.789.000 gewesen waren. Die Zahl der Entleiher war von 1.835.000 im Jahr 2000 auf 1.554.000 im Jahr 2018 gesunken, was die vermehrte Nutzung der Bibliotheken als Orte der Kultur statistisch belegt.

Die Stellungnahme der Antragstellerin zum Gesetzesentwurf (LT-Stellungnahme 17/1673) zieht die Schlüssigkeit und Vertretbarkeit der Annahmen des Verordnungsgebers nicht in Zweifel. Ihre Auffassung, angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, Angebote der Bibliotheken online zu finden, auszuleihen oder herunterzuladen, bedürfe es keiner Sonntagsöffnung der öffentlichen Bibliotheken, blendet das empirisch belegte breite Bedürfnis aus, die Räumlichkeiten öffentlicher Bibliotheken gerade auch an Sonntagen als Orte der Kultur, der Kommunikation und der Begegnung nutzen zu können (S. 3 der Stellungnahme). Auch in ihrer Antragsbegründung stellt die Antragstellerin letztlich ebenfalls nur das Bedürfnis in Frage, sich zeitnah und spontan zu einem Thema der öffentlichen Meinungsbildung gerade an einem Sonn- oder Feiertag in Bibliotheken zu informieren, weil hierzu heutzutage zahlreiche weitere Medien zur Verfügung stünden. Auf das Bedürfnis für die Nutzung der kulturellen Funktionen der öffentlichen Bibliotheken als Orte der Kultur an Sonn- und Feiertagen, auf das die Verordnung gestützt ist, geht sie dabei nicht weiter ein.

dd) Angesichts des gerade an Sonn- und Feiertagen bestehenden, nicht an Werktagen zu befriedigenden Bedürfnisses, ist die weitere Annahme des Gesetzgebers, dieses Bedürfnis rechtfertige auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe eine Beschäftigung von Arbeitnehmern in öffentlichen Bibliotheken, ebenfalls schlüssig und nachvollziehbar. Das hohe Gewicht dieses Bedürfnisses [unter (1)] überwiegt die Beeinträchtigungen des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe [unter (2)].

(1) Dem Bedürfnis an der Nutzung der kulturellen Funktionen öffentlicher Bibliotheken als niedrigschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur an Sonn- und Feiertagen kommt im Vergleich zum Schutz der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe ein hohes Gewicht zu.

Mit der sonn- und feiertäglichen Inanspruchnahme der kulturellen Funktionen einer öffentlichen Bibliothek als Ort der Kultur geht bereits keine typisch werktägliche Geschäftigkeit einher, die den Ausnahmecharakter einer Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in Frage stellen könnte. Vielmehr dient ein solcher Bibliotheksbesuch gerade dazu, die Zweckbestimmung der Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung zu verwirklichen, indem sie den Besuchern einen niederschwellig zugänglichen, nichtkommerziellen Raum zur individuellen Gestaltung ihres Tages der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zur Verfügung stellt. Nach der in dem ursprünglichen Gesetzesentwurf in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist gerade ein wesentlicher – das Sozialstaatsprinzip konkretisierender und einen Bezug zur Menschenwürde aufweisender – Aspekt des Sonn- und Feiertagsschutzes, dass er dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze zieht und dem Menschen um seiner selbst willen dient.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 144, 156 f.

Auch Herr T. von der Universitätsbibliothek der FernUniversität Hagen hebt in seiner Stellungnahme (LT-Stellungnahme 17/1667, S. 3) hervor, schon nach der älteren katholischen Moraltheologie sei die Nutzung von Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen mit dem traditionellen religiösen Gebot der Sonntagsheiligung vereinbar gewesen.

Im Ausgangspunkt vergleichbar auf die neuzeitliche Interpretation durch die öffentlich-rechtlich verfassten christlichen Religionsgemeinschaften abstellend: BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 143.

Der Besuch einer öffentlichen Bibliothek als niederschwellig zugänglicher, nichtkommerzieller Ort der Kultur an Sonn- und Feiertagen stellt damit – unabhängig davon, dass er nicht durch vorausschauende Planungen an Werktagen ermöglicht werden kann – gerade kein (alltäglich zu befriedigendes) Erwerbsinteresse potenzieller Kunden dar, das grundsätzlich nicht genügt, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage zu rechtfertigen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 39, sowie bereits BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 157.

Die von alltäglichen Erwerbsinteressen zu unterscheidenden Interessen an den kulturellen Funktionen öffentlicher Bibliotheken als Orte der Kultur und Stätten der Familie, auf die der ursprüngliche Gesetzesentwurf wesentlich abstellt, dienen der Begegnung, der Kommunikation, der gesellschaftlichen Integration, der Information, der (staatsbürgerlichen) Bildung und damit den ebenso wie die Sonntagsruhe verfassungsrechtlich geschützten Rechten aus der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), des elterlichen Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG).

Auch stellt der ursprüngliche Gesetzesentwurf unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Sachverständigen nachvollziehbar darauf ab, dass die Nutzung der Bibliotheken als niedrigschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur an Sonntagen vor allem für sozial Benachteiligte von hoher Bedeutung ist. Sie stellt gerade für diese Gruppe und im Vergleich zu den in § 10 Abs. 1 Nr. 4 bis 7, 9 ArbZG geregelten Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung eine der wenigen kostenlosen witterungsunabhängigen Aufenthaltsmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen dar, um beispielsweise beengten Wohnverhältnissen zu entfliehen. Für diese relevante Bevölkerungsgruppe stellt sich eine Sonn- und Feiertagsöffnung in besonderem Maße als wichtig und nicht lediglich als begrüßenswert und nützlich dar.

Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass mit der Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken zur Wahrnehmung ihrer kulturellen Funktionen vielen gesellschaftlichen Problemen – wie der mangelnden gesellschaftlichen und kulturellen Integration, einem Mangel an nichtkommerziellen Begegnungsräumen gerade für Familien und sozial Schwache und der demokratiegefährdenden Verbreitung von Desinformation durch sog. Fake News – in Form einer effektiveren Nutzung hierfür geeigneter bestehender Räume entgegengewirkt werden kann. Sowohl die Lösung der aufgezeigten gesellschaftlichen Probleme als auch die empirisch belegte effektivere Nutzung von geeigneten öffentlichen Bibliotheken zu diesen Zwecken liegen im gesamtgesellschaftlichen Interesse.

(2) Demgegenüber kommt den Beeinträchtigungen des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe im gegebenen Fall ein verhältnismäßig geringes Gewicht zu.

Die Regelung betrifft bereits nicht alle öffentlichen Bibliotheken, sondern nur solche, die die gesetzlich in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen Funktionen in einem so nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint. Selbst diese Bibliotheken müssen sonn- und feiertags nicht öffnen. Vielmehr kann jeder Träger einer von der Regelung erfassten Bibliothek beispielsweise in Abhängigkeit von der jeweiligen personellen Ausstattung und nach Beteiligung der Beschäftigten entscheiden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang er von der im Verordnungsweg geschaffenen Ermächtigung Gebrauch machen möchte.

Durch die Beschränkung der Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken auf sechs Stunden ist im Übrigen gewährleistet, dass Bibliotheksmitarbeiter nicht vollständig auf eine Sonn- und Feiertagsruhe verzichten müssen. Auch ist die Sonn- und Feiertagsöffnung öffentlicher Bibliotheken, die besondere kulturelle Funktionen anbieten und empirisch belegt gerade an Sonn- und Feiertagen viele Nutzer anziehen, schon wegen ihres regelmäßig gegebenen örtlichen Alleinstellungsmerkmals nicht mit dem Einsatz einer besonders großen Anzahl von Arbeitnehmern verbunden. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass bereits derzeit in der Rechtspraxis eine Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken zum Zwecke der Durchführung von Veranstaltungen oder mit Hilfe eines Wachdienstes auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 13 ArbZG akzeptiert wird, die ebenfalls den Einsatz einer jedenfalls nicht wesentlich geringeren Zahl von Arbeitnehmern erfordert. Durch eine weitgehend bloße Verlagerung des Arbeitseinsatzes von einer Gruppe von Arbeitnehmern auf eine andere ist weder im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmer noch auf den Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe etwas gewonnen. Durch den Einsatz bibliothekarischen Fachpersonals würde jedoch die Qualität des Bibliotheksangebots – wie mit dem ursprünglichen Gesetzesentwurf angestrebt und von den Sachverständigen nahezu einhellig befürwortet – gerade in Zeiten besonders intensiver Nutzung an Sonn- und Feiertagen erheblich steigen.

Vgl. zum begrenzten Nutzen für den Sonn- und Feiertagsschutz bei der Verlagerung des Einsatzes von einer Gruppe von Arbeitnehmern auf die andere: BVerwG, Urteil vom 29.3.1966 – 1 C 8.65 –, BVerwGE 24, 15 = juris, Rn. 13.

Zudem hat der Gesetzgeber mit den in § 10 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 ArbZG ausdrücklich geregelten Ausnahmen für kulturelle Einrichtungen selbst zum Ausdruck gebracht, dass er eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in an Ort und Stelle zu nutzenden kulturellen Einrichtungen zur Befriedigung eines an Sonn- und Feiertagen bestehenden relevanten Bedürfnisses in der Bevölkerung als gerechtfertigt ansieht.

Vgl. zur Abgrenzung zwischen Videotheken und Kinos: BVerwG, Urteil vom 19.4.1988 – 1 C 50.86 –, BVerwGE 79, 236 = juris, Rn. 33.

Vor diesem Hintergrund kommt dem vom Berufsverband Information Bibliothek e.V. (LT-Stellungnahme 17/1683, S. 3) erwähnten Gesichtspunkt keine entscheidende Bedeutung mehr zu, dass von zahlreichen Beschäftigten Rand- oder Sonderarbeitszeiten nicht nur als Belastung, sondern auch als Chance für die Vereinbarkeit von Arbeit und individuellen, flexiblen Lebensentwürfen, im Einzelfall sogar für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angesehen würden.

ee) § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung genügt schließlich auch mit Blick auf den Ordnungswidrigkeitstatbestand in § 22 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG den besonderen Bestimmtheitsanforderungen an bußgeldbewehrte Vorschriften in Art. 103 Abs. 2 GG.

Art. 103 Abs. 2 GG, der gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde, ist auf Ordnungswidrigkeitentatbestände anwendbar. Seine Bedeutung erschöpft sich nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung. Er enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie. Damit hat er auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, indem alle am Rechtsverkehr Teilnehmenden vorhersehen können sollen, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. In seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot enthält Art. 103 Abs. 2 GG die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und Rechtsvorschriften so genau fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist, gelten danach für den grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verlangt daher, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass der Normadressat im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen kann, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht. Allerdings muss der Gesetzgeber auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden. Müsste er jeden Straftatbestand stets bis ins Letzte ausführen, anstatt sich auf die wesentlichen Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Daher verbietet Art. 103 Abs. 2 GG die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht. Jedoch muss gewährleistet sein, dass mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden und unter Berücksichtigung gefestigter Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der fraglichen Norm gewonnen werden kann. Der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit lässt sich dabei nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben, wobei der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso genauer festlegen und präziser bestimmen muss, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist. Auch der Kreis der Normadressaten ist von Bedeutung.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 –, BVerfGE 159, 223 = juris, Rn. 154 ff., m. w. N.

Sollten in Nordrhein-Westfalen – wie vom Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung ausgeführt – keine reinen Ausleihbibliotheken mehr existieren, würde es sich bei der von der Antragstellerin vorgetragenen Bestimmtheitsproblematik ohnehin nur um ein Scheinproblem handeln. Sollte diese Einschätzung des Antragsgegners nicht zutreffen, sind die von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erfassten öffentlichen Bibliotheken trotz der Verwendung von unbestimmten Begriffen in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW jedenfalls mit Hilfe des ursprünglichen Gesetzentwurfs zuverlässig in dem Sinne bestimmbar, dass nur solche öffentlichen Bibliotheken erfasst werden sollen, die die gesetzlich in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen Funktionen in einem so nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint. Dass eine konkretere Beschreibung der von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erfassten öffentlichen Bibliotheken, die jedenfalls reine Ausleihbibliotheken und sonstige Bibliotheken nicht einschließen soll, die etwa aus räumlichen Gründen keinen genügenden Anreiz für eine nennenswerte sonntägliche Nutzung an Ort und Stelle bieten, angesichts der Vielgestaltigkeit der im Land vorhandenen öffentlichen Bibliotheken abstrakt-generell im Verordnungswege ohne eine starre und kasuistische Aufzählung möglich wäre, ist weder ersichtlich noch von der Antragstellerin aufgezeigt. Zudem hat der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, die Regelung habe in der Praxis bei der Umsetzung vor Ort bislang nicht zu Problemen geführt. Ein relevantes Missbrauchspotential besteht schon mit Blick auf die Kosten sonntäglicher Bibliotheksöffnungen sowie die strikte Rechtsbindung der öffentlichen Bibliotheksträger nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht. Die Gefahr sachlich nicht zu rechtfertigender Öffnungen trotz im Einzelfall fehlender Nachfrage ist vor diesem Hintergrund so sehr zu vernachlässigen, dass mögliche Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall nicht den Schluss auf eine verfassungswidrige Unbestimmtheit rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die Frage, ob für die nachträgliche Einbeziehung einer inhaltlich unteilbar geänderten Fassung einer Norm in ein Normenkontrollverfahren die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu beachten ist, grundsätzliche Bedeutung im

Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Antragstellerin, eine bundesweit tätige Dienstleistungsgewerkschaft, wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Verordnung über die Zulassung der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung (Bedarfsgewerbeverordnung), der eine Sonn- und Feiertagsöffnung öffentlicher Bibliotheken in Erfüllung ihrer kulturellen Funktionen als Orte der Kultur vorsieht.

Der Antragsgegner fasste durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der kulturellen Funktion der Öffentlichen Bibliotheken und ihrer Öffnung am Sonntag (Bibliotheksstärkungsgesetz) vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) § 10 des Kulturfördergesetzes NRW wie folgt neu:

„(1) Die öffentlichen Bibliotheken sind nach Maßgabe der Bestimmungen ihres Trägers Orte der Kultur. Insofern dienen sie

1. dem Informationszugang und lebenslangen Lernen,

2. der Begegnung, Kommunikation, dem kulturellen Austausch und der gesellschaftlichen Integration,

3. der Leseförderung sowie der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz,

4. der Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung sowie

5. der demokratischen Willensbildung und gleichberechtigten Teilhabe, insbesondere durch ein vielfältiges Presseangebot.

Sie können insbesondere im ländlichen Raum und in kleinen Städten und Gemeinden zu Zentren der Kultur weiterentwickelt werden und insofern dazu dienen, dass an ihnen verschiedene kulturelle Aktivitäten aus der regionalen Umgebung angeboten werden können.

(2) Das Land fördert die öffentlichen Bibliotheken in ihren Funktionen nach Absatz 1. Das Land unterstützt die öffentlichen Bibliotheken insbesondere bei der Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz, der Leseförderung, der Entwicklung neuer Dienstleistungen, insbesondere von Dienstleistungen, die nicht Ausleihe oder Rückgabe sind, und der Modernisierung der technischen Infrastruktur. Das Nähere regelt das für Kultur zuständige Ministerium in einer Förderrichtlinie.

(3) Das Land unterhält eine zentrale Fachstelle für öffentliche Bibliotheken, welche die Aufgabe hat, Konzepte und Programme zur Sicherung und zum Ausbau öffentlicher Bibliotheken zu entwickeln und zu vermitteln sowie insbesondere kleinere Bibliotheken in allen bibliotheksfachlichen Fragen zu informieren, zu beraten und zu unterstützen.“

Gleichzeitig fügte der Antragsgegner durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes § 1 Abs. 1 der Bedarfsgewerbeverordnung folgende Nr. 11 an:

„in öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre Funktionen nach § 10 Absatz 1 des Kulturfördergesetzes NRW vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 917), geändert durch Gesetz vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90), erfüllen, bis zu 6 Stunden.“

Dem Vorhaben zugrunde lag ein Gesetzesentwurf der Fraktionen von CDU und FDP vom 2.4.2019 (LT-Drs. 17/5637). Öffentliche Bibliotheken seien als hoch frequentierte Kultureinrichtungen in Nordrhein-Westfalen Orte der Begegnung, der Kommunikation und – vor allem aufgrund ihrer Niederschwelligkeit – der gesellschaftlichen Integration. Gerade Familien nutzten gemeinsam die Bibliothek, um damit aktive Familienarbeit zu betreiben. Zugleich hielten Bibliotheken unverzichtbare Informationsquellen für die politische Meinungsbildung und die demokratische Teilhabe in Form von nur vor Ort nutzbaren Presseerzeugnissen und anderen Medien tagespolitischen Inhalts bereit und ermöglichten so weiten Teilen der Bevölkerung, ihr Grundrecht auf Informationsfreiheit in Anspruch zu nehmen und damit mündig am politischen Leben teilzunehmen. Im Internet seien neben sehr vielen guten Informationsangeboten viele zweifelhafte Quellen vorhanden, die die Entstehung und die Verbreitung von sog. Fake News begünstigten, zu denen das fachlich ausgewählte Informationsangebot der öffentlichen Bibliotheken ein notwendiges Korrektiv von besonderer Bedeutung darstelle. Öffentliche Bibliotheken seien Bildungseinrichtungen, die Medien- und Informationskompetenz gerade an Kinder und Jugendliche vermittelten. Darüber hinaus dienten sie jedermann der Befriedigung kultureller, nicht nur konsumtiver Freizeitbedürfnisse und seien insofern vergleichbar mit Musikaufführungen, Theatervorstellungen, Filmvorführungen, Schaustellungen, Darbietungen und ähnlichen Veranstaltungen. In öffentlichen Bibliotheken würden zudem Räume nicht nur familiärer Sinnstiftung und Begegnung geschaffen, sondern auch Foren interkultureller Erziehung und Integration bereitgestellt. Öffentliche Bibliotheken seien nicht nur im ländlichen Raum und in kleinen Städten zentrale Orte für öffentliche kulturelle Veranstaltungen. Durch verschiedene Formen der Kooperation und institutionellen Integration mit anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen wie Museen oder Volkshochschulen fungierten sie als Zentren für Kultur und Bildung und damit als sog. Dritte Orte. Öffentliche Bibliotheken seien daher Orte der Kultur. Anders als Museen, Theater oder kommerzielle Freizeiteinrichtungen müssten öffentliche Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen schließen. Dadurch könnten sie ihre Funktion als gesellschaftlicher Begegnungsort, die auch der nichtkonsumtiven Freizeitgestaltung diene, nur unzureichend erfüllen. Berufstätige Eltern hätten keine Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Kindern eine Bibliothek aufzusuchen und sie an das vielfältige Medien- und Buchangebot heranzuführen. Gerade für sozial benachteiligte Familien seien öffentliche Bibliotheken für die kulturelle gesellschaftliche Teilhabe von hoher Bedeutung.

Die Funktion der öffentlichen Bibliotheken als Begegnungs- und kulturelle Veranstaltungsorte sowie ihre für die Ausübung des Grundrechts der Informationsfreiheit wichtige Rolle als Vermittlerin nur vor Ort nutzbarer Informationsangebote solle durch eine Änderung des Kulturfördergesetzes (Art. 1) als im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe gesetzlich anerkannt und künftig in das Förderhandeln des Landes einbezogen werden. Zugleich würden die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um über eine Änderung der Bedarfsgewerbeverordnung (Art. 2) auf der Grundlage der bislang vom Land nicht genutzten Regelungsbefugnis in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i. V. m. § 13 Abs. 2 Satz 1 ArbZG öffentlichen Bibliotheken eine Öffnung an Sonntag- und Feiertagen zu ermöglichen. Art. 1 und Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes stellten ein aufeinander bezogenes Regelungsvorhaben dar. Aufgrund dieses Sachbezugs sei eine Änderung der Bedarfsgewerbeverordnung durch Parlamentsgesetz nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig.

Ein erheblicher Schaden im Sinne des § 13 Abs. 1 ArbZG liege vor. Die durch die Funktionen öffentlicher Bibliotheken getragenen Bedürfnisse seien jeweils grundrechtlich (Art. 5 und Art. 6 GG) oder staatsprinzipiell (Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) besonders geschützt und damit zumindest gleichrangig mit dem Schutz der Sonntagsruhe nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. Eine Abwägung der zu berücksichtigenden Schutzinteressen im Sinne praktischer Konkordanz ergebe, dass eine Sonntagsöffnung sachgerecht und zur Bedürfnisbefriedigung erforderlich sei. Aus der bisher fehlenden Öffnungsmöglichkeit an Sonn- und Feiertagen folge nicht nur eine Beeinträchtigung der Funktion von öffentlichen Bibliotheken als kulturellen Veranstaltungs- und Begegnungsorten sowie als Bildungseinrichtungen, sondern auch ein grundrechtserheblicher Nachteil auf Seiten der Bürger, welche die Bibliothek wegen ihrer Berufstätigkeit unter der Woche nicht aufsuchen und daher die nur vor Ort verfügbaren Informationsangebote nicht nutzen könnten. Zudem sei berufstätigen Eltern eine gemeinsame Nutzung der öffentlichen Bibliotheken mit ihren Kindern an Werktagen nicht möglich, wodurch sie bei der ebenfalls grundrechtlich geschützten Medien- und Informationserziehung ihrer Kinder beeinträchtigt würden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, Rn. 40) sei eine Sonntagsöffnung öffentlicher Bibliotheken gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i. V. m. § 13 Abs. 2 Satz 1 ArbZG zwar nicht statthaft, wenn sie der Erfüllung bloß konsumtiver Freizeitbedürfnisse der Bevölkerung ähnlich derer einer Videothek diene, die bei vorausschauender Planung werktäglich befriedigt werden könne. Das Bibliotheksstärkungsgesetz folge dieser Rechtsprechung und stelle für die Öffnung von öffentlichen Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen daher besonders auf deren kulturelle Funktion als Bildungs-, Begegnungs- und Kommunikationsort jenseits ihrer Ausleihfunktion ab. Bei öffentlichen Bibliotheken liege vor diesem Hintergrund ein rechtfertigender Sachgrund für die Sonntagsöffnung vor, weil ohne diese Öffnung an Sonn- oder Feiertagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung, die in der Wahrnehmung der in Art. 1 dieses Gesetzes im Einzelnen geregelten kulturellen Funktionen der öffentlichen Bibliotheken lägen, nicht befriedigt werden könnten. Hinsichtlich der Funktion öffentlicher Bibliotheken als Stätten staatsbürgerlicher Bildung und der Unterstützung der demokratischen Willensbildung könne je nach politischer Lage das Bedürfnis bestehen, sich zeitnah zu einem Thema der öffentlichen Meinungsbildung zu informieren, weil die sozialen Prozesse der Meinungsbildung eine spontane Information erforderten. Es sei verfassungsrechtlich anerkannt, dass Prozesse spontaner Meinungsbildung – wie etwa in einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Spontandemonstration – verfassungsrechtlich ebenso geschützt seien wie die Prozesse geplanter Meinungsbildung. Sowohl grundrechtlich als auch vom Demokratieprinzip her müsse der Weg offen sein, derartige spontane Informationsbegehren befriedigen zu können. Dies gelte gerade in einer Zeit, in der aufgrund der Informationsunwucht, die durch die sozialen Medien geschaffen worden sei, ein erhöhter Bedarf an belastbaren Informationen bestehe, die öffentliche Bibliotheken mit ihrem fachlich ausgewählten Angebot bereithielten. Hier ergäben sich viele spontane Informationsbedürfnisse, die durch Planung im Vorfeld nicht erfüllbar seien. Im Hinblick auf die Funktion öffentlicher Bibliotheken als Räume der Begegnung, der Kommunikation und der gesellschaftlichen Integration habe empirisch – beispielsweise bei dem Sonntagsöffnungsversuch der kommunalen Bibliothek des Mönchengladbacher Stadtteils Rheydt – festgestellt werden können, dass sich die sonntags geöffnete Bibliothek zu einer „interkulturellen Familienbibliothek“ weiterentwickelt habe. Andere Erfahrungen zeigten, dass sonntags der Anteil jugendlicher Nutzer und damit der Anteil einer nur schwer erreichbaren Zielgruppe besonders groß sei. Weiterhin unterstützten öffentliche Bibliotheken den Schutz der Familie und das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 GG. An Sonntagen geöffnete Bibliotheken seien – gerade aufgrund des für alle grundsätzlich beschäftigungsfreien Sonntags – gut angenommene Stätten der Familie. Insofern höhle eine Sonntagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken den verfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutz, der ja auch eine gemeinsame Familienzeit ermöglichen solle, nicht aus, sondern setze ihn voraus und stärke ihn.

Ohne die Zulässigkeit einer Sonntagsöffnung würde für diese hochrangigen Rechtsgüter ein erheblicher Schaden eintreten. Hinsichtlich der Funktionen öffentlicher Bibliotheken als Orte der Kultur und des lebenslangen Lernens bestehe ohne Sonntagsöffnung ein Widerspruch zu den Wertungen des Arbeitszeitgesetzes und damit ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Denn die sonstigen Dimensionen kultureller Entfaltung seien durch § 10 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 ArbZG vom Gebot der Sonntagsruhe gesetzlich befreit. Aus diesen Wertungen des Arbeitszeitgesetzes folge daher als solches schon die Erheblichkeit des Schadens bei denjenigen Bedürfnissen, die durch ortsgebundene Funktionen öffentlicher Bibliotheken als Kultureinrichtungen befriedigt würden. Dieses Ergebnis werde durch den Umstand bestätigt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Sonn- und Feiertagsgarantie ein besonderer Bezug zur Menschenwürde beigemessen werden könne, weil sie dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze ziehe und dem Menschen um seiner selbst willen diene. Umgekehrt müssten dann aber auch solche Einrichtungen eine Nähe zur Sonntagsöffnung besitzen, die sich in ihrem Angebot einem ökonomischen Nutzdenken entzögen, etwa weil sie konsumfreie Stätten persönlichkeitsprägender Bildung seien. Soweit Bibliotheken als Stätten der Begegnung und der familiären Freizeitgestaltung dienten, stehe die Befriedigung hoher Schutzgüter der Familie und der Erziehung in Rede. Gerade werktags arbeitende Eltern könnten nur sonn- und feiertags mit ihren Kindern öffentliche Bibliotheken aufsuchen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diene indes die Statuierung gemeinsamer Ruhetage auch dem Schutz von Ehe und Familie und finde familiäre Entfaltung nicht nur im häuslichen Bereich, sondern auch innerhalb eines sozialen Kontexts statt. Dann könne es aber nicht sein, dass umgekehrt gerade das Gebot gemeinsamer Ruhetage einen Schutz von Ehe und Familie im Hinblick auf die Nutzung öffentlicher Bibliotheken an diesen Tagen verhindere. Das Bundesverfassungsgericht habe daher die „Arbeit für den Sonntag“ anerkannt. Bei Wahrung eines hinreichenden Niveaus des Sonn- und Feiertagsschutzes seien Beschäftigungen, die dazu dienten, arbeitenden Menschen eine individuelle Gestaltung ihres arbeitsfreien Tages zu ermöglichen, grundsätzlich zulässig. Auch durch einen Vergleich zu den nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG privilegierten wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken ergebe sich das Vorliegen eines erheblichen Schadens. Grund ihrer Privilegierung sei der Schutz der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG. Diese Interessenbefriedigung greife indes auch bei der Sonntagsöffnung öffentlicher Bibliotheken mit Blick auf das ebenfalls in Art. 5 GG geschützte Grundrecht der Informationsfreiheit. Denn ohne Sonntagsöffnung sei die Nutzung ebenfalls nur vor Ort vorhandener allgemein zugänglicher Quellen für die tagespolitische Information und staatsbürgerliche Bildung für viele Menschen praktisch nicht möglich, was eine empfindliche Verkürzung ihrer grundrechtlichen Entfaltungsmöglichkeiten bedeute. Was für die Quellen wissenschaftlicher Arbeit gelte, müsse auch für demokratierelevante Informationsmittel in den Beständen öffentlicher Bibliotheken gelten. Soweit die demokratietheoretische Funktion öffentlicher Bibliotheken als Zentrum öffentlicher staatsbürgerlicher Meinungsbildung in Rede stehe, liege ebenfalls ein erheblicher Schaden vor. Denn das Bundesverfassungsgericht spreche der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen eine erhebliche Bedeutung für die Rahmenbedingungen des Wirkens der politischen Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger Vereinigungen und ganz generell für die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie zu. Auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Integration sei die Erheblichkeit des Schadens offensichtlich. Öffentliche Bibliotheken entwickelten sich zu funktionalen Orten interkultureller Bildung. Ohne die Öffnung an Sonn- und Feiertagen würde die Befriedigung dieses Bedürfnisses entfallen. Für die Bundesrepublik Deutschland sei eine gelingende Integration von Migranten sowie von Menschen mit Migrationshintergrund aber eine unabweislich wichtige öffentliche Aufgabe. Soweit öffentliche Bibliotheken zu „Dritten Orten“ weiter entwickelt würden, liege ohne Sonntagsöffnung ebenfalls ein erheblicher Schaden vor, weil die öffentlichen Bibliotheken in diesen Fallgestaltungen keine üblichen bibliothekarischen Funktionen im Sinne der Ausleihe und Rückgabe wahrnähmen, sondern gerade solche kulturelle Funktionen übernähmen, die arbeitszeitrechtlich nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 ArbZG schon gegenwärtig ausdrücklich privilegiert seien, wenn sie von speziellen Institutionen angeboten würden.

Eine Bedürfnisbefriedigung sei nicht durch eine zumutbare vorausschauende Planung realisierbar. Denn diese Bedürfnisse zeichneten sich gerade in ihrem Kern dadurch aus, dass sie entweder auf eine spontane Befriedigung hin ausgerichtet seien oder dass die sonntägliche Inanspruchnahme der Bibliothek die Befriedigung eines nichtspontanen, aber gleichwohl grundrechtlich geschützten Bedürfnisses ermögliche, welches deshalb nicht werktags befriedigt werden könne, weil an diesen Tagen die bibliotheksaufsuchenden Personen der werktäglichen Arbeit nachgehen müssten.

Durch die Beschränkung der Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken auf sechs Stunden werde gewährleistet, dass Bibliotheksmitarbeiter nicht vollständig auf eine Sonntagsruhe verzichten müssten und auch Gelegenheit zum Gottesdienstbesuch hätten. Insoweit werde sowohl dem Schutz der Arbeitnehmer als auch der Sonn- und Feiertagsruhe ausreichend Rechnung getragen. Soweit kirchliche Bibliotheken vormittags im Zusammenhang mit den Gottesdiensten durch den Einsatz von ehrenamtlich tätigen Personen geöffnet seien, würden sie durch die Zeitvorgaben in der Bedarfsgewerbeverordnung nicht beeinträchtigt.

Der Gesetzesentwurf war nach erster Lesung im Landtag am 11.4.2019 an den Ausschuss für Kultur und Medien – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und an den Innenausschuss überwiesen worden. Der Ausschuss für Kultur und Medien hatte am 4.7.2019 eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen durchgeführt, an der sich die beiden mitberatenden Ausschüsse nachrichtlich beteiligt hatten. Die öffentliche Anhörung der Sachverständigen nebst einer Übersicht der geladenen Sachverständigen und deren im Vorfeld abgegebenen Stellungnahmen ist im Ausschussprotokoll 17/693 dokumentiert, auf welches bezüglich des genauen Inhalts verwiesen wird. Im Rahmen der Stellungnahmen und der mündlichen Anhörung wurde der Gesetzentwurf breit unterstützt. Anschließend hatten die damit befassten Ausschüsse dem Gesetzesentwurf jeweils einstimmig zugestimmt. Der Gesetzentwurf war sodann in zweiter Lesung am 9.10.2019 einstimmig angenommen worden. Ausweislich der Plenarprotokolle zu erster und zweiter Lesung (17/56, 17/68) sowie der Kabinettvorlage des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft zu dem Gesetzentwurf vom 8.4.2019 sollte durch das Vorhaben auf Landesebene eine Sonn- und Feiertagsöffnung öffentlicher Bibliotheken ermöglicht werden, nachdem in den vergangenen Jahren mehrere Initiativen zur Anpassung des Arbeitszeitgesetzes auf Bundesebene gescheitert waren.

Die Antragstellerin hat am 28.5.2020 den vorliegenden Normenkontrollantrag gestellt.

Mit dem Gesetz zum Erlass eines Kulturgesetzbuches sowie zur Änderung und Aufhebung weiterer Vorschriften (Kulturrechtsneuordnungsgesetz) vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) hat der Antragsgegner unter Art. 1 das Kulturgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen (Kulturgesetzbuch NRW) erlassen, unter Art. 2 das Kulturfördergesetz NRW aufgehoben sowie unter Art. 7 in § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung die Wörter „§ 10 Absatz 1 des Kulturfördergesetzes NRW vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 917), geändert durch Gesetz vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90),“ durch die Wörter „§ 47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuches vom 1. Dezember 2021 (GV. NRW. S. 1353) in der jeweils geltenden Fassung“ ersetzt.

Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags führt die Antragstellerin aus, der Antrag sei zulässig. Insbesondere sei sie antragsbefugt, weil sie geltend machen könne, in ihrem subjektiven Recht aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG, konkretisiert durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, verletzt zu sein. Durch § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung werde die Sonn- und Feiertagsarbeit in öffentlichen Bibliotheken zugelassen. Die Tätigkeit in öffentlichen Bibliotheken gehöre zu den Dienstleistungen im Öffentlichen Dienst und falle damit in ihren gewerkschaftlichen Tätigkeitsbereich. Der Antrag sei auch begründet, weil die angegriffene Norm rechtswidrig sei. In formeller Hinsicht hätte § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung weder durch ein formelles Landesgesetz eingefügt noch geändert werden dürfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts sei der Erlass bzw. die Änderung einer Rechtsverordnung durch ein formelles Gesetz nur zulässig, wenn sowohl ein förmliches Gesetz als auch eine auf ihm beruhende Verordnung in einem einheitlichen Vorgang geändert und aufeinander abgestimmt würden. Dies sei hier unzweifelhaft nicht geschehen, weil die Verordnungsermächtigung im Arbeitszeitgesetz unverändert geblieben sei und nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers stehe. In materieller Hinsicht genüge § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung bereits nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Insbesondere lasse sich die Beschränkung der Sonn- und Feiertagsöffnung auf eine Nutzung der öffentlichen Bibliotheken an Ort und Stelle weder § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung noch § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW entnehmen, sodass reine Ausleihbibliotheken ebenfalls profitieren könnten. Insbesondere sei nicht eindeutig, ob die Bibliotheken nur dann Orte der Kultur seien, wenn sie eine oder mehrere der genannten Funktionen ausübten. So sei für die Verantwortlichen vor Ort auch nicht zu erkennen, welche öffentlichen Bibliotheken aufgrund der Regelungen öffnen dürften und welche nicht, wodurch sie sich dem Risiko eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG aussetzten. Die angegriffene Norm sei zudem rechtswidrig, weil § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung nicht die allgemeinen und speziellen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG erfülle. Insbesondere habe das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 – bereits entschieden, dass die Voraussetzungen für eine sonn- und feiertägliche Öffnung öffentlicher Bibliotheken gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG grundsätzlich nicht vorlägen. Es sei nicht erforderlich, Bibliotheken auch an Sonn- und Feiertagen zu öffnen, um an diesen Tagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und anderenfalls eintretende erhebliche Schäden zu vermeiden. Die angegriffene Norm sei nicht abweichend zu bewerten, weil der Antragsgegner ihren Anwendungsbereich auf öffentliche Bibliotheken mit Funktionen nach § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW beschränke, also die besondere Bedeutung der Bibliotheken im Sinne des Kulturgesetzbuchs NRW betont habe. Es sei bereits zu bezweifeln, dass ein besonderes Bedürfnis an einer sonn- und feiertäglichen Öffnung von Bibliotheken in einem wesentlichen Teil der Bevölkerung bestehe. Dieses ergebe sich insbesondere nicht aus dem Bedürfnis, sich zeitnah und spontan zu einem Thema der öffentlichen Meinungsbildung gerade an einem Sonn- oder Feiertag in Bibliotheken zu informieren, weil hierzu heutzutage zahlreiche weitere Medien zur Verfügung stünden. Auch von einem bei Nichtöffnung entstehenden erheblichen Schaden sei nicht auszugehen. Der Antragsgegner habe in seiner Begründung insoweit nur auf die besondere Bedeutung von Bibliotheken verwiesen. Schließlich habe der Gesetzgeber durch die besondere Erwähnung von wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken in § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG eine bewusste Unterscheidung zwischen diesen und öffentlichen Bibliotheken und damit eine Entscheidung zu Lasten der öffentlichen Bibliotheken getroffen. Das vom Antragsgegner verfolgte staatliche Interesse an der Kulturförderung sei zwar zu begrüßen, jedoch enthalte § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG gerade keine Ermächtigungsgrundlage dafür, dieses Ziel durch die Gestattung von Sonn- und Feiertagsöffnungen zu verfolgen.

Sofern wegen der Änderung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung eine Antragsänderung erforderlich sei und für diese die Jahresfrist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gelte, sei ihr – die mit Schriftsatz vom 20.1.2023 auf den Hinweis des Gerichts vom 3.1.2023 beantragte – Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Für sie sei erst aufgrund des gerichtlichen Hinweises vom 3.1.2023 erkennbar gewesen, dass das Gericht von einer wirksamen Änderung der streitgegenständlichen Verordnung und hinsichtlich einer Antragsanpassung von einer Änderung des Antrags, die dem Fristenregime des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterliege, ausgehe. Hier wäre das Gericht gemäß § 86 VwGO gehalten gewesen, rechtzeitig entsprechende Hinweise zu erteilen.

Die Antragstellerin hat ursprünglich beantragt, § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung vom 5.5.1998, eingefügt durch Bibliotheksstärkungsgesetz vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) für unwirksam zu erklären. Nach gerichtlichen Hinweisen vom 3. und 31.1.2023 beantragt sie nunmehr – wie mit den Schriftsätzen vom 20.1.2023 und 10.2.2023 erstmals angekündigt –,

§ 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung vom 5.5.1998, eingefügt durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852), in der Fassung gemäß Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353), für unwirksam zu erklären.

Der Antragsgegner hat in der mündlichen Verhandlung in die Einbeziehung von Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) in den Antrag eingewilligt und beantragt nunmehr,

den Antrag abzulehnen.

Er hält die angegriffene Norm für mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar. Eine genauere Beschreibung der öffentlichen Bibliotheken, die an Sonn- und Feiertagen öffnen dürften, sei im Wege einer Rechtsnorm nicht möglich. Die Regelung habe in der Praxis bei der bislang nur vereinzelt wahrgenommenen Umsetzung vor Ort nicht zu Problemen geführt. Sämtliche der in Nordrhein-Westfalen vorhandenen öffentlichen Bibliotheken verstünden sich im Übrigen als Orte der Kultur; selbst kleinste öffentliche Bibliotheken böten etwa eine Leseförderung an; reine Ausleihbibliotheken gebe es in Nordrhein-Westfalen nicht mehr. Auch seien die allgemeinen und speziellen Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG erfüllt. Der Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV solle der Bevölkerung gerade die Möglichkeit eröffnen, ihre Freizeit an Sonn- und Feiertagen nach eigenen Vorstellungen zu nutzen, wozu auch der Besuch einer öffentlichen Bibliothek gehöre. Öffentliche Bibliotheken seien nicht nur zentrale Orte für öffentliche kulturelle Veranstaltungen, sondern gehörten sogar zu den am stärksten frequentierten Kultur- und Bildungseinrichtungen. Anders als andere Kultureinrichtungen wie Museen, Theater oder kommerzielle Freizeiteinrichtungen müssten öffentliche Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen aber schließen, obwohl an diesen Tagen besonders viele Menschen Zeit für einen Besuch dort hätten. Die Funktion der öffentlichen Bibliothek beschränke sich nicht nur auf die einer „Ausleihstation“. Bibliotheken hätten sich vielmehr zunehmend zu Orten der Begegnung, der Kommunikation und der gesellschaftlichen Integration (sog. Dritte Orte) entwickelt, an denen sich Menschen träfen und gemeinsam die ortsgebundenen Angebote der Bibliothek vor Ort nutzten. Dies sei insbesondere auf ihre Niederschwelligkeit zurückzuführen, weil gerade die Vor-Ort-Nutzung in der Regel kostenlos und ohne Anmeldung möglich sei. Weiterhin dienten öffentliche Bibliotheken dem Grundrecht der Informationsfreiheit. Insbesondere in Zeiten der ungebremsten und ungefilterten Informationsflut sei es essentiell, dass öffentliche Bibliotheken mit ihrem aktuellen, fachlich ausgewählten Informationsangebot sowie ihren kompetenten Beratern als notwendiger Gegenpol dienten, bspw. gegen sog. Fake News. Zwar habe ein Großteil der Bürger stets über das Internet Zugriff auf aktuelle Informationen, dies sei jedoch – gerade bei Bürgern aus schwächeren sozialen Verhältnissen – nicht flächendeckend gewährleistet. Weiterhin dienten öffentliche Bibliotheken dem Grundrecht des Schutzes der Familie, weil sie Räume familiärer Sinnstiftung und Begegnung seien. Vor diesem Hintergrund lägen jedenfalls im Hinblick auf die ortsgebundenen Leistungen einer öffentlichen Bibliothek als Bildungs-, Begegnungs- und Kommunikationsort viele unterschiedliche besonders hervortretende Bedürfnisse gerade an der Sonn- und Feiertagsöffnung im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG vor, die im Falle ihrer Nichtbefriedigung zu einer erheblichen Beeinträchtigung verschiedenster verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter der Bevölkerung führten. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse und damit die Vermeidung des Eintritts eines erheblichen Schadens ließen sich nur durch eine Sonntagsöffnung der Bibliotheken erreichen. Denn eine Bedürfnisbefriedigung sei hier – anders als bei Videotheken – nicht durch eine zumutbare vorausschauende Planung der Freizeitgestaltung realisierbar. Das Bedürfnis für eine Sonntagsöffnung öffentlicher Bibliotheken betreffe auch einen wesentlichen Teil der Bevölkerung. Durch die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – Ganztagsschulen, Arbeitswelt, etc. – hätten viele Menschen – besonders Familien, Berufstätige, Schüler, Studierende – nur am Wochenende, vor allem am Sonntag Zeit, die Bibliothek zu besuchen. Dies zeigten auch die Nutzerzahlen von sonntags geöffneten Bibliotheken sowie diverse Presseartikel. Der Gesetzgeber könne bei dem Ausgleich gegenläufiger Schutzgüter im Rahmen seines Gestaltungsspielraums auf eine derart geänderte soziale Wirklichkeit, insbesondere auf Änderungen im Freizeitverhalten, Rücksichtnehmen. Nichts anderes ergebe sich aus dem Vergleich mit der Privilegierung von wissenschaftlichen Bibliotheken in § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG. Diese seien, nachdem zwischenzeitlich nahezu alle relevanten Ressourcen für die wissenschaftliche Arbeit digitalisiert und jedenfalls den Angehörigen von Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen rund um die Uhr über das Internet zur Verfügung stünden, für die große Masse der Sonntagsbesucher ein Lern- und Begegnungsraum geworden. Nichts anderes seien öffentliche Bibliotheken.

In der mündlichen Verhandlung hat der Antragsgegner ergänzend ausgeführt, neben den im Gesetzgebungsverfahren ausgewerteten Modell-Projekten, zeigten mittlerweile auch die Erfahrungen weiterer sonntags geöffneter Bibliotheken, wie stark die Sonntagsöffnungen angenommen würden: Beispielsweise werde die Bibliothek in Witten jeden Sonntag von etwa 300 bis 350 Besuchern genutzt, die Bibliothek in Düsseldorf an jedem Sonntag von etwa 2.000 Besuchern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der elektronischen Gerichtsakte sowie auf die elektronische Beiakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.

A. Die aufgrund der gerichtlichen Hinweise erfolgte Anpassung des Antrags ist, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Antragsänderung entsprechend § 91 VwGO handelt, jedenfalls gemessen an den Voraussetzungen des § 91 VwGO zulässig. Der Antragsgegner hat in der mündlichen Verhandlung in die Einbeziehung von Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) in den Antrag eingewilligt.

B. Der hiernach von der Antragstellerin nunmehr ausschließlich gestellte Antrag, § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung vom 5.5.1998, eingefügt durch Bibliotheksstärkungsgesetz vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852), in der Fassung gemäß Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353), für unwirksam zu erklären, ist zulässig (dazu I.), aber unbegründet (dazu II.).

I. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist der Antrag statthaft (unter 1.), ist die Antragstellerin antragsbefugt (unter 2.) und war für die Einbeziehung der aktuellen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht zu beachten (unter 3.).

1. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und §§ 109a, 133 Abs. 3 Satz 2 JustG NRW statthaft. Bei der nunmehr angegriffenen aktuellen Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung handelt es sich um eine ab dem 1.1.2019 bekannt gemachte, im Rang unter dem Landesgesetz stehende andere Rechtsvorschrift, für deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht in einem Normenkontrollverfahren zuständig ist.

Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die nunmehr angegriffene aktuelle Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erstmals durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) eingefügt und durch Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) geändert wurde. Auch eine im Wege eines formellen Gesetzes erlassene bzw. geänderte Rechtsverordnung nimmt einheitlich den Rang einer Verordnung ein und stellt eine im Wege eines Normenkontrollantrags nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, soweit – wie hier – landesrechtlich zugelassen, überprüfbare Rechtsvorschrift dar.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.1.2003 – 4 CN 8.01 –, BVerwGE 117, 313 = juris, Rn. 17 ff.

2. Die Antragstellerin ist als Dienstleistungsgewerkschaft auch antragsbefugt, weil sie geltend machen kann, durch § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung in eigenen Rechten verletzt zu sein. § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung gestaltet den Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe in öffentlichen Bibliotheken, wodurch der die Dienstleistungen im Öffentlichen Dienst umfassende gewerkschaftliche Tätigkeitsbereich der Antragstellerin (vgl. § 3 Nr. 1, § 4 Nr. 1 i. V. m. Punkt 1.4 der Anlage 1 der Satzung) betroffen ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 14 ff.

3. Für die Einbeziehung der aktuellen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung war schließlich die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ‒ die vorliegend nach Bekanntmachung des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes am 14.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) bereits vor Anpassung der Anträge durch die Antragstellerin am 20.1.2023 abgelaufen war ‒ nicht zu beachten.

Bezogen auf das Erfordernis der Fristwahrung bei Änderung des Antragsgegenstands stützt sich der Senat auf die eine vergleichbare Interessenlage betreffende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anfechtungsklage. Für nachträglich in eine Anfechtungsklage einbezogene Änderungsverwaltungsakte wird die (erneute) Wahrung der Klagefrist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls dann nicht verlangt, wenn die nach der Änderung oder Ersetzung verbleibenden Bestandteile des ursprünglich und fristgerecht angefochtenen Bescheids und die Regelungsbestandteile des Änderungs- oder Ersetzungsbescheids nach materiellem Recht unteilbar sind. Die Prozesslage unterscheidet sich dann im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 74 Abs. 1 VwGO, für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu sorgen sowie ein wirkungsvolles behördliches und gerichtliches Verfahren zu gewährleisten, wesentlich von der Situation vor Klageerhebung. Der von dem ursprünglichen Verwaltungsakt Betroffene hat mit der Klageerhebung bereits zum Ausdruck gebracht, dass er diesen nicht hinnehmen will. Solange er auf dessen Änderung nicht mit einer Erledigungserklärung reagiert, kann ungeachtet einer Überschreitung der Klagefrist bei der Einbeziehung des weiteren Bescheids angenommen werden, dass sich sein Abwehrwille unverändert auf die gesamte unteilbare Regelung erstreckt, sodass weder die Behörde noch etwa betroffene Dritte mit dem Eintritt der Bestandskraft des Änderungs- oder Ersetzungsbescheids rechnen können. Eine vergleichbare Unsicherheit, ob der Betroffene den Eintritt der Bestandskraft aufhalten wird, wie sie vor Klageerhebung besteht und durch § 74 Abs. 1 VwGO zeitlich begrenzt werden soll, ist hier also nicht gegeben. Deshalb wäre es unbillig, dem Kläger die Last aufzuerlegen, sein Klagebegehren während des Rechtsstreits ständig unter Kontrolle zu halten und auf Änderungsverwaltungsakte, die unter Umständen nicht einmal etwas an den mit dem ursprünglichen Verwaltungsakt verbundenen Einwirkungen auf seine Rechtssphäre ändern und im Einzelfall zudem nicht einmal mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sind, bereits vor der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung zu reagieren.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 11.11.2020 – 8 C 22.19 –, BVerwGE 170, 311 = juris, Rn. 24 f., m. w. N., und vom 18.3.2009 – 9 A 31.07 –, juris, Rn. 21 ff.

Das für Änderungsverwaltungsakte entwickelte Kriterium der inhaltlichen Teil- bzw. Trennbarkeit wurde vom Bundesverwaltungsgericht auch im Zusammenhang mit der Einbeziehung von Änderungen eines Bebauungsplans in ein bereits anhängiges Normenkontrollverfahren herangezogen. Es hat betont, dass die ursprünglich angegriffene Norm und die geänderte oder ergänzte Norm trotz inhaltlichen Zusammenhangs formal selbstständig seien und zumindest bei inhaltlicher Trennbarkeit durch einen ausdrücklichen Antrag in ein bereits anhängiges Normenkontrollverfahren unter Einhaltung der Sachurteilsvoraussetzungen, wie der Antragsfrist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, einzuführen seien.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.1999 – 4 CN 7.98 –, BVerwGE 110, 193 = juris, Rn. 14 ff., wiederaufgegriffen durch Beschluss vom 22.5.2006 – 4 BN 10.06 –, juris, Rn. 6.

Historie sowie Sinn und Zweck der Antragsfrist für das Normenkontrollverfahren zeigen, dass die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO – ebenso wie die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO – dem Rechtsfrieden, der Rechtssicherheit sowie der Effektivität des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens dienen soll. Die Einführung der Antragsfrist durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1.11.1996 (BGBl. I S. 1626) und ihre nachfolgende Verkürzung durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21.12.2006 (BGBl. I S. 3316) hatten den Zweck, die Zulässigkeit einer Normenkontrolle nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass der Rechtsvorschrift vorzusehen. Hierdurch soll vermieden werden, dass Normen, die bereits lange praktiziert wurden und auf deren Rechtsgültigkeit sowohl die Behörden als auch die Bürger vertraut haben, als Rechtsgrundlage für nicht bestandskräftige Entscheidungen entfallen und dies zu erheblichen Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit führen kann. Im Übrigen soll es bei den außerhalb von § 47 VwGO gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten und der in diesen Verfahren gegebenen Befugnis der Verwaltungsgerichte bleiben, die Rechtsvorschrift inzident auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6.4.2016 – 4 CN 3.15 –, juris, Rn. 6 f., sowie Beschlüsse vom 29.6.2015 – 4 BN 31.14 –, juris, Rn. 7, und vom 22.7.2013 – 7 BN 1.13 –, juris, Rn. 11; BT-Drs. 13/3993, S. 10, sowie BT-Drs.16/2496, S. 17 f.

Hiervon ausgehend unterscheidet sich die Prozesslage bei der nachträglichen Einbeziehung der geänderten Fassung einer fristgerecht angegriffenen Norm in ein Normenkontrollverfahren, wenn die ursprünglich angegriffene Norm und die einbezogene Änderungsfassung eine nach materiellem Recht unteilbare Regelung treffen, im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO – wie bei der nachträglichen Einbeziehung eines Änderungsverwaltungsakts in eine Anfechtungsklage, wenn der ursprünglich angegriffene Verwaltungsakt und der einbezogene Änderungsverwaltungsakt eine nach materiellem Recht unteilbare Regelung treffen, im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 74 Abs. 1 VwGO – ebenfalls wesentlich von der Situation vor Antragstellung. Der Antragsteller hat mit dem Antrag gegen die ursprünglich angegriffene Norm bereits zum Ausdruck gebracht, dass sich sein Abwehrwille unverändert auf die gesamte unteilbare Regelung erstreckt, sodass weder Behörden noch Bürger mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Änderungsfassung im Wege des Normenkontrollantrags rechnen können. Dem Antragsteller wäre es in einer solchen Situation ebenso wenig zuzumuten, sein Antragsbegehren ständig unter Kontrolle zu halten und auf Änderungen, die unter Umständen nicht einmal etwas an den mit der ursprünglich angegriffenen Norm verbundenen Einwirkungen auf seine Rechtssphäre ändern und – anders als Verwaltungsakte – niemals mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen und an ihn persönlich gerichtet, sondern lediglich in der gesetzlich vorgesehenen Form bekannt zu machen sind, bereits vor der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung zu reagieren.

In einer solchen Situation ist es nur konsequent, die zur nachträglichen Einbeziehung von Änderungsverwaltungsakten vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten und für Bebauungspläne ebenfalls angedachten Grundsätze auf nachträglich in ein Normenkontrollverfahren einbezogene geänderte Fassungen einer angegriffenen Norm zu übertragen und die Zulässigkeit der Einbeziehung jedenfalls dann nicht von der Beachtung der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO abhängig zu machen, wenn die ursprünglich angegriffene Norm und die einbezogene Änderungsfassung eine nach materiellem Recht unteilbare Regelung treffen.

Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei der ursprünglich angegriffenen Norm des § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung vom 5.5.1998, eingefügt durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) in der nachträglich einbezogenen aktuellen Fassung gemäß Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) um eine nach materiellem Recht unteilbare Regelung, bei deren Änderung die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht zu beachten war, um sie in das fristgerecht eingeleitete Antragsverfahren einbeziehen zu können.

Durch Art. 2 des Bibliotheksstärkungsgesetzes wurde § 1 Abs. 1 Bedarfsgewerbeverordnung folgende Nr. 11 angefügt:

„in öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre Funktionen nach § 10 Absatz 1 des Kulturfördergesetzes NRW vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 917), geändert durch Gesetz vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90), erfüllen, bis zu 6 Stunden.“

Durch Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) wurden in § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung lediglich die Wörter „§ 10 Absatz 1 des Kulturfördergesetzes NRW vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 917), geändert durch Gesetz vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90),“ durch die Wörter „§ 47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuches vom 1. Dezember 2021 (GV. NRW. S. 1353) in der jeweils geltenden Fassung“ ersetzt. Während die Zulassung der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in öffentlichen Bibliotheken selbst in der ursprünglich angegriffenen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung eingeführt wurde, wurden durch die geänderte aktuelle Fassung ohne nennenswerte inhaltliche Änderung lediglich die von § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung in Bezug genommenen Funktionen öffentlicher Bibliotheken ersetzt. Durch Art. 7 des Kulturrechtsneuordnungsgesetzes vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) wurde gerade keine vollständige Neufassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 der Bedarfsgewerbeverordnung, sondern lediglich eine partielle Ersetzung einzelner Worte vorgenommen, die dazu führt, dass beide Fassungen nur im Zusammenhang miteinander zu verstehen sind. Deshalb musste die Antragstellerin sowohl die in der Ursprungsfassung eingeführte Zulassung der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in öffentlichen Bibliotheken als auch die in der aktuellen Fassung ersetzte Bezugnahme auf die Neuregelung der Funktionen öffentlicher Bibliotheken angreifen. Die abhängige Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in öffentlichen Bibliotheken stand sowohl für Behörden als auch Bürger bereits mit dem jedenfalls fristgerecht gestellten Normenkontrollantrag gegen die ursprünglich angegriffene Fassung erkennbar auf dem Prüfstand.

II. Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet. Die nunmehr angegriffene aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung ist wirksam und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

Die aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung ist formell rechtmäßig (unter 1.) und erfüllt die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung (unter 2.).

Rechtsgrundlage der angegriffenen aktuellen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung ist § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe über die Ausnahmen nach § 10 hinaus weitere Ausnahmen abweichend von § 9 für Betriebe, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, zulassen und die zum Schutz der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe notwendigen Bedingungen bestimmen. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 ArbZG können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung entsprechende Bestimmungen erlassen, soweit die Bundesregierung von der Ermächtigung des Absatzes 1 Nr. 2 Buchst. a keinen Gebrauch gemacht hat.

1. Die aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung ist formell rechtmäßig.

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG i. V. m. Art. 80 Abs. 4 GG durfte der Erlass von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung zulässigerweise durch das Land im Verordnungsweg [unter a)] durch Landesgesetz erfolgen [unter b)].

a) Auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG durfte eine Rechtsverordnung durch das Land erlassen werden, weil die Bundesregierung von der Ermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG bisher keinen Gebrauch gemacht hat.

Dabei wird die Landeskompetenz für den Erlass der Norm auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass in der bundesrechtlichen Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG ausdrücklich nur für wissenschaftliche Präsenzbibliotheken eine Ausnahme vom Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen geregelt ist. Schon nach dem Wortlaut von § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG erlaubt die Ermächtigung ausdrücklich, über die in § 10 ArbZG genannten Ausnahmen hinaus weitere Regelungen zu treffen. Die Regelungskompetenz der Landesregierungen ist inhaltlich nicht eingeschränkt, sondern sie wird ihnen in demselben Umfang übertragen, wie sie der Bundesregierung zusteht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 49.

Zudem kann aus der Entscheidung des Gesetzgebers, in § 10 ArbZG keine Ausnahme zu Gunsten öffentlicher Bibliotheken vorgesehen zu haben, nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, er habe damit zugleich die Wertung getroffen, insoweit überwiege der Sonntagsschutz die Belange der öffentlichen Bibliotheken und der Bevölkerung, die ihre Dienstleistungen nachfrage. Dass ausweislich der Plenarprotokolle zur ersten und zweiten Lesung (LT-Protokolle 17/56, 17/68) des ursprünglichen Gesetzesentwurfs sowie der Kabinettvorlage hierzu bislang keine Bundesregelung über eine Aufnahme öffentlicher Bibliotheken in den Ausnahmekatalog des § 10 ArbZG geschaffen worden ist, stellt kein beredtes Schweigen dar. Der Bundesgesetzgeber hat die Regelung nicht gesetzlich bestimmter weiterer Sachverhalte dem (Landes-) Verordnungsgeber überlassen.

Vgl. BT-Drs. 12/5888, S. 29 f., sowie BT-Drs. 12/6990, S. 43 f.; dazu auch: BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 50 f.

b) Der Verordnungsgeber hat auch nicht dadurch die Grenzen der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG an die Landesregierung überschritten, dass sowohl die ursprüngliche als auch die aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Bedarfsgewerbeverordnung durch ein formelles Landesgesetz erlassen bzw. geändert worden sind. Denn der Landesgesetzgeber hat sich hiermit in den Grenzen der ihm durch Bundesgesetz in Verbindung mit Art. 80 Abs. 4 GG eingeräumten Ermächtigungsgrundlage gehalten. Art. 80 Abs. 4 GG erlaubt den Ländern ausdrücklich auch eine Regelung durch Gesetz, soweit – wie hier – durch Bundesgesetz Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Vor dem Hintergrund dieser bundesrechtlichen Ermächtigung des Landesgesetzgebers zu einer die Verordnungsermächtigung in Anspruch nehmenden Gesetzgebung bestehen auch keine Bedenken gegen die Regelung durch den Landesgesetzgeber im Verordnungswege.

Möglichkeiten und Grenzen des zuständigen Gesetzgebers, eine Verordnung im Wege eines formellen Gesetzes zu erlassen bzw. zu ändern, sind in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.9.2005 – 2 BvF 2/03 –, BVerfGE 114, 196 = juris, Rn. 193 ff., 206 ff.; BVerwG, Urteile vom 15.12.2016 – 2 C 31.15 –, BVerwGE 157, 54 = juris, Rn. 14, und vom 16.1.2003 – 4 CN 8.01 –, BVerwGE 117, 313 = juris, Rn. 17 ff.

Im Hinblick auf den Grundsatz der Formenstrenge der Rechtsetzung, wonach dem parlamentarischen Gesetzgeber bei der Rechtsetzung eine freie Formenwahl nicht zusteht, kann die Bestimmung einer vom Parlament erlassenen Norm zur Verordnung zwar nur hingenommen werden, wenn es sich um eine Anpassung im Rahmen einer Änderung eines Sachbereichs durch den zuständigen Gesetzgeber handelt, der parlamentarische Gesetzgeber die Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren einhält und er sich in den Grenzen der Ermächtigungsgrundlage hält. Die Änderung einer Verordnung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unabhängig von sonstigen gesetzgeberischen Maßnahmen ist unzulässig.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2016 – 2 C 31.15 –, BVerwGE 157, 54 = juris, Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 13.9.2005 – 2 BvF 2/03 –, BVerfGE 114, 196 = juris, Rn. 206 ff.

Diese Voraussetzungen sind hier allerdings gegeben. Zutreffend ist im ursprünglichen Gesetzesentwurf wegen des erforderlichen Sachzusammenhangs zur gleichzeitig erfolgten Änderung des Kulturfördergesetzes eine Änderung der Bedarfsgewerbevorordnung im ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren durch Parlamentsgesetz als zulässig angesehen worden.

Ein derartiger sachlicher Zusammenhang ist nicht nur dann anzunehmen, wenn sowohl ein förmliches Gesetz als auch eine auf ihm beruhende Verordnung in einem einheitlichen Vorgang geändert und aufeinander abgestimmt werden. Hiergegen spricht schon, dass auch in der mit den Beteiligten erörterten grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diesen Fragen, ein sachlicher Zusammenhang bejaht wurde, obwohl die im dort streitgegenständlichen Beitragssicherungsgesetz vom 23.12.2002 (BGBl. I S. 4637) vorgesehene Änderung der Bundespflegesatzverordnung auf der Verordnungsermächtigung in § 16 Abs. 1 Nr. 1 KHG beruhte, das Krankenhausfinanzierungsgesetz selbst im Beitragssicherungsgesetz aber gerade nicht geändert wurde.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.9.2005 – 2 BvF 2/03 –, BVerfGE 114, 196 = juris, Rn. 217.

Auch die Herleitung der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Befugnis des Gesetzgebers zum Erlass bzw. zur Änderung einer Rechtsverordnung spricht gegen ein derart enges Verständnis des hierfür notwendigen sachlichen Zusammenhangs. Hintergrund dieser Befugnis des Gesetzgebers zum Erlass bzw. zur Änderung einer Rechtsverordnung ist, dass es zur Gestaltungsfreiheit des Parlaments gehört, sein Änderungsvorhaben umfassend selbst zu verwirklichen, sofern dabei dem Grundsatz der Formenstrenge der Rechtssetzung und dem Prinzip der Rechtssicherheit Rechnung getragen wird. Wäre es darauf beschränkt, nur förmliche Gesetze zu ändern oder zu erlassen, so müsste das Änderungsvorhaben entweder zerteilt werden, um den Gesetzesänderungen die von der Exekutive zu erledigenden Verordnungsänderungen nachfolgen zu lassen; oder der parlamentarische Gesetzgeber müsste die bislang durch Verordnung geregelten Gegenstände wieder in förmliches Gesetzesrecht übernehmen bzw. daneben erstmals förmliches Gesetzesrecht schaffen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.9.2005 – 2 BvF 2/03 –, BVerfGE 114, 196 = juris, Rn. 196, 206.

Ob der Erlass bzw. die Änderung des Gesetzes sowie der Verordnung auf derselben Gesetzgebungskompetenz beruht, ist vor diesem Hintergrund für den erforderlichen sachlichen Zusammenhang unerheblich. Weder der Grundsatz der Formenstrenge der Rechtssetzung noch das Prinzip der Rechtssicherheit gebieten es, von einer nach Einschätzung des Gesetzgebers sachlich gebotenen Regelung im Verordnungsweg im sachlichen Zusammenhang mit einem anderen Gesetzesvorhaben Abstand nehmen zu müssen, nur weil die Gesetzgebungskompetenz für beide Regelungen auf verschiedenen Kompetenznormen beruht. Hier zu differenzieren und einen sachlichen Zusammenhang nur dann anzunehmen, wenn der Erlass bzw. die Änderung des Gesetzes und der Verordnung aufgrund derselben Gesetzgebungskompetenz erfolgen, könnte im Gegenteil eine Verfahrensweise des parlamentarischen Gesetzgebers begünstigen, Rechtsnormen zu schaffen, die einen zweifelhaften thematischen Zusammenhang zu ihrem Regelungsort aufweisen. Eine systematisch wünschenswerte klare Strukturierung des geltenden Rechts könnte so Schaden nehmen.

Vgl. zu Letzterem: BVerwG, Urteil vom 15.12.2016 – 2 C 31.15 –, BVerwGE 157, 54 = juris, Rn. 16

Ausweislich des ursprünglichen Gesetzesentwurfs,

Vgl. LT-Drs. 17/5637, S. 8,

sollte mit dem Bibliotheksstärkungsgesetz im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ein einheitliches Änderungsvorhaben umgesetzt werden. Es sollten die Funktionen der öffentlichen Bibliotheken durch eine Änderung des Kulturfördergesetzes als im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben gesetzlich anerkannt und künftig in das Förderhandeln des Landes einbezogen (Art. 1 Bibliotheksstärkungsgesetz) sowie zugleich die rechtlichen Voraussetzungen für eine Sonn- und Feiertagsöffnung durch eine Änderung der Bedarfsgewerbeverordnung geschaffen werden (Art. 2 Bibliotheksstärkungsgesetz). Sowohl für Art. 1 als auch für Art. 2 Bibliotheksstärkungsgesetz stand dem Antragsgegner die notwendige, wenn auch nicht identische, Gesetzgebungskompetenz zu. Für Art. 1 folgte sie aus seiner Kulturhoheit aus Art. 70 GG, für Art. 2 aus dem Recht des Antragsgegners gemäß Art. 80 Abs. 4 GG, von einer bundesgesetzlichen Ermächtigung an die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung – hier § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG – auch durch Gesetz Gebrauch zu machen. Während sich der Antragsgegner im Hinblick auf die Änderung des Kulturfördergesetzes für eine Regelung durch einfaches Landesgesetz entschieden hat, hat er von seiner Gesetzgebungskompetenz aus § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG i. V. m. Art. 80 Abs. 4 GG in der Form Gebrauch gemacht, eine Regelung in die bereits bestehende Bedarfsgewerbeverordnung im Wege eines formellen Gesetzes einzufügen. Mit § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung hat er eine Verordnungsregelung getroffen, die er in formeller Hinsicht selbst aufgrund einer ihm zukommenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 80 Abs. 4 GG i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG als formelles Gesetz hätte erlassen können. Ein derartiges formelles „Bedarfsgewerbegesetz“ allein zu Gunsten der öffentlichen Bibliotheken neben der im Übrigen unverändert als Rechtsverordnung fortbestehenden Bedarfsgewerbeverordnung würde jedoch mehr zu Verwirrung als zu einer klaren Strukturierung des geltenden Rechts führen. Verfassungsrechtlich geboten war eine solche Regelungstechnik in formeller Hinsicht jedenfalls nicht.

Für die spätere Änderung im Zusammenhang mit der Schaffung eines Kulturgesetzbuchs NRW durch das Kulturrechtsneuordnungsgesetz vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) gilt nichts anderes.

Die mithin kompetenzgemäß erlassene aktuelle Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung durch das Kulturrechtsneuordnungsgesetz wurde auch ordnungsgemäß bekanntgemacht. Sowohl das Bibliotheksstärkungsgesetz vom 29.10.2019 (GV. NRW. S. 852) als auch das Kulturrechtsneuordnungsgesetz vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) wurden im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen bekannt gemacht, wie es Art. 71 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen für Gesetze und Rechtsverordnungen vorsieht.

2. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 ArbZG [unter a)] liegen hier vor [unter b)].

a) Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und Abs. 2 Satz 1 ArbZG können die Landesregierungen über die Ausnahmen in § 10 ArbZG hinaus durch Rechtsverordnung weitere Ausnahmen von dem Verbot einer Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe für Betriebe zulassen, in denen eine solche Beschäftigung zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist.

Nach höchstrichterlicher Klärung zu den Voraussetzungen dieser Verordnungsermächtigung besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen einerseits den Gründen, aus denen eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ausnahmsweise zugelassen werden darf, und andererseits den Schäden, deren Vermeidung die Zulassung einer Ausnahme dienen soll. Die Schäden bestehen darin, dass Bedürfnisse der Bevölkerung nur unzureichend befriedigt werden. Zu diesen Bedürfnissen gehören auch solche, welche die Möglichkeit betreffen, die Freizeit an Sonn- und Feiertagen nach eigenen Vorstellungen zu nutzen. Wird die Freizeitgestaltung jedenfalls für beachtliche Teile der Bevölkerung beeinträchtigt, kann dies einen Schaden darstellen, zu dessen Vermeidung eine Ausnahme durch Verordnung zugelassen werden kann. Dass von der Ermächtigung (nur) zur Vermeidung erheblicher Schäden Gebrauch gemacht werden darf, steuert dabei ebenso wie die vorgeschriebene Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe die Anforderungen, die an Bedeutung und Gewicht des Bedürfnisses zu stellen sind, dessen sonst unterbleibende Befriedigung die Zulassung einer Ausnahme vom Beschäftigungsverbot rechtfertigen soll. Im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG „erforderlich“ ist die Befriedigung täglich oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung nur, wenn ihr Unterbleiben einen erheblichen Schaden darstellt. Insoweit hat der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers bei der Auswahl der Bedürfnisse eingeschränkt, deren Befriedigung eine Ausnahme rechtfertigen soll. Bedürfnisse der Bevölkerung, die an Sonn- und Feiertagen besonders hervortreten, sind insbesondere solche, die der Freizeitgestaltung dienen. Der Schutz der Sonn- und Feiertage nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV ist nicht auf einen religiösen oder weltanschaulichen Sinngehalt der Sonn- und Feiertage beschränkt. Die Regelung zielt in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung. An den Sonn- und Feiertagen soll grundsätzlich die Geschäftstätigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese Tage allein oder in Gemeinschaft mit anderen ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann. Die Bürger sollen sich an Sonn- und Feiertagen von der beruflichen Tätigkeit erholen und das tun können, was sie individuell für die Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele und als Ausgleich für den Alltag als wichtig ansehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 34 f., m. w. N.

Der Verordnungsgeber kann bei dem Ausgleich gegenläufiger Schutzgüter im Rahmen seines Gestaltungsspielraums auf eine geänderte soziale Wirklichkeit, insbesondere auf Änderungen im Freizeitverhalten, Rücksicht nehmen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 38.

Allerdings führt der Schutz der Verwirklichung von Freizeitwünschen der Bürger insoweit zu einem Konflikt, als diese auf die Bereitstellung von Leistungen angewiesen sind, die den Arbeitseinsatz der Anbieter solcher Leistungen erfordern.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 155.

Nach dem in Art. 139 WRV bestimmten Schutzauftrag an den Gesetzgeber, der für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter anderem ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert, hat grundsätzlich die typische „werktägliche Geschäftigkeit“ an Sonn- und Feiertagen zu ruhen. Der verfassungsrechtlich garantierte Sonn- und Feiertagsschutz ist nur begrenzt einschränkbar. Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe sind nur zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglich; in jedem Falle muss der ausgestaltende Gesetzgeber aber ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes wahren.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 152.

Für die gesetzliche Ordnung von Lebensbereichen ist der Gesichtspunkt des Sonntagsschutzes aber kein isolierter – absolut zu setzender – Maßstab, dem sich alle anderen für die Regelung des jeweiligen Lebensbereichs bedeutsamen Gesichtspunkte schlechthin unterzuordnen hätten. Der Sonntagsschutz stellt vielmehr ein verfassungsgesetzlich vorgeschriebenes Regelungselement dar, das der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zukommenden Gesetzgebungsmacht mit den anderen für den zu regelnden Lebensbereich bedeutsamen Regelungselementen zum Ausgleich bringen und damit im Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Ordnung durch eine eigenständige gesetzgeberische Entscheidung konkretisieren muss. Art, Umfang, Intensität und nähere inhaltliche Ausgestaltung des gesetzlichen Sonntagsschutzes sind damit der spezifischen Regelungsmacht des Normgebers überantwortet und unterliegen seinem gesetzgeberischen Ermessen. Dieses gesetzgeberische Ermessen findet seine Grenzen darin, dass einerseits die durch das Grundgesetz festgelegte besondere Zweckbestimmung des Sonntags hinreichend gewährleistet und dadurch der Sonntag als Institution hinreichend geschützt sein muss, und dass andererseits die zum Schutz des Sonntags getroffenen Regelungen nicht unverhältnismäßig sein dürfen. In diesem Rahmen hat der Gesetzgeber insbesondere darüber zu entscheiden, ob bestimmte Tätigkeiten an Sonntagen verboten sein sollen oder ob sie beschränkt oder uneingeschränkt zulässig sein sollen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25.8.1992 – 1 C 38.90 –, BVerwGE 90, 337 = juris, Rn. 18, und vom 15.3.1988 – 1 C 25.84 –, BVerwGE 79, 118 = juris, Rn. 24.

Dementsprechend werden einfachrechtlich schon seit jeher an Sonn- und Feiertagen Arbeiten gestattet, die aus gesellschaftlichen oder technischen Gründen notwendig sind. Diese Arbeiten „trotz des Sonntags“ sind in Grenzen durchaus zulässig. Daneben ist auch die „Arbeit für den Sonntag“ anerkannt, die etwa in der Hotel- und Gastronomiebranche und im Bereich der Sicherstellung der Mobilität des Einzelnen dazu dient, den Bürgern eine individuelle Gestaltung ihres Tages der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zu ermöglichen. Stets aber muss ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewahrt bleiben.

Vgl. BVerfG, Urteile vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 156, und

vom 9.6.2004 – 1 BvR 636/02 –, BVerfGE 111, 10 = juris, Rn. 180.

Zur Wahrung dieses Mindestniveaus genügen ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse von Verkaufsstelleninhabern und ein alltägliches Erwerbsinteresse potenzieller Käufer grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen. Darüber hinaus müssen Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben und dürfen nicht auf eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen Verhältnisse mit den Werktagen und ihrer Betriebsamkeit hinauslaufen. Dem Regel-Ausnahme-Gebot kommt generell umso mehr Bedeutung zu, je geringer das Gewicht derjenigen Gründe ist, zu denen der Sonn- und Feiertagsschutz ins Verhältnis gesetzt wird und je weitergreifend die Ausnahme vom Sonn- und Feiertagsschutz ausgestaltet ist.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 157 f.

Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund und mit Rücksicht auf den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes hat der Gesetzgeber unter anderem im Arbeitszeitgesetz selbst geregelt, was für die Wahrung des Sonn- und Feiertagsschutzes und die Schutzpflichten für dadurch konkretisierte Grundrechte wesentlich ist. Er hat festgelegt, dass das Verbot einer Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen die Regel ist, eine solche Beschäftigung nur als Ausnahme zugelassen werden kann. Er hat in § 13 Abs. 1 ArbZG festgelegt, welche gegenläufigen Belange hinreichendes Gewicht haben, um eine Ausnahme zu rechtfertigen, darunter in Nr. 2 Buchst. a die Befriedigung von täglichen oder an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretenden Bedürfnissen der Bevölkerung. Er hat hierzu weitere Voraussetzungen festgelegt, welche die Durchbrechung des Sonn- und Feiertagsschutzes als Ausnahme sichern. Auf die Zahl der Betroffenen allein kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist, ob das mit der Ausnahme verfolgte Ziel ein solches Gewicht hat, dass auch die Beschäftigung einer großen Zahl von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint, und ob die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen ihren Ausnahmecharakter behält. Die hierfür notwendigen Vorgaben hat der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber durch die begrenzenden Voraussetzungen der Ermächtigung gemacht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 45 ff.

Danach genügt ein alltäglich zu befriedigendes Erwerbsinteresse potenzieller Kunden grundsätzlich auch nicht, um im Rahmen der Verordnungsermächtigung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage zu rechtfertigen. Dieser Schutz muss nicht allein deshalb zurückstehen, weil die Betroffenen ihren an Sonn- oder Feiertagen bestehenden Bedarf zwar an Werktagen decken könnten, ihn aber nicht an diesen Tagen, sondern aufgrund eines spontanen Entschlusses an Sonn- oder Feiertagen decken wollen. Unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe tritt kein erheblicher Schaden im Sinne der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ein, wenn Wünsche nach einer bestimmten Freizeitgestaltung nur durch vorausschauende Planung realisiert werden können.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 39, und vom 19.4.1988 – 1 C 50.86 –, BVerwGE 79, 236 = juris, Rn. 33.

Die Einschätzung des Verordnungsgebers, die Beschäftigung von Arbeitnehmern in öffentlichen Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen sei unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe erforderlich, um an diesen Tagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und andernfalls eintretende erhebliche Schäden zu vermeiden, unterliegt nur eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle; insbesondere darf das Gericht keine eigene Einschätzung vornehmen. Es hat jedoch zu prüfen, ob die bei Erlass der Rechtsverordnung vorgenommenen Annahmen schlüssig und vertretbar sind. Beides ist anhand der Umstände zu beurteilen, die der Verordnungsgeber dem Erlass der Verordnung zugrunde gelegt hat.

Vgl. zu Ladenöffnungen an Sonntagen: BVerwG, Urteile vom 11.11.2015 – 8 CN 2.14 –, BVerwGE 153, 183 = juris, Rn. 36, vom 12.12.2018 – 8 CN 1.17 –, BVerwGE 164, 64 = juris, Rn. 22, sowie vertiefend vom 22.6.2020 – 8 CN 1.19 –, BVerwGE 168, 338 = juris, Rn. 31.

b) Nach Einschätzung des zuständigen Landesgesetzgebers und den auf dieser Grundlage schlüssigen und vertretbaren Annahmen des Verordnungsgebers besteht angesichts der gewandelten kulturellen Funktionen öffentlicher Bibliotheken als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur [unter aa)] jedenfalls in Nordrhein-Westfalen an Sonn- und Feiertagen ein Bedürfnis für die Nutzung derartiger Bibliotheksräume an Ort und Stelle [unter bb)] jenseits der vorausschauend an Werktagen möglichen Ausleihe von Medien [unter cc)], welches auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe eine Beschäftigung von Arbeitnehmern in solchen öffentlichen Bibliotheken an diesen Tagen als erforderlich erscheinen lässt [unter dd)]. Die Regelung genügt auch dem Bestimmtheitsgebot [unter ee)].

aa) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung in der aktuellen Fassung dürfen abweichend von § 9 ArbZG Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen bis zu sechs Stunden in öffentlichen Bibliotheken beschäftigt werden, soweit sie ihre Funktionen nach § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW vom 1.12.2021 (GV. NRW. S. 1353) in der jeweils geltenden Fassung erfüllen sowie die Arbeiten für den Betrieb unerlässlich sind und nicht an Werktagen durchgeführt werden können.

Der Kreis der von der Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung in der aktuellen Fassung erfassten öffentlichen Bibliotheken ist hierdurch auf solche Bibliotheken beschränkt, die die gesetzlich in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen Funktionen in einem so nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint.

Gemäß § 47 Kulturgesetzbuch NRW sind Bibliotheken zur Benutzung bestimmte und erschlossene Sammlungen von Büchern sowie anderen Medien- und Informationsangeboten, auch digitaler Art. Sie tragen in besonderer Weise zur Verwirklichung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes bei, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu können (Abs. 1). Als Bildungs- und Informationseinrichtungen unterstützen Bibliotheken das selbstbestimmte lebensbegleitende Lernen, die Leseförderung sowie die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz (Abs. 2). Als Kultureinrichtungen stellen sie Räume für Begegnungen, Kommunikation, Integration und Kreativität zur Verfügung, gestalten diese aktiv und bieten ein vielfältiges Programm an. Sie haben auch die Funktion eines Dritten Orts im Sinne von § 14 Abs. 4 Satz 1 Kulturgesetzbuch NRW (Abs. 3). Als Gedächtnisinstitutionen pflegen, bewahren und erschließen Bibliotheken wertvolle Altbestände und Sammlungen und machen sie der Öffentlichkeit in analoger oder digitaler Form zugänglich (Abs. 4).

Gemäß § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW leisten öffentliche Bibliotheken durch ein fachlich kuratiertes Informationsangebot einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Informationsfreiheit. Daher sind sie bei der Auswahl ihrer Medien unabhängig und an Weisungen nicht gebunden (Abs. 4). Öffentliche Bibliotheken sind unter Beachtung des Hausrechts und im Rahmen der Benutzungsregelungen ihrer Träger frei zugänglich. Sie ermöglichen Nutzerinnen und Nutzern einen niedrigschwelligen und ungehinderten Zugang zu Informationen und tragen so wesentlich zur Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung bei. Zudem ermöglichen und unterstützen sie die demokratische Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe sowie die gesellschaftliche Integration. Das Land unterstützt die Öffentlichen Bibliotheken bei der nutzerfreundlichen Ausweitung der Öffnungszeiten (Abs. 5). Als Orte der Begegnung, der Kommunikation, des kulturellen Austausches und der gesellschaftlichen Integration können Bibliotheken zentrale Orte der Kultur und der außerschulischen Bildung sein und dazu beitragen, kulturelle Aktivitäten in der Region zu bündeln und zugänglich zu machen.

Neben dieser umfangreichen gesetzlichen Umschreibung kultureller Funktionen einer öffentlichen Bibliothek in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW werden ihre kulturellen Funktionen durch den der erstmaligen Einführung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung zugrunde liegenden ursprünglichen Gesetzesentwurf weiter dahingehend konkretisiert, dass nur die Nutzung von Bibliotheksräumen an Ort und Stelle jenseits der klassischen Ausleihfunktion die sonntägliche Öffnung rechtfertigen soll. Öffentliche Bibliotheken seien Orte der Kultur. Als sog. Dritte Orte dienten sie der Begegnung, der Kommunikation, der gesellschaftlichen Integration, der Information, der (staatsbürgerlichen) Bildung, als Stätten der Familie sowie als kulturelle Veranstaltungsorte. Sie böten zu diesen Zwecken Menschen aus unterschiedlichen sozialen Kontexten auch im ländlichen Raum und in kleinen Städten einen zentralen, besonders niederschwellig zugänglichen, nichtkommerziellen Raum für nichtkonsumtive Freizeitgestaltung. All diese Nutzungsbedürfnisse vor Ort könnten an Sonntagen nur durch eine Öffnung der Bibliotheken erfüllt werden. Insofern könne eine Sonntagsarbeit von Bibliotheksmitarbeitern durch zumutbare planerische Vorkehrungen der Bevölkerung nicht vermieden werden.

Vgl. zur ursprünglich angegriffenen Fassung insbesondere: LT-Drs. 17/5637, S. 7, 10 ff. und 14. Durch die Neufassung sollte ausweislich des Gesetzesentwurfs nur eine „sprachliche Anpassung im Sinne der Vereinheitlichung vorgenommen“ werden: LT-Drs. 17/13800, S. 82, 135.

Auf dieser Grundlage geht Herr T. von der Universitätsbibliothek der FernUniversität Hagen in seiner Stellungnahme (LT-Stellungnahme 17/1667, S. 3) zutreffend davon aus, dass Bibliotheken, die allein eine Buchausleihe für die häusliche Lektüre anböten, von der geplanten nordrhein-westfälischen Regelung nicht profitieren würden. Hiermit übereinstimmend meint auch der Berufsverband Information Bibliothek e.V. (LT-Stellungnahme 17/1683, S. 2), dass viele Bibliotheken weder von der Raumkapazität noch von den personellen wie sonstigen Ressourcen her in der Lage sein würden, sonn- und feiertags zu öffnen. Ein Bedürfnis für eine Sonn- und Feiertagsöffnung hänge stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen vor Ort ab. Hierauf hat auch die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen in ihrer Stellungnahme hingewiesen (LT-Stellungnahme 17/1663, S. 2 f.).

bb) An der Nutzung öffentlicher Bibliotheken, die die vorbeschriebenen kulturellen Funktionen als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur erfüllen, besteht ein an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretendes Bedürfnis im Sinne der Verordnungsermächtigung.

Die öffentlichen Bibliotheken, die die in dem Gesetzesentwurf sowie in den § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW beschriebenen kulturellen Funktionen erfüllen, ermöglichen als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur weiten Teilen der Bevölkerung in vielfältiger Weise, ihre Freizeit individuell zu gestalten. Sie tragen damit zur Verfolgung profaner Ziele wie der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung der Bevölkerung bei. Neben der Nutzung der vor Ort vorgehaltenen und fachlich ausgewählten Medien ermöglichen sie als Orte der Kultur die Begegnung und die Kommunikation mit anderen Menschen, die gemeinsame Nutzung des Medienangebots unter fachlicher Aufsicht des Bibliothekspersonals sowie die Teilnahme an vor Ort organisierten Kultur- und Bildungsveranstaltungen. Sonn- und Feiertage bieten die nötige Zeit und Muße, um öffentliche Bibliotheken zu diesen Zwecken und losgelöst von anderen werktäglichen Verpflichtungen an Ort und Stelle zu nutzen. Ohne eine Sonn- und Feiertagsöffnung würde die Freizeitgestaltung für beachtliche Teile der Bevölkerung entsprechend beeinträchtigt.

Vgl. zu Letzterem: BVerwG, Urteile vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 34, 36, und vom 19.4.1988 – 1 C 50.86 –, BVerwGE 79, 236 = juris, Rn. 33.

Eine Sonn- und Feiertagsöffnung stellt sich nicht lediglich als begrüßenswert und nützlich dar. Vielmehr wird das Fehlen einer solchen Öffnung als Mangel empfunden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.11.1989 – 1 C 14.88 –, juris, Rn. 18, zum Vorliegen eines Bedürfnisses im Sinne der Vorgängernorm des § 105 e Abs. 1 GewO, welche durch § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ArbZG übernommen wurde, vgl. BR-Drs. 507/93, S. 91, BT-Drs. 12/5888, S. 30.

cc) Die Annahme des ursprünglichen Gesetzesentwurfs, wenn und soweit öffentliche Bibliotheken ortsgebundene Leistungen anböten, könne dem gerade an Sonn- und Feiertagen bestehenden Bedürfnis an der Nutzung dieser kulturellen Funktionen nicht ohne Sonn- und Feiertagsöffnung durch hinreichende planerische Vorkehrungen Rechnung getragen werden,

vgl. LT-Drs. 17/5637, Seite 14, letzter Absatz,

ist schlüssig und vertretbar. Anders als ein – dem Besuch einer Videothek ähnlicher – Bibliotheksbesuch zum Zwecke der vorausschauend an Werktagen möglichen Medienausleihe, ist der Besuch einer öffentlichen Bibliothek zur Nutzung ihrer kulturellen Funktionen an Ort und Stelle nicht lediglich auf einen vergleichsweise kurzen Aufenthalt zur Auswahl der zu entleihenden Medien beschränkt, sondern gerade auf ein längeres Verweilen in den Bibliotheksräumen ohne Zeitdruck ausgerichtet. Sie ähnelt damit eher dem Besuch eines Museums, das zur Befriedigung eines an Sonn- und Feiertagen bestehenden Bedürfnisses geöffnet sein darf.

Vgl. zur Abgrenzung zwischen Videotheken und Kinos: BVerwG, Urteil vom 19.4.1988 – 1 C 50.86 –, BVerwGE 79, 236 = juris, Rn. 33.

Konkret wird die Annahme, das Bedürfnis nach einer derartigen Nutzung lasse sich nicht ohne Sonntagsöffnung durch planerische Vorkehrungen erfüllen, von den im Gesetzgebungsverfahren herangezogenen Materialien und Stellungnahmen sowie den im gerichtlichen Verfahren durch den Antragsgegner vorgelegten vorbereitenden Materialien getragen.

Die im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren befragten Sachverständigen – mit Ausnahme der Antragstellerin (LT-Stellungnahme 17/1673) – waren einhellig der Auffassung, dass gerade die Sonn- und Feiertagsöffnungen der öffentlichen Bibliotheken, die ihre kulturellen Funktionen als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur erfüllten, für die (gemeinsame) Nutzung an Ort und Stelle einen erheblichen Besucherstrom aus verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen anziehen. Eine zeitlich und mengenmäßig vergleichbar intensive Nutzung ist regelmäßig an Werktagen nicht festzustellen. Auch stehen neben den öffentlichen Bibliotheken nur wenige solcher Räume an Sonn- und Feiertagen nichtkommerziell zur Verfügung. Besonders eindrücklich zeigen dies die Erfahrungen aus den Pilotprojekten in Mönchengladbach, Dinslaken und Berlin. In Mönchengladbach beendete das Pilotprojekt zur Sonntagsöffnung den Besucherrückgang. Sowohl aus Mönchengladbach als auch aus Dinslaken wurde berichtet, dass am Sonntag konstant mehr Personen die Bibliothek besuchten als am Samstag. Auch aus Berlin wurde von enormen Besucherzahlen am Sonntag berichtet sowie davon, dass der Sonntag andere Benutzergruppen anziehe als die Werktage. Im Einzelnen:

Ausweislich der Stellungnahme des Verbands der Bibliotheken des Landes NRW e. V. zum ursprünglichen Gesetzesentwurf (LT-Stellungnahme 17/1658, S. 1) werden Bibliotheken seit vielen Jahren intensiv als Lern- und Arbeitsorte, aber auch als Orte der Kommunikation und der Kreativität genutzt. Gerade Familien hätten meist nur am Sonntag die Möglichkeit, gemeinsam in die Bibliothek zu gehen und dort nicht nur das Medienangebot, sondern auch die anderen vielfältigen Angebote vor Ort zu nutzen. Öffentliche Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen, die eine Öffnung an Sonntagen auf alternativen Wegen ausprobiert hätten, hätten erlebt, dass das Angebot vor allem von Berufstätigen, Familien, Flüchtlingen, Schülern und Studenten intensiv genutzt werde. Ähnlich hat sich der Direktor der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund in seiner Stellungnahme (LT-Stellungnahme 17/1656, S. 1) geäußert und ergänzend angeführt, öffentliche Bibliotheken seien in ihrer Funktion als wichtige Begegnungs- und kulturelle Veranstaltungsorte in ihren Kommunen den Museen und Theatern gleichzusetzen. Familien hätten am Sonntag die Möglichkeit, gemeinsam in die öffentlichen Bibliotheken zu kommen, um dort Zugang zu dem vielfältigen Medienangebot zu finden. Zudem ermöglichten sie es allen Bürgern, ihr Grundrecht auf Informationsfreiheit wahrzunehmen, indem sie die dazu notwendigen Angebote und Infrastruktur vor Ort zur Verfügung stellten. Auch die Stadt- und Landesbibliothek in Dortmund werde seit vielen Jahren intensiv als Lern- und Arbeitsort genutzt. Gerade berufstätige Menschen nutzten hier die Gelegenheit zur Weiterbildung oder Information. Dies solle auch am Sonntag möglich sein.

In der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen (LT-Stellungnahme 17/1663, S. 2) hieß es, öffentliche Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen seien hochfrequentierte Orte kommunaler Bildung und Kultur. Sie erzielten ausweislich des Spartenberichts „Museen, Bibliotheken und Archive“ der bundesweiten Kulturstatistik im Bund die meisten physischen Besuche und nähmen in der Vermittlung von Information und Bildung einen zentralen Platz ein. Zugleich komme ihrer Funktion als Austausch- und Begegnungsraum stetig wachsende Bedeutung zu, insbesondere bei der aktuell notwendigen Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Das Katholische Büro NRW und das Evangelische Büro NRW (LT-Stellungnahme 17/1655, S. 2) bestätigen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme, dass die vorgesehene Sonntagsöffnung für hauptamtlich betriebene öffentliche Bibliotheken der Kommunen die konsequente Weiterentwicklung der öffentlichen Bibliothek als niedrigschwelliger, konsumfreier und öffentlicher Begegnungs- und Kulturraum fördere. Auch aus der Erfahrung der kirchlichen öffentlichen Büchereien könne bestätigt werden, dass gerade am Sonntag Familien gerne gemeinsam die kirchlichen öffentlichen Büchereien besuchten.

Ausweislich der Stellungnahme der Stadtbibliothek Mönchengladbach (LT-Stellungnahme 17/1694) stelle der ursprüngliche Gesetzesentwurf die Funktion der öffentlichen Bibliotheken zeitgemäß dar. Profil, Ausstattung und Funktion öffentlicher Bibliotheken hätten sich in den letzten Jahren stark geändert. Besucher kämen immer weniger nur, um Medien auszuleihen. Bibliotheken würden als Lern- und Arbeitsorte, Kulturorte, Orte des intergenerativen und interkulturellen Austausches genutzt und dringend benötigt, im digitalen Zeitalter und angesichts aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen, wie Migration und Segregation, mehr denn je. Sie gehörten zu den wenigen, oft einzigen öffentlichen Räumen, die besonders niederschwellig zugänglich, neutral und kommerzfrei seien. Angesichts veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen – Ganztagsschulen, Arbeitswelt – hätten viele Menschen – besonders Familien, Berufstätige, Schüler, Studierende – nur am Wochenende, vor allem am Sonntag Zeit, die Bibliothek zu besuchen. Die Stadtbibliothek Mönchengladbach öffne an ihrem Standort Rheydt seit Ende 2011 regelmäßig am Sonntagnachmittag mit Personal eines Personaldienstleisters, zunächst bis 2016 als Pilotprojekt, danach im Regelbetrieb. Nach einem Stopp der deutlichen Besucherrückgänge hätten sich konstant hohe Besucherzahlen eingestellt, sonntags besuchten mehr Menschen die Bibliothek als samstags und es gebe viele begeisterte Besucherrückmeldungen. Neben Familien kämen auch sehr viele junge Menschen, ganz besonders mit Migrationshintergrund. Hier zeige sich die hohe integrative Leistung und präventive Funktion der Bibliothek. Die Evaluation habe in Mönchengladbach die Funktion der Bibliothek als interkultureller, intergenerativer Begegnungs- und Kommunikations- sowie Bildungsort empirisch belegt. Sie spiele sonntags eine besonders große Rolle: 81 % nutzten die Bibliothek als Treffpunkt und Lernort. Sachlich belastbare Informationen seien angesichts extremer Tendenzen in der Gesellschaft und der Informationsunwucht durch soziale Medien heute wichtiger denn je. Auf der Basis der inzwischen achtjährigen Erfahrung mit Samstags- und Sonntagsöffnung werde der Einsatz von bibliothekarischem Fachpersonal auch am Sonntag für unverzichtbar gehalten. In der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Kultur und Medien (APr 17/693, S. 5 ff.) wurde nochmals hervorgehoben, die Stadtteilbibliothek Rheydt werde sonntags sogar stärker angenommen, wodurch deutlich werde, dass eine verlängerte Öffnung am Samstagnachmittag allein für an Samstagen viel beschäftigte Familien gerade nicht genüge. In der von der TH Köln Ende 2014 hierzu durchgeführten wissenschaftlichen Evaluierung gaben 46,2 % der Befragten an, besonders am Wochenende und hier bevorzugt sonntags Zeit für den Bibliotheksbesuch zu haben. Dabei war für 31,9 % der Befragten der Bibliotheksbesuch an Sonntagen eher zufällig; 20,6 % gaben dagegen an, am Wochenende besonders viel Zeit zu haben. Berufstätige besuchten überproportional häufig am Sonntag die Bibliothek (rund 57,9 %), bei den Schülern waren es immerhin 40,9 %. Nur 27,2 % der Besucher besuchten die Bibliothek allein; alle anderen gaben an, die Bibliothek mit Freunden, Kindern und/oder Partnern zu besuchen.

Vgl. Fühles-Ubach/Seidler-de Alwis, BuB 68 (05/2016), S. 258, 259.

Diese Zahlen wurden durch die eigenen Erhebungen der Stadtteilbibliothek Mönchengladbach Rheydt aus den Jahren 2019 und 2020 bestätigt. Danach wurden – bei gleichzeitiger Öffnung auch am Samstagnachmittag – im Jahr 2019 durchschnittlich an einem Sonntag 301 Besucher registriert, während an einem Samstag in einem gleichlangen Zeitraum von ebenfalls vier Stunden nur durchschnittlich 240 Personen die Einrichtung nutzten. Im Januar 2020 wurden an einem Sonntag durchschnittlich 342 Besucher erfasst, während es an einem Samstag durchschnittlich nur 174 Besucher waren. Ganz besonders am Sonntag war eine deutlich höhere Aufenthaltsdauer der Besucher als in der Woche zu beobachten; bis zu zwei Stunden und mehr waren keine Ausnahme.

Ähnlich verhält es sich mit den von dem Antragsgegner vorgelegten Erhebungen der Stadtbibliothek Dinslaken. Anlässlich einer Probeöffnung an Sonn- und Feiertagen von Oktober 2019 bis zum 15.3.2020 (ohne Bibliothekspersonal, nur mit einem Wachdienst) neben erweiterten Öffnungszeiten am Samstagnachmittag wurden im gesamten Zeitraum 2.500 Besucher nur am Sonntag und 4.500 Besucher insgesamt gezählt. Dabei befürworteten 78 % der Befragten eine zusätzliche Sonntagsöffnung als ganzjähriges Angebot.

Herr T. von der Universitätsbibliothek der FernUniversität Hagen betont in seiner Stellungnahme (LT-Stellungnahme 17/1667, S. 1 f.), dass die Begründung für die Privilegierung der in § 10 Abs. 1 Nr. 7 ArbZG genannten wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken, für die wissenschaftliche Arbeit könne auch an Sonn- und Feiertagen auf die dort nur vor Ort nutzbaren Bestände nicht verzichtet werden, durch die Digitalisierung überholt sei. Die Bedeutung der Sonntagsöffnung wissenschaftlicher Präsenzbibliotheken liege inzwischen darin, dass sie als konsumfreie öffentlich zugängliche Lern- und Begegnungsräume gut angenommen würden. Einen vergleichbaren Funktionswandel hätten auch die öffentlichen Bibliotheken durch die Digitalisierung erfahren. Dass auch hier mit der Digitalisierung und dem Angebot der Onleihe bereits Ausleihmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen und damit vergleichbare Alternativen wie bei den digitalisierten Ressourcen der wissenschaftlichen Bibliotheken existierten und trotzdem die politische Forderung nach einer Sonntagsöffnung nicht verstumme, zeige eindrücklich, dass es – wie bei der wissenschaftlichen Präsenzbibliothek – gerade der öffentlich zugängliche Raum mit seinen vielfältigen Möglichkeiten der Kreativität, der Begegnung, der Kommunikation und gesellschaftlichen Integration sei, der den Wert einer öffentlichen Bibliothek als Einrichtung präge. Dieser könne dann am besten genutzt werden, wenn er möglichst vielen Menschen zu einer Zeit zugänglich sei, in der sie die Möglichkeit hätten, die Einrichtung auch tatsächlich zu nutzen, also an den arbeitsfreien Wochenenden, vor allem aber am Sonntag, wo keine Besorgungen anstünden und gerade Familien Zeit für gemeinsame Aktivitäten hätten.

Ausweislich der Stellungnahme des Vorstands und Managementdirektors der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin (LT-Stellungnahme 17/1651) wird die Amerika-Gedenkbibliothek als deren besucherstärkster Standort seit dem 24.9.2017 sonntags von 11:00 bis 17:00 Uhr auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG für die Durchführung von Veranstaltungen durch einen Kooperationspartner geöffnet. Traditionell klassische Bibliotheksarbeit durch das Bibliothekspersonal dürfe nicht stattfinden. Die Medien des Freihandbestands stünden den Besuchern aber komplett zur Nutzung zur Verfügung; die Ausleihe und Rückgabe von Medien laufe ausschließlich im Selbstbedienungsbetrieb. Im Durchschnitt kämen sonntags rund 2.000 Besucher. Diese stünden teilweise kurz vor Beginn der Öffnungszeit in „Menschentrauben“ vor dem Eingang. Dabei würden sonntags neben den „üblichen“ Besuchern insbesondere Familien erreicht, die die Gelegenheit für einen gemeinsamen Ausflug in ihren Kultur- und Bildungsort nutzten.

Der Berufsverband Information Bibliothek e.V. (LT-Stellungnahme 17/1683, S. 1 f., 3) hat ausgeführt, dass die Beschreibung der veränderten Funktionen der Öffentlichen Bibliotheken im Gesetzentwurf zeitgemäß, modern und hochaktuell sei. Zu Recht werde darauf hingewiesen, dass sie sowohl „hoch frequentierte Kultureinrichtungen“ seien, aber auch „Bildungseinrichtungen, die Medien- und Informationskompetenz gerade an Kinder und Jugendliche vermitteln“. Zudem agierten sie als kommunale Kuratorinnen des Öffentlichen Raumes, in dem sie die bereits vorhandenen Funktionen des inhaltlich wie räumlich attraktiven und informativen „gesellschaftlichen Begegnungsortes“ der Diskussion, der politischen Meinungsbildung und der Befähigung zur demokratischen Teilhabe ausbauten. Bereits an geöffneten Samstagen würden Bibliotheken stark überproportional genutzt. Pilotversuche zur Öffnung an Sonntagen in Bremen und Berlin sowie Lösungen, wie sie in Nordrhein-Westfalen bspw. in Siegburg, Witten und Mönchengladbach-Rheydt ohne den Einsatz von Fachpersonal gefunden worden seien, belegten eine hohe Akzeptanz der Sonntagsöffnung durch die Bürger der jeweiligen Kommune. Gerade die im Gesetzentwurf skizzierten Herausforderungen, die Öffentliche Bibliotheken gegenwärtig und zukünftig bewältigen wollten und sollten, ließen eine weitere Deprofessionalisierung nicht zu. Erweiterte Öffnungszeiten vor allem zu hochfrequentierten Zeiten seien daher im Regelfall mit (zusätzlichem) qualifiziertem Personal abzudecken und nicht durch den Einsatz von prekär beschäftigten Hilfskräften und Wachleuten.

Die Direktorin der Stadtbibliothek Köln führte in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Kultur und Medien (LT-Ausschussprotokoll APr 17/693, S. 12) aus, dass die dort eingeführte Montagsöffnung zu enorm hohen Besucherzahlen am Montag geführt habe. Von Anfang an nutzten im Schnitt montags 1.800 Menschen nur den Ort „Bibliothek“. Extrem viele junge Menschen kämen, die in Gruppen zusammenarbeiteten. Dass Bibliotheken kein kommerzieller Ort seien, mache sie besonders, weil es hiervon in der Stadt nur sehr wenige gebe. Genau deshalb sei gerade an den Sonntagen das Zugänglichmachen solcher Räume notwendig.

Schließlich waren öffentliche Bibliotheken ausweislich der vom Antragsgegner vorgelegten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zu Besuchen an Theatern in der Spielzeit 2017/2018 (25.872.000 Besucher insgesamt), in Museen in den Jahren 2016 und 2017 (111.877.000 und 114.376.000 Besucher insgesamt) und in öffentlichen Bibliotheken für die Jahre 2016 bis 2018 (121.162.000, 120.489.000 und 120.780.000 Besuche) die kulturellen Einrichtungen mit den höchsten Besuchszahlen. Die Zahl der Besuche öffentlicher Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen lag dabei in den Jahren 2016 und 2018 in der Größenordnung von 25.000.000, nachdem es im Jahr 2000 noch nur 20.789.000 gewesen waren. Die Zahl der Entleiher war von 1.835.000 im Jahr 2000 auf 1.554.000 im Jahr 2018 gesunken, was die vermehrte Nutzung der Bibliotheken als Orte der Kultur statistisch belegt.

Die Stellungnahme der Antragstellerin zum Gesetzesentwurf (LT-Stellungnahme 17/1673) zieht die Schlüssigkeit und Vertretbarkeit der Annahmen des Verordnungsgebers nicht in Zweifel. Ihre Auffassung, angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, Angebote der Bibliotheken online zu finden, auszuleihen oder herunterzuladen, bedürfe es keiner Sonntagsöffnung der öffentlichen Bibliotheken, blendet das empirisch belegte breite Bedürfnis aus, die Räumlichkeiten öffentlicher Bibliotheken gerade auch an Sonntagen als Orte der Kultur, der Kommunikation und der Begegnung nutzen zu können (S. 3 der Stellungnahme). Auch in ihrer Antragsbegründung stellt die Antragstellerin letztlich ebenfalls nur das Bedürfnis in Frage, sich zeitnah und spontan zu einem Thema der öffentlichen Meinungsbildung gerade an einem Sonn- oder Feiertag in Bibliotheken zu informieren, weil hierzu heutzutage zahlreiche weitere Medien zur Verfügung stünden. Auf das Bedürfnis für die Nutzung der kulturellen Funktionen der öffentlichen Bibliotheken als Orte der Kultur an Sonn- und Feiertagen, auf das die Verordnung gestützt ist, geht sie dabei nicht weiter ein.

dd) Angesichts des gerade an Sonn- und Feiertagen bestehenden, nicht an Werktagen zu befriedigenden Bedürfnisses, ist die weitere Annahme des Gesetzgebers, dieses Bedürfnis rechtfertige auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe eine Beschäftigung von Arbeitnehmern in öffentlichen Bibliotheken, ebenfalls schlüssig und nachvollziehbar. Das hohe Gewicht dieses Bedürfnisses [unter (1)] überwiegt die Beeinträchtigungen des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe [unter (2)].

(1) Dem Bedürfnis an der Nutzung der kulturellen Funktionen öffentlicher Bibliotheken als niedrigschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur an Sonn- und Feiertagen kommt im Vergleich zum Schutz der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe ein hohes Gewicht zu.

Mit der sonn- und feiertäglichen Inanspruchnahme der kulturellen Funktionen einer öffentlichen Bibliothek als Ort der Kultur geht bereits keine typisch werktägliche Geschäftigkeit einher, die den Ausnahmecharakter einer Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in Frage stellen könnte. Vielmehr dient ein solcher Bibliotheksbesuch gerade dazu, die Zweckbestimmung der Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung zu verwirklichen, indem sie den Besuchern einen niederschwellig zugänglichen, nichtkommerziellen Raum zur individuellen Gestaltung ihres Tages der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zur Verfügung stellt. Nach der in dem ursprünglichen Gesetzesentwurf in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist gerade ein wesentlicher – das Sozialstaatsprinzip konkretisierender und einen Bezug zur Menschenwürde aufweisender – Aspekt des Sonn- und Feiertagsschutzes, dass er dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze zieht und dem Menschen um seiner selbst willen dient.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 144, 156 f.

Auch Herr T. von der Universitätsbibliothek der FernUniversität Hagen hebt in seiner Stellungnahme (LT-Stellungnahme 17/1667, S. 3) hervor, schon nach der älteren katholischen Moraltheologie sei die Nutzung von Bibliotheken an Sonn- und Feiertagen mit dem traditionellen religiösen Gebot der Sonntagsheiligung vereinbar gewesen.

Im Ausgangspunkt vergleichbar auf die neuzeitliche Interpretation durch die öffentlich-rechtlich verfassten christlichen Religionsgemeinschaften abstellend: BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 143.

Der Besuch einer öffentlichen Bibliothek als niederschwellig zugänglicher, nichtkommerzieller Ort der Kultur an Sonn- und Feiertagen stellt damit – unabhängig davon, dass er nicht durch vorausschauende Planungen an Werktagen ermöglicht werden kann – gerade kein (alltäglich zu befriedigendes) Erwerbsinteresse potenzieller Kunden dar, das grundsätzlich nicht genügt, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage zu rechtfertigen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 –, BVerwGE 150, 327 = juris, Rn. 39, sowie bereits BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 157.

Die von alltäglichen Erwerbsinteressen zu unterscheidenden Interessen an den kulturellen Funktionen öffentlicher Bibliotheken als Orte der Kultur und Stätten der Familie, auf die der ursprüngliche Gesetzesentwurf wesentlich abstellt, dienen der Begegnung, der Kommunikation, der gesellschaftlichen Integration, der Information, der (staatsbürgerlichen) Bildung und damit den ebenso wie die Sonntagsruhe verfassungsrechtlich geschützten Rechten aus der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), des elterlichen Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG).

Auch stellt der ursprüngliche Gesetzesentwurf unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Sachverständigen nachvollziehbar darauf ab, dass die Nutzung der Bibliotheken als niedrigschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur an Sonntagen vor allem für sozial Benachteiligte von hoher Bedeutung ist. Sie stellt gerade für diese Gruppe und im Vergleich zu den in § 10 Abs. 1 Nr. 4 bis 7, 9 ArbZG geregelten Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung eine der wenigen kostenlosen witterungsunabhängigen Aufenthaltsmöglichkeiten an Sonn- und Feiertagen dar, um beispielsweise beengten Wohnverhältnissen zu entfliehen. Für diese relevante Bevölkerungsgruppe stellt sich eine Sonn- und Feiertagsöffnung in besonderem Maße als wichtig und nicht lediglich als begrüßenswert und nützlich dar.

Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass mit der Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken zur Wahrnehmung ihrer kulturellen Funktionen vielen gesellschaftlichen Problemen – wie der mangelnden gesellschaftlichen und kulturellen Integration, einem Mangel an nichtkommerziellen Begegnungsräumen gerade für Familien und sozial Schwache und der demokratiegefährdenden Verbreitung von Desinformation durch sog. Fake News – in Form einer effektiveren Nutzung hierfür geeigneter bestehender Räume entgegengewirkt werden kann. Sowohl die Lösung der aufgezeigten gesellschaftlichen Probleme als auch die empirisch belegte effektivere Nutzung von geeigneten öffentlichen Bibliotheken zu diesen Zwecken liegen im gesamtgesellschaftlichen Interesse.

(2) Demgegenüber kommt den Beeinträchtigungen des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe im gegebenen Fall ein verhältnismäßig geringes Gewicht zu.

Die Regelung betrifft bereits nicht alle öffentlichen Bibliotheken, sondern nur solche, die die gesetzlich in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen Funktionen in einem so nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint. Selbst diese Bibliotheken müssen sonn- und feiertags nicht öffnen. Vielmehr kann jeder Träger einer von der Regelung erfassten Bibliothek beispielsweise in Abhängigkeit von der jeweiligen personellen Ausstattung und nach Beteiligung der Beschäftigten entscheiden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang er von der im Verordnungsweg geschaffenen Ermächtigung Gebrauch machen möchte.

Durch die Beschränkung der Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken auf sechs Stunden ist im Übrigen gewährleistet, dass Bibliotheksmitarbeiter nicht vollständig auf eine Sonn- und Feiertagsruhe verzichten müssen. Auch ist die Sonn- und Feiertagsöffnung öffentlicher Bibliotheken, die besondere kulturelle Funktionen anbieten und empirisch belegt gerade an Sonn- und Feiertagen viele Nutzer anziehen, schon wegen ihres regelmäßig gegebenen örtlichen Alleinstellungsmerkmals nicht mit dem Einsatz einer besonders großen Anzahl von Arbeitnehmern verbunden. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass bereits derzeit in der Rechtspraxis eine Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken zum Zwecke der Durchführung von Veranstaltungen oder mit Hilfe eines Wachdienstes auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 13 ArbZG akzeptiert wird, die ebenfalls den Einsatz einer jedenfalls nicht wesentlich geringeren Zahl von Arbeitnehmern erfordert. Durch eine weitgehend bloße Verlagerung des Arbeitseinsatzes von einer Gruppe von Arbeitnehmern auf eine andere ist weder im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmer noch auf den Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe etwas gewonnen. Durch den Einsatz bibliothekarischen Fachpersonals würde jedoch die Qualität des Bibliotheksangebots – wie mit dem ursprünglichen Gesetzesentwurf angestrebt und von den Sachverständigen nahezu einhellig befürwortet – gerade in Zeiten besonders intensiver Nutzung an Sonn- und Feiertagen erheblich steigen.

Vgl. zum begrenzten Nutzen für den Sonn- und Feiertagsschutz bei der Verlagerung des Einsatzes von einer Gruppe von Arbeitnehmern auf die andere: BVerwG, Urteil vom 29.3.1966 – 1 C 8.65 –, BVerwGE 24, 15 = juris, Rn. 13.

Zudem hat der Gesetzgeber mit den in § 10 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 ArbZG ausdrücklich geregelten Ausnahmen für kulturelle Einrichtungen selbst zum Ausdruck gebracht, dass er eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in an Ort und Stelle zu nutzenden kulturellen Einrichtungen zur Befriedigung eines an Sonn- und Feiertagen bestehenden relevanten Bedürfnisses in der Bevölkerung als gerechtfertigt ansieht.

Vgl. zur Abgrenzung zwischen Videotheken und Kinos: BVerwG, Urteil vom 19.4.1988 – 1 C 50.86 –, BVerwGE 79, 236 = juris, Rn. 33.

Vor diesem Hintergrund kommt dem vom Berufsverband Information Bibliothek e.V. (LT-Stellungnahme 17/1683, S. 3) erwähnten Gesichtspunkt keine entscheidende Bedeutung mehr zu, dass von zahlreichen Beschäftigten Rand- oder Sonderarbeitszeiten nicht nur als Belastung, sondern auch als Chance für die Vereinbarkeit von Arbeit und individuellen, flexiblen Lebensentwürfen, im Einzelfall sogar für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angesehen würden.

ee) § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung genügt schließlich auch mit Blick auf den Ordnungswidrigkeitstatbestand in § 22 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG den besonderen Bestimmtheitsanforderungen an bußgeldbewehrte Vorschriften in Art. 103 Abs. 2 GG.

Art. 103 Abs. 2 GG, der gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde, ist auf Ordnungswidrigkeitentatbestände anwendbar. Seine Bedeutung erschöpft sich nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung. Er enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie. Damit hat er auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, indem alle am Rechtsverkehr Teilnehmenden vorhersehen können sollen, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. In seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot enthält Art. 103 Abs. 2 GG die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und Rechtsvorschriften so genau fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist, gelten danach für den grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verlangt daher, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass der Normadressat im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen kann, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht. Allerdings muss der Gesetzgeber auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden. Müsste er jeden Straftatbestand stets bis ins Letzte ausführen, anstatt sich auf die wesentlichen Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Daher verbietet Art. 103 Abs. 2 GG die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht. Jedoch muss gewährleistet sein, dass mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden und unter Berücksichtigung gefestigter Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der fraglichen Norm gewonnen werden kann. Der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit lässt sich dabei nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben, wobei der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso genauer festlegen und präziser bestimmen muss, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist. Auch der Kreis der Normadressaten ist von Bedeutung.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 –, BVerfGE 159, 223 = juris, Rn. 154 ff., m. w. N.

Sollten in Nordrhein-Westfalen – wie vom Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung ausgeführt – keine reinen Ausleihbibliotheken mehr existieren, würde es sich bei der von der Antragstellerin vorgetragenen Bestimmtheitsproblematik ohnehin nur um ein Scheinproblem handeln. Sollte diese Einschätzung des Antragsgegners nicht zutreffen, sind die von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erfassten öffentlichen Bibliotheken trotz der Verwendung von unbestimmten Begriffen in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW jedenfalls mit Hilfe des ursprünglichen Gesetzentwurfs zuverlässig in dem Sinne bestimmbar, dass nur solche öffentlichen Bibliotheken erfasst werden sollen, die die gesetzlich in § 47 und § 48 Abs. 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen Funktionen in einem so nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint. Dass eine konkretere Beschreibung der von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erfassten öffentlichen Bibliotheken, die jedenfalls reine Ausleihbibliotheken und sonstige Bibliotheken nicht einschließen soll, die etwa aus räumlichen Gründen keinen genügenden Anreiz für eine nennenswerte sonntägliche Nutzung an Ort und Stelle bieten, angesichts der Vielgestaltigkeit der im Land vorhandenen öffentlichen Bibliotheken abstrakt-generell im Verordnungswege ohne eine starre und kasuistische Aufzählung möglich wäre, ist weder ersichtlich noch von der Antragstellerin aufgezeigt. Zudem hat der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, die Regelung habe in der Praxis bei der Umsetzung vor Ort bislang nicht zu Problemen geführt. Ein relevantes Missbrauchspotential besteht schon mit Blick auf die Kosten sonntäglicher Bibliotheksöffnungen sowie die strikte Rechtsbindung der öffentlichen Bibliotheksträger nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht. Die Gefahr sachlich nicht zu rechtfertigender Öffnungen trotz im Einzelfall fehlender Nachfrage ist vor diesem Hintergrund so sehr zu vernachlässigen, dass mögliche Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall nicht den Schluss auf eine verfassungswidrige Unbestimmtheit rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die Frage, ob für die nachträgliche Einbeziehung einer inhaltlich unteilbar geänderten Fassung einer Norm in ein Normenkontrollverfahren die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu beachten ist, grundsätzliche Bedeutung im

Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat.

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